Die Liebe

[64] »Solange Du gesund und frisch bist, o Du, mein Geliebtester, benötigst Du mich selbstverständlich nicht, ich mache auch keinen Anspruch darauf, denn ich bin im Gegensatze zu allen Anderen eben eine wirklich ideale Geliebte! Aber wenn Du doch einmal krank bist und unbeweglich, dann, dann werde ich erst in meine Rechte treten, und Dich pflegen, Dich betreuen wie keine, keine Andere! Denn was nützte Dir dann, Liebster, alle Anmut und Schönheit aller der Anderen?!?«

»Geliebte, eine Pflegerin für 15 Kronen täglich täte es geschickter, sanftmütiger und einfacher! Du würdest mir freilich 15 Kronen ersparen täglich. Richtig. Aber vielleicht verlöre ich deine Liebe durch deine ewigen untergeordneten Dienstleistungen. Denn der Kranke ist ein schlechter Romeo!«

»O, Geliebter, lasse mir doch das Glück, dich pflegen zu dürfen!«

»Ich lasse dir es. Vorläufig bin ich noch gar nicht so krank. Aber besser wäre es für dich und mich, wenn eine noch so schwer bezahlte sanfte fremde Pflegerin dir es melden könnte: ›Fräulein, er schläft! Fräulein, er hat heute zum erstenmal etwas Suppe genommen! Fräulein, die Ärzte sind bereits etwas hoffnungsvoller. Gott, Fräulein, wie liebreizend Sie heute wieder aussehen! Mit Ihrem[64] neuen Frühjahrshute! Er hat mir einen heißen Gruß an Sie übrigens aufgetragen – – –‹.

Wie, Du weinst schon jetzt beim Gedanken an diese süße Szene, nun siehst Du?! Die 15 Kronen täglich wird uns schon Jemand hoffentlich bezahlen! Und falls es schief ausgehen sollte, wirst ja doch Du allein Dich betätigen dürfen mit deinem Schmerze, und keine Pflegerin wird darin mit Dir schließlich konkurrieren können und wollen!«

Quelle:
Altenberg, Peter: Mein Lebensabend. Berlin 1–81919, S. 64-65.
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