Gott segne dich

[282] Der einst mein erstes Lied erklungen

In sehnsuchtsscheuer Knabenzeit,

Hast dir den Brautkranz nun errungen –

Gott segne dich, du junge Maid.


Ein goldner Stern in Maiennächten,

Stiegst du vor meinem Blick empor,

Du glich'st dem Edelstein, dem ächten,

An den ich ganz mein Herz verlor.


Ich sah dein Bild von fern nur leuchten

Und betete in stummer Nacht

Mit fleh'nden Augen, thränenfeuchten,

Zu dir – die nimmer mein gedacht.
[282]

Die Wolken kamen schwarz gezogen,

Die Wetter peitschten wild mein Haupt,

Mein Schiff versank im Grab der Wogen,

All' meines Glücks ward ich beraubt.


Durch Himmel und durch Hölle stürmte

Mein furiengehetzter Sinn,

Das Ideal, das treu mich schirmte,

Warf mir den Rettungsanker hin.


Sieh'! Da zerfloß das trunk'ne Sehnen,

Das wonnebang mich einst umschwoll,

Dein Bild verschwand, des Geistes Wähnen

Ward ew'ger Gottversenkung voll.


Der Menschheit Heiligthum zu retten,

Wall' predigend ich meinen Pfad,

Erlösend aus der Selbstsucht Ketten

Mit meines Liedes freier That.


Doch heute bei des Täubers Girren,

Umhaucht vom Duft des Lindenbaums,

Darum die Bienen lüstern schwirren,

Gedacht' ich jenes süßen Traums:


Da ich mein erstes Lied gesungen

In sehnsuchtsscheuer Knabenzeit

Dir, die den Brautkranz nun errungen –

Gott segne dich, du junge Maid!

Quelle:
Wilhelm Arent (Hg.), Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig 1885, S. 282-283.
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