Dritter Gesang

[41] 1.

Wer leiht die Stimme mir und wer die Worte,

Die sich geziemen für so hohen Plan?

Wer gibt mir Flügel, mich der Himmelspforte,

Aufsteigend wie mein Gegenstand, zu nahn?

Jetzt müssen Gluten ganz besondrer Sorte,

Begeistrungsflammen mir die Brust umfahn:

Denn dieses Lied wird meinem Herrn gesungen;

Die Ahnen künd' ich, denen er entsprungen.


2.

Wie viele Herrscher, Menschentun zu leiten,

Vom Himmel kamen her in unsre Welt,

Nie durch die Erde, Phöbus, sahst du schreiten

Ruhmvollern Stamm im Frieden und im Feld,

Der seinen Adel führt aus fernern Zeiten

Und führen wird (wenn wahrhaft mich erhellt

Dein Licht, das mir die späte Zukunft weiset),

Solang um seinen Pol der Himmel kreiset.


3.

Wollt ihren Wert ich voll zu künden trachten,

Statt meiner Leier braucht ich jene dann,

Die du gebrauchtest nach Gigantenschlachten:

Auf ihr ja stimmtest du dein Danklied an.

Wenn jemals deine Gaben mich bedachten

Mit beßrem Werkzeug, will ich, was ich kann,

In edlem Stein die Bilder zu vollenden,

Mein ganzes Mühn, all meinen Geist verwenden.
[42]

4.

Aufnehmend jetzt die ersten groben Stücke,

Hab' ich den stumpfen Meißel hier benützt

Voll Hoffnung, daß Vollkommneres mir glücke,

Wenn tiefres Studium einst mich unterstützt. –

Zurück zu ihm nun, dem ob seiner Tücke

Nicht Mut, nicht Panzerkleid den Busen schützt.

Ich sagte, wie der Mainzer Mörderbube

Die Jungfrau töten wollte in der Grube.


5.

Zerschmettert liegend wähnt der Schandgeselle

Das Mädchen unten auf dem Felsengrund;

Von der durch ihn mit Schmach bedeckten Schwelle

Eilt er davon mit schreckensbleichem Mund

Und wendet sich zur Flucht mit aller Schnelle.

Und weil er mit der ganzen Höll' im Bund

Und gar kein Maß in Schuld und Sünden kannte,

Nahm er das Roß hinweg von Bradamante.


6.

Mag er für andrer Tod die Ränke weben,

Dieweil er nur den Tod sich selber spann! –

Wir wollen uns zur Jungfrau jetzt begeben,

Die fast den Tod – das Grab zugleich – gewann.

Sie konnte sich, noch halb betäubt, erheben

– Denn unsanft kam sie auf dem Boden an –

Und schritt durch jene Pforte wie im Traume

Hin nach dem zweiten, größren Höhlenraume.


7.

Viereckig, hoch, als würdige Kapelle

Wird gleich vom Aug' der hehre Ort erkannt;

Auf Alabastersäulen schlank und helle

Sich wohlgegliedert das Gewölbe spannt:

Inmitten ein Altar an rechter Stelle,

Vor dessen Stufen einer Lampe Brand.

Und reiches Licht für alle beiden Zimmer

Bot dieser reinen Flamme klarer Schimmer.
[43]

8.

In frommer Demut in der Stätte Mitten,

Der göttlich hohen, blieb das Mädchen stehn;

Um Beistand Gott mit Herz und Mund zu bitten,

Sank sie auf ihre Knie mit stillem Flehn.

Da kam mit offnem Haar dahergeschritten

– Sie hörte knarrend sich ein Pförtchen drehn –

In losem Kleide, barfuß, eine Dame,

Von deren Lippen klang des Mädchens Name:


9.

»Vieledle Bradamant! Mit Himmels Segen«,

Rief sie, »und seinem Willen trittst du ein.

Merlins Prophetengeist sah dir entgegen

Schon manchen Tag: du werdest seinem Schrein,

So sprach er, nahn auf wunderbaren Wegen,

Zu grüßen fromm sein heiliges Gebein.

Geblieben bin ich hier, dir zu enthüllen,

Was sich – der Himmel will's – dir soll erfüllen.


10.

Dies ist die alte, weitverehrte Halle,

Die sich Merlin der Weise ließ erbaun.

Hier, wo – du kennst die Mär in jedem Falle –

Getäuscht ihn hat die schlaueste der Fraun.

