Siebenundvierzigste Rune.

[289] Wäinämöinen alt und wahrhaft

Spielte lange auf der Harfe,

Spielte lang und sang zum Spiele,

Sang gar freudenreichen Sinnes.


Sang kam zu des Mondes Stube,

Jubel zu der Sonne Fenstern,

Schritt der Mond aus seiner Stube,

Stieg auf eine krumme Birke,

Schritt aus ihrem Schloß die Sonne,

Setzt' sich in der Föhre Wipfel,

Um der Kantele zu lauschen,

Sich am Jubel zu erfreuen.


Louhi, sie, Pohjolas Wirtin,

Nordlands zähnearme Alte,

Nimmt die Sonne nun gefangen,

Greift den Mond mit ihren Händen,

Zieht den Mond vom Stamm der Birke,

Aus der Föhre Kron' die Sonne,

Führet sie sogleich nach Hause,

Nach dem nimmerhellen Nordland.


Birgt den Mond, daß er nicht scheine,

In den Fels mit bunten Seiten,

Bannt die Sonn', daß sie nicht leuchte,

Zu dem stahlgefüllten Berge,[290]

Redet selber diese Worte:

Nimmer soll von hier in Freiheit,

Daß er schein', der Mond gelangen,

Nicht die Sonne, daß sie leuchte,

Wenn ich selbst nicht lösen komme,

Ich sie selber nicht befreie,

Mich neun Hengste nicht begleiten,

Die getragen eine Stute!


Als der Mond nun fortgeschafft war,

Als die Sonne war geborgen

In dem Steinberg von Pohjola,

In dem eisenfesten Felsen,

Raubt sie dann die Flamme, raubt das

Feuer aus Wäinöläs Stuben,

Daß die Stuben ohne Feuer,

Ohne Licht die Häuser waren.


Nacht war nun ohn' Unterbrechung,

Dichte Finsternis ohn' Ende,

Dunkle Nacht in Kalewala,

In den Stuben von Wäinölä,

Aber auch im Himmel oben,

Über Ukkos eignem Sitze.


Schwer war's ohne Licht zu leben,

Gar beschwerlich ohne Feuer,

Langeweile hatten Menschen,

Langeweile Ukko selber.


Ukko nun, der Gott der Höhe,

Selbst der Lüfte großer Schöpfer,

Fing nun an sich zu verwundern,

Dachte nach und überlegte,

Welches Wunder vor dem Monde,

Auf der Sonne Bahn wohl wäre,[291]

Daß der Mond nicht scheinen wollte,

Nicht das Sonnenlicht erstrahlen.


Schritt dann auf dem Saum der Wolken,

Schritt entlang des Himmels Grenze

In den blaugefärbten Strümpfen,

In den buntgeschmückten Schuhen,

Um das Mondlicht aufzusuchen,

Um die Sonne zu entdecken,

Konnte doch den Mond nicht finden,

Auch die Sonne nicht entdecken.


Feuer schlug nun an der Alte,

Ließ den Funken jäh ersprühen

Aus des Schwertes Feuerschneide,

Aus der flammenreichen Klinge;

Feuer schlug er mit den Nägeln,

Ließ es aus den Fingern knistern

In des Himmels oberm Raume,

Auf der Sternenhürde Ebne.


Hat das Feuer angeschlagen,

Birgt darauf den Feuerfunken

In dem goldgeschmückten Beutel,

In der silberreiche Lade,

Gibt der Jungfrau ihn zu wiegen,

Zu betreun der Lüfte Tochter,

Daß ein neuer Mond entstehe,

Eine neue Sonne wachse.


Auf der langen Wolke saß sie,

An dem Saum der Luft die Jungfrau,

Fleißig wiegte sie das Feuer,

Schaukelt hin und her die Flamme

In der goldgeschmückten Wiege,

An den silberreichen Riemen.[292]


Biegen sich die Silberstangen,

Lärmend rauscht die goldne Wiege,

Schwankt die Wolke, kracht der Himmel,

Schräg neigt sich des Himmels Deckel,

Also wird gewiegt das Feuer,

So geschaukelt wird die Flamme.


