Vierzehnter Gesang

[288] 1.

Gefallen waren in den Kampfestagen

Aus Spanien viel und viel aus Afrika;

Dem Wolf und Raben preisgegeben lagen

Und grimmem Geier ihre Leiber da.

Und waren die von Frankreich auch geschlagen

(Denn räumen mußten sie das Schlachtfeld ja),

So trauerten die Mohren schmerzzerrissen,

Daß ihnen manches Oberhaupt entrissen.


2.

Mit zu viel blut'gen Wunden war und Leichen

Erkauft der Sieg, um seiner sich zu freun.

Und lassen alten Dingen sich vergleichen,

Alfonso, unbesiegter Fürst, die neun,

Brauchst du mit deinem glanz- und ehrenreichen

Triumph Zusammenstellung nicht zu scheun;

Triumph, auf den mit schmerzgesenkten Brauen,

Beträntem Aug' Ravennas Bürger schauen.


3.

Als schon der Tag Picarden und Morinen,

Normannen, Aquitanier weichen fand

Und dort die span'schen Feinde Sieger schienen,

Drangst du zur Mitte, wo das Banner stand.

Dir nach die Heldenjugend; zu verdienen

Galt es an diesem Tag mit tapfrer Hand

Die hohen Ehrenzeichen auserkoren:

Den goldnen Degenknauf und goldne Sporen.
[289]

4.

Furchtlos – man zählte fast euch zu den Toten –,

Zum letzten End' gelangt schon um ein Haar,

Bracht ihr den Feldherrnstab, den gelb- und roten,

Zertrümmertet die Eicheln ganz und gar.

Der Lorbeer des Triumphs ward dir geboten,

Daß nicht gepflückt und welk die Lilie war.

Mit neuem Zweig die Stirne du dir schmücktest,

Als du Fabricius nach Rom entrücktest.


5.

Des röm'schen Namens Säule, groß vor allen,

Die du ergriffen hast und heil bewahrt,

Sie ehrt dich mehr, als wär' durch dich gefallen

Die Zahl der stolzen Krieger dichtgeschart,

Die auf Ravennas Feld als Dung sich ballen,

Und sie, die flohn von Fahnen und Standart'

Aus Aragon, Navarra und Kastilien;

Denn Spieß und Karren taten nichts den Lilien.


6.

Ein Trost war dieser Sieg; allein vergehen

Mußte der Jubel, denn auf uns lag schwer,

Der Freude gegenüber tot zu sehen

Den Feldherrn Frankreichs, Herrn vom ganzen Heer;

Auch ließ ein Sturm hinab zur Tiefe wehen

Der edlen Fürsten viel, erlaucht und hehr,

Die für ihr Land, aus ferner Lieben Mitten,

Die kalten Alpen hatten überschritten.


7.

Wohl unser Heil verdankten wir dem Siege,

Begannen unser Leben wie von vorn:

Ward doch verhindert, daß herniederstiege

Auf uns ergrimmten Jovis Rachezorn;

Doch Freude ward nicht laut nach diesem Kriege:

Zu reich an Schmerzen rann der Tränenborn

Der Witwen all: im dunklen Trauerkleide

Erfüllten sie das Frankenland mit Leide.
[290]

8.

Zu schaffen muß der König Ludwig schauen

Von neuen Führern viele für sein Heer,

Damit sie hauen auf die Räuberklauen,

Die schnöden, zu der Lilie Schutz und Ehr',

Die sich an Nonn' und Mönch, schwarz, weiß und grauen,

An Mutter, Frau und Kind vergingen schwer

Und Christus hinzustrecken nicht sich scheuten,

Um Silbertabernakel zu erbeuten.


9.

Armes Ravenna! Still des Siegers Schalten

Zu dulden würde besser dir gedeihn,

Und dir zum Spiegel Brescia vorzuhalten,

Statt Riminis, Faenzas Spiegel sein,

Schick', Ludwig, uns Trivulz, den guten Alten!

Er führe Mäßigung beim Kriegsvolk ein

Und zeige, daß für lockern Sinn gerade

Viel in Italien starben ohne Gnade!


10.

Wie Frankreichs König muß nach Feldherrn sehen,

Daß es im Heere sei nach Wunsch bestellt,

Marsil und Agramant zu Werke gehen:

Damit die Herde rechte Hut erhält,

Von dort, wo sie in Winterruhe stehen,

Zur Musterung entbeut er all ins Feld,

Auf daß, wo nur Bedürfnis sich entfalte,

Die rechte Zucht, die rechte Führung walte.


11.

