[47] »Der Mensch allein hat unter allen Wesen das Vorrecht, in den Ring der Notwendigkeit, der für bloße Naturwesen unzerreißbar ist, durch seinen Willen zu greifen und eine ganz frische Reihe von Erscheinungen in sich selbst anzu- fangen.«

Schiller


II

Schwester Monika fährt fort zu erzählen. Ohne Falcks Helden und Menschen in Anschlag zu bringen, sprechen unsere Helden und Menschen sich immer deutlicher aus.


Ich habe euch unsere Ankunft in Teschen erzählt; hört nun weiter!

Wir fuhren bei unserer Tante vor. Ich hatte diese Tante noch nicht gesehen. Sie hatte so etwas Strenges im Gesicht, daß sie gegen das immer freundliche Antlitz meiner Mutter aussah wie drei Tage Regenwetter nach einer schönen Frühlingssonne von vier Wochen.

»Ei, schon so groß, so hübsch gewachsen, ma nièce!« fing sie gegen mich an.[49]

»O ja, gewachsen ist sie«, fiel meine Mutter ein, »aber« – hier sagte sie Tante etwas ins Ohr – »die Kenntnis ihrer Natur erstreckt sich schon bis an die Wendezirkel, und da – ihr Herr Zuchtmeister – hat schon Physik mit ihr studiert.«

»Est-il possible!« schrie Tante und legte ihre Hände ineinander.

Gervasius wurde feuerrot, ich schlug die Augen nieder, errötete gleichfalls, und Linchen spielte an ihrer Busenschleife.

»Ich wünschte, Schwester«, fing meine Mutter an, nachdem sie sich an der Verlegenheit von uns dreien geweidet hatte, »dich allein zu sprechen. Willst du nicht so gut sein, diesem Herrn da und meinem Mädchen ihre Zimmer anzuweisen, ich werde diesmal etwas lange bei dir hausen und vieles Geld bei dir lassen.«

»Sogleich, Schwester, sollst du bedient werden«, versetzte jene, schellte, gab dem eintretenden Bedienten ihre Befehle, und Gervasius und Linchen verließen mit ihm das Zimmer.

»Stell dir vor, Schwester«, fing jetzt meine Mutter an, »mein Malchen glaubt steif und fest, aus lauter Lust zusammengesetzt zu sein, und die wenigen Begriffe, die ich ihr vom Schmerz gegeben habe, haben durchaus keine bleibenden Eindrücke je noch auf ihr zurückgelassen.«

»Ei, Ei, mon enfant«, versetzte die Tante, »das ist nicht gut! In der Welt wohnt die Lust auf dem Dache bei den Sperlingen, die fliegen davon, wenn es ihnen zu wohl ist; aber der Schmerz liegt wie ein Kettenhund im Hof und muß beständig entweder beißen oder bellen.«

»Ich will Malchen hier lassen«, fuhr meine Mutter fort, »weißt du nicht in der Nähe ein Institut für Mädchen[50] ihrer Art, so eines, wo die Lust Ferien hat, und die Unlust den Tag und die Nacht herumtreibt?«

»Hm, Schwester, wir tun sie zu Madame Chaudelüze, dort lernt sie alles, was verdrießlich macht, und hat dabei nicht einmal Muße, sich darüber zu beklagen.«

Wie ich die beiden so reden hörte, wurde mir angst und wehe, ich konnte meine Tränen nicht mehr zurückhalten.

»Ei, wer wird weinen, mon enfant«, tröstete die Base, »hast du nicht gelesen, was der Apostel Paulus alles gelitten hat, und das war doch ein Heiliger, und du bist eine unzeitige Geburt schnöder Lüste? – Ma Sœur.«

»Wenn du willst, so wollen wir die Kleine gleich fortschaffen?«

Ich fiel bei diesen gewitterschwangeren Worten meiner Mutter zu Füßen; aber da war keine Barmherzigkeit, so wenig wie auf dem Gesicht der Tante zu finden.

»Ich bin es zufrieden, Jettchen«, erwiderte die Mutter und befahl mir aufzustehen.

Weinend gehorchte ich, und die beiden satanischen Weiber nahmen mich zwischen sich und schleppten mich zum Wagen, der noch vor der Tür stand, und nun fuhren wir wieder zu der Stadt hinaus nach einem kleinen Landgute zu, das meine Tante der Mutter in einer ziemlichen Entfernung von Teschens Weichbild zeigte, und dessen edle Simplizität, als wir näher kamen, mich sehr eingenommen haben würde, wenn die Verfassung, in der ich gleichsam aufgelöst wie ein Embryo in Branntwein mich befand, mir erlaubt hätte, mehr als einen Blick auf die mich umgebenden Gegenstände zu werfen.

Eine große, schöne Frau empfing uns, als wir vorgefahren[51] waren, an der Haustür und führte uns nach einigen gegenseitigen Begrüßungen in einen Salon, wo ein halbes Dutzend junger Mädchen sich mit Sticken und Zeichnen beschäftigten.

»Madame Chaudelüze«, fing meine Mutter auf französisch an, und Tante lispelte der schalkhaft lächelnden Eros-Philantropinistin etwas zu:

»Hier, meine Tochter wünscht etwas zu lernen, vorher aber den Schmerz zu kennen, der, wie sie nicht glauben kann, unseren Leib eigentlich mehr regiert als ein Pelzhandschuh den Frost.«

Madame Chaudelüze lächelte und sah mich an; ich schlug die Augen nieder und weinte.

»Ja, Madame«, sagte meine Tante, »wir wünschten, daß das in unserem Beisein, und zwar jetzt gleich geschehen könnte.«

Madame Chaudelüze lächelte, ging zu einem der Mädchen, nahm eine Schere und winkte mich zu sich.

Zitternd ging ich zu ihr. Meine Mutter und Tante hatten sich gesetzt. Madame Chaudelüze hielt mich zwischen ihren Knien fest, zog mir den Kopf auf die Seite und sagte: »Kind! ich will dir jetzt deine Nase abschneiden.«

»Barmherziger Gott!« schrie ich, riß mich mit Gewalt los und fiel halb ohnmächtig zur Erde.

»Schäme dich, Malchen!« rief meine Mutter zürnend. »Dein ganzer Körper ist Schmerz, und du willst den kleinen einer abgeschnittenen Nase nicht ertragen?«

Madame Chaudelüze hob mich von der Erde auf und stellte mich mit Gewalt zwischen ihre Knie.

»Hast du noch nie«, fragte sie mich, »die Geschichte von jenem Frauenzimmer gehört oder gelesen, welches, als sie alle die Übel erfuhr, die ihre Schönheit unter dem männlichen und weiblichen Geschlecht angerichtet[52] hatte, sich selbst das Angesicht zerschnitt und verstümmelte? Nichts von jenem Jüngling, den ein geiles Mädchen mit Gewalt zur Wollust reizen wollte, und der sich lieber die Zunge abbiß, als ihren Willen tat?«

»Ja, Kind, ich kann dir sagen«, redete meine Mutter hinein, »ich bin eifersüchtig auf dein schönes Naschen, und also fordere ich einen Beweis deiner Liebe zu mir.«

»Mutter!« schrie ich, die Hände nach ihr aufhebend, »ich bitte Sie um Gottes willen, der mich doch auch ohne ihr Zutun hätte bilden können, martern Sie mich nicht mit einem so grausamen Scherz.«

»Malchen!« schrie meine Tante und steckte ihre beiden Nasenlöcher voll Schnupftabak, »es ist der Mutter völligster Ernst.«

Aber nun fing alles an zu lachen, und eine der jungen Elevinnen, ein Fräulein von Grollenhain, schlug ein so schallendes Gelächter auf, daß uns allen die Ohren gellten.