Wiegt das Feuer so die Jungfrau,

Schaukelt hin und her die Flamme,

Pflegt das Feuer mit den Fingern,

Hütet es mit ihren Händen:

Plötzlich läßt's die Dumme fallen,

Diese Jungfrau ohne Vorsicht,

Aus den Händen, die es wenden,

Aus den Fingern, die es pflegen.


Berstend spaltet sich der Himmel,

Öffnet sich der ganze Luftraum;

Nieder fällt der Feuerfunken,

Rauscht herab der rote Tropfen,

Gleitet durch des Himmels Decke,

Zischet durch der Wolken Hülle,

Durch neun Himmel eilt herab er,

Durch sechs buntgestirnte Festen.


Sprach der alte Wäinämöinen:

Bruder du, Schmied Ilmarinen!

Laß uns gehen zuzuschauen,

Laß uns wandern zu erfahren,

Was für Feuer da herabfiel,

Welche fremde Flamme hinsank

Aus dem obern Raum des Himmels

Auf den untern Raum der Erde;

Ist es gar des Mondes Scheibe

Oder auch der Sonne Kugel?[293]


Gingen darauf beide Helden,

Schritten vorwärts, überlegten,

Wie sie wohl gelangen könnten,

Wie sie wohl zurecht sich fänden

Zu dem Orte, wo das Feuer,

Wo die Flamme hingestürzet.


Rauscht ein Fluß vor ihnen beiden,

Wie ein stattlich Meer gestaltet;

Fing der alte Wäinämöinen

Nun ein Boot an sich zu zimmern,

In dem Walde es zu hämmern;

Mit ihm macht Schmied Ilmarinen

Aus der Tanne sich ein Steuer,

Aus der Fichte Ruderstangen.


Fertig war das Boot gezimmert,

Mit den Pflöcken, mit den Rudern;

Führten nun das Boot ins Wasser,

Ruderten und eilten vorwärts

Ringsum auf dem Newastrome,

Um der Newa Vorgebirge.


Ilmatar, die schöne Jungfrau,

Sie, der Schöpfungstöchter erste,

Schreitet ihnen dort entgegen,

Redet also, spricht die Worte:

Wer wohl seid ihr von den Männern,

Wie wohl nennen euch die Leute?


Sprach der alte Wäinämöinen:

Beide sind wir Meeresmänner,

Ich der alte Wäinämöinen,

Dieser ist Schmied Ilmarinen;

Aber sag' uns deine Herkunft,

Wie wohl pflegt man dich zu nennen?[294]


Sprach das Weib nun solche Worte:

Bin die älteste der Frauen,

Bin der Lüftetöchter erste,

Bin die früheste der Mütter,

Bin an Würde gleich fünf Frauen,

Bin an Schönheit gleich sechs Bräuten;

Wohin gehet ihr, o Männer,

Ziehet ihr, o wackre Helden?


Sprach der alte Wäinämöinen,

Redet selber diese Worte:

Ausgegangen ist das Feuer,

Uns die Flamme fortgekommen,

Waren lange ohne Feuer

In der Finsternis verborgen;

Doch nun liegt es uns im Sinne,

Daß das Feuer wir erspähen,

Welches von dem Himmel stürzte,

Niederfiel vom Wolkensaume.


Diese Antwort gab die Jungfrau,

Redet selber diese Worte:

Schwer zu finden ist das Feuer,

Auszuforschen schwer die Flamme;

Üble Werke tat das Feuer,

Frevel übte schon die Flamme:

Eilig fiel des Feuers Funken,

Sank herab der rote Tropfen

Aus des Schöpfers großen Fluren,

Daher, wo ihn Ukko weckte,

Durch den ausgespannten Himmel,

Durch den weitgedehnten Luftraum,

Durch das rußbedeckte Rauchloch,

Längs den trocknen Dachesbalken[295]

In die neue Stube Tuuris,

In Palwoinens unbedeckte.


