IV

[34] Als Muckerl in die Schlafkammer trat, richtete sich die Kleebinderin im Bette auf.

»Noch wach, Mutter?«

»Ja.«

»Aber wie kommt denn, daß d' so spät noch auf bist?«

»Ich denk, wohl daher, weil ich nit schlafen kann.«

»Ei, mein.«

»Hast dich gut unterhalten?«

»So, so.«

»Warst allein?«

Muckerl blieb die Antwort schuldig.

»Ob d' allein warst, frag ich. Druckt dich doch 's Gewissen,[34] du falscher, hinterhälterischer Bub du, weil d' dich mit der Sprach nit heraustraust? Meinst, die Sach bessert, wenn mir's fremde Leut zutragn?«

»Ah, mischen sich schon welche ein?«

»Mit der Zinshofer Helen bist gwesen.«

»Na, so war ich halt mit ihr.«

»Ja, leider Gotts, wär's ein andere –«

»Mir steht kein andere an.«

»Kein Wort verlieret ich, aber grad die!«

»Ich weiß, du kannst s' nit leiden, und so verlierst mehr als ein Wort drüber und hebst nachtschlafender Zeit zun streiten an. Ich aber hab kein Lust, mit dir z' warteln, und 'n Schlaf versäumen taugt mer auch nit, wo ich morgen fruh an die Arbeit will. Gute Nacht!«

»Schön! Der Mutter 's Maul verbieten und ausm Gsicht gehn, das hast also schon abglernt von ihr und glaubst, daß dabei ein Segen sein kann?«

»Jesses! Was du dir einbildst! Gott soll mich strafen, wann von dir a Red war. Nix als mein Ruh will ich, weil da drüber doch nit ruhig mit dir z' reden is.«

»Weil d' nit ruhig zuhören magst, so sag. Ich glaub dir ja recht gern, daß sie über mich kein Wort verloren hat, sie wird's schon so zustand bringen, dich deiner Mutter abwendig zu machen, wie sie's ja auch ohne ein Wort zustand gebracht hat, daß du dir ihr z'lieb über deine Kräften Auslagen machst.«

»Selb war mein freier Willen.«

»Du hast noch einen freien Willen!«

»Und über meine Kräfte war's nit.«

»So? Hast du's so überflüssig? Hast du's scheffelweis stehn, daß du nur zuzgreifen und nit zu rechnen brauchst? Na, is mir lieb, aber 's ist auch 's erstemal, daß ich davon hör! Doch laß dir sagen, wenn d' dich schon aufn Guttäter hnausspielen willst, so gib dein Almosen an Bedürftigere und an Leut, die's verdienen.«

»Es war kein Almosen.«[35]

»Freilich nit, glaub's wohl, ein Präsent war's, wo du noch hast schön bitten müssen, daß 's ja möcht freundlich angnommen werden; denn ein Almosen z' nehmen, sind d' Zinshoferschen viel z' stolz, obwohl nit eins im Ort is, das so nix hätt, wie die nix haben.«

»Aber, Mutter«, schrie Muckerl, vor Ärger lachend, »das is schon hellauf zum Verzweifeln, wie du daherredst, erst soll ich's an Bedürftigere gebn, und dann weißt selber niemand, der weniger hätt wie die! 's is ja ein Unsinn!«

»Immer besser, Muckerl, immer besser! Heiß du deiner Mutter Reden unsinnig, aber Unsinn oder nit, ich hab nit nur von Bedürftigere gredt, sondern auch von solche, die's verdienen.«

»Na ja, du redest so fort, 's eine ins andere, und drüber würd der Morgen grau. Ich hab schon gsagt, Almosen war's keins, daß ich nachm Bedürfen oder Verdienen fragen müßt, mir war ums Schenken, und von dem Meinm werd ich wohl weggeben dürfen, was ich entbehren mag!«

»Sag lieber, was andere nit entbehren mögen!«

»Mein Geld is's aber doch«, sagte der Bursche trotzig, »und um das bissel, was ich mir von mein Verdienst zruckbhalten hab und wovon du gar nix wüßtst, wenn dir nit fremde Leut davon gsagt hätten, brauchtest du kein so gwaltig Aufheben z' machen! Unsere Kastenladeln hast stürzen können, wie d' willst, 's wär kein luketer Sechser hrausgfallen, bis ich zun schnitzen anghobn hab; alls Geld, was jetzt im Haus is, rührt von meiner Arbeit her, von dem hab ich dir nix gnommen und nimm dir nix, so kannst dich wohl zufriedengebn!«

Die Kleebinderin schlug die Hände zusammen und blickte zur Stubendecke auf, wie über eine ganz unerhört unbillige Zumutung. »Zufriedengebn?!« sagte sie mit weinerlicher Stimme. »Bin ich denn a schlechte Mutter, die ihrm Kind kein Freud gönnt und verlangt, dasselbe soll sich z' Tod arbeiten, daß du mir 's Geld vorwerfen magst?! Hast du mich je klagen ghört die lange Zeit über, wo ich allein hab[36] schaffen und sorgen müssen, daß wir uns ehrlich fortbringen? Ich hab kein Müh und kein Plag gscheut, uns 'n Mangel fernzhalten, und dabei nie keine andere Meinung ghabt, als daß ich tät, wie einer rechtschaffenen Mutter zukäm! Wenn alleinige Weiberarbeit was zu erübrigen vermöcht, so hätt der Kasten nit erst auf dein Geld zu warten brauchen, womit du jetzt großtust und mit dem ich mich zufriedengeben sollt, auch für die Kränkung, daß zwischen uns, die wir noch kein Tag geschieden waren, jetzt mit einmal ein Fremde stehen soll, mir just die Allerwildfremdeste, die du hast finden mögen! Nein, Muckerl, gegen das kommst du mit deinm Geld nit auf, und wenn du sagst, daß du mir nix davon nähmst, so sag ich, sei ohne Sorg, ich nimm dir nix davon, kein Groschen! Bin ich dir im Weg, so geh ich. Konnt ich die Jahr her 'n Unterhalt für zwei bestreiten, werd ich mit Gotts Hilf wohl noch so viel arbeiten können, daß ich mich allein fortfristen mag.« Sie drückte schluchzend den Kopf in die Kissen.

Der Bursche streckte ratlos die Arme gegen die Alte aus. »Mutter! Ich bitt dich, tu doch gscheit! Verfall nit af Gedanken und sinn Sachen aus, womit d' ein frei verzagt machen könnst! Laß dir sagn, was kann denn ich dafür, daß mir grad die Dirn gfallt? Aber schau dir nur die andern dagegen an! D' mehrsten tun 'n Augen weh, wenig vertragen ein näher Zusehn, und keine is ihr gleich. Noch bevor ich gwußt hab, was die zweierlei Leut auf der Welt bedeuten, hat mir schon keine andere gefallen und jetzt erst recht nit! Kein größer Unglück könnt ich mir denken, als wann die nit mein würd. Wahrhaftig, ich will nit davon sagen, obwohl ich mir's oftmal schon ausgedacht hab, was für ein Segen das sein wird für die Arbeit, wenn mir vom frühn Morgen bis Feierabend so was Schöns im Haus untern Augen h'rumgeht, das is just, als ob einm beim Schnitzen und Pinseln was geschickt die Hand führet; aber nit, wie ich denk, mit ihr meins Lebens froh z' werden, muß ich dir sagen, daß d' mich recht verstehst, sondern daß's ohne ihr weiter für mich kein Freud auf[37] der Welt gäb! Gegen 's selbe Einsehn hab ich mich a Zeit hart gnug gwehrt, denn nit nur deiner Warnung bin ich eingedenk gwest; soviel eins bei einm solchen Blindekuhspiel noch z' sehn vermag, hab ich auch gsehn, zerst an mir hrunter, daß ich mich in der Säubrigkeit nit ihr an d' Seit stellen kann, dann ein wenig z' nebenher an ihr hin, wo ich manchs gmerkt hab, was mir nit hat gfallen mögn und noch nit gfallen mag, aber trotzdem kenn ich kein andern Wunsch und Willn, als sie zu haschen und zu halten. Ja, sie is eitel, unwirtschäftlich und trutz, wie viel sind das aber auch, um die sich nit d' Müh lohnen möcht, es ihnen abzgwöhnen? Sie aber – das war gleich mein Denken – könnt wohl noch recht, ganz recht werdn, wann sie allweil um dich wär, wann s' von dir zulernet! Drum hab ich ghofft, weil ich nit von ihr lassen kann und sie mir doch auch gut is, daß du sie doch einmal, mir zlieb, leiden kannst!«

»Ja, weil du das eine nit kannst, soll ich's himmelweit andere können«, murmelte die Kleebinderin. »So sein die Kinder! Von ihrm ersten Schrei an müssen sich die Eltern in sie schicken. Dös klein bissel Folgsamkeit, was grad nur die Zeit, von wo s' d' Kinderschuh antun, bis wo sie s' vertreten haben, nebenherlauft, is gar nit der Red wert. Na, wolln's einmal überschlafen. Gute Nacht!«

»Gute Nacht, Mutter«, sagte Muckerl und zog, tief einatmend, die Decke an sich.

Die Kleebinderin begann nun eine ernste Selbstschau zu halten. Wozu war auch das leidige Gezänk? – rückte sie sich vor. Bin doch nit gar so alt, daß ich mir nimmer vorstelln könnt, wie einm jung z'mut is. Warum will ich Heu gegen 'n Wind häufeln und meinm Bubn die Dirn verleiden, ohne der er nit sein mag, statt mich z' freun, daß sie ihm gut is? Weil ich nit will, daß einm andern gfallt, was mir nit, und eigentlich hab ich's doch nur gegen die alte Zinshoferin, die hat nie was taugt, aber was kann die Junge für ihr Mutter? Muß s' just derselben nacharten? Kreuzbrave Eltern habn oft schlecht geratene Kinder; 's kann doch auch einmal umgekehrt[38] der Fall sein. Wenn d' Helen erst da im Haus sein wird, wo s' nix Unrechts sieht noch hört, und sie laßt sich bedeuten, gar so unlenksam wird sie ja nit sein, warum sollt sie nit a brav Weib abgeben, fürn Muckerl schon gar, der gwiß a braver Mann wird?! Eher, als nit! Aber all dös hätt ich vorhin bedenken solln, statt daß ich unvernünftig mich in d' Hitz red, bis ich vor Gift und Gall nimmer aus weiß. Bin doch wahrhaftig recht a bösartig, eigensinnig alt Weib! – –

»Muckerl«, rief sie halblaut, »schlafst schon?«

»Nein, Mutter.«

»Ich denk just, daß mer der Leut Gred und Zwischentragerei ein End macht und die Sach fein schicksam einfädelt, dürft wohl graten sein, die Zinshoferischen zu uns z' laden. Taugt dir's, so hätt ich nix da gegen, wann du s' am nächsten Sonntag herüberbittst.«

»Ja, Mutter.«

Mehr sagte er nicht, aber darüber, wie er es sagte, war die alte Frau recht vergnügt.


So fanden sich denn am Sonntagnachmittag die vier Leute im Kleebinderhäusel zusammen. Die beiden Bäuerinnen saßen sich gegenüber und sagten sich weder Liebes noch Leides, sondern sprachen vom Wetter und vom Wirtschaften; die Kleebinderin, ihrer Überlegenheit bewußt, redete ein langes und breites, und die Zinshoferin, öfter verstohlen gähnend, warf Kurzes und Schmales dazwischen. Helene bezeigte sich mehr respektvoll als freundlich, sie sah meist vor sich nieder, selten blickte sie nach Muckerl, der ihr gegenübersaß und kein Auge wandte. Er war der einzige, den die Langweile nicht anfocht, weil er sich ganz rückhaltlos zufrieden und glücklich fühlte.

Vom nächsten Tage an galt es im Dorfe für ausgemacht, daß nunmehr alles zwischen dem Kleebinder-Muckerl und der Zinshofer-Helen in Richtigkeit sei. Die Dirne blieb sich übrigens in ihrem Verhalten ganz gleich, was die alte Kleebinderin veranlaßte, immer nachdrucksamer mit dem Kopfe[39] zu schütteln. Es eilte der Helen gar nicht, sich bei der Mutter Muckerls einzuschmeicheln, sie suchte deren Umgang nicht und hielt ihr bei Begegnungen gleichmütig stand, so wie sie auch die Neigung des Burschen weder ermutigte noch ablehnte; ja, einem weniger Gutmütigen hätte sie sicher das Schenken verleidet, sie verstand sich zu keiner Bitte und zu keinem Danke.

Hatte sie Kleider oder Schuhzeug abgetragen, so sagte sie zu Muckerl: »Nun, schau einmal, wie schnell das ruiniert! Sein doch recht betrügerische Leut, die so was verkaufen mögen, und du laßt dir auch alle schlechte War aufhängen.« Oder wenn es sie nach irgend etwas verlangte, einem Schmuckgegenstande und derlei, so fragte sie: »Meinst nit auch, daß das schön wär und mich kleiden möcht?«

Er suchte dann bessere Ware und auch das Schöne und Kleidsame herbeizuschaffen.

Sie schlug es dem Muckerl rundweg ab, sich von ihm noch mal in das Wirtshaus führen zu lassen. Er tauge eben nicht unter Leute und darum sei es schwer, mit ihm unter ihnen zu sitzen. Am Kirchtag aber – das verspricht sie – geht sie mit ihm auf den Tanzboden.

»O du mein Gott«, klagte die Kleebinderin, »die Dirn hat ein Stolz, wie ich nie glaubt hab, und je mehr der Bub unterduckt, je stolzer tut sie, und mit allem stellt er sich zufrieden.«

Er stellte sich nicht zufrieden, er war es wirklich. Lieber wie eine, die sich z' gring acht, muß ihm doch die Dirn sein, die sich vielleicht ein bissel z' hoch halt, aber doch nit zu gut für ihn. Nein, das tut sie nit. Er weiß ja, was ihm auf nächste Kirchweih bevorsteht!

Es war noch ziemlich lange bis dahin.[40]

Quelle:
Ludwig Anzengruber: Werke in zwei Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 21977, S. 34-41.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der Sternsteinhof
Anzengrubers Werke: Teil 13. Der Sternsteinhof
Der Sternsteinhof.
Der Sternsteinhof
Der Sternsteinhof

Buchempfehlung

Kleist, Heinrich von

Die Hermannsschlacht. Ein Drama

Die Hermannsschlacht. Ein Drama

Nach der Niederlage gegen Frankreich rückt Kleist seine 1808 entstandene Bearbeitung des Hermann-Mythos in den Zusammenhang der damals aktuellen politischen Lage. Seine Version der Varusschlacht, die durchaus als Aufforderung zum Widerstand gegen Frankreich verstanden werden konnte, erschien erst 1821, 10 Jahre nach Kleists Tod.

112 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon