Wiener Strassenreinigung

[90] Ihr, die Ihr, noch rückständigst, Strümpfe und Schuhe, Socken und Schuhe traget (ich »fliege« seit einem Jahre nackten Fußes in Sandalen), was wisset Ihr von meinen »seelischen Qualen«, wenn den ganzen friedevollen Morgen lang alle Geschäfte ihre Staubtücher, alle Straßenreiniger, nein, Verunreiniger, ihren Mist »trocken-staubig« auf meine nackten Füße ausmisten?!? Eine »pathologische« Rücksichtslosigkeit für die Passanten! Eine einfache drakonische Verordnung genügte: Es ist bei schwerer Strafe verboten, durch irgend Etwas die Straße zu verunreinigen! Wegschwemmendes Wasser ertränke vorerst jeglichen Mist! Drakonische Verbote wären reinigend! Aber eben deshalb erfolgen sie nicht. Aber weshalb lassen Hunderttausende sich dieses Verbrechen an ihrer Morgen-Reinlichkeit stumm-stupid-duldend gefallen?!? Wie ein »Verhängnis«, das »unentrinnbar« ist?! Wie Krankheit, Verarmung oder[90] Tod?! Wenn die Menschen in »erlaubten Kleinigkeiten« des Daseins wenigstens »revolutionär« würden! Aber Niemand nimmt sich die »heilige« Mühe, heilig, weil sie eben auch für Alle wichtig wäre, selbst bei kleinsten Ungehörigkeiten zu ändern ehrlich-menschenfreundlich mitzuhelfen! Ich selbst mußte erst im 59. Lebensjahre Sandalen tragen an nackten Füßen, um die ganze Scheußlichkeit unserer Straßen-Morgen-Reinigung mit verachtungs-erfülltem Bewußtsein erleiden zu können!

Quelle:
Altenberg, Peter: Mein Lebensabend. Berlin 1–81919, S. 90-91.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Mein Lebensabend
Mein Lebensabend: [Reprint der Originalausgabe von 1919]