Lebensenergien

[314] Du bist also, in Deinem 60. Lebensjahre, 9. März 1978,

am Ende angelangt Deiner gesamten Lebens-Energien. Schade.[314]

Du hättest so viel Wichtiges für die Anderen mitzuteilen,

denn Dein eigenes Leben ist ja doch entsetzlich wertlos.

Das ist keine Phrase, keine Pose,

ich könnte es erweisen, doch wozu?!?

Ich hatte stets das Gefühl, helfen zu können, Fremden, Anderen, Entfernten,

und habe es sogar oft glückselig erlebt. Es ist mein geheimnisvollster Seelen-Schatz. Ich bin dadurch ein Reicher!

Nun aber beginnt zu meiner tiefsten Traurigkeit, ja zu meiner Verzweiflung,

das Spenden zu versagen. Und ich bin ich.

Wie Alle gehe ich nun allmählich meinen

armseligen langsamen Trott der allgemeinen Herde.

Eine unermeßliche Verzweiflung ist in mir, Niemandem mehr wirklich, ernstlich, aufrichtig, liebevoll helfen zu können!

Wie ein Alltag-Mensch wanke ich dahin, der Dichter, der Idealist; der träumerische Helfer, Helfenwoller ist erstorben, sei es aus diesem, sei es aus jenem Grunde, das Alter schnürt mir meine Seele zu, erwürgt sie!

Peter, gib rechtzeitig Deines Glückes echte Kraft auf, Andere aufzuklären!

Steige hernieder in die Grüfte, die trostlos düstern des hilfelosen Greisenalters für die Anderen!

und bescheide Dich endlich, Deinen eigenen Lebensweg zu wandeln,

wie es Alle tun, die Genies ausgenommen, die für Andere leiden können![315]

Das Alter kommt heimtückisch

unmerklich an Dich herangekrochen,

raubt Dir plötzlich Deine edle Fähigkeit,

Anderen zu helfen, zu dienen.

Gehe in Dich, Peter, und gib dem

Greisenalter nach, das endlich Dich naturgemäß besiegt.

Niemand wird Deine Qualen ahnen, die den »Greisenhaften« momentan ent-idealisiert haben, ja, entmannt haben. Trage Dein Geschick!

Andere haben mehr zu leiden als Du, viel, viel, viel mehr, und tragen es! Und sind Schicksal-ergeben.

Gehe den Weg, den doch Alle gehen müssen, immer kann man doch nicht jünglinghaft-kämpfend bleiben, es kommt der Tag, da Deine Kräfte schwinden. Gib nach! Es ist das Vernünftigste, das Du zu tun vermagst! Gib nach dem unerbittlichen Schicksal! Du hast gelebt teilweise das Leben eines Weisen,

und die Natur hat Dir einen großen Teil ihrer Pracht gespendet!

Worüber beklagst Du Dich also an Deinem naturgemäßen Ende, das Alle bitterer trifft?

Da Andere bedrückt, zerpatscht, enttäuscht, besiegt,

zurückblicken auf ein verfehltes Dasein? Und nicht wissen, wozu sie existierten?!

Solang Du wirken konntest,

wirktest Du, freudig wirkungsvoll!

Quelle:
Altenberg, Peter: Mein Lebensabend. Berlin 1–81919, S. 314-316.
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