Die Reise

[106] 2./10.1917


Innsbruck, ich bin also wirklich in Innsbruck, mir selbst, Paula und Denen, die mich kennen, unbegreiflich. Woher diese Energie, Peter, von Wien aus, von deinem geliebten Zimmerchen aus Nr. 33, I. Grabenhotel, in »Innsbruck« zu landen, mit Reisetasche aus braunem Segeltuche mit Monogramm »P.A.« und »Nickel-Schloß« und allem für Dich Notwendigstem!?! Wer hat Das fertiggebracht, Peter, der Du nachts es nicht genau weißt,[106] ob Du morgens die Energie haben wirst, Dir die Krawatte zu binden, und deshalb oft in »Krawatte« schläfst?!? Sicher ist sicher, auch die Hose kann anbehalten werden, sicher ist sicher, und nun in Innsbruck?!? Peter, wie ging das zu, beichte!

Paula sagte: »Ich brauche Dich in Innsbruck. Sei es aus diesen, sei es aus jenen Gründen. Willst Du oder willst Du nicht?!? Ich kann auch ›ohne Dich‹ auskommen im ziemlich komplizierten Leben, aber ›mit Dir‹, Peter, wie überhaupt alle Unseresgleichen, echte Moderne von 1917, einfacher, richtiger, bequemer.«

Infolgedessen kam ich nach Innsbruck. Paula hatte aus irgend einem Grunde mich gebeten, herzufahren. Ich bin hier Ihr zuliebe, ist das nicht mehr für unsere Seele als die Schnee-bedeckten Berge?!? Paula, Paula, was weißt Du von der Anziehungskraft dieser Natur »Weib«?!? Es ist mehr als »Berg-Almen«.

Paula Schweitzer,

ich stelle Dir heute, in Innsbruck, 3./10. 1917, 2 Uhr nachmittags, folgendes Zeugnis aus:

Nie hat sich, unter solchen komplizierten Umständen, von dem Betreten des Wiener Westbahnhofes an zur Fahrt nach Innsbruck, 1/2 8 Uhr morgens, 2./10. 1917, bis heute, 4./10., eine Frau liebevoller, zarter, rücksichtsvoller, schwesterlicher, mütterlicher, Kindsfrau-mäßiger, aufopfernder, verehrungswürdiger, menschlich höher, Situationen überblickender, objektiv-gerechter je benommen als Du, Paula Schweitzer! Ich liebe Dich!!!!!!! Wenn ich, mit meiner vollkommen zerrütteten Dichter-Seele[107] einmal nahe daran bin, Dich ernstlich zu kränken, Geliebteste, so schicke mir diese heute geschriebenen Zeilen irgendwohin, auf daß ich »erwache«, zu Dir! Durch Dich!

Quelle:
Altenberg, Peter: Mein Lebensabend. Berlin 1–81919, S. 106-108.
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