»Ich sehe wohl«, fuhr Frau Chaudelüze fort, »mit dem Nasenabschneiden ist's nichts, und die Ohren schneidet man nur den Dieben ab, die Augen sticht man nur den Vaterlandsverrätern aus, und siedend Blei gießt man nur einem Crassus und allen Geizigen in die gierigen Rachen. Deine fünf Sinne wären also nicht unmittelbar zur Erkenntnis des Schmerzes anzuwenden. Ich will sehen, ob das nicht auf eine weniger kostspielige Art und Weise und doch zur Versöhnung der Mutter mit deiner Schönheit geschehen kann. Eregine, holen Sie mir hier im Kabinett das silberne Becken, die Lanzette nebst der Aderlaßbinde, die auf meinem Toilettentisch stehen.«

Eregine, eine schlanke, milchweiße Gestalt mit rabenschwarzen Haaren und einem Busen wie Hebe,[53] schwebte ins Kabinett und kam sogleich mit dem Verlangten zurück. Ich stand da wie Butter an der Sonne, zerfloß in Tränen und zitterte wie Espenlaub. Jetzt winkte Madame Chaudelüze Rosalie, der gewaltigen Lacherin, und zwei anderen. Alle drei stellten sich vor sie hin; jetzt stand Madame Chaudelüze plötzlich auf, schob mich auf die Seite und sagte zu Rosalie in strengem und gebietendem Tone: »Rosalie! Sie müssen sterben.«

Rosalie, welche die Launen ihrer Lehrerin wohl besser verstehen mochte als ich, versetzte: »Mutter, wenn Ihnen mein Tod nützen kann, so nehmen Sie mein Leben hin.«

»Was nützen!« versetzte die Strenge. »Sie sind in meiner Gewalt, mir übergeben auf Tod und Leben, und Sie müssen sterben. Fassen Sie sie an!« fuhr sie zu den beiden neben Rosalie stehenden Schwestern fort, »faßt an!«

Sie umschlangen sie mit ihren rechten Händen, und hier nahm Madame Chaudelüze ihnen die Busentücher weg: »Und der ersten, die jetzt Rosalie in ihren letzten Augenblicken verläßt, stoße ich diesen Dolch in die Brust.«

Die Mädchen erblaßten vor dem Ernst der gestrengen Zuchtmeisterin, gehorchten aber und drückten die schon außer sich gesetzte Rosalie so fest zusammen, daß an ihr nichts beweglich blieb als ihre Lenden und Füße.

»Hebt ihr die Kleidung auf bis an den Nabel«, befahl Madame Chaudelüze weiter.

Sie zauderten.

»Geschwind – oder ...« Hier streifte ihr Dolch auf einer Brust.

Die Mädchen gehorchten jetzt.

Schnell waren Rosalies Kleider bis auf den Nabel[54] in die Höhe gehoben und festgehalten unter dem Busen.

»Nun kommen Sie, meine Damen!« sagte Madame Chaudelüze zur Mutter und Tante, »und sehen Sie, wie ich Unartigkeit bestrafe.«

Mutter und Tante standen auf und stellten mich in ihre Mitte. Chaudelüze nahm das Becken und die Lanzette und winkte mich zu sich. »Nehmen Sie, Kind, dieses Becken und halten es fest hierher. Rosalie, tun Sie ihre Lenden voneinander. Sie brauchen sich ihrer Schönheit nicht zu schämen; schämen Sie sich ihrer Ungesittetheit, wenn Sie können.«

Rosalie öffnete ihre zitternden Lenden, und die ganze Versammlung, Chaudelüze ausgenommen, schrie: »Ach Gott, wie schön – und sterben! Ach Gott! Ach Gott!«

Jetzt mußte ich das Becken unter Rosalies Scham halten, die Chaudelüze nahm die Lanzette – ein einziger Schlag, dicht über den Rosenlippen auf dem noch wenig beschatteten Venusberge, und Rosalies purpurrotes Blut floß. Die Rosen ihrer Wangen erloschen nach und nach, und der Schrecken mehr, als daß sie ihr Blut fließen sah, (was denn auch wirklich schrecklich für die Zuschauer anzusehen war) versetzte sie auf der Stelle in eine wohltätige Ohnmacht.

Als die Chaudelüze Rosalie ohnmächtig sah, sagte sie: »Genug, sie mag tot sein! Mein Wille ist mein Gesetz; Malchen, setzen Sie das vergossene jungfräuliche Blut auf den Tisch und reichen Sie mir die Binden.«

Ich gehorchte, die Chaudelüze hielt die Wunde fest mit ihren Fingern zu und verband sie auf die gehörige Weise, und da Rosalie, durch den Verlust des Blutes sowohl als durch die Ohnmacht, in einem völlig totenähnlichen Zustande sich befand, so hatte der Verband weniger Schwierigkeit und bedurfte weniger Kunst,[55] als wenn die Bestrafte bei Bewußtsein geblieben wäre. Nach dem Verband mußten beide Freundinnen sie zudecken und aufs Sofa legen.

Nun aber kam die Reihe an mich. »Malchen«, fing die ausgelernte Chaudelüze an, »Sie sehen hier den Gehorsam meiner Untergebenen, und ich verlange von Ihnen einen ähnlichen, sowohl zu Ihrer eigenen Besserung als zur Versöhnung Ihrer Mutter, die Sie nun einmal den Schmerz lehren will.«

Ich weinte immerfort – die anderen Mädchen saßen nun mäuschenstill bei ihren Arbeiten und sahen nicht auf. Die Chaudelüze stellte einen kleinen Stuhl mitten ins Zimmer.

»Malchen, legen Sie sich hier über diesen Stuhl – geschwind!«

Ich zauderte. »Malchen!« riefen zürnend Mutter und Tante. Ich gehorchte. Die Chaudelüze ging in das Kabinett, und kaum war sie fort, so öffnete sich die Tür, und eine schlanke Mannsperson trat herein.

»Ihr Diener, Herr Piano!« rief eins der Mädchen. »Gehorsamer«, versetzte Piano. »Was soll hier für ein Tanz aufgespielt werden?« fragte er weiter – aber ehe er noch ausgefragt hatte, erschien die Chaudelüze, wie ich in meiner Stellung sehen konnte, mit einer erschrecklichen Rute.

»Gut, daß Sie kommen, Maestro Piano«, sagte sie. »Entblößen Sie einmal diesem Mädchen den Hintern, sie soll Ihre Noten a posteriori kennenlernen, vielleicht erfinden Sie daraus noch eine Philosophie der Musik.«

»Hm! Madame!« rief der konsternierte Musikmeister. »Die Tasten der Natur sollen eigentlich nicht geschlagen, nicht geblasen werden, da aber hier der Fall eintritt, daß man das Geblasene oder Blasende mit dem Schlagenden und Geschlagenen zugleich vertreiben[56] kann, so will ich mit einer Ouvertüre Stemperare herzlich gern dienen.«

Hier fühlte ich die Hand des feurigen Komponisten zwischen meinen Knien, meine Röcke und Hemd leise und bedächtig aufheben und über mir ausgebreitet in die Höhe halten.