Kaum war er dort angekommen

In der neuen Stube Tuuris,

Macht er sich an schlimme Taten

Und vollbringet bösen Frevel,

Wütet gegen Mädchenbusen,

Zehret an der Jungfraun Brüsten,

Macht der Knaben Knie zuschanden,

Senget ab den Bart der Wirte.


Säugte dort ihr Kind die Mutter

In der jämmerlichen Wiege:

Dahin eilte nun das Feuer,

Übte seinen bösen Frevel,

In der Wieg' das Kind verbrannt' es,

Sengte heiß die Brust der Mutter;

Nach Manala kam das Kind so,

In Tuonis Reich der Knabe,

Da ihm solch ein Tod verhängt war,

Ihm bestimmt war so zu sterben,

In der Qual des roten Feuers,

In der Schmerzenspein der Flamme.


Größres Wissen hatt' die Mutter,

Eilte nicht mit nach Manala,

Wußte, wie man Feuer bannen,

Wie die Flamme treiben könnte

Durch das enge Öhr der Nadel,

Durch die Fuge an dem Beilschaft,

Durch des Bohrers heiße Rinne,

Längs dem Saum des Ackerraines.


Wäinämöinen alt und wahrhaft

Fragte sie sodann geschwinde:

Wohin ging von hier das Feuer,[296]

Wohin flüchtete der Funke

Von dem Saum des Tuurifeldes,

Zu dem Walde, zu dem Meere?


Gab das Weib ihm diese Antwort,

Redet selber solche Worte:

Als von hier das Feuer eilte,

Als die Flamme weiter schlüpfte,

Sengte ab sie viele Felder,

Viele Felder, viele Sümpfe,

Stürzte endlich in das Wasser,

In die Flut des Sees Alue;

Dieser wallte auf vom Feuer,

Zischend sprühte sein Gewässer.


Dreimal in der Nacht des Sommers,

Neunmal in der Nacht des Herbstes

Schäumt' er zu der Tannen Fläche,

Hob er sich zum jähen Ufer

Durch die Kraft des wilden Feuers,

Die Gewalt der Flammengluten.


Schäumt' aufs Trockne seine Fische,

Seine Barsche auf die Klippen;

Sahen sich dort um die Fische,

Überlegten dort die Barsche,

Wie zu sein und wie zu leben;

Barsche weinten nach dem Wohnsitz,

Fische nach dem lieben Hofe,

Nach der Felsenburg der Kaulbarsch.


Ging der Barsch mit krummem Nacken,

Haschte nach dem Feuerfunken,

Nicht konnt' ihn der Barsch erhaschen;

Ging darauf der blaue Schnäpel,

Dieser schluckt' den Feuerfunken,

Er verschlang die böse Flamme.[297]


Wieder fiel der See Alue,

Sank herab von allen Rändern

Zu den längstgewohnten Sitzen

Während einer Nacht des Sommers.


Wenig Zeit war hingegangen,

Angst befiel den Feuerschlinger,

Heft'ger Schmerz den Flammenschlucker,

Große Not den gier'gen Fresser.


Klagend schwamm nach allen Seiten,

Schwamm er einen Tag, den zweiten,

An des Schnäpeleilands Seite,

An der Lachsesklippen Höhlen,

Wohl an tausend Landzungspitzen,

Wohl an hundert Inselbuchten;

Jede Spitze gab Bescheid ihm,

Jedes Eiland solchen Zuspruch:

Nicht ist in dem stillen Wasser,

In dem engen See Alue,

Wer den Unglücksfisch verschlingen,

Wer den Armen töten könnte,

Ob der Drangsal durch das Feuer,

Ob der Qualen durch die Flamme.


Dieses hört' die Lachsforelle

Und verschlang den blauen Schnäpel;

Wenig Zeit war hingegangen,

Angst befiel den Fischverschlinger,

Heft'ger Schmerz den Schnäpelschlucker,

Große Not den gier'gen Fresser.


Klagend schwamm nach allen Seiten,

Schwamm sie einen Tag, den zweiten,

An der Lachsesklippen Höhlen,

An der Hechte Wohnungsgrotten,

Wohl an tausend Landzungspitzen,[298]

Wohl an hundert Inselbuchten;

Jede Spitze gab Bescheid ihr,

Jedes Eiland solchen Zuspruch:

Nicht ist in dem stillen Wasser,

In dem engen See Alue,

Wer den Unglücksfisch verschlingen,

Wer den Armen töten könnte,

Ob der Drangsal durch das Feuer,

Ob der Qualen durch die Flamme.


Kam der graue Hecht gegangen

Und verschlang die Lachsforelle;

War nur wenig Zeit vergangen,

Angst befiel den Lachsesschlucker,

Heft'ger Schmerz den Fischverschlinger,

Große Not den gier'gen Fresser.


Klagend schwamm nach allen Seiten,

Schwamm er einen Tag, den zweiten,

An der Seekrähn hohlen Klippen,

An der Möwen kahlen Riffen,

Wohl an tausend Landzungspitzen,

Wohl an hundert Inselbuchten;

Jede Spitze gab Bescheid ihm,

Jedes Eiland solchen Zuspruch:

Nicht ist in dem stillen Wasser,

In dem engen See Alue,

Wer den Unglücksfisch verschlingen,

Wer den Armen töten könnte,

Ob der Drangsal durch das Feuer,

Ob der Qualen durch die Flamme.


Wäinämöinen alt und wahrhaft

Samt dem Schmieder Ilmarinen

Strickte nun ein Netz von Bastschnur,

Fügt' es aus Wacholderzweigen,[299]

Färbte es mit Weidenwasser,

Macht's zurecht mit Weidenrinde.


Wäinämöinen alt und wahrhaft

Trieb die Weiber zu dem Netze;

Weiber kamen zu dem Netze,

Schwestern kamen es zu ziehen,

Und sie ruderten, sie glitten

An den Spitzen, an den Inseln,

An der Lachsesklippen Höhlen,

An der Schnäpelinseln Seite,

In dem braungefärbten Röhricht,

In dem schlankgewachs'nen Schilfe.


Eilen vorwärts, wollen fangen,

Ziehn das Netz und senken's fleißig,

Kehren schräg des Netzes Masse,

Ziehn das Garn in schiefer Richtung,

Können so den Fisch nicht fangen,

Auch mit Eifer ihn nicht haschen.


Gehen zu der Flut die Brüder,

Männer gehen zu dem Netze,

Stoßen es und drängen's vorwärts,

Ziehen es und schleppen's weiter

An den Busen, an den Klippen,

An dem Felsenriff Kalewas:

Können jenen Fisch nicht fangen,

Dessen sie so sehr bedürfen,

Nicht erscheint der Hecht, der graue,

Aus des Busens stillem Wasser,

Auch nicht aus der weiten Fläche:

Klein der Fisch und weit die Maschen.


Darauf klagten schon die Fische,

Sprach der Hecht schon zu dem Hechte,[300]

Fragt der Schnäpel so den Kühling

Und ein Lachs den andern Lachs so:

Sind schon tot die braven Männer,

Kalews Söhne schon gestorben,

Die von Lein die Netze stricken,

Sie aus Flachsesfäden fügen,

Die mit Stangen Fische treiben,

Die den langen Stab bewegen?


Hört's der alte Wäinämöinen,

Redet selber diese Worte:

Nicht gestorben sind die Helden,

Nicht ist tot das Volk Kalewas;

Einer starb, zwei sind geboren,

Die da beßre Stangen haben,

Die mit längerm Stabe kommen

Und mit zwiefach grausem Netze.

Quelle:
Kalewala. 2 Bände, Berlin [o.J.], Band 2, S. 289-301.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Gellert, Christian Fürchtegott

Die zärtlichen Schwestern. Ein Lustspiel in drei Aufzügen

Die zärtlichen Schwestern. Ein Lustspiel in drei Aufzügen

Die beiden Schwestern Julchen und Lottchen werden umworben, die eine von dem reichen Damis, die andere liebt den armen Siegmund. Eine vorgetäuschte Erbschaft stellt die Beziehungen auf die Probe und zeigt, dass Edelmut und Wahrheit nicht mit Adel und Religion zu tun haben.

68 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon