Wiener Rathauspark

22. Juni, Sonntag, 1918

[225] Weshalb soll ich das Einzige, was ich an diesem staubigen, schlechtgepflegten Häusermeere liebe, nicht freudig, ja begeistert konstatieren, dieses Einzige, ja, diese Wiener Oase meiner zerrütteten,[225] weil allzu klar und allzu genau Alles durchschauenden (pfui!) überempfindlichen Nerven?!?

Ich weiß es genau, daß der Wiener Rathauspark jeden fremden Kur-Park ersetzt, und daß man (rückwärts ist das Arkaden-Kaffee mit den Kur-Mitteln) jede notwendige Heil-Kur hier ebenso gut absolvieren kann wie in Karlsbad, Franzensbad, Marienbad, nur völlig umsonst! O Menschen, weshalb kompliziert Ihr Euch (vor allem ökonomisch) Euer bißchen kurzes blödes Dasein, wenn Euch vor der Nase, ganz umsonst, fast märchenhaft, die Heilung winkt!?!

Diese Gesundheit ausströmenden kurzgeschorenen Wiesen, stets erfüllt mit Wasserleitungs-Feuchtigkeiten, diese dichten dunklen Gebüsche, diese scheinbar in den Urwald führenden, diese übertrieben herrlichen Bäume (ausgesuchte Prachtexemplare), dieser feuchte Springbrunnen, diese Stille, dieses »ich bin gar nicht mehr in der Großstadt«, garantieren Jedem Genesung, der natürlich überhaupt noch genesungsfähig ist! Aber Ihr zieht, mit Tausendern ausgestattet, angeblich zu Eurem Heile, gen Karlsbad, Marienbad, Franzensbad!?! Ins Ungewisse.

Quelle:
Altenberg, Peter: Mein Lebensabend. Berlin 1–81919, S. 225-226.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Mein Lebensabend
Mein Lebensabend: [Reprint der Originalausgabe von 1919]