Sein Fleisch verzehrt sich unten im Verfalle:

Bestrebt, ihr zu gehorchen, voll Vertraun

In ihren Rat, legt' er sich lebend nieder;

Dort sind im Tod geblieben seine Glieder.


11.

Tot ist der Leib, der Geist in ihm doch lebet,

Bis einst des Engelchors Posaun' erklingt,

Die ihn hinabstößt oder ihn erhebet,

Ob er als Rab', als Taube fort sich schwingt.

Die Stimme lebt – und jeder Hörer bebet,

Wie klar sie aus dem Marmorgrabe dringt.

Denn allen will er, die ihn drum befragen,

Das Künftige wie das Vergangne sagen.
[44]

12.

Zur Stätte hier, wo Grabesschauer wehen,

Aus fernen Landen bin ich hergeeilt,

Um meiner Kunst Mysterien zu verstehen,

Darob die Kunde nur Merlin erteilt;

Und weil es dann mich drängte, dich zu sehen,

Hab' ich noch einen Monat mehr verweilt:

Für heut versprach – nie trügen seine Worte –

Merlin dein Kommen diesem heil'gen Orte.«


13.

Stumm steht die Haimonstochter und beklommen,

Aufmerksam, still erwägend den Bericht,

Und solches Staunen hat sie überkommen:

Ob jetzt sie wacht, ob träumt, sie weiß es nicht.

Gesenkt die Lider, ganz von Scham benommen,

Errötend in Bescheidenheit sie spricht:

»Was hat in mir denn solch Verdienst begründet,

Daß ein Prophet mein Nahn vorausverkündet?«


14.

Und fröhlich über solch ein Abenteuer,

Hin geht sie mit der Fremden im Verein

Zu jenem Mausoleum hehr und teuer,

Allwo des Zaubrers Geist ruht und Gebein:

Der Sarkophag erglänzt wie rotes Feuer

(Glatt war er und von lichtem, hartem Stein).

Von ihm nur ins Gemach der helle Schein drang,

Weil nie ein Sonnenstrahl von außen eindrang.


15.

Ist's manchem Marmor wie den Fackeln eigen,

In helles Licht zu wandeln Dunkelheit?

War's Räucherung? War es der Sterne Reigen?

War's Zauber, den ein Magierspruch verleiht? –

Dies glaub' ich selbst und will es nicht verschweigen –

Kurz, reichen Schmuck voll Pracht und Herrlichkeit,

Aus Farben teils und teils in Stein gehauen,

Ließ jener Glanz in dem Gemache schauen.
[45]

16.

Kaum hat nun Bradamant den Fuß erhoben

Hin nach dem Grabesraume von der Schwell',

Als aus der toten Hülle dringt nach oben

Lebend'gen Geistes Stimme klar und hell:

»Du keusche, tugendreiche Maid da droben,

O daß dir ewig sich das Glück gesell'!

Du sollst uns reichen Samen ja bescheren,

Italien und der ganzen Welt zu Ehren.


17.

Das alte Troerblut fließt in zwei Bronnen:

In dir sie strömen künftig ineinand

Und bringen alle Blüte, Zier und Wonnen

Des Menschenstamms, den von des Indus Rand

Bis hin zum Tajo schaut das Licht der Sonnen,

Und fern vom Nil bis an der Donau Strand.

Reich schmücken dein Geschlecht der Ehren Reiser:

Markgrafen mächtig, Herzöge und Kaiser!


18.

Die Kapitän und Ritter draus entspringen,

Die mit des Geistes Kraft und blanker Wehr

Dem ehmals unbesiegten Lande bringen

Den alten Kriegsruhm und die alte Ehr'.

Und edle Herrscher ihre Zepter schwingen,

Ob es Augustus oder Numa wär'.

Einmal noch läßt ihr weis und mildes Walten

Sich ferner Vorzeit goldne Zeit gestalten.


19.

Daß sich in dir erfülle nun hienieden

Des Himmels Wille, der in seiner Gnad'

Jung Roger als Gemahl dir hat beschieden,

Verfolge guten Mutes deinen Pfad!

Kein Hindernis mag stören deinen Frieden.

Damit nicht Sorge dir das Herz belad'!

Es wird beim ersten Ansturm überwunden

Der Räuber, der dein Liebstes hält gebunden.«
[46]

20.

So spricht Merlin und sinkt zurück in Schweigen

Und überläßt der Magierin das Feld,

Die Bradamant soll jeden Apfel zeigen,

Der künftighin von ihrem Baume fällt.

