Fünfzehnte Szene

[232] Schalanter, Martin, Josepha, Herwig.


HERWIG altes, ärmlich gekleidetes Mütterchen, geht mit einem Stock, tritt durch die Mitte ein. Guten Abend!


Josepha von links zurück.


SCHALANTER beiseite. Ui, die Schwiegermutter! Laut. Guten Abend! Sö entschuldigen schon, ich muß a bissel Luft schöpfen.


Geht durch die Mitte ab.


HERWIG. Lassen S' Ihnen nit abhalten – ich komm nur wegen die Kinder. Geht nach vorne. Grüß eng Gott! Droht[232] Martin mit dem Finger. Dich hab ich bis in die Kuchel hinaus schreien ghört, Gifthahn!


Josepha setzt einen Stuhl in die Mitte der Bühne.


HERWIG. Ich dank dir, Pepi. Setzt sich. So, da habts wieder die Alte, und jetzt laßts mit euch reden. – Wie's noch klein warts, da bin ich da im Haus gwesen und hab euch aufwachsen gsehn. Wenn fremde Leut alle Unarten von die Kinder lieb finden, so ist das eine Gustosachen, wenn's aber die eigenen Eltern tun, so ist das a Malör. – Es war a Malör. – Man hat von euch so wenig wie von andere Kinder sagen können, daß's ös amal schön und gscheit werden müßts, aber ös all zwei seids aufzogn wordn – Deutet auf Josepha. –, du als die Schönste – Auf Martin weisend. – und der als der Gscheiteste! So is mit eng a Stolz herangewachsen, der gefährlichste, der, der selber nit weiß, auf was und warum. Ich hab gnug dagegn gredt und hätt a nit aufghört damit, bis's eng amal zwider wordn wär und ihr doch danach tan hätts, es is aber früher euern Eltern zwider wordn, und es hat gheißen: »Hörts net auf die Alte!« Na, da hat die Alte ihr Sacherl gnommen und is gangen, reden hätt s' nix sollen und ruhig zuschaun, das war ihr net gegeben. Sie war halt a Großmutter, die Alte. Stampft mit dem Stock bekräftigend auf. Dann bin ich erst wiederkommen – wie ös schon die Kinderschuh vertreten ghabt habts – nachschaun, was aus euch wordn is. Ich hab mir gnug gsehn. Du bist schön wordn, aber noch lang nit die Schönste, und du warst net dumm, aber noch lang nit der Gscheiteste. Dös habts ös a ganz gut verspürt, aber keins hat sich's eingstehn wolln. Zu Josepha. Mit ein ehrlichen Gwerbsmann hättst du dich nit verkünden lassen – wohl aber ausrichten mit ein Hausherrnssohn. Zu Martin. Und du bist gleich blindwütig über jeden hergfalln, der nur mit ein Wörtel den großen Herrn beleidingt hat, der du ganz einwendig vor dir selber warst. Der nämliche Stolz, von dem ich vorhin gredt hab, hat das eine von euch zum Leichtsinn, das andere zum Jähzorn[233] bracht. Dich, Pepi, hab ich damals gleich 's erste Mal gwarnt: »Laß dich auf die Landpartien nit ein, bleib brav!« Und 'm Martin hab ich gsagt: »Die Leut wissen ja weiter nix von dir, als daß du nebenher ein Wirtshausbruder und ein Raufhansl bist, und da drauf brauchst dir just nit viel einzbilden, überheb dich net!« Aber da hat's wieder gheißen: »Hörts nit auf die Alte!« – Na, und so habn wir sich halt in euere Kindertägn öfter gredt, spätere Zeit weniger, und dasmal dürft wohl 's letzte Mal sein! Ich bin kommen, weil ich ghört hab, daß s' dich zum Militär nehmen und – Zu Josepha. – daß zwischen dir und 'm jungen Stolzenthaler alles vorbei is.

MARTIN. Also doch einmal? Gschieht dir recht!

HERWIG. Sei nit schadenfroh, Martin. – Ich komm, weil ich's für mein Pflicht halt, ich komm – und wenn's auch gleich wieder heißt: »Hörts nit auf die Alte« –, um euch zu sagen: Kinder, es is jetzt Gelegenheit und die höchste Zeit, daß's gscheit werdts! Ös habts mir schon viel Sorg gmacht und manche schlaflose Nacht kost, ös wißts ja nit, was der Leichtsinn und der Jähzorn aus ein Menschen machen können! Sie erhebt sich. Ich bitt euch mit aufghobenen Händen, daß ich mir noch Guts von euch auf der Welt erhoffen kann, werdts gscheit! Tritt zu Josepha. Schau, Pepi, mein liebs Kind, du bist jetzt wieder frei ledig. Du warst jung, so viel jung und unbehüt – viel schlimmer noch – ich will's nit bereden –, laß dich jetzt auf kein so zweites Stückl ein, das eine verzeiht man dir, wann's dein einzigs bleibt, nach ein zweiten möcht man sich schon besinnen, weil man fürcht, das Verzeihen und die Leichtfertigkeit könnten fortdauern, daß kein Herrgott für a End stünd und du selber nit. Sei gscheit, und wie damal sag ich dir: bleib brav! Wendet sich an Martin. Und du, Martin, mein liebs Enkelkind, du kommst jetzt unter lauter fremde Leut, zum Militär, und da tragt man zwar Handschuh, aber nur zur Paradi, hab ich mir sagen lassen, und für gwöhnlich faßt mer kein mit zarte Händ[234] an. Denk, wohin dich der Zornteufel bringen könnt, wenn du dich für besser halten möchst als die andern! Du hast's nit Ursach. Schau, wie dich dein Vater vorhin hat ein dummen Bubn gheißen, meinst wirklich, damit beweist man, daß man a Mann und gscheit wär, wenn man herumschreit wie a Wildling!? Drum sei gscheit, Martin, wie damal sag ich dir: Überheb dich nit! Alle sind unterdem etwas nach rückwärts gekommen, sie trippelt nach der Tür, wo ein Weihwassergefäß hängt, sie macht Josepha das Zeichen des Kreuzes auf die Stirne. So, Pepi! Sie geht zu Martin. Bei dir reich ich nit so hoch. Sie macht ihm das Kreuzeszeichen auf die Brust. So! Und jetzt bhüt euch Gott! Seids gscheit, Kinder – seids gscheit!


Ab durch die Mitte.


MARTIN langsam vorkommend. Du, Pepi!

JOSEPHA. Ja!

MARTIN. Ich weiß nit, ob's gut war, daß die Großmutter von uns Kindern fortkommen is!


Quelle:
Ludwig Anzengruber: Werke in zwei Bänden. Band 1, Berlin und Weimar 21977, S. 232-235.
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