Erst schickt Marsil und nach ihm Agramante

Sein Kriegervolk vorüber, Schar für Schar;

Die Katalanen vorne man erkannte

Am Banner, Dorifebo stellt sie dar.

Dann folgt, doch ohne König Fulvirante,

Der von Rinaldos Hand gefallen war,

Navarra; Isolier, den kühnen Streiter,

Gab Spaniens König diesem Trupp zum Leiter.
[291]

12.

Grandonio führt die aus Algarves Landen

Und Balugant die Männer von Leon.

Gewappnet die von Klein-Kastilien standen

Unter Marsilius' Bruder Falsiron.

Sodann mit Madarosso sich befanden,

Die aus des blüh'nden Cordovas Region,

Aus Malaga, Sevilla hergezogen,

Vom Meer von Gaues und des Bätis Wogen.


13.

Seht, wie zur Musterung die Scharen zeigen

Tessira, Bavicond und Stordilan!

Lisbon ist dem, Majorca diesem eigen,

Granada ist dem dritten untertan.

Lisbon muß jetzt sich dem Tessira neigen,

Nachdem Larbin verließ die Lebensbahn.

Galicien folgt, der Führer Serpentin ist;

Statt Marikolds ihm der Befehl verliehn ist.


14.

Die von Toledos, Calatravas Pfaden

(Wo Sinagon an ihrer Spitze war)

Mit allen, die sich im Guadiana baden

Und trinken aus den Fluten hell und klar,

Hat Matalist zur Kriegesfahrt geladen,

Und Blanzardin gebietet jener Schar,

Die Salamanc, Astorga mit Plagenza,

Avila schickt, Zamorra und Palenza.


15.

Die Leute Saragossas aufmarschieren,

Vom Hof Marsils, mit Ferragu zum Herrn:

Die starken Krieger gute Waffen zieren;

Dort sind auch Malgarin und Balinvern,

Morgant und Malzaris, und allen vieren

Beschied das Los, zu weilen in der Fern':

Als Gäste hatte sie Marsil erkoren,

Weil allesamt ihr eignes Reich verloren.
[292]

16.

Mit Doricont ist dort auch der bekannte

Bastard Marsils, Follicon, und Bavart,

Langiran, Argalif und Archidante,

Der Saguntiner Graf, und Analard,

Der kühne Held: dazu noch Lamirante

Und Malagur, dem große Schlauheit ward,

Und noch gar viele sonst; – kann es geschehen,

Laß ich Euch noch der Kämpfer Proben sehen.


17.

Als Mustrung über diese hat gehalten,

Die stolzen Reihen, König Agramant,

Des Orankönigs Scharen sich entfalten;

Der Führer selbst war groß wie ein Gigant.

Ein Zug kam leidvoll: seine Klagen galten

Dem Martasin, gefällt von Bradamant.

Sie trauern, daß ihr Herr, der gute Degen,

Der Garamant, ist einer Frau erlegen.


18.

Marmondas Schar als dritte ist erschienen;

Sie ließ Argost in der Gascogne tot.

Ein Führer fehlt ihr, dem sie könne dienen;

Der zweit' und vierten auch tut Leitung not.

Weil Führer fehlten, sann der König, ihnen

Zu helfen, und an ihre Spitz' entbot

Er Burald, Ormid, Argan für die Streiter

Und, wo es nötig war, noch andre weiter.


19.

Argan erhält das Volk der Libykanen,

Das trauernd seines Dudrinaß gedenkt.

Brunel geleitet seine Tingitanen,

Verstört das Antlitz und den Blick gesenkt;

Denn seit er dort in jene Felsenbahnen

Beim Schloß des Atlas hat den Schritt gelenkt

Und dann den Ring verlor an Bradamante,

In Ungnad' ist er bei Herrn Agramante.
[293]

20.

Sah ihn nicht Isolier am Baum gebunden,

Der Bruder Ferragus (um es darauf

Auch vor dem König selber zu bekunden),

So hängte man ihn längst am Galgen auf.

Schon war der Strick um seinen Hals gewunden,

Da ließ der König noch der Gnade Lauf,

Auf andrer Bitten, doch beim ersten Fehle

– Schwur er – sei doch der Strick für seine Kehle;


21.

So daß er Ursach' hat, mit trüber Miene

Und mit gebeugtem Nacken hier zu gehn.

Folgt Farurant mit Leuten der Maurine:

Fußvolk und Reiterei ist dort zu sehn.

Danach die Heeresmacht von Constantine:

Man sieht Liban, den neuen Fürsten, stehn.

Das Recht, mit Kron' und Zepter dort zu walten,

Hat er vom König Primador erhalten.


22.