Zum Dienst war ihr ein Geisterheer zu eigen. –

Ob aus der Höll'? Nicht weiß ich's um die Welt.

Die wurden all an einem Ort gehalten

In mancherlei Gewanden und Gestalten.


21.

Zur Kirche lenkt die Zauberin die Schritte,

Ein Kreis war dort gezogen schon vorher;

Der faßte Bradamant in seiner Mitte,

Ganz ausgestreckt, und eine Spanne mehr.

Daß sie nicht Unbill durch die Geister litte,

Gab sie ein Pentagon ihr noch zur Wehr

Und hieß sie zuschaun, nie sie unterbrechen;

Zur Geisterschar begann sie dann zu sprechen.


22.

Die kommt vom ersten Höhlenraum geschossen

Und will in jenen heil'gen Kreis hinein;

Doch als ihr dort der Eingang ist verschlossen,

Wie wenn es Mauern oder Graben sei'n,

Hin drängt sie, wo, von schöner Gruft umschlossen,

Ruht des Propheten heiliges Gebein.

Dorthin verloren sich die dunklen Schatten,

Als sie den Kreis dreimal umwandelt hatten.


23.

»Soll ich die Namen dir von allen sagen,

Die hier durch Geister«, sprach die Zauberin,

»Beschworen sind vor ihren Lebenstagen,

So reicht dafür die eine Nacht nicht hin.

Nicht weiß ich, traun, wann wird die Stunde schlagen,

Da ich mit allen diesen fertig bin.

Nur einige vermag ich auszuwählen

Und will davon nach Schicklichkeit erzählen.
[47]

24.

Mit schönen Zügen, freundlicher Gebärde,

Dir selber ähnlich, sieh den Ersten hier:

Bestimmt ist's, daß des Hauses Haupt er werde,

Erzeugt von Rogers Samen und von dir.

Mit Ponthieus Blute rötet er die Erde

Und wird – die ferne Zukunft zeigt es mir –

Sich blutig rächen und mit Heldentaten

An denen, die den Vater ihm verraten.


25.

Durch ihn wird Desider verlassen stehen,

Der König auf der Langobarden Thron.

Für dies Verdienst wird er vom Reich versehen

Mit Lehn von Este und von Calaon.

Nach ihm wird als des Landes Hort erstehen

Im Kranz des Waffenruhms dein Enkelsohn.

Er wird gar oft der heil'gen Kirche nützen

Und gegen die Barbaren sie beschützen.


26.

Sieh Albert hier: er läßt die Tempel prangen

Von Kriegstrophäen, unbesiegt im Streit.

Hugo, sein Sohn, der das Panier der Schlangen

Nach Mailand bringen wird, gibt ihm Geleit.

Azzo ist jener, der das Reich erlangen

Wird der Insubrer nach des Bruders Zeit.

Dort Albertazzo (durch sein klug Beginnen

Weicht Berengar, mit ihm der Sohn, von hinnen),


27.

Wert, daß von Kaiser Otto er empfange

Der Tochter Alda, der Prinzessin, Hand.

Ein andrer Hugo! Schöne Reihe, lange,

Die väterlichen Ruhm vermehrt im Land!

Hier dieser wehrt der Römer Überschwange

Und löscht zu Recht des stolzen Mutes Brand.

Den Kaiser und den Papst aus ihren Händen

Wird er befrein und die Belagrung enden.
[48]

28.

Sieh Folco jetzt: dem Bruder wird er geben,

Was in Italien sein, und in die Welt

Hinaus, bis tief nach Deutschland wird er streben,

Wo er ein großes Herzogtum erhält.

Durch ihn wird Sachsen wieder sich erheben,

Wenn es schon ganz auf eine Seite fällt.

Als mütterlicher Erbe wird er walten

Und es durch seinen Nachwuchs aufrecht halten.


29.

Ein zweiter Azzo kommt (nicht hold den Kriegen,

Ein Freund von feiner Höflichkeit ist der)

Mit Söhnen Albertazz und Berthold; siegen

Wird einer ob des zweiten Heinrich Heer.

Von deutschem Blute rot wird Parma liegen

Und seine sonn'gen Fluten rings umher.

Der andre nimmt zur Gattin sich Mathilde,

Die weise, mit des Ruhmes blankem Schilde.


30.

Er macht sich würdig solcher Ehebande:

Für jene Zeit acht' ich das Lob nicht klein,

Mit fast der Hälfte der ital'schen Lande

Des ersten Heinrich Enkelkind zu frein.

Von dieses Berthold teurem Liebespfande,

Rinald dort, wird der Ruhm errungen sein,

Aus Friedrich Barbarossas Hand, des bösen,

Rettend die heil'ge Kirche zu erlösen.


31.

Ein andrer Azzo! Zu Verona walten

Wird er des Herrscheramts und weit im Land

Und auch als Markgraf in Ancona schalten,

Vom Kaiser und vom Papst dazu ernannt.

Lang währt es, wollt' ich alle dir entfalten,

Die Romas Banner tragen in der Hand,

Aus deinem Blut entstammt, und Kunde bringen,

Was sie dereinst dem heil'gen Stuhl erringen.
[49]

32.

Obizzo, Folco, Azzos, Hugos; beide

Heinriche, Sohn und Vater, sind gesellt.

Zwei Welfen –: der, in Umbrien, im Herrscherkleide

Das Herzogszepter zu Spoleto hält.

Italia errettet er vom Leide,

Denn Wunden heilt und Freude bringt der Held.

Azzo der Fünfte hier, er hilft aus Nöten

Und fängt den Ezzelin und läßt ihn töten.


33.

Der Ezzelin, der schlimmste der Tyrannen

(Ihn halten viele für des Teufels Sohn),

Trägt einst Ausoniens Herrlichkeit von dannen,

Schindend und marternd, aller Welt zum Hohn,

Daß mild erscheint, was früher schon ersannen

Ein Sulla, Nero, Cajus und Anton.

Der Kaiser auch, der Friederiche zweiter,

Wird überwunden einst von diesem Streiter.


34.

Die Stadt wird dann sein Zepter glücklich preisen –

Sie zieht sich anmutvoll den Fluß hinab –,

Wo Phöbus rief mit trauervollen Weisen

Den Sohn, als er vom Wagen stürzt' ins Grab,

Und Ambra quoll in vielen Tränen, leisen,

Und Cygnus sich mit weißem Flaum umgab.

Für tausend Dienste wird sie ihm zum Lohne

Vom Hirten auf dem apostol'schen Throne.


35.

Wo bleibt Aldobrandin der Bruder? Dienen

Wird er dem Papst: er eilt, ihm beizustehn

Im Kampf mit Otto und den Ghibellinen;

Die sind schon nah beim Kapitol zu sehn,

Und ringsumher ist alles Land mit ihnen,

Gebändigt liegen Umbrien und Pizen.

Weil ohne Gold kein Beistand kann gelingen,

So geht er, solches aus Florenz zu bringen.
[50]

36.

Kann er nicht Kleinod und Juwelen geben,

So läßt er seinen Bruder dort als Pfand.

Siegreich die Banner wird er dann erheben

Und Krieger schlagen aus dem deutschen Land;

Er setzt den Papst ein, straft für arges Streben

Die von Celano mit gerechter Hand;

Dient, daß er treu den höchsten Hirt behüte,

Und stirbt in seiner Jahre schönster Blüte.


37.

Pisaurum läßt er und Anconas Auen

Dem Bruder und was sonst er sein noch nennt

An Städten, die vom Apennin zu schauen

Bis zum Isaur, am Ufer des Troent.

Er wird viel mehr auf Seelengröße bauen

Als Gold und Edelstein, so viel man kennt:

Die gibt das Glück und läßt sie wieder schwinden:

Bestand ist nur in Trefflichkeit zu finden.


38.

Sieh dort Rinald! Nicht minder wird er scheinen,

Der nie den hohen Wert des Stamms vergißt:

Doch wie sich neidisch gegen ihn vereinen,

Ach, Mißgeschick und Tod, kein Mensch ermißt!

Von hier bis nach Neapel wird man weinen,

Wo er die Geisel für den Vater ist. –

Obizzo kommt: der Lenze wird er zählen

Noch wen'ge, wenn sie ihn zum Fürsten wählen.


39.

Durchs rauhe Modena, Reggio das schöne,

Fügt er zum Prachtbesitz hinzu noch mehr.

Einstimmig will das Volk, daß diesen kröne

Ob seines Werts im Staat die höchste Ehr'.

Azzo der Sechste, einer seiner Söhne,

Wird von dem heil'gen Kreuz Gonfalonier'.

Karl von Sizilien wird sein Kind ihm geben

Und ihn zum Herzog Andrias erheben.
[51]

40.

Schau die vereint in freundschaftlichem Ringe!

Die herrlichsten der Fürsten bilden ihn:

Albert, an Milde reich und guter Dinge,

Niccol, Zoppo, Obizz, Aldobrandin.

Zu melden, wie Faenza man erringe,

Laß ich; auch, langer Weile zu entfliehn,

Wie Adria sie festigen; bekannt ist,

Daß es nach salz'ger Wogenflut benannt ist.


41.

Dazu die Stadt, die nach dem Rosensegen

Den Namen hat mit holdem griech'schen Klang,

Und jene, ganz im Fischesumpf gelegen,

Um die der Po die Doppelhörner schlang.

Daß wacker Wind und Wellen dort sich regen,

Verlangt das Volk und wilden Sturmgesang.

Ich lass' Argenta, Flecken und Kastelle,

Lugo und andre Städt' an dieser Stelle.


42.

Sieh Niccolò, den schon als zarten Knaben

Das Volk zum Herren seines Landes macht!

Tideo wird durch ihn das Nachsehn haben;

Gern hätt' er Bürgerkrieg hervorgebracht.

Als kindlich Spiel wird dies den Kleinen laben:

Schwitzen in Stahl und Müh' bei Tag und Nacht.

Aus früher Zeiten Plag' erwächst die Blume

Von hoher Ritterschaft und Heldentume.


43.

Er macht zunicht rebellisches Gebaren,

Für den zum Schaden, der Empörung sann.

In Kriegeslisten ist er so erfahren,

Daß ein Betrug ihn schwerlich täuschen kann.

Zu spät wird Oto Terzo das erfahren,

Von Reggio und von Parma der Tyrann:

Von ihm besiegt, muß der verlorengeben

Zu gleicher Zeit die Herrschaft und das Leben.
[52]

44.

Ein stetig Wachstum ist dem Reich beschieden,

Weil nie der Herrscher wankt vom rechten Pfad:

Andre zu schädigen, das wird vermieden,

Wenn keiner Unheil bringt durch Missetat.

Der Dinge Lenker ist damit zufrieden

Und gönnt ihm froh Gedeihen früh und spat.

Wachsende Wohlfahrt wird ihm niemals mangeln,

Solang die Welt sich dreht in ihren Angeln.


45.

Sieh Lionel! Und Borso sieh, den hehren,

Ruhm seiner Zeit, zuerst im Herzogshut.

Er sitzt in Frieden: und das Glück zu mehren

Mit friedlichen Triumphen, weiß er gut.

Er wird dem Mars das Tageslicht verwehren,

Und fest schnürt er den Arm der blinden Wut.

Vortrefflich ist, was immer er begonnen,

Was er nur plant – drum lebt sein Volk in Wonnen.


46.

Kommt, halbverbrannt den Fuß, man sieht ihn schwanken,

Ercol; er naht und wirft dem Nachbar vor:

Er stützte wahrlich nicht des Heeres Wanken

Bei Budrio, das schon die Schlacht verlor,

Damit durch Krieg ihm jener möge danken

Und ihn verfolge bis an Barcos Tor.

Bei diesem Herren wird nicht leicht entschieden:

Ist er im Kriege größer oder Frieden?


47.

Apuliern, Kalabresen und Lukanen

Wird sein Gedächtnis unvergeßlich sein.

Durch Zweikampf mit dem Herrn der Katalanen

Schon tritt er in des Ruhmes Tempel ein:

Manch ein Triumph wird bei den Kapitanen,

Den unbesiegten, ihm den Platz verleihn,

Und er erringt das Reich durch Geistesgaben,

Das er vor dreißig Jahren sollte haben.
[53]

48.

Was eine Stadt für gütig fürstlich Walten

An Dank nur hat, das wird ihm zuerkannt:

Nicht, weil sich blühnde Felder dort entfalten,

Wo er Moraste nur und Sümpfe fand;

Nicht, weil den Ort er fester wird gestalten,

Mit Mauern und mit Graben wohl umspannt,

Mit Kirchen, schmucken Schlössern, freien Plätzen,

Theatern – was das Herz nur kann ergetzen;


49.

Nicht, weil er vor den Klaun des Flügelleuen

Die Stadt beschützen wird mit kühnem Mut;

Nicht, weil, wenn Gallierfackeln rings bedräuen

Italias Fluren mit Vernichtungsglut,

Sie ganz allein des Friedens kann sich freuen,

Sicher und frei von jeglichem Tribut –

Für diese nicht sowohl und andre Gaben

Wird Herkules sein Volk als Schuldner haben –,


50.

Als, weil er ihm Alfonso den Gerechten

Und Hippolyt den Gütigen beschert;

Die werden sein, wie wenn sie wieder brächten,

Was vom Geschlecht des Schwans die Sage lehrt:

Daß, um den Bruder zu befrein aus Nächten,

Der Bruder wechselweis der Sonn' entbehrt.

Genug an Stärk' und Willen beide hätten,

Durch ew'gen Tod den Bruder zu erretten.


51.

Die Liebe, die das schöne Paar empfindet,

Gewährt dem Volke größre Sicherheit,

Als selbst ein Stahlwerk, das Vulkan erfindet,

Doppelt den Wall umschließend, sie verleiht.

Alfons mit Weisheit Güte so verbindet,

Daß man einst wähnen wird in spätrer Zeit,

Asträa kehr' aus Himmelsregionen

Dahin zurück, wo Hitz' und Kälte wohnen.
[54]

52.

Der Klugheit, wahrlich, darf er sehr sich freuen,

Und Kühnheit, drin er ganz dem Vater gleicht:

Denn – selber schwach – sieht er von dorther dräuen

Venedigs Flotte, die durch Fluten streicht,

Und, ach, die Mutter hat er hier zu scheuen

– Stiefmutter sagt man richtiger vielleicht –;

Wenn aber Mutter, ist sie nicht gelinder

Als Progne und Medea für die Kinder.


53.

So oft er aufbricht, sei's bei Nacht, bei Tage,

Mit seiner treuen Heeresmacht vom Strand,

Bringt er den Feinden Flucht und Niederlage,

Hier auf den Wasserfluten, dort zu Land.

Romagnas Volk, noch jüngst zum Schwertesschlage

Vereint mit ihm und Freunde da genannt,

Erfährt es, wenn von Blut die Felder fließen,

Die Po, Santern und Zanniol umschließen.


54.

Davon wird ferner dort zu sagen wissen

Der span'sche Mietling in des Papstes Lohn:

Er hat dem Herzog die Bastei entrissen,

Erschlägt den Schloßvogt, der gefangen schon;

Zur Strafe müssen all' das Leben missen,

Vom Söldner bis zum obersten Patron;

Nach Rom von der Erobrung zu berichten

Und von der Mordtat, gilt es zu verzichten.


55.

Er hat durch Kraft des Schwerts und der Gedanken

Auf der Romagna Feld die hohe Ehr',

Erlesnen Siegesruhm zu leihn den Franken,

Entgegen Julius' und Spaniens Heer.

Man sieht in Menschenblut bis an die Flanken

Die Hengste schwimmen auf der Flur umher.

Kaum wird man Platz um zu bestatten haben

Italer, Griechen, Spanier, Franken, Schwaben.
[55]

56.

Der im Prälatenkleid und Purpurhute

Auf heil'gen Locken – das ist er zumal,

Ippolito, der Edelmüt'ge, Gute,

Der röm'schen Kirche großer Kardinal.

Zu Vers und Prosa leiht der Hochgemute

In allen Sprachen Stoffe sonder Zahl.

Ein Maro gibt dem Herrlichen Geleite,

Wie dem August ein andrer ging zur Seite.


57.

Er wird der Glanz des schönen Stammes werden,

So wie den Weltenbau die Sonne schmückt;

Verdunkeln wird er jedes Licht auf Erden,

So wie von ihr wird Mond und Stern erdrückt.

Er zieht mit wenig Fußvolk, wen'gen Pferden

Bekümmert fort und kehrt nach Haus beglückt.

Fünfzehn Galeeren, hingeschleppt in Banden,

Und tausend Boot' als Beute sind vorhanden.


58.

Und dort! Zwei Sigismunde kannst du sehen!

Fünf Prinzen dort: Alfonsos Söhneschar.

Ihr großer Ruhm wird übern Erdball gehen,

Kein Berg, kein Meer kann widerstehn fürwahr.

Der zweite Herkules ist ausersehen

Zum Eidam Frankreichs; weiter stellt sich dar

Herr Hippolyt, um keinen zu vergessen,

Der mit dem Ohm sich kann an Glanze messen.


59.

Franz ist der dritte, die zwei nächsten tragen

Den Namen Alfons. Du vernahmst zuvor:

Zeigt' ich dir alle Zweige, wie sie ragen

Vom edlen Stamm in Herrlichkeit empor,

Es müßte, mehrmals nachten dann und tagen,

Eh ich das Ganze brächte vor dein Ohr.

Doch schweigen möcht' ich jetzt, will's dir gefallen;

Zeit ist es, daß zurück die Schatten wallen.«
[56]

60.

Als Bradamant damit war einverstanden,

Die weise Frau ihr Zauberbuch verschloß,

Und all die Geister nach dem Raum entschwanden

In Eile, der Merlins Gebein umschloß.

Weil ihr zu sprechen jetzt war zugestanden,

Die Dame so den holden Mund erschloß:

»Wer sind die Traurigen – möcht' ich erfahren –,

Die zwischen Hippolyt und Alfons waren?


61.

Gesenkt die Augen, seufzend kamen beide,

Als sei geschwunden Mut und kühner Sinn;

Als ob sie von den Brüdern etwas scheide,

Sie schritten fremd und fern den andern hin.«

Bei dieser Frage wurde blaß vor Leide

Und weinend sprach die gute Zauberin:

»Unselige, zum Weh euch muß sich's wenden,

Daß ihr euch ließt durch böses Volk verblenden!


62.

O Sproß des Herkules, laß nicht bezwingen

Durch beider Schuld den edlen, güt'gen Mut!

Mitleid statt Recht mag ihnen Gnade bringen:

Die Armen sind ja doch von eurem Blut!«

Sie fügt hinzu – ganz leis die Worte klingen –:

»Davon noch mehr zu sagen, ist nicht gut.

Du solltest Süßigkeit im Munde schmecken;

Ich will sie nicht durch Bitternis verdecken.


63.

Erstrahlt am Himmelsrand die erste Helle,

Geradenweges brichst du auf alsbald

Zum Felsen mit dem leuchtenden Kastelle,

Wo Roger weilt in fremden Manns Gewalt.

Als Führerin ich selbst mich dir geselle,

Bis du herauskommst aus dem rauhen Wald.

Das Weitre werd' ich auf dem Meer erzählen:

Du kannst den Weg von dort nicht mehr verfehlen.«
[57]

64.

Weil über Nacht die kühne Maid hier weilte,

Besprach sie vieles in der Stunden Lauf

Noch mit Merlin, der ihr den Rat erteilte,

Sie suche gleich den edlen Roger auf,

Wenn sie vom Höhlengrund von dannen eilte.

In Flammen steigt der Morgen schein herauf,

Da führt ein dunkler Weg sie in die Weite;

Stets schreitet ihr die weise Frau zur Seite. –


65.

Durch öden Grund, den Berge rings umschließen,

Unnahbar mächt'ge, wilde, ziehn sie fort.

Tagsüber, ohne Ruhe zu genießen,

Vorbei an Strom und Abgrund geht es dort.

Damit des Weges Mühn sie nicht verdrießen,

So plaudern sie mit manchem trauten Wort

Von wichtigen und angenehmen Dingen,

Daß sie die langen Stunden schön verbringen.


66.

Ermahnt wird Bradamant, zu überlegen,

Sorglich und wohlbedacht auf ihre Hut;

Mit List und Vorsicht solle sie sich regen,

Dann meine sie's mit Roger wirklich gut.

»Trittst du als Mars, als Pallas ihm entgegen

Und mit dir größre Heere voller Mut,

Als Karl besitzt, zu kriegen mit den Mohren,

Gegen den Zaubrer bist du doch verloren.


67.

Nicht nur, daß unersteiglich hoch sich heben

Aus Stahl die Wände dort am Felsenschloß,

Nicht nur, daß er durch Lüfte rennen, schweben

Und springen kann auf seinem Flügelroß,

Ist ihm auch noch der Wunderschild gegeben;

Der dringt, enthüllt, ins Aug' wie ein Geschoß,

Und blendet es, daß alle Sinne schwinden

Und die Getroffnen sich wie tot befinden.
[58]

68.

Und wenn du meinst, der Angriff könne glücken,

Wenn man beim Streiten dort die Augen schließt,

Du wüßtest nicht: wann gilt es vorzurücken,

Wann ihn zu meiden, falls er niederschießt.

Dich rettet eins nur vor des Lichtes Tücken,

Daß du dem ganzen Zauber dich entziehst,

Den er verübt, geschickt auf eine Weise:

Und diesen einz'gen Schutz ich jetzt dir weise.


69.

Herr Agramant hat einen Ring erhalten,

Den man in Indien einer Fürstin stahl:

Er läßt damit jetzt einen Diener schalten,

Brunel; der reitet unfern hier im Tal.

Es kann sich keine Zauberkraft entfalten,

Trägt man den Ring am Finger allzumal.

Brunel versteht, was Schlich' und Listen seien,

Wie Rogers Kerkermeister Zaubereien.


70.

Nun will der Dieb – so schlau und so verschlagen,

Wie schon gesagt – mit seiner Meisterschaft

(Der König hat ihm dieses aufgetragen)

Und unterstützt von jenes Ringes Kraft,

Die Fesseln Rogers auf dem Fels zerschlagen:

Er hat geprahlt, er löse seine Haft,

Und also hat er's seinem Herrn geschworen,

Dem Roger mehr gilt als die andern Mohren.


71.

Daß Roger nur von dir die Rettung habe

Und nicht verpflichtet sei dem Agramant

Für die Befreiung aus dem Zaubergrabe,

Geb' ich dir hier ein Mittel an die Hand.

Drei Tage lang am Strand des Meeres trabe –

Es wird sich gleich dir zeigen – durch den Sand,

Bis dich der Abend an ein Gasthaus bringe,

Wo auch der andre sein wird mit dem Ringe.
[59]

72.

Sein Wuchs – dies mag dir zum Erkennen dienen –

Sechs Spannen kaum, der Kopf ist schwarzbehaart

Und wollig, braun die Haut und bleich die Mienen,

Mit einem struppigen und wilden Bart;

Die Augen scheel, geschwollen, über ihnen

Die Brauen dick; die Nase platter Art.

Sein Rock ist kurz – daß ich ihn ganz beschreibe –

Und liegt, wie bei Kurieren, knapp am Leibe.


73.

Du kannst dich leicht zum Plaudern ihm gesellen

Und sprechen von dem Spuk – das wird wohl gehn –

Und dich, wie du es bist, begierig stellen,

Dem Hexenmeister dort im Kampf zu stehn.

Doch schweigen sollst du ganz in allen Fällen

Vom Ring, vor dem der Zauber muß vergehn.

Er bietet dann sich an, mit dir zu reiten

Und dich nach jenem Felsen zu geleiten.


74.

Du gehe hinter ihm, bis daß vom weiten

Die Wände jenes Schlosses sichtbar sind;

Dann töt' ihn: Mitleid darf dich nicht verleiten!

Damit, was ich dir sag', Erfüllung find',

Laß dir kein Zeichen deines Plans entgleiten:

Verdecken würd' ihn sonst der Ring geschwind.

Dir zu verschwinden, wird ihm leicht gelingen,

Wenn er den Ring kann an die Lippen bringen.«


75.

So sprechend kamen sie, wo sich dem Meere

Dort die Garonne bei Bordeaux verband.

Da schieden nun, nicht ohne manche Zähre,

Die beiden Weggenossen voneinand.

Daß sie dem Teuren Freiheit bald beschere,

Strebt ohne Säumen vorwärts Bradamant

Und geht, bis sie in abendlichen Stunden

Das Gasthaus mit Brunel hat vorgefunden.
[60]

76.

Und sie erkennt ihn an Gestalt und Zügen,

Denn die Beschreibung hat sie gut im Sinn.

Sie fragt: woher? wohin? Und zu belügen

Sucht sie der andre gleich von Anbeginn.

Jedoch, gewarnt, läßt sie sich nicht betrügen,

Hält ihn geschickt mit Flunkereien hin,

Ob Stamm und Namen bunte Mären flickend

Und oft dabei ihm auf die Hände blickend,


77.

Mit Vorsicht öfter blickend auf die Hände,

Vor seinen Diebesfertigkeiten bang.

Sie ließ ihn nicht ihr nahn, denn wie behende

Er Sachen stahl, das wußte sie nun lang.

So standen sie, als ein Gelärm ohn' Ende

Den beiden häßlich in die Ohren drang.

Was Ursach', Herr, der Unruh' war im Hause,

Erzähl' ich noch; – jetzt schickt sich eine Pause.

Quelle:
Ariosto, Ludovico: Der rasende Roland. In: Sämtliche poetischen Werke, Berlin 1922, Band 1, S. 41-61.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Der rasende Roland
Die Historia vom Rasenden Roland
Ludovico Ariosts Rasender Roland nacherzählt von Italo Calvino

Buchempfehlung

Lewald, Fanny

Jenny

Jenny

1843 gelingt Fanny Lewald mit einem der ersten Frauenromane in deutscher Sprache der literarische Durchbruch. Die autobiografisch inspirierte Titelfigur Jenny Meier entscheidet sich im Spannungsfeld zwischen Liebe und religiöser Orthodoxie zunächst gegen die Liebe, um später tragisch eines besseren belehrt zu werden.

220 Seiten, 11.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon