Anna

[68] Die Drossel ruft vom Lindenbaum, die Sonne steigt herauf mit Lust,

Laß einmal noch mein blasses Haupt sich lehnen müd' an deine Brust.


Noch einmal laß mich deine Hand inbrünstig küssen heiß und schwer, –

Nicht deinen Mund – nicht deinen Mund! ich ließe dich sonst nimmermehr.


Maimorgenwind lacht heimlich leis' und raunt im grünenden Spalier,

Doch wenn der Abend niederfällt, dann bist du, Heinrich, nicht mehr hier!


Nein, nein, dein Mund und Auge lügt: Es weiß dein Herz so gut wie ich,

Und wenn Du einst auch heimwärts kehrst, nie wieder schaut mein Auge dich.


Sonst logst du nie, ich weiß es wohl, sprachst niemals von dem gold'nen Ring,

Du, Heinrich, bist so klug und ich ein arm unwissend häßlich Ding.


Ich wußt' es wohl, ich würde nie dir dienen treu und still als Frau, –

Denn deine Hand ist weich und zart, und meine ganz von Arbeit rauh.


Ich weiß es wohl, wie du dich stolz verzehrst nach Ruhm und Sonnenschein,–

Und in der Reichen helles Schloß, ich Arme, darf nicht mit hinein.


Ich wußt' es wohl, ich wußt' es wohl vom ersten Anfang an, daß du –

Mein Unglück, Schmach und ew'gen Tod, – ach alles fügtest du mir zu!


Ich wußt' es wohl, daß so es kam, Elend und Schande über mich,

Und dennoch, dennoch kam's, denn ach! ich liebte gar zu innig dich!


Die Drossel ruft vom Lindenbaum, die Sonne kommt herauf mit Lust,

Laß einmal noch mein blasses Haupt sich lehnen müd' an deine Brust.


Weh, meinen Busen preßt und sprengt's, ein Feuer lodert schwül und heiß,

Und unter meinem Herzen quillt und regt es sich und athmet leis'.


Und fällt hernieder jene Nacht, und lieg' ich blaß und leidenswund,

Dann Heinrich bist du fern und küß'st – ach, küß'st wohl einen schön'ren Mund.
[69]

Und dennoch ist's von deinem Fleisch und dennoch lebt's von deinem Blut,

Und dennoch sieht's dein Auge nie, das treu und zärtlich aus ihm ruht.


Nur Thränen fühlt es, fallend schwer, Glühtropfen, auf sein Angesicht,

Nur Seufzer hört's und leisen Schlag des Herzens, das im Tode bricht.


Und eh's geboren, ertönt ihm schon des Vaters und der Mutter Fluch;

Wär'st du doch todt, mein Kind, mein Kind, und lägst du stumm im Leichentuch! ...


Wir waren lang zusammen nun, Heinrich! ich glaub, 's ist schon ein Jahr

Da küßtest du zum ersten Mal verstohlen mein lichtblondes Haar.


Nun lacht heimlich Maimorgenwind und raunt im grünenden Spalier,

Und wenn der Abend niederfällt, dann bist du, Heinrich nicht mehr hier.


Und bist du fern, ich will ja nicht, daß Thränen du um mich vergieß'st,

Doch denk daran, wie heiß um dich aus meinem Aug' die Thräne fließt ...


O denk' zuweilen, wie mich Noth und Unglück packt so rauh und hart,

Vergiß es nicht, daß ich aus Liebe zu dir so sehr unglücklich ward!


Und führst du einst ein Fräulein dir zur Hochzeit und zur Kirch' hinab,

Zum letzten Male denke dann, wie der Wind geht über ein fernes Grab.


Doch sage nie, küßt du voll Gluth den Mund und ihrer Augen Schein,

Sag' nicht, daß du von mir gegangen, weil ich so schlecht und so gemein.


Und spotte du am Schenktisch nie, wie man am Schenktisch sonst wohl thut

Der armen Dirne aus dem Volk, die dich so liebte, dir so gut.


Denn thätest du's, denn thätest du's, dann wollt ich sprengen wohl mein Grab,

Und schmetterte Krankheit und Wahnsinn auf dein verfluchtes Haupt herab ...


Dann würf ich Blut und Flammengluth wohl auf das Liebste, was du hast,

Dann send' ich in das Herz und Hirn die ganze Hölle dir zu Gast ...


O Süßer, Liebster zürne du, o zürn' nicht über solch ein Wort, –

Die Sonne steigt, die Stunde naht, und du gehst ewig von mir fort.
[70]

Und was ich wollte, Lieber du? Ich wollte nur, sei nicht betrübt,

Du hast nicht Schuld, ich segne dich, ich hab' dich ja so sehr geliebt!


Ich segne dich für jedes Wort, für jeden Kuß von deinem Mund,

Und treff' dich nie so harter Schmerz und furche deine Seele wund!


Die Sonne steigt, die Sonne glüht ... still, armes Herz, die Glocke schlägt,

Der Wagen rollt, der Wagen rollt, der dich auf ewig von mir trägt.


Noch einmal lass' mich deine Hand inbrünstig küssen heiß und schwer,

Nicht deinen Mund! Nicht deinen Mund! Ich ließe sonst dich nimmermehr.

Quelle:
Wilhelm Arent (Hg.), Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig 1885, S. 68-71.
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