Achtundvierzigste Rune.

[301] Wäinämöinen alt und wahrhaft,

Er, der ew'ge Zaubersprecher,

Unternahm nun zu bedenken,

Fing nun an zu überlegen,

Wie das Leinennetz zu stricken,

Wie das hundertfache Fanggarn.


Redet darauf diese Worte,

Läßt sich selber also hören:

Gibt es, wer den Lein wohl säen,

Wer ihn säen, pflügen könnte,

Daß das Netz zurecht ich binde,

Hundertmaschig es verfert'ge,

Um den bösen Fisch zu töten,

Um den schlechten zu verderben?


Ward ein wenig Land gefunden,

Eine Stelle, nie geschwendet,

Auf des Sumpfes großem Rücken,

In der Mitte zweier Stämme.


Ausgegraben ward die Wurzel,

Flachsessamen dort gefunden,

Von Tuonis Wurm behütet,

In dem Schutz der Erdenlarve.


War ein Klümpchen dort von Asche,

War ein Häuflein trocknen Staubes,[302]

Eines Boots Rest, das einst brannte,

Eines Fahrzeugs, das verzehrt ward;

Dorthin ward der Flachs gesäet,

In die Asche eingesenket,

An den Strand des Sees Alue,

In dem lehm'gen Ackerboden.


Keime trieb empor die Pflanze,

Üppig schoß der Flachs zur Höhe,

Über Hoffnung hob der Lein sich

Während einer Nacht des Sommers.


Er ward ausgesät zur Nachtzeit,

Bei dem Mondschein eingestecket,

Ward gereinigt und gesichtet,

Ward gerupfet und geraffet,

Gar behende ausgerissen

Und mit aller Kraft gehechelt.


Ward dann hingeführt zum Wässern,

War gar bald schon weich geworden;

Ward dann eilig aufgenommen,

Um geschwinde nun zu trocknen.


Ward gebracht darauf zum Hause,

Daß er dort geglättet würde;

Eifrig ward er dann gebrochen

Und ward gar behend geschwungen.


Ward gar fleißig dann gebürstet,

Ward gekämmt am frühen Morgen,

Ward in Knocken schnell geleget,

Schnell auf Spindeln aufgewickelt,

Während einer Nacht des Sommers,

Mitten zwischen zweien Tagen.


Darauf spannen ihn die Schwestern,

Zog den Faden ein die Schwägrin,[303]

Banden dann das Garn die Brüder

Und die Väter knüpften Stricke.


Fleißig wandte sich die Nadel,

Sich der Maschenstock gar emsig,

Bis das Netz zu End' bereitet,

Bis das Leinengarn verbunden,

Während einer Nacht des Sommers

Und dazu noch einer halben.


Fertig war das Netz am Ende,

War das Leinengarn verbunden,

Hundert Klafter war die Tiefe,

Siebenhundert lang die Seiten,

Steine wurden dann befestigt,

Gute Bretter angefüget.


Gingen zu dem Netz die Jungen,

Dachten in dem Haus die Alten:

Ob man jetzt den Fisch wohl fangen,

Ihn nach Wunsch erlangen würde?


Ziehen nun das Netz und schleppen,

Senken es und mühn sich eifrig,

Ziehen durch des Wassers Länge,

Stoßen durch des Wassers Breite,

Fangen lauter kleine Fische,

Kaulbarsche, die Unglücksfische,

Barsche, reich an scharfen Gräten,

Manches Rotaug, reich an Galle,

Können nur den Fisch nicht fangen,

Welchem sie das Netz bereitet.


Sprach der alte Wäinämöinen:

O du Schmieder Ilmarinen,

Laß uns selber dahin gehen,

Zu dem Wasser an die Netze![304]


Darauf gingen beide Helden,

Zogen rasch das Netz durchs Wasser,

Warfen einen seiner Arme

Zu dem Eiland auf dem Meere,

Warfen dann den andern Arm hin

Zu des Wiesenrandes Spitze,

Doch des Netzes Zugseil kehrten

Sie zu Wäinös Landungsplatze.


Ziehn das Netz nach vorn und stoßen's,

Ziehen es und schleppen's fleißig,

Fangen Fische zur Genüge,

Fangen Barsche reichen Maßes,

Fangen schöne Lachsforellen,

Brachsen, manche Lachsesarten,

Alle Fische aus dem Wasser,

Können nur den Fisch nicht fangen,

Welchem sie das Netz bereitet,

Gegen den das Garn sie senkten.


Fügt der alte Wäinämöinen

Noch hinzu dem Netz an Größe,

Legt noch Flügel an die Seiten,

Wohl an Maß fünfhundert Klafter,

Siebenhundert Klafter Seile,

Redet selber diese Worte:

Führen wir zur Flut die Netze,

Wollen weiter sie noch tragen,

Weiter durch das Wasser ziehen,

Noch einmal den Zug versuchen.


Führten zu der Flut die Netze,

Trugen hin sie auf den Wogen,

Zogen weiter durch das Wasser,

Noch einmal den Zug versuchend.[305]


Selbst der alte Wäinämöinen

Redet Worte solcher Weise:

Wellamo, des Wassers Wirtin,

Wasser-Alte mit der Schilfbrust!

Komm das Hemd jetzt umzutauschen,

Deinen Rock jetzt zu verändern!

Hast ein Hemd aus Rohr bereitet,

Hast des Meeres Schaum als Decke,

Die gemacht die Windestochter,

Die dir gab die Flutentochter,

Werde dir ein Hemd von Leinwand,

Von dem reinsten Flachse geben,

Das gewebt die Mondestochter,

Das gewirkt der Sonne Tochter.


Ahto, Wirt du in den Fluten,

Herr der hundert Meeresgruben!

Den fünf Klafter langen Pfahl nimm,

Nimm die Siebenklafterstange,

Um das Meer ganz zu durchsuchen,

Um den Boden zu durchwühlen,

Rühre auf des Schilfes Fasern,

Treib empor der Fische Herde,

Wo wir dieses Netz auswerfen,

Seine hundert Dobber senken,

Von den fischereichen Buchten,

Von den lachsereichen Winkeln,

Aus des Meeres großen Wirbeln,

Aus den bodenlosen Tiefen,

Wo die Sonne nimmer scheinet,

Nimmer sich der Sand beweget.


Stieg ein Männlein aus den Wogen,

Kam ein Held dort aus den Fluten,

Stille stand er auf dem Meere,[306]

Redet Worte solcher Weise:

Brauchet ihr wohl einen Treiber,

Der die lange Stange halte?


Wäinämöinen alt und wahrhaft

Redet selber diese Worte:

Brauchen wahrlich einen Treiber,

Der die lange Stange halte.


Haut das Männlein, dieses Heldlein,

Eine Fichte von dem Strande,

Einen langen Baum vom Busche,

Heftet einen Fels als Knopf dran,

Fragend spricht es diese Worte:

Soll aus aller Kraft ich schlagen,

Mit der Schultern ganzer Stärke,

Oder nur soviel es nottut?


Sprach der weise Wäinämöinen

Ihm zur Antwort diese Worte:

Schlägst du nur soviel es nottut,

Wirst du viel zu schlagen haben.


Fing darauf das kleine Männlein,

Fing das Heldlein an zu schlagen,

Schlug nur so viel, wie es nottat,

Trieb der Fische große Scharen,

Wo das Netz man ausgeworfen,

Man gesenkt die hundert Dobber.


An dem Ruder saß der Schmieder,

Wäinämöinen alt und wahrhaft

Hob das ausgeworfne Netz selbst,

Zog gar kräftig ein das Fanggarn,

Sprach der alte Wäinämöinen:

Schon gelangt der Fische Herde,[307]

Wo das Netz ich ausgeworfen,

Wo die Dobber ich gesenket.


Ward das Netz darauf gehoben,

Ward gehoben und geschüttelt

Zu dem Boote Wäinämöinens;

Eingefangen ward der Fischschwarm,

Gegen den das Netz verfertigt

Und geknüpfet war das Fanggarn.


Wäinämöinen alt und wahrhaft

Fährt mit seinem Boot zum Lande,

Hin zu jener blauen Brücke,

Zu des roten Steges Spitze;

Zog empor die Schar der Fische,

Löste auf den grät'gen Haufen,

Holt heraus den Hecht, den grauen,

Den er längst schon fangen wollte.


Sprach der alte Wäinämöinen

Selber darauf diese Worte:

Darf ich mit der Hand ihn fassen,

Ohne Handschuhe von Eisen,

Ohne Fäustlinge von Steinen,

Ohne Kupferkleid an Händen?


Dies vernahm der Sohn der Sonne,

Redet Worte solcher Weise:

Gern möcht' ich den Hecht zerspalten,

Möcht' ich in die Hand ihn nehmen,

Hätt' ich nur ein großes Messer,

Hätte ich ein starkes Eisen.


Fiel ein Messer von dem Himmel,

Aus den Wolken fiel ein Eisen,

Goldenköpfig, silberschneidig,

Fiel zum Gurt des Sonnensohnes.[308]


Griff der starke Sohn der Sonne

Mit der Hand gleich nach dem Messer,

Auf schnitt er den Leib des Hechtes,

Spaltete den Leib des Breitmauls;

In dem Bauch des grauen Hechtes

Fand sich eine Lachsforelle,

In dem Bauch der Lachsforelle

Fand sich ein gar glatter Schnäpel.


Spaltet dann den glatten Schnäpel,

Nimmt heraus den blauen Knäuel

Aus des Schnäpels Eingeweiden,

Aus des Darmes dritter Krümmung.


Wickelt ab den blauen Knäuel,

Aus des blauen Knäuels Innerm

Fällt herab ein roter Knäuel,

Öffnet dann den roten Knäuel,

In des roten Knäuels Mitte

Findet er den Feuerfunken,

Der vom Himmel war gekommen,

Durch die Wolken war gesunken,

Von der Höhe von acht Himmeln,

Aus dem neunten Raum der Lüfte.


Wäinämöinen überlegte,

Womit man ihn führen sollte

Nach den feuerlosen Stuben,

Nach den finstern Wohngebäuden.

Rasch entschlüpfte da das Feuer

Aus der Hand des Sonnensohnes,

Sengt den Bart des alten Wäinö,

Schlimmer brennt es noch dem Schmieder

Beide Wangen gar zuschanden

Und versengt ihm auch die Hände.[309]


Eilet darauf weiter schreitend

Zu der Flut des Sees Alue,

Springt empor zu den Wacholdern,

Senget ab die ganze Heide,

Wirft sich knisternd auf die Tannen,

Sengt die schönen Tannenwälder,

Schreitet immer weiter vorwärts,

Sengt das Land des halben Nordens,

Sengt des Sawolandes Grenzen,

Beide Hälften von Karjala.


Wäinämöinen alt und wahrhaft

Macht sich selber auf zu gehen,

Hebet fort sich durch die Waldung,

Folgt des wilden Feuers Spuren;

Findet auch das Feuer endlich

An der Wurzel zweier Stämme,

In der Erlenhöhlung Innerm,

An des faulen Stammes Biegung.


Sprach der alte Wäinämöinen

Selber darauf diese Worte:

Feuer, du Geschöpf Jumalas,

Leuchtendes Geschöpf des Schöpfers!

Grundlos gingst du in die Tiefe,

Ohne Zweck in weite Ferne,

Tuest besser, wenn du heimkehrst

Zu dem steingebauten Ofen,

Dich in deinen Funken bergest,

In den Kohlen dich versteckest,

Daß am Tage man dich brauche,

In dem Birkenholz benutze,

In der Nacht man dich verwahre

In des goldnen Kreises Höhlung.[310]


Nahm darauf den Feuerfunken

In den flammenreichen Zunder,

In den trocknen Schwamm der Birke,

In den Kessel, der von Kupfer,

Trug das Feuer in dem Kessel,

Bracht' es in der Birkenrinde

Zu der nebelreichen Spitze,

Zu dem dunstumwobnen Eiland;

Feuer hatten bald die Stuben,

Licht geschwind die Wohngebäude.


Doch der Schmieder Ilmarinen

Stürzte zu dem Strand des Meeres,

Schleppte sich zu einer Klippe,

Setzte sich auf einen Felsen,

In der Pein des Feuerbrandes,

In der großen Qual der Flamme.


Dort versucht er sie zu stillen,

Sucht der Flamme Kraft zu hemmen,

Redet Worte solcher Weise,

Läßt auf diese Art sich hören:


Feuer, du Geschöpf Jumalas,

Panu, du, o Sohn der Sonne!

Wer hat dich so sehr erzürnet,

Daß du meine Wangen sengtest,

Meine Hüften mir verbranntest,

Meine Seiten so verletztest?


Wie soll ich das Feuer stillen,

Wie die Kraft der Flamme hemmen,

Wirkungslos das Feuer machen,

Ihrer Macht beraubt die Flamme,

Daß sie mich nicht länger brenne,

Mich nicht allzu lange quäle?[311]


Komme, Tochter, du aus Turja,

Jungfrau, eile von den Lappen,

Reif am Strumpfe, eisbeschuhet,

Weißgefroren an dem Saume,

In der Hand den Reifeskessel

Und darin den Eiseslöffel;

Spritze mit dem kalten Wasser,

Streu' Eisrindensplitter eifrig

Auf die Stellen, die versengt sind,

Auf des Feuers bösen Schaden!


Sollte dies genug nicht scheinen,

Komm, o Sohn du aus Pohjola,

Kind du aus dem tiefen Lappland,

Langer Mann vom Düsterlande,

Von der Höhe einer Tanne,

Von der Größe einer Fichte,

An den Händen Reifeshandschuh,

An den Füßen Reifesschuhe,

Auf dem Kopf die Reifesmütze,

An dem Leib den Reifesgürtel!


Bringe Reif du aus Pohjola,

Eis du aus dem kalten Dorfe!

Reif genug gibt's ja im Nordland,

Eis genug im kalten Dorfe,

Reifesflüsse, Eisesseen,

Glatt gefroren sind die Lüfte,

Reif'ge Hasen hüpfen dorten,

Eis'ge Bären klettern dorten

Mitten auf den schnee'gen Hügeln,

An dem Rand der Schneegebirge,

Reif'ge Schwäne schwimmen dorten,

Eis'ge Enten rudern zahlreich[312]

Mitten in dem schnee'gen Flusse,

An dem eis'gen Wasserfalle.


Bringe Reif auf deinem Schlitten,

Schaffe Eis herbei in Fudern

Von der wilden Gipfel Seite,

Von dem Saum des festen Berges!

Und dann kühle mit dem Reife,

Überfriere mit dem Eise

Allen Schaden von dem Feuer,

Wo die Glut mich hat versenget!


Sollte das genug nicht scheinen,

Ukko, du, o Gott der Höhe,

Ukko, der die Wolken leitet,

Der die Lämmerwolken lenket!

Send' aus Osten eine Wolke,

Ein Gewölk du aus dem Westen,

Stoß die Enden du zusammen,

Daß der leere Raum sich fülle,

Regne Reif und regne Eis mir,

Regne mir die besten Salben

Auf die Stellen, die versengt sind,

Auf des Feuers schlimme Schäden!


So gelang's Schmied Ilmarinen

Nun den Feuerbrand zu stillen

Und der Flamme Kraft zu brechen;

Es gesundete der Schmieder

Zu der sonstgewohnten Stärke

Von des Feuers heft'gem Schaden.

Quelle:
Kalewala. 2 Bände, Berlin [o.J.], Band 2, S. 301-313.
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