Fünfte Szene

[277] Vorige. Atzwanger, Herwig.


ATZWANGER die Türe öffnend. Schalanter, da is wer! Herwig tritt unter die Türe.


Atzwanger geht ab. Die Türe bleibt offenstehen.


MARTIN. Großmutter!


Stürzt auf sie zu.


HERWIG. Rühr mich net an mit dö Hand – mit Händ net! Sie lehnt den Kopf an den Türpfosten links, leise weinend. Das muß ich an dir erleben, Martin? Das hätt ich nit denkt! Hätt's nit denkt!

MARTIN. O Großmutter, weil S' nur da sein! Ich weiß ja, daß mich nix weiß brennen kann und daß ich Ihnen all die Lieb, Treu und Sorg schlecht heimzahl, aber Sie sein die einzige Seel auf Gottes Erdboden, um die mir is. Mit gefalteten Händen. Sein S' gut mit mir, Großmutter, sein S' gut!

HERWIG. Der Gang is mir recht hart wordn bei meine alten Füß, und weil's mir da – Zeigt aufs Herz. – sitzt, aber sehn hab ich dich doch müssen, Martin, und ich bin nit kommen, daß ich dir 's Herz schwer mach.

MARTIN. Dös wird's mir von selber. Wenn s' mich nur allweil auf Ihnen hätten hören lassen, Großmutter, ich könnt jetzt als braver Bursch vor die Leut dastehn und Ihnen könnt ich für dö alten Täg manche Freud machen – so hab ich Schimpf und Schand über dös weiße Haar bracht, und jetzt soll ich hinaus, wo die Welt im lichten Sonnenschein liegt ... Herrgott, ich bin ja doch nur a armer Teufel, der nach und nach so schwarz wordn is. Ich frag net, ob es gerecht is – aber is's menschlich, ein hinknien lassen – ein letzten Blick ins Land – d' schwarze Binden –[277] »Fertig!« – ah! Bricht zusammen und umfaßt die Knie der Herwig. Großmutter, helfen S'!


Herwig wird ohnmächtig.


EDUARD steht ihr bei, leise. Martin!

MARTIN fährt rasch empor. Jesus, Maria! Was is ihr? Großmutter, sein S' gscheit! Großmutter, ich bin ja schon wieder kuraschiert – hörn S'? Eduard, nimm dich um sie an, schau, wie s' zittert, führ s' nachher – wenn wir schon a bissel weit weg sein – über die Stiegn, bring s' nach Haus, laß s' a nit so bald allein, tu mir die Lieb! Ich bin schon wieder kuraschiert, Großmutter, es handelt sich ja nur um ein Augenblick, dann is ja alles vorbei, und es is gut für mich, und es is recht. Haben S' kein Angst um mich, ich sorg mich nur um Ihnen, nur um Ihnen.

HERWIG. Sorg dich net, ich bin schon wieder, wie ich sein soll. Bleib nur du stark, Martin!

MARTIN. Ja, Großmutter! Ruhig. Sie kommen über die Stiegn herauf.

EDUARD. Martin, wenn du deine Eltern doch noch sehen wolltest –

MARTIN. Nein! Sie habn mir nichts zu verzeihen und ich ihnen nichts abzubitten.

EDUARD im Tone versöhnlicher Einrede. Denk an das vierte Gebot!

MARTIN. Mein lieber Eduard, du hast's leicht, du weißt nit, daß's für manche 's größte Unglück is, von ihre Eltern erzogn zu werdn. Wenn du in der Schul den Kindern lernst: »Ehret Vater und Mutter!«, so sag's auch von der Kanzel den Eltern, daß s' darnach sein sollen.


Außer der Türe marschieren Soldaten auf.


ATZWANGER in die Türe tretend. Schalanter!

MARTIN. Ich komm schon! Die wenigen Schritt, die ich noch zu gehen hab, will ich nimmer vom Boden aufschaun, den letzten Blick mach ich in das ehrliche Gsicht, in treuen Augen, denen ich manche Tränen kost hab und dö schon über meiner Wiegn gwacht haben. Großmutter, niemand[278] weiß, was darnach kommt, damit ich aber – was auch kommt – ruhiger geh, verzeihts mir!

HERWIG legt ihm die Hände auf den Kopf. Verzeih dir Gott, wie ich dir verzeih – und die Welt, wie dir Gott verzeihen wird.

ALLE DREI. Amen!


Ein Armensünderglöcklein ertönt.

Der Vorhang fällt.


Quelle:
Ludwig Anzengruber: Werke in zwei Bänden. Band 1, Berlin und Weimar 21977, S. 277-279.
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