Ehrlich-Hata

[21] Ich habe einen Ausspruch des berühmten verstorbenen Professors Ehrlich (Ehrlich-Hata) gehört, der mir kolossal gefallen hat, obzwar oder weil ich ihn seit jeher denke: Als man ihn fragen wollte über seine Beziehungen zu Musik, Literatur, Weib, Welt, sagte er: »Ja, das mit der Musik, der Kunst, der Welt, und dem Weib wäre ja recht nett. Aber da ich Physiologe bin von Fach, schäme ich mich[21] nicht meiner Beantwortung: Ich weiß es nämlich, daß unser Gehirn ungefähr 10 Millionen funktionierender Gehirnzellen habe. Wenn nun z.B. die Wissenschaft von 7 morgens bis 7 abends 9.999.999. davon in Anspruch nimmt, bleibt nur mehr eine einzige Zelle übrig, um für Musik, Literatur, Malerei und Frau zu funktionieren, und das ist, ich gebe es zu, etwas wenig!«

Ja, wir haben eine bestimmte Summe von Lebens-Energien in unserer genialen Maschine aufgestapelt, die allerdings täglich durch Atmen, Essen, Schlafen, wieder ersetzt werden. Aber jede Summe von Lebensenergien, auf der einen Seite im Organismus aufgebraucht durch irgend eine Betätigung, entzieht allen anderen Seiten soviel als die eine für sich verbraucht hat. Der Philister doziert zwar: »Ach was, ein vollkommener Organismus muß eben Alles leisten können!« Ja, aber Herr Bankdirektor, wer ist heutzutage ein »vollkommener« Organismus?! Das Genie einmal sicher nicht!

Quelle:
Altenberg, Peter: Mein Lebensabend. Berlin 1–81919, S. 21-22.
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