»Aber, mia cara?« fragte jetzt der Aufdecker. »Allor che fur gli ampj cieli stesi – damals, als der zweite Himmel ausgespannt wurde ...« – hier hielt er meine Kleider noch höher, bückte sich und gab mir zwei Küsse, auf jeden Hinterbacken einen, die mir sehr wohltaten. »Allor! Da gab es noch keine Planeten und Kometen, folglich ...«

»Reden Sie, was Sie wollen, Piano, ich behaupte meine Forte, nicht wahr, meine Damen?«

»Allerdings«, versetzte die Mutter, »Malchen, hebe deinen Hintern besser in die Höhe, er hat ein treffliches Aussehen, er verdient, recht getroffen zu werden.«

»Einen besonders schönen Einschnitt ihrer Hinterbacken hat das reizende Kind«, versetzte der artige Orpheus. »Welch' ein Jammer, wenn jetzt der Schweif eines birkenen Kometen diese schöne Oberfläche zerstört! Ha! Signora! lassen Sie meine Gründe gelten.«

»Non, mon Ami!


Les rapides éclairs

Par les vents et par le tonnerre

N'épurent pas toujours

Les champs et les airs.

D'après Voltaire.


Ainsi, Mademoiselle! Vite! Vite! Haussez votre beau cul!«

Ich gehorchte, hob ihn in die Höhe und erhielt den[57] ersten Hieb so derb, daß ich laut aufschrie; diesem folgten unerbittlich noch vierundzwanzig, und blutrünstig wand ich mich unter der Ouvertüre des Maestro Piano und dem frappanten Periodenbau des eindringenden Forte der Strengen Zuchtmeisterin. Indessen – ich hielt die Streiche heldenmütig aus. Piano hatte seine Beinkleider geöffnet und zeigte mir einen Stimmhammer von so außerordentlicher Größe und mutmaßlicher Klangfähigkeit, daß ich während der Exekution meine Schenkel übereinander hin und her rieb und gewiß zum Ziele der Wollust gelangt sein würde, wenn diesesmal der Schmerz nicht gesiegt hätte.

Von den Mädchen blickte auch nicht eine nach der Szene hin, alle hefteten starr ihre Blicke auf die Geschäfte ihrer Hände, und Rosalie lag noch immer im totenähnlichen Schlummer.

Als ich den siebenten Hieb erhalten hatte, schrie ich laut auf und so fort bis zum letzten.

»Ha, Madame!« fing Piano jetzt an und legte mir Röcke und Hemd wie ein Kalkant nieder. »Ha, Madame, das war die übermäßige Prime für die arme Kleine, ein distonisches oder pythagorisches Komma, was man in keiner Harmonika, am wenigsten aber auf so einem kleinen Monokord braucht, in filza questa riflexione a fine, weil ich hier wahrscheinlich die Künstlerin dieses Monokords vor mir sehe und ihr wohl zur Prüfung meinen Stimmhammer überreichen möchte.«

Während dieses Piano zu meiner Mutter sagte, sie bei der Hand nahm, an ein Fenster führte, ihr Röcke und Hemd aufhob und seinen Stimmhammer mit ihren Händen über die schönste Klaviatur der menschlichen Natur und endlich bis in den Resonnanzboden hineinführte, hatte Madame Chaudelüze mit Hilfe[58] zweier Mädchen mich aufgehoben und an den Tisch gelehnt; nun wurden mir die geschlagenen Striemen mit einem heilenden Balsam so derb ausgewaschen, als wäre ich ein junges Fohlen, das zu Schanden gestochen von der Hyppobosca equina, dem culex equinus, jetzt unter den sorgsamen Händen des Pferde-Züchters eine glatte Haut erwartet.

»Ach!« schrie meine Mutter, als sie eben in der schönen Attitüde bis an den Nabel entblößt und mit geöffnetem Oberwerk vor der Liebes-Orphika oder eigentlich der alten Hydraulika des hin- und herschwenzelnden Organisten stand. »Mein Herr, ich weiß nicht! Madame Chaudelüze, ich schäme mich zu Tode!«

»Comment, ma Chère?« versetzte die Chaudelüze, ging zu ihr und legte die Hinterteile ihrer Röcke und ihres Hemdes zum Fenster hinaus. »Comment! Sie schämen sich!«

Hier saß Piano schon fest und präludierte neben herum mit den Fingern.

Sonderbare Erscheinungen in Natur und Erziehung! Wir schämen uns und lernen es, uns jedes Guten, Natürlichen und Schönen methodisch zu schämen, während wir uns täglich in unsere eigene Häßlichkeit und Schlechtigkeit aufs anständigste zu finden wissen. Da ist kein Laster zu erdenken, das nicht schon in der menschlichen Gesellschaft seine Kreise schamlos vollendet hätte, von denen sogar eine Menge als Aggregat der Schöngeisterei und der feinen Lebensart Eingang gefunden haben, so daß man sich schämen müßte, sie nicht zu haben, nur allein der Kultur sinnlicher Wollust schämt man sich.

»Ha! Ha!« stöhnte jetzt meine Mutter und drückte ihre Lenden zusammen.

»Ha«, rief die Chaudelüze, ich glaube aus dem Tasso[59] »nel cuor dell' Asia scocca, il Bavarico trrale!« und ging zu mir.

Eines der Mädchen hielt mich, das andere kniete vor mir und wusch mich, wie schon gesagt, stöhnte aber und zitterte dabei so heftig, daß ich in meinen Gedanken ganz irre wurde.

»Nun, Fredegunde«, fragte jetzt die Chaudelüze, »was ist das? Ich glaubte, Sie hätten alles überwunden?«

»Ha«, stöhnte es, »qui y était vainquer!«

»Lassen Sie sehen, ich dulde das nun einmal nicht.« Hier nahm sie ihr den Schwamm und gab ihn Claudine um fortzufahren, legte dann Fredegunde auf den Boden, deckte sie auf und spreizte ihre Schenkel voneinander. Himmel, was sah ich! Die schönste Fackel des Amor und Hymen, das herrlichste Geburtssiegel der aus Schaum Geborenen hob sich himmelwärts.

»Sie haben mir Hohn gesprochen, als ich letzthin Sie warnte, sich nicht zu viel zuzutrauen«, sagte die Chaudelüze. »Der Mensch will immer mehr sein und weniger als die Natur, und doch begreift er weder ihre Rätsel noch ihre Konsequenz, das ist schlecht, und Ihre Anmaßung verdient Strafe, weiter nichts.«

Hier, ohne weiter ein Wort zu sagen, nahm Madame Chaudelüze die Rute, die vorhin mich zerfleischte, legte Fredegunde auf die Seite mit dem Zepter gegen mich gekehrt, entblößte den schönen vollen Hintern und zerhieb ihn mit einer solchen Wut, daß Fredegunde auf der Erde sich krümmte, wie der Teufel unter den Schlägen des Erzengels Michael, ohne weitere Vergleichung gesagt.

Claudine trocknete mich jetzt mit dem Handtuch ab und deckte mich zu.

