Fünfunddreissig

[25] Ein gelbbrauner Strohhut mit Veilchensträusschen und Veilchenblättern an langen dünnen grünen Stielen. Das Kleid aus Rohseide, mit einem breiten hellbraunen Sammtgürtel Der Griff des Schirmes ein Bergkristall, Oktaëder, an einem braunen Zuckerrohr. Flachsblonde Haare. Schnürstiefel aus rothem Juften. Das fünfzehnjährige Töchterchen hat braunrothe Haare, braune Augen und wunderbare Hände.

Der Gatte fährt mit dem Töchterchen am See.

Die Dame mit den flachsblonden Haaren bleibt allein zurück.

Sie stützt das Kinn in die Hand und blickt auf die Seefläche hinaus – – –.

Sie fühlt, dass ich sie bewundere – – –.

Plötzlich aus den Grenzen schönen Familienlebens hinausgezerrt in das Meer des grossen Lebens, mit seinem grossen Mysterium – – –!

»Ich bin wie die Natur« fühlte sie. »Der See, der Wald, die gelbgefleckte Dillkrautwiese und ich –!

Etwas wird aus dem Mann – – –! Er bekommt Flügel und fliegt aus der Welt – – –. Aber er nimmt Uns mit, den schimmernden See, den ernsten dunklen Wald, die berauschend duftende Wiese und Uns – – Uns! Wir werden ein Theil seiner Seele und fliegen mit, in die Höhe, in die Ferne – – –.«

Der Gatte und das Töchterchen kamen zurück.

Die Dame legte um die Schultern des Mädchens[25] einen weissen Shawl und machte rückwärts einen Knoten.

»Du bist erhitzt vom Rudern« sagte sie.

Dann legte sie ihre Hand auf die des Gatten und sagte scherzend: »Du alter Matrose – – –!«

Dann blickte sie mich an: »Du hast mich mitgenommen auf deine luftige Fahrt, du junger Matrose – ich danke Dir.

Mein guter edler Gatte, mein liebliches süsses Töchterchen – – –! Ich habe selber Flügel bekommen – –! Aber dahin fliegst Du nicht mit, du schwerfälliger Himmelsflieger – – –!«

Aber als sie am Arm des Gatten, das Töchterchen zärtlich an der Hand haltend, den Platz verliess, wandte sie sich um – – –.

Ich fühlte wie sie bat: »Nimm' mich noch einmal mit, du junger Matrose – – –!«

Und ich nahm sie mit, indem ich ihr einen Blick gab voll Bewunderung und Freundschaft – – –.

Quelle:
Peter Altenberg: Wie ich es sehe. Berlin 8–91914, S. 25-26.
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