Trebern

[238] Nun gut, man ist angeblich ein Schriftsteller.

Vielleicht war man es wirklich ganz von selbst, plötzlich, vor 20 Jahren, im 36. Lebensjahre. Aber seitdem hat man erstens bereits zehn Bücher herausgegeben, sich einen verhältnismäßig berühmten Namen gemacht mit diesen kleinen großen Moment-Photographieen des »inneren Lebens«, hat sich, d.h. eigentlich seine von Gottes Gnaden und Ungnaden verliehene Persönlichkeit, nach jeder Richtung hin erschöpft, ja, direkt ausgeplündert! Ein Schuft, der mehr gibt als er zu geben reell hat!

Nun, im 60. Lebensjahre (9./3. 1919) kommt als geistig-seelisches Hilfsmittel der Sporn und die Peitsche »Trebern« fast von selbst, naturgemäß, und dennoch wie Alles in diesem Leben, einem glücklichen merkwürdigen Zufall zu verdanken, dieser Schnaps hinzu. Von Bier zu tödlichen, weil schauerlich übertriebenen heiligen, ein Likörglas im Bette abends, Schlafmitteln[238] (Paraldehyd), und nun zum Gehirn-erlösenden, anregenden Trebern! Alles Das ist aber unnötig künstlich für den ganz Normalen, und dennoch, am Ende der genauen Berechnung, habe ich dadurch allein (Talent hatte ich nie), zumal den jungen Frauen und Mädchen in meinen zehn Büchern für ihr Leben und sogar gewissermaßen für ihr Glück (geschicktere weisere Lebensführung infolge der Lektüre von nun an) viel selbstlos geleistet! Wenn mir lange nichts einfällt, Impressionen, wie ich und meine Leser sie gewohnt sind von mir, fast pathologisch ausbleiben plötzlich (geistig-seelische Impotenz), so bringt mir nun ein Liter Riesling 1917, Fechsung, unbedingt die Stimmung, Andere irgendwie aufzuklären! Freilich kostet es elf Kronen jedesmal. Da muß man sich es berechnen, was, gesammelt zu einem Buche, das künftige Buch eintragen wird, und so kommt man vielleicht gerade noch »mit einem blauen Geiste« davon! Ich habe kein organisches selbstverständliches Talent mitbekommen; dafür aber als herrliche Entschädigung die tiefsten Kenntnisse der Diätetik und Hygiene unserer, ach so komplizierten, Lebens-Maschinerie. Von da aus steigert man sich naturgemäß von selbst zum Leben überblickenden Dichter!

Quelle:
Altenberg, Peter: Mein Lebensabend. Berlin 1–81919, S. 238-239.
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Mein Lebensabend: [Reprint der Originalausgabe von 1919]