Meine Mutter hing entseelt zwischen Piano und dem Fenster; Rosalie erwachte und fing an, sich zu bewegen;[60] Claudine ging zu ihr und unterrichtete sie von dem Gefährlichen ihrer Lage, und die Tante ging während der ganzen Exekution im Zimmer auf und ab, schnupfte eine Prise nach der anderen und exklamierte: »Ei! Ei! Madame Chaudelüze, das ist arg, das ist schön, das ist streng, das ist wahr! Ei! Ei! Ei! Ei!«

Fredegune riß sich am Ende mit Gewalt aus den strengen Händen der philantropinischen Tisiphone, fuhr ihr unter die Röcke und manipulierte den reizbarsten Teil ihres Leibes dermaßen mit den Fingern, daß sie auf einmal ihre Zuchtrute fallen ließ, sich auf ihren Discipel lehnte und unter dem Ausruf: »Vite! mon enfant! ha! petit héros Vite – ah! je me – con – fonds!« und mit zuckenden Schenkeln das Süßeste der Wollust genoß.

Nun gab es auf einmal eine große Stille. Claudine lief schnell zur Chaudelüze, deckte sie, wie sie so gelehnt auf Fredegunde noch dastand, hoch auf und trocknete die von der Sintflut überschwemmten Teile mit ihrem Handtuche rein ab.

Ich kann euch sagen, Schwestern! einen schöneren Unterleib als den der Chaudelüze habe ich noch nie wieder gesehen, selbst den unserer Schwester Annunciate nicht ausgenommen.

Jetzt aber waren wir auch am Ende, und niemand von uns wußte, was er getan hatte. Wir alle standen aufs anständigste verhüllt beieinander. Claudine hatte auch meiner Mutter den Liebesdienst der Reinigung erwiesen, und diese nahm mich jetzt bei der Hand, führte mich zu Madame Chaudelüze und stellte mich ihr und der ganzen Gesellschaft als ihre Tochter vor.

Man fragte mich um meine Kenntnisse; ich gab, was ich hatte, erhielt Beifall und von meinen Kolleginnen den Kuß der Freundschaft und der Liebe. Am brünstigsten aber küßte mich Fredegunde, und ich werde[61] nicht nötig haben, euch zu sagen, daß mich ein Jüngling küßte. Ich errötete bis unter das Busentuch, aber niemand schien es bemerken zu wollen; Madame Chaudelüze sagte zu Piano auf holländisch: »Kinderen die minnen hebben geen zinnen«, und dann zu der einzigen, die bei allen jenen vergessenen Szenen untätig geblieben war:

»Eulalia, gehen Sie mit Amalien auf ihr Zimmer, ich gebe sie Ihnen zur Schlafgesellin; bisher haben Sie allein gelebt, das hört nun auf; wir sind zur Geselligkeit geschaffen, auch im Einsamsten unserer Umgebungen. Gehen Sie, zeigen Sie ihr hernach unseren Garten und vergessen Sie nicht, bei Georg wieder gut zu machen, was Sie gestern durch ihre gedankenlose Unbedachtsamkeit ihm verdorben haben.«

Eulalia küßte der Chaudelüze die Hand, ich tat ein gleiches, nahm unter Tränen und Küssen Abschied von Mutter und Tante und ging mit Eulalie.

Unsere Fenster hatten die Aussicht in den Garten, Eulalia öffnete, es war in der Mitte des Juli, und als sie Georg, den Gärtner, gewahrte, rief sie ihm zu und bat mich, ihr zu folgen.

»Georg«, sagte sie, wie wir zu ihm kamen, »ich habe Ihm gestern eine schöne porzellanene Grasscherbe zerbrochen, es tut mir leid; ich würde Ihm den Wert ersetzen, allein Er weiß, daß dies Madame Chaudelüze nicht zugibt, sondern vielmehr will, daß ich für meine Unbedachtsamkeit gestraft werde.«

Georg lachte und sagte: »Wenn Madame es will und Sie, Fräulein, es wollen, so bin ich es zufrieden, und sehen Sie, dort kommt Madame und die Gesellschaft.«

»Was hat Er da in der Hand?« fragte Eulalia.

»Ei, das ist eine Sprosse dort von der Gartenleiter, die brach mir oben unter den Füßen ab, und ich habe[62] mir die Zunge und den Mund ganz tüchtig aufgestoßen.«

»Damit gebe Er mir meine Strafe, Georg, geschwind!« Und ebenso geschwind hatte Eulalia ihren Hintern entblößt und lag über dem Fußgestell eines herabgeworfenen Jupiters.

»Nein, gnädiges Fräulein, das tue ich nicht, es wäre schade um die schöne Haut. Wollen Sie die aber mit Ihrem Hemde bedeckt halten, so will ich mich dazu verstehen und Ihnen ein Dutzend Hiebe aufzählen.«

»Malchen!« schrie Eulalia, »deck mich zu, wie Georg es haben will, und zieh mein Hemd fest an, daß keiner seiner Hiebe fehlt.«

Ich tat es, und Georg gab ihr die Hiebe so kräftig, daß die zarten Hinterbacken tönten und Eulalia laut aufschrie.

Während dies geschah, ging die ganze Gesellschaft an uns vorbei, ohne auch nur mit einem Blick zu erraten, was da vor ihren Augen vorging, und sie war gerade verschwunden, als das Echo den letzten Hieb mit lautem Schall zurückgab.

Nun nahm ich Eulalia unterm Arm, und wir gingen langsam weiter. Hier wurde Monika abgerufen und, als sie nach einer halben Stunde wieder im Kreise der neugierigen Schwestern saß, fuhr sie folgendermaßen fort:

Während der zwei Jahre meines dortigen Aufenthaltes begegnete mir nichts ähnliches, das sich mit dem Tage meiner Einführung vergleichen ließe.

Nur zweimal im Jahre durften oder mußten wir vielmehr unsere natürlichen Natürlichkeiten erkennen, am Sonntage der Hochzeit von Kana und am Karfreitag. Begegnete uns aber zwischen dieser Zeit eine Natürlichkeit, z.B. daß einer von uns eine Stecknadel in den Busen fiel, und wir etwa das Halstuch voneinanderzogen[63] und die bloße Brust sehen ließen, oder einer von uns das Strumpfband aufgezogen wäre und unter den aufgehobenen Röcken das bloße Knie, oder gar eine Falte vom Hemd sich gezeigt hätte: so hieß es gleich: was ist das, Malchen, Rosalie, Eulalia usw., können Sie das nicht anständiger tun? Dann war die Antwort: »Mon Dieu!, la nature même ne le fera plus modeste.« Aber nun schrien wir alle zugleich: »Das darf man nicht tun! Darf man nicht tun! Darf man nicht tun! Darf man nicht tun!« Und das so lange, bis uns der Atem ausblieb, besonders zensorartig wurde dieses Geschrei, wenn wir die verfängliche Gegenfrage erhielten: »Ei! warum denn nicht?« Dann fingen wir immer ärger an zu schreien und keine hörte die andere, bis sich alles in ein lautes Gelächter auflöste.

Das geschah auch alle Jahre nur einmal, und zwar am Tage des heiligen Nikolaus als dem Patron aller Verhüllungen der Seelen- und Fleisches-Mummereien. Wir waren dies sehr zufrieden, denn uns für Gespenster oder Totengerippe an einem solchen Tage zu gelten, hatte so wenig Reiz für uns, als uns mit verhülltem Hintern von Fredegunde die Rute geben zu lassen.

