Unrast

[10] Ihr nie verlöschten heiligen Flammenkörper,

Wachtfeuer ihr der Nacht, mit eurer Strahlen

Beredsamkeit, im Auge Friedensträume!

Auch ihr seid ruhelos und zittert droben

Mit ungewissem Licht, und Wolkenschatten

Umhüllen eure Stirn und bald wie bald!

Tritt euer Glanz zurück am Firmament.

– O Unrast, Unrast! Sieh, wie rings das Meer,

Das seinen Busen frech dem Mond entblößt,

Wogend und ächzend in Begier und Groll,

Sich nach der Sterne schleierloser Schönheit,

Wie eine Seele nach Vollendung, sehnt!

Die ruhelosen Wolken ballen sich

Und lösen sich und fliegen dort durchs Blau,

Eisbergen gleich, bemalt mit Irisfarben

Durch die Rückspiegelung der warmen Sonne,

Die bald in Dunst wie Schnee sie lösen wird;

Der Sommer fliegt wie ein Erröthen hastig

Ueber der Erde Antlitz und verweht;

Der Regen prasselt wild und toll hernieder,

Die reuigen Winde jammern tief und schwer;

Und dieser ewige Planet der Pein

Hat Ruhe nie gekostet. Heimathlos,

Stöhnend und seufzend, eine Welt des Wahnsinns,

Rollt durch die Tiefen er der Ewigkeit.

Und, Mensch! – O Kind, du fröhlich Lichtgebild

Aus Gottes Hand! Die tanzende Bewegung

Der muntern jungen Glieder wird gelenkt

Von deines Wesens innrer Harmonie.[10]

Seit Gott den ersten Stern erschuf – wie lange!

Doch seine Hand liegt noch auf deinem Haupt,

Als wär' es gestern. Letzte Offenbarung! –

Du Silberstrom, der aus dem See der Urkraft

Mit süßem Lachen bricht, wie endest du?

Der Jugendleidenschaft Kaskadenstrudel

Furcht deiner ebnen Fläche glatte Wange,

Mit frischen Blasen, Grübchen gleich, besät,

Zerwühlt dein Bett, trübt deinen klaren Spiegel,

Und dann, befleckt von ungesundem Schutt

Und Schmutz, den Tagsgeschäfte auf dich häufen,

Von manchem Fels des Mißgeschicks beengt,

Strömst düster du bergab durch vielgewundne

Gebirgeskammern oder sumpfige Moore,

Bis du zuletzt mit träger fauler Ader

Zum unbekannten Weltmeer seicht und siech

Dahinschleichst: jener allgemeinen Mündung,

Zu der selbst Gießbach, Katarakt, Gebirgsstrom –

Begeistrung, Genius, Thatkraft – bald sich wälzen.

Quelle:
Wilhelm Arent (Hg.), Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig 1885, S. 10-11.
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