Skamkel's Lügen.

[83] Gissur Hvide war ein großer Häuptling und wohnte auf Mosfjeld nordwestlich von Kirkeböj jenseits der Thjorsau und Hvidau, welche letztere westlich von der Thjorsau fließt und wie diese ihren Lauf von Nordost nach Südwest nimmt. Gejr Gode wohnte auf dem Hofe Hlid in der Nähe von Mosfjeld, und es waren diese beiden Männer mit einander eng verbunden und unterstützten sich gegenseitig in allen Sachen. Bei Gissur wollte sich Otkel also Rath holen und sogleich, nachdem Gunnar fortgeritten war, ließ er sein Pferd vorführen und schickte sich zur Reise an. Skamkel begleitete ihn auf dem Wege. Als sie eine Strecke vom Hofe entfernt waren, sprach er zu Otkel: »Kurzsichtig bist Du und dem Reisen abgeneigt; ich erbiete mich, diese Fahrt für Dich zu thun.« »Das nehme ich an,« entgegnete[83] Otkel, »jedoch bleibe bei der Wahrheit.« »Das wird nicht fehlen,« sagte Skamkel, und empfing darauf Otkel's Pferd und Reisekleider und ritt weiter, während Otkel zu Fuß nach Hause zurückkehrte. »Uebel ist es, einen Sklaven zum Freund zu haben,« rief sein Bruder Halbjörn aus, als er ihn erblickte, »und unklug gehandelt, den lügnerischen Mann in einer Angelegenheit zu entsenden, die schließlich Blut kosten kann.« »Schon jetzt fürchtest Du Dich,« erwiderte Otkel, »wie wirst Du erst beben, wenn Du Gunnar's Hellebarde geschwungen siehst.« »Nicht leicht ist es, voraus zu wissen, wer dann am furchtsamsten sein wird,« versetzte Halbjörn, »doch zürnt Gunnar erst, dann ist er nicht lässig, die Hellebarde zu schwingen; das wirst Du empfinden!« »Alle seid ihr Feiglinge, nur Skamkel nicht,« antwortete Otkel; und beide waren heftig erzürnt. Skamkel aber kam nach Mosfjeld und erzählte Gissur alles, wie es sich zugetragen hatte. »Gute Anerbietungen machte Gunnar; warum nahm Otkel sie nicht an?« fragte Gissur. Skamkel antwortete: »Das that er darum nicht, weil er Dir die Ehre erweisen und Dich um Rath bitten wollte, denn Deine Rathschläge sind stets die besten.« Gissur ließ nun Gejr Gode herbeiholen und besprach mit ihm die Angelegenheit. Sie trauten Skamkel nicht und ließen sich die Sache nochmals erzählen. Da indessen der zweite Bericht mit dem ersten übereinstimmte, sagten sie, sie würden die Sache auf's beste zu vermitteln suchen, so daß ein Vergleich zu Stande käme. »Denn wir glauben, daß Du die Wahrheit gesprochen hast,« sagte Gissur zu Skamkel, »obwohl ich stets einen argen Mann in Dir gefunden habe. Bist Du jedoch wirklich ein braver Kerl, dann kann man freilich den Hund nicht immer an den Haaren erkennen.« Darnach ritt Skamkel nach Kirkeböj zurück. Er brachte Otkel einen Gruß von Gissur und Gejr und sagte, es sei ihre Meinung, man dürfe in dieser Sache keinen Vergleich schließen, sondern Otkel möge Halgjerde wegen Diebstahls und Gunnar wegen Hehlerei belangen. »Auch sie waren hocherfreut,« setzte er hinzu, »daß Du Dich so stolz benommen habest in dieser Sache; aber ich that auch mein bestes, um ihnen zu zeigen,[84] daß Du wie ein großer Mann gehandelt habest.« Otkel erzählte seinen Brüdern, welche Antwort Skamkel gebracht habe. »Das wird seine größte Lüge sein,« sagte Halbjörn.

Quelle:
Die Njalssaga. Leipzig 1878, S. 83-85.
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