Kommt Dorilon mit Settas Legionen;

Das Volk Hesperiens bringt Herr Soridan;

Ammonien Agrikalt; die Nasamonen

Erscheinen mit dem Fürsten Pulian;

Und Malufers führt jene, die bewohnen

Das Land von Fez; mit Finaduro nahn

Die von Kanariens Aun und von Marokko;

Balaster bringt, was hinterließ Tardokko.


23.

Arzill und Mulga kommen; mit dem alten

Gebieter naht das Heervolk von Arzill;

Mulga verlor den seinen: und erhalten

Soll's nun Corineus, ist des Königs Will'.

Er läßt den Kaïk, nach Tranfirion, walten

Über das Aufgebot von Almansill.

Das Volk Getuliens gab er Rimedonte.

Mit Coscas Scharen kommt dann Balinfronte.
[294]

24.

Die nächsten Truppen Bolgaleute waren,

Des Mirabald einst, jetzo des Clarind.

Kommt Baliverz – ich glaub', in allen Scharen

Man keine Schelmen so wie diesen find't –.

Vom ganzen Heeresvolke der Barbaren

Die mit Sobrin – mich dünkt – die Besten sind.

Kein sichrer Banner sah man noch entfalten;

An Weisheit gleicht kein Heidenfürst dem Alten.


25.

Bellamarinas Volk, sonst von Galschotte

Geführt, bringt jetzt der König von Algier,

Von Sarza Rodomont, und eine Rotte,

Zu Fuß, zu Roß, von Neuen zeigt er hier;

Denn als die Sonn' – als feuchte Wassergrotte –

Im Schützen stand und im gehörnten Tier,

Zum fernen Afrika man ihn entsandte;

Erst jüngst kam er zurück zu Agramante.


26.

Nicht ward im Afrikanervolk geboren

Ein stärkrer und ein kühnrer Sarazen;

Ihn scheuen mehr die bei Lutetias Toren

(Und haben Grund, vor ihm in Furcht zu stehn)

Als Agramant, Marsilius und die Mohren,

Die mit den zwein nach Frankreich wollten gehn.

Es war bei dieser Heerschau kein so schlimmer

Feind unsres heil'gen Glaubens und so grimmer.


27.

Kam König Prusio, der Alvarache,

Und Dardinel, Zumaras Fürst, nachher:

Weiß nicht, ob ihnen kund ein Käuzchen mache

Und wer noch Bot' ist sonst von Unheil schwer,

Krächzend auf Zweigen hier, dort auf dem Dache,

Welch Unglück dieser haben wird und der –

Daß andern Tags (die Stunde kennt der Himmel)

Der Tod sie beide trifft im Kampfgewimmel.
[295]

28.

Man harrte noch im Felde auf die Scharen

Von Tremisen und von Norizia:

Weder die Fähnlein dieser Führer waren

Noch eine Kunde nur von ihnen da.

Den Kopf zerbricht sich über dies Gebaren

Der König –: arge Faulheit wär' es ja!

Da kommt, vom Tremisenenfürst gesendet,

Ein Knappe an, der alle Zweifel endet.


29.

Er meldet: Manilard, Alzird, sie lagen

Mit vielen andern Kriegern tot im Feld:

»Der Ritter,« sagt er, »Herr, der dort erschlagen

Die Unsern hat, erschlüge schier die Welt,

Wär' säumiger das Heer, davon zu jagen,

Als ich (ums Haar erwischte mich der Held).

Zu Fuß und Roß die Streiter ihm erliegen

Wie vor dem Wolf die Schafe und die Ziegen.«


30.

Zum Lagerfeld des Mohrenkönigs wandte

Sich erst vor kurzer Zeit ein Kämpe gut:

Niemand im Westen und in der Levante

Ragt über ihn an Stärke und an Mut.

Viel Ehr' erwies ihm König Agramante

Als einem Königssohne aus dem Blut

Des Agrikan im Tatareigefilde –:

Er war geheißen Mandrikard der Wilde.


31.

Es war ihm manche Heldentat gelungen,

Sein Ruhm durch alle Lande sich ergoß:

Zum Höchsten aber hatt' er sich geschwungen,

Als bei der Fee von Soria im Schloß

Von ihm der hehre Harnisch ward errungen,

Der Hektors Leib – 's sind tausend Jahr – umschloß,

Mit Zwischenfällen, seltsam, ungeheuer:

Grausig zu melden ist das Abenteuer.
[296]

32.

Der also hört den Unglücksboten sprechen;

Er hebt empor das Heldenangesicht

Und ist sogleich entschlossen aufzubrechen:

Meint, jenes Kriegers Spur entgeh' ihm nicht.