Am Sonntag des Evangeliums von der Hochzeit zu Kana wallfahrten wir gewöhnlich in das einige Stunden von unserem Philantropon entfernte Kapuzinerkloster. Verkleidet in lustige Bauernmädchen, weiß und rot, mit großen Strohhüten bewaffnet und sechs schweren steinernen Krügen, angefüllt mit einem leichten Bordeauxwein, den Madame Chaudelüze von ihren Verwandten kommen ließ und der zum Tischwein bestimmt war, traten wir die Pilgrimschaft an. Maestro Piano zog mit seiner Violine vor uns her und zeigte uns den Weg zum Kloster mit dem Fiedelbogen.

Wenn wir so Paar und Paar nebeneinander gingen,[64] schlossen ich und Fredegunde gewöhnlich den Zug, und Madame Chaudelüze ging bald in unserer Mitte, bald folgte sie in einer kleinen Entfernung langsam nach.

Gewöhnlich kamen wir im Kloster unter der Kirche an, stellten unsere Krüge in eine Nebenkapelle rings um ein hohes steinernes Kruzifix her, deckten unsere Strohhüte drüber; Meister Piano legte mit einer Kniebeugung sein Darmsaiten-Instrument auf den Stufen nieder, und so gingen wir in die Kirche, durch die Versammlung durch, nach dem Hochaltar, vor welchem wir uns auf die Knie niederließen und nach einem kurzen Gebet unsere Sitze einnahmen.

Das erstemal war es besonders merkwürdig: Bruder Prediger warf mitten in seiner Verhandlung gerade ein Apage Satanas von der Kanzel auf uns, als wir unsere Sitze einnahmen, und fuhr dann fort:

»Wir dürften uns hier (ich dachte: also dort?) nicht mit den Gütern des Lebens beschweren«, (und ich hielt geschwinde meine voreiligen Gedanken im schwellenden Busen zurück, als ich hörte:) »die uns abwärts zur Erde drücken, noch sollen wir uns den Lüsten des Leibes ergeben, die uns in den Kot der Erde vergraben. Unser Beruf ist es vielmehr, uns von den Dingen der Erde immer mehr loszumachen, damit unsere Wesen leicht werden und wir uns zum Himmel emporschwingen können. Denn die in der Finsternis gewandelt, sich im Kot und Unflat der Lüste herumgewälzet, sich mit Erdengut beschwert haben, sinken ins Feuer und werden durchs Feuer geläutert und gereinigt werden. Die aber Gutes getan haben, erhalten nach diesem ein ewiges Leben, ein verklärtes, geistiges und alle Herrlichkeiten des Leibes und der Seele. Amen.«

Als der Gottesdienst beendigt war und die Leute die Kirche verlassen hatten, kam Bruder Eucharius, der[65] Prediger, auf uns zu und fragte Madame Chaudelüze, wie ihr sein Sermon gefallen habe?

Madame Chaudelüze, als eine Deutsch-Französin, versetzte lächelnd, daß sie gerade zum Apage Satanas gekommen und dadurch nicht sehr erbaut worden wäre.

»Ei!« sagte der listige Kapuziner, »diesen argen bösen Schalk treiben wir alle Tage aus und können ihn nicht los werden. Wir füttern ihn bald mit Brot, bald mit Kuchen, bald mit Wasser, bald mit Wein, aber er will nicht weichen. Sehen Sie nur, wie ich aussehe, ganz verwildert, wie ein Heiliger aus Thebaischer Wüste.« Hier zog er seine Kutte in die Höhe und zeigte uns seine behaarten Schenkel und behaarten Horeb und Sinai in voller Centripetal- und Centrifugal-Kraft. »Wie ein Narr!« murmelte unser Musikmeister und wandte sich von dem ihm verdrießlichen, uns aber sehr angenehmen Anblick. Fredegunde blickte die Eifersucht aus den Augen, als er dieses mächtige Diplom der kirchlichen Alleinherrschaft sah.

»Ei, nun«, entgegnete Bruder Eucharius, »das will ich eben nicht entscheiden! Eine Vogelscheuche hat schon manchen Näscher vertrieben.«

Piano fühlte den Stich und ging mit Fredegunde auf die Seite.

»Was macht Ihr Prior, ehrwürdiger Vater?« fragte jetzt Madame Chaudelüze und nahm seine krause Mannheit in den Schutz ihrer zarten Hände.

»Oh«, versetzte dieser und lächelte über die Kraft seines alten Demagogen, »der geht seinen gewöhnlichen Gang hin und her und läßt den Teufel brummen.«

»Nun denn, so führen Sie uns zu ihm. Sie wissen, was heute für ein Tag ist und mit welcher Feierlichkeit er seit fünf Jahren von uns pflegt begangen zu werden.«[66]

Also, hier ließ sie die Erbsünde fahren, und Bruder Eucharius bot ihr den Arm und bat uns, ihm zu folgen.

Als wir ins Refektorium kamen, fanden wir elf Brüder und den Prior schon versammelt und im Gespräche begriffen. Prior Paracletus war ein schöner rüstiger Mann und gefiel uns allen auf den ersten Anblick. Mit der edelsten Anständigkeit griff er unserer Zuchtmeister- und Lehrerin unter die Röcke und küßte ihr Mund und Busen. Die Brüder umringten uns, führten uns an die Fenster, deckten unsere Schenkel auf und besahen uns mit bescheidener Neugier.

Wir ließen alles mit uns machen, denn wir wußten, daß sie ihre Kühnheit nicht weiter treiben würden.

Während dem nun dieses geschah, wurde aufgetragen, und eine wohlbesetzte Tafel lud uns zu den notwendigsten Genüssen ein. Jetzt erschienen auch Herr Piano und Fredegunde, und die Tafel wurde besetzt.

Madame Chaudelüze ließ drei von ihren Krügen bringen, und der Bruder Lector mußte das Evangelium von der Hochzeit von Kana vorlesen. Als er an die Stelle kam: »Weib, was habe ich mit dir zu schaffen?« schrie der Prior: »Weib, was habe ich mit dir zu schaffen! du verdirbst mir alle dem Herrn geweihten Kälber!« Bei der Stelle: »Als aber der Speisemeister den Wein kostete, der Wasser gewesen war ...«, meinte Madame Chaudelüze, ihr Wein wäre auch aus Wein entstanden und dürfe sich kühn mit jenem wunderbaren auf der Hochzeit zu Kana messen, nur mit dem Unterschied, daß hier die Gäste nicht schon trunken vom Wein, sondern von nackenden Lenden seien.

Fröhlich und im lauten, aber sehr anständigen Jubel endigten wir unser Mahl und tranken unsere drei Krüge leer.

Dann ging der Prior mit Madame Chaudelüze auf[67] die Seite, und wir wurden angewiesen, ein Paar Zelte gemeinschaftlich mit den Brüdern aufzuschlagen und für die Abendmahlzeit, die aus lauter Gebackenem bestehen mußte, Sorge zu tragen.

Die Patres waren im Elysium, küßten, drückten und herzten uns und klatschten uns den Hintern auf eine so artige und angenehme Weise, daß wir wirklich von allen diesen Liebesbezeigungen gerührt wurden und ihnen von Herzen trauten.

Die Zelte wurden auf einer herrlichen Wiese, die in den Wald hinein sich ausdehnte und von einem hohen Gebirge umgrenzt war, tanzend und singend aufgeschlagen, und als dieses geschehen, nahm mich Fredegunde beiseite und führte mich in den Wald.

»Amalie«, fing er an und drückte mir einen wütenden Kuß unter das verschobene Halstuch, »ich liebe dich mit einer Leidenschaft, die mich wie den Meleager unter Rasereien zu Asche zerstäuben wird, wenn du mir ihre Befriedigung versagen wirst. Sieh, wie ich glühe, wie ich zittere, bebe und einem tollen Hunde gleiche, dem das Gift des Verderbens schon alle Adern aufgeschwellt hat. Sieh! Sieh!« Hier hob sie (es war eine aus bestimmten Gründen in weibliche Kleidung gehüllte Mannsperson) ihre Kleider auf und zeigte mir was ich vor einem halben Jahre gesehen hatte, in einer so erfreulichen Größe, daß ich zusammenschauerte.

»Fredegunde«, sagte ich zitternd, »bedenke dich, bedenke, was du tust, nur dem Boshaften und Bösartigen gewährt die Schändung einer Jungfrau Geheiß. Hast du vergessen, was Madame Chaudelüze uns über Sinnlichkeit und brutale Wollust Schönes und Wahres, Gutes und Abscheuliches gesagt hat? Ich bitte dich ...« – schon hatte er seine Hand um meinen bloßen Schenkel geschlungen.

»Ich will nicht hören – fühlen will ich! Fühlen und[68] genießen«, schrie Saint-Val des Combes (so hieß diese Fredegunde), und in einem Nu war das ganze Unterteil meines Leibes bis auf den Nabel entblößt, ich halb ohnmächtig mit meinen Strumpfbändern an eine Birke gebunden, und wenig fehlte, so hätte auch diesesmal die Gewalt des Stärkeren wie immer über das Recht des Schwächeren gesiegt, wenn nicht zum Glück Saint-Vals Reizbarkeit, aufs höchste getrieben durch den Anblick meines Schoßes und durch die Gewalt, mit welcher er meine geschlossenen Schenkel zu durchbrechen suchte, sich auf einmal in die tiefste Ohnmacht verwandelt hätte. Krampfhaft fiel er zu Boden und entlud sich seiner übermäßigen jugendlichen, noch nicht kultivierten Kräfte dermaßen, daß ich glaubte, er würde seinen Geist aufgeben.

Einige Minuten lang lag er so vor mir, und ich hatte völlige Muße, die Schönheit und die Reize jener Teile zu bewundern, die durch ihre falsche und unedle Anwendung das Verderben unseres Geschlechtes und alle Untugenden des menschlichen Charakters herbeiführen. Seine Schenkel waren weit voneinander gespreitet, sein Glied, das sich immer mehr in sich selbst und seine primitive Untätigkeit zurückzog, zitterte wie eine Rose unter den Fittichen eines Zephirs, und das zarte, schon männlich-wilde Gebüsch, das diese Lebensteile überschattete, setzte mich außer mir. Ich spreitete meine Schenkel voneinander, zeigte dem Ohnmächtigen den vollen Anblick meiner Geschlechtsteile und grub mit eigenen Fingern das Andenken dieses wollüstigen Moments in den Sarkophag aller männlichen Kraft.

Jetzt raffte sich Fredegunde, erschöpft in Mark und Beinen, auf und kam eben zu mir, als ich fertig war und im Übermaß meiner Entzückungen wie ein Aal zappelte. Sie band mich los, küßte mir Mund und Busen,[69] entblößte mir den Steiß und klatschte mich derb ab. »Böse Amalie, du verdienst ... Halt, laß mich die hintere Öffnung deines schönen Leibes sehen.« Hier zog mir der häßliche Schalk die Hinterbacken so weit voneinander, daß sich mein After in die Breite zog und mir Schmerzen verursachte.

»Laß mich los, Fredegunde«, sagte ich zornig und stieß ihn von mir, daß er noch einmal zur Erde taumelte wie ein Betrunkener, und ehe er sich aufzuraffen vermochte, war ich ihm entsprungen und gelangte atemlos auf der Plaine an.

Aber da hatte sich alles verändert. Da fand ich keine Kapuziner mehr; da standen mehr als zwanzig Trabanten mit Hellebarden um und in dem geräumigen Zelte, das in Seide und Goldfranzen prangte und eine köstliche Tafel bedeckte, die an Pracht jener des berühmten Königs Artus wohl nicht nachgab.

Als ich noch ungefähr zehn Schritte vom Zelt entfernt war und erst im Annähern die äußere Pracht erblickte, vor Erstaunen rückwärts trat und wie angewurzelt dastand, trat ein Ritter in Goldstoff gekleidet, mit Brustharnisch und offenem Visier, an der Hand eine herrlich gekleidete Dame führend, mir entgegen.

»Wo bleibt Ihr, Fräulein?« rief der Ritter mir entgegen. »Die Herzogin, Eure Mutter hier, war wegen Euch in tausend Ängsten, und wie seht Ihr aus? Beim St. Denis! Das geht nicht mit rechten Dingen zu! Laßt Euch beschauen, kommt zu mir!«

»Nun Kunigunde«, öffnete die Herzogin den Mund, »was stehst du da und besinnst dich? Kennst du uns nicht mehr, oder sollen wir, ich und Oheim Karl, etwa gar dein Inkognito ehren?«

Ich begriff nichts, und doch war mir so viel begreiflich, daß man mir begreiflich werden wolle. Ich entschloß mich also kurz, schwankte zu meiner vom Himmel[70] gefallenen oder aus der Hölle gestiegenen herzoglichen Mutter und zum Feuer blitzenden Oheim, kniete nieder und beugte mein Gesicht zur Erde.

»Böses Kind«, sagte jetzt der Herzog sanft, beugte sich gleichfalls über mich und hob mir leise Röck' und Hemd auf. »Das verdient Strafe! Hier diese bäuerliche Kleidung, die sich für eine Prinzessin aus königlichem Geblüt nicht geziemt, und hier dieser kleine niedliche Hintern, der uns heute mit allen seinen angenehmen Reizen entlaufen will.«

Und nun wurde ich von der derben Hand des Herrn Herzogs so abgeklatscht, daß meine beiden Backen gewiß in Feuer geglüht haben müssen.

Das war aber noch nicht alles, was mir der Herzog zu sagen hatte; zwei Pagen wurden von ihm herbeigerufen, diese ergriffen mich bei den Beinen und hielten mich wie eine von Crebillons »Bijous indiscrets« unterwärts mit ausgespreiteten Schenkeln in die Höhe, so daß ich die geilste Figur der Welt muß gemacht haben. Meine Kleidung war mir übers Gesicht gefallen, und mein Bauch, Schoß, Schenkel, Hintern, kurz alles glänzte in den Strahlen der Abendsonne, die rotglühend über dem Gebüsch stand und in kurzem ihren Abschied nehmen wollte.

Jetzt trat Herzogin Mathilde, meine neue Mutter, zu mir, zog meine Schamlippen voneinander, und Herzog Karl goß eine kleine Phiole mir in den Schoß aus, deren Inhalt durch alle Adern lief und ein wütendes Feuer in mir anfachte.

Im nämlichen Augenblicke fühlte ich, daß eine Verwandlung mit mir vorging. Stöhnend ließen die Pagen mich sinken, der Herzog fing mich auf und, als ich auf den Füßen stand, war ich wenigstens zwei Fuß größer als vorher, strahlte in einem herrlichen Silberstoff und glich in meinem schneeweißen Spitzenkragen, der mir[71] Nacken und Brüste völlig entblößte, genau einem Frauenzimmer aus den Ritterzeiten.

»Aha!« rief jetzt lachend der Herzog, »da haben wir ja Fräulein Kunigunde, wie sie sein soll! Laß sehen, Mädchen, ob auch unter deinen Kleidern alles so beschaffen ist, wie über ihnen.«

»Hebe deine Röcke auf, Kind!« befahl die Herzogin Mathilde.

Ich gehorchte und hob geschwind meine Röcke in die Höhe.

»Auch dein Hemd!« kommandierte der Herzog.

Ich tat es, und nun hielten mich die zwei Pagen fest, und der Herzog holte einen Ritter aus dem Zelte, der, ganz in einen silbernen Harnisch gehüllt, weiter nichts an sich trug als die Haut von unserem Herrgott, die, wie ihr wißt, Adam zuerst gewaschen hat. Ehe ich noch ihn und seine ausgestreckte Lanze anzusehen vermochte, hatte er diese schon eingelegt und rannte mit einer solchen Wut damit nach meinem entblößten Herzen, daß dieses sogleich seine Gestalt veränderte und in blutigen Zeichen seine Zerstörung verkündigte. Die Pagen waren während des Turniers so höflich, mich auch hinten aufzudecken und überhaupt jede Zerstörung der verletzten Teile sorgfältig den delikaten Zuschauern aus den Augen zu rücken.

Dreimal setzte mein Ritter an, nach dem dritten Kampfe aber erklärte er den sämtlichen Zuschauern mit den Worten Gustav Adolphs in der Schlacht bei Lützen, daß er genug habe, und wirklich war auch jetzt seine Lanze in einem völlig unbrauchbaren Zustande.

»Nun!« rief der Herzog, »wenn dem so ist, so wollen wir uns mit Speise und Trank laben und dann nach dem Ungarnlande zu weiteraufbrechen. Ich habe Siegmund einen Besuch versprochen, und ihr, Ritter[72] Charibert, werdet wohl tun, wenn Ihr Eure Kraft spart, bis wir die Türken zu Gesicht bekommen.«

Ritter Charibert küßte Mathilde und Karl ehrerbietig die Hände, ich ließ meine Kleider fallen, nachdem die Pagen mich noch vorher sorgfältig von aller Erbsünde gereinigt und gewaschen hatten, nahm Chariberts angebotenen Arm, und nun ging's nach dem Zelte zu.

Die Dämmerung fing schon an, auf den Fluren zu herrschen, der Wald lag vor uns so aschgrau wie die Perücke des lutherischen Schulmeisters in Troppau, und die untergehende Sonne ließ ein Feuerwerk los, wie ich noch keines erblickt hatte. Im Zelte glänzte alles von Gold und Silber; ein Minnesänger strengte seine Kehle an und sang das Lied des bekannten Burmanns in Leipzig:


Es singt noch keine Nachtigall

Es schlägt noch keine Wachtel

Ich aber ruf' mit lautem Schall:

Herr Wirt, noch eine Achtel!


Und wir setzten uns mit lautem Gelächter um den Tisch.

Aber, mein Gott, was gab's da alles zu verschneiden!

Nichts als Gebackenes, nichts als Gebackenes! Gebackenes aller Art! Kein Zahn wurde da ausgebissen, keine Lippe sauer, und die Mannigfaltigkeit der gebackenen Ware war so erstaunlich, daß wir gar nicht wußten, welchen Bissen wir zu Cotyttos Ehre zuerst hinunterzujagen hätten. An Wein fehlte es nicht; die silbernen Pokale wurden aus den in einem Winkel stehenden drei übrigen Krügen der Madame Chaudelüze[73] beständig angefüllt, und wir taten nichts als essen und trinken.

Während diese Leckermahlzeit von uns ritterlich gemundet wurde, sang der alte Minnesänger, mit einer Pelzkappe und ungarischen Hosen geziert, à la Maultrommel folgende Ballade:


Der Burggeist zum Ritter,

als der Ritter seiner schlafenden Dame

unters Hemd sah.


Eine Legende aus der Zeit der Hohenstaufen.


Ritter! leg' die Lanze ein;

Wirst dein eig'ner Feind nicht sein!

Ihrer Lenden Kron' und Zier

Öffne deine Wut und Gier.


Ritter! leg' die Lanze ein;

Triffst nicht auf ein wildes Schwein,

Triffst ein zartes Jungfrauloch,

Bist des Herren bester Koch.


Ritter! leg' die Lanze ein;

Dringe kühn im Tempel ein,

Rasch durchfliege deine Bahn:

Sieh, schon stöhnt der Feind dich an.


Ritter! leg' die Lanze ein;

Ist der Kampfplatz noch nicht dein?

Heb' ihr Röck' und Hemde auf,

Tun's auch so die – Hohenstauf'.[74]


Je nachdem sich aber nun Essen und Trinken um uns her verminderte, in unseren Mägen Platz fand, und der Wein nach den Köpfen stieg, hatte auch die Verwandlung unserer gegenwärtigen Lage statt. Alle nicht zu unserem Kreise gezählten Personen verschwanden nach und nach mit den uns umringenden Kostbarkeiten, und als wir alles verzehrt hatten, lagen die ehrwürdigen Vater Kapuziner mit Madame Chaudelüze und ihren Elevinnen ohne Reg- und Bewegsamkeit auf dem weichen Grase unter dem Zelte.

Es währte nicht lange, so verfinsterten sich unsere Augen gänzlich, und der Himmel wurde völlig dunkel. Zickzack fuhren die Blitze wie Feuerschwärmer um das Zelt herum, und zitternd geigte Hr. Piano in die graue Nacht hinein. Als das Gewitter über unseren Häuptern stand, schliefen wir alle, und als wir am Morgen müd' und träge erwachten, wußten wir nicht mehr, ob wir tot oder lebendig das heilige Grab gesehen.

Prior Gerundio Paracletus raffte sich zuerst auf sein Sitzfleisch, rieb sich die Augen und sah Madame Chaudelüze unters Hemd, denn diese hatte für die ganze Versammlung eine äußerst gefährliche Lage von der gestrigen Insinuation zurückbehalten; ihre Lenden, ausgebreitet und etwas erhaben, entblößten jenen gefährlichen Ort, der Minerven noch einige Zöglinge sain et sauf zugewiesen hat. Als sich der Prior von seiner Gefährlichkeit nicht völlig überzeugen konnte, suchte er die reizenden Umgebungen von allen Seiten zu entfernen; und ehe noch wir anderen, dumm und duselig, nach und nach auf die Beine zu kommen suchten, hatte der Prior im Angesicht der Morgensonne sich einen Augenblick verschafft, der ihn mit neuer Lebenskraft erfüllte.

Wie die ehrwürdigen Väter sahen, daß es dem Prior[75] ernst wurde, die Hora zwischen den weißen, weichen Lenden unserer Lehrerin zu singen, trieben sie uns alle in einen Winkel des Zeltes auf die Knie nieder, warfen uns Röcke und Hemden über die Köpfe und befahlen uns, mit entblößtem Hintern anzuhören, was wir nicht zu verstehen brauchten. Fredegunde mußte sich in den Winkel uns gegenüber stellen, seine Kleider vorn in die Höh' halten und tun, was er nicht lassen konnte.

Jetzt stellten sich die Patres vor den schon mit seinem Scapulier eifrig beschäftigten Prior, das Gesicht gegen uns gerichtet, und sangen all unisono und wirklich herrlich, indem sie ihre Kutten aufhoben, aus dem »Officium defunctorum benedictale:« »Pelle meae – consumptis carnibus ad – haesit os meum.« Hier erwachte die Pönitentialin unter ihrem Zuchtmeister, wie ich seitwärts sehen konnte – und ihre Hinterbacken hoben sich so mächtig unter jenem fleischernen Hymnus, daß sie en profil der unsrigen den dicken Jupiter unter seinen Trabanten vorstellte. Signor Piano hatte seine hölzerne Geige ergriffen und accompagnierte das »et derelicta sunt tantummodo labia circa dentes meos.«

Und der Prior fiel ein und deklamierte keuchend:

»Miseremini mei, misere-remini-mei, saltem vo-s, ami-ici-mei, quia ma-anus Do-o-mini teti-ti-titigit me.«

Und jene fuhren fort: »Quare persequimini me sicut Dens et carnibus meis saturamini?« Darauf der Prior in den letzten Zügen fragte: »Quis mihi tribuat, ut scribantur sermones mihi?«, und dann verstummte. »Quis mihi det?« fragten nun die Patres in seinem Namen weiter, während jener die Reize Mathildes beschaute, »up exarentur in libro stylo ferreo et plumbi lamina? Vel caelo sculpantur in silice?«

»Amen«, intonierte der Prior und küßte den zuckenden[76] Steiß seiner von Hiobs Lamento nicht angesteckten Soror, und »Amen«, sagten die anderen.

Rasch stand der Prior auf, erhob Madame Chaudelüze bei den Kleidern und sagte: »Nun, meine schöne Marpessa, wollen wir diese reizende Rüstung bald aufhängen in dem Tempel der Minerva und sie mit jener vestalischer Jungfrauen vertauschen?«

»Nicht doch«, versetzte diese, »erst dort meine Schafe versorgt, dann fiat pax in virtute mea«, und damit schlug sie dem Prior so derb auf die Hand, daß er ihre Kleider fallen lassen mußte.

»Und dort unser Charilaus?« fragte er und ging zu Fredegunde. »Dieser bleibt, wo ich bin«, war die Antwort.

Unsere Lage fing nun an, immer peinlicher zu werden, und eben wollten wir uns ihr eigenmächtig entreißen, als der Bruder Lector auf mich zukam und zu mir sagte: »Halt, schöne Schwester der Liebe, der Lust und Schmerzen! Erst sage mir: wer ist der Elendeste unter denen vom Weibe Geborenen?«

Ich antwortete: »Hiob wird es wohl gewesen sein.«

»Nein, mein Kind, es ist derjenige, welcher das Unglück hat, ohne Arme und Beine geboren zu werden. Sag mir ferner, wer ist der Glücklichste unter den Menschen?«

Ich sagte: »Der Zufriedenste.«

»Nein, mein Kind! Der, welcher seinen Verstand verloren hat.« Und alle gaben ihm Beifall. »Und nun sage mir drittens und letztens: ›Wieviel ist fünfundzwanzig?‹«

Ich verstummte.

»Ah so, das weißt du nicht, und weil du es nicht weißt, so mußt du jetzt zwanzig und fünf fühlen.« Hiermit zog er eine Geißel hervor und reichte mir als Doctor optime fünfundzwanzig so kräftige Hiebe, daß[77] ich schrie wie eine Besessene, während die anderen sich hinten und vorn anfühlen und hätscheln ließen und zu meinem Miserere hellauf lachten. Bruder Lector war fertig, und Signor Piano nahm mich mitleidig bei der Hand, stellte sich vor mich hin und geigte.


Qual nuvol grave e torbida

Sulla tua fronte accolto

Copre il seréno, o Fillida,

Del tuo leggiadro volto?


»Lassen Sie mich mit Frieden!« versetzte ich ärgerlich und stieß ihn auf die Seite. »Bruder Lector hat mir eine Lektion gegeben, die ich noch vierzehn Tage auf mir herumtrage.«

»Pauvre enfant«, fiel die Chaudelüze ein, »du dauerst mich, aber es wird dir bewußt sein, daß deine Mutter dich mir nur unter der Bedingung übergab, dich den Schmerz kennenlernen zu lassen. Also!«

Ich schwieg, die Schwestern umringten mich, Gerundio küßte noch einmal seine Beute, und dann setzten wir uns mit unseren leeren Krügen in Bewegung nach der Heimat.


Piano sang und geigte uns vor:


Wenn der Krug bricht,

Macht man ein ander Gesicht!

Und ist er gebrochen,

So geht's in die Wochen,

So geht's in die Wochen![78]


Ich schwieg mäuschenstill, aber die anderen sangen es ganz gemütlich nach.

Das war nun, Schwestern! die Hochzeit zu Kana. Am Karfreitag ging es anders her. Doch ehe ich euch erzähle, was da geschah, vorher die Geschichte Saint-Val des Combes, der verkappten Fredegunde, wie ich sie schriftlich und mündlich auswendig gelernt habe.

Als wir müde und erschöpft an Leib und Seele zu Hause angekommen waren, ging ich mit Eulalia und Fredegunde auf unser Zimmer, und da mir nach den denkwürdigen Ereignissen dieser paar Tage nichts wünschenswerter sein konnte als Ruhe, so zog ich mich gleich aus und legte mich ins Bett; Fredegunde wollte mit mir anbinden, ich stieß ihn aber heftig zurück. Ärgerlich darüber nahm er Eulalia, legte sie zu meinen Füßen aufs Bett, deckte sie auf und befriedigte zwei-, dreimal hintereinander seine Lust; dann schlüpften beide zu mir, nachdem sie vorher Tee und Biskuit bestellt hatten, und Saint-Val sagte zu mir: »Ich bin Euch meine Lebensgeschichte schuldig. Amalie! Sie haben mich einmal fleischlich kennengelernt, und ich bin nun willens, Ihnen auch von meiner Seele so viel zu zeigen, als über der Vorhaut eines Unbeschnittenen zu sehen ist.

Ich bin lange kein so großer Sünder wie der Kaiser Basilius, der fünfzehntausend Bulgaren die Augen ausstechen ließ. Ich glaube, nicht hundert Mädchen entjungfert zu haben, und dennoch quält mich oft der Teufel und stellt mir dergleichen natürliche Taten wie Todsünden vor den Spiegel meines Gewissens, und dann weiß ich mir nicht besser zu helfen, als daß ich der ersten besten Dirne, die mir in den Wurf kommt, unter das Hemd greife und mir Absolution hole.

Wenn ich die Weltgeschichte betrachte, so möchte ich sie mit Füßen treten, kein schönes Mädchen aber[79] wird mir zumuten, ihr ein Gleiches widerfahren zu lassen: ich schließe also daraus, daß ein schönes Mädchen mehr wert ist als die ganze Weltgeschichte und setze die ganze Vilaine, an deren Ufern ich mich oft ergötzte, in der ich mich oft rein wusch, gegen meine eigene Mechanceté, wenn das nicht in der Ordnung ist.«

Quelle:
E. T. A. Hoffmann: Schwester Monika. München 1971, S. 47-80.
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