Konsultation

[282] Professor W.v.J. erklärte mir, daß es unter diesen ›meinen außergewöhnlichen Lebensführungen‹ nur die endgültige Wahl gebe: Delirium oder Krebs. Ich selbst fühle die vollständige Zerstörung meines Organismus seit dem vor 18 Wochen erfolgten doppelten Handbruche auf der Steinstiege meines Hotels.

Meine Lebens-Energien, die stets minimal, ja pathologisch waren, sind grauenhaft entschwunden und haben meine seit jeher versteckt zerstörenden Lebens-Melancholien (taedium vitae) plötzlich pathologisch mich beherrschen lassen, so daß ich ein Unterliegender meiner selbst geworden bin! Der Bruch meiner Hand macht mich unermeßlich[282] traurig, ja, zehrt an meiner Seele bei Tag und Nacht, wie die Strafe für ein in jeder Beziehung verfehltes Leben!

Meine Ideale, die mir bisher ewige Elastizität spendeten, sind entschwunden und ebenso dadurch die Leichtigkeit meines Denkens und Empfindens! Ich rangiere nun in die Klasse der gewöhnlichen Sterblichen, die nicht mehr zu bieten haben in geistig-seelischer Beziehung für die Fremden als alle Anderen, deren armseliges Dasein ihnen nicht allzu wichtig zu sein scheint! Infolgedessen stehe ich am Abgrunde meines ganzen, einst so beweglichen, spendenden Lebens, bin gealtert, weil ich nichts mehr spenden kann, sondern meinen armseligen, traurigen Gaul nun langsam Trott gehen lassen muß! Wo seid ihr Zeiten, da ich ewige Jugend trotz allem in mir spürte, und mein Geist, meine Seele gleichsam Tausende befruchtete! Armer Peter!

Quelle:
Altenberg, Peter: Mein Lebensabend. Berlin 1–81919, S. 282-283.
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