Doch birgt er seinen Plan, den Schlag zu rächen,

Sei's, daß er denkt, es habe kein Gewicht,

Sei's, daß er fürchtet, wenn es andre hören,

Sie könnten rascher sein, den Plan ihm stören.


33.

Er ließ den Tremisener Knappen fragen:

Wie sah das Waffenkleid des Ritters aus?

Der sprach: »Schwarz hat er Kleid und Schild getragen,

Kein Zierat schaut aus seinem Helm heraus.«

Und, Herr, in Wahrheit konnt' er dieses sagen,

Denn Roland ließ sein Wappen ja zu Haus:

Er wollte, daß die Trauer seiner Seele

Auch nicht dem Äußern seiner Rüstung fehle.


34.

Ein Roß ward jenem von Marsil gegeben,

Kastanienbraun und schwarz an Mähn' und Bein,

Dem eine Friesenstute gab das Leben

Mit einem Spanierhengste im Verein.

Hinaufspringt der Tatar zu kühnem Streben;

In feurigem Galoppe geht's landein;

Er schwört, vom Heer so lange zu verschwinden,

Bis er den schwarzen Ritter werde finden.


35.

Ihm kamen viel entgegen, die mit Bangen

Geflohen waren vor des Grafen Hand:

Dem war der liebe Sohn zugrundgegangen,

Dem vor den Augen Tod der Bruder fand.

Der feige, trübe Sinn noch auf den Wangen

Des bleichen Angesichts geschrieben stand:

Vom ausgestandnen Schrecken wie von Sinnen,

Gedrückt und stumm und blaß gehn sie von hinnen.
[297]

36.

Er ritt nicht weit und langt an einem schlimmen,

Unmenschlich grauenvollen Schauspiel an,

Das aber Zeugnis gab von jenen grimmen

Schwerthieben, die berichtet hat der Mann.

Er sieht die Leichen und, um zu bestimmen

Der Wunden Maß, legt er die Hand daran

Und fühlt, seltsamen Neid muß er ihm tragen,

Der alle jene Krieger hat erschlagen.


37.

Wie Bulldogg oder Wolf da, wo gelassen

Die Bauern haben ein geschlachtet Rind,

Bei Hörnern, Klauen nur und Knochenmassen,

Dran Hund und Vogel schon gesättigt sind,

Vorm Schädel steht, der nicht zum Schmaus will passen,

So starrt der grimme Mohr hier in den Wind:

Zu spät zur Mahlzeit kommt er, und mit Neide,

Flucht er im stillen, toll vor Wut und Leide.


38.

Den Tag und noch ein Stück vom andern Tage

Schaut sich der Ritter nach dem Schwarzen um;

Da sieht er eine Wies' an schatt'gem Hage:

Es schlingt ein tiefer Fluß sich so darum,

Daß nur ein Zugang bleibt in freier Lage;

Ganz andrer Richtung folgt die Linie krumm.

Unweit Otriculi ein Platz sich findet,

Den ähnlich so der Tiberstrom umwindet.


39.

Versammelt auf dem Pfad nach jener Wiese

Hat er bewehrter Reiter viel erblickt;

Weshalb so zahlreich sind erschienen diese,

Erführ' er gern, und wer sie hergeschickt:

Der Hauptmann gibt Bescheid, ihn macht der Riese

Befangen: Haltung, Kleidung goldgestickt

Und reich geschmückt mit köstlichen Juwelen

Vom hohen Stande dieses Herrn erzählen:
[298]

40.

»Es ist des Königs von Granada Wille,

Daß wir der Tochter dienen zum Geleit;

Sie hat – die Kunde bleibt noch in der Stille –

Den Königsherrn von Sarza jüngst gefreit.

Wenn heute, die man jetzt vernimmt, die Grille

Im Feld verstummt so um die Abendzeit,

Wird sie zum Spanierheer gebracht in Eile,

Zum Vater hin; sie schläft nun mittlerweile.«


41.

Er, dem nach Laune alle Welt muß bluten,

Denkt: Lassen wir die Probe die bestehn,

Ob hier mit schlechten Wächtern, ob mit guten

Die Königin von Sarza sei versehn!

»Schön ist sie wohl«, sprach er, »man kann's vermuten,

Doch mich gelüstet, selber es zu sehn.

Sollst hin mich führen oder nach ihr senden,

Denn ich muß gleich nach anderm Ort mich wenden.«


42.

»Du bist fürwahr ein wackrer Narr zu nennen«,

– Und sonst kein andres Wort – der Hauptmann sprach,

Als der Tatar schon kam in vollem Rennen,

Den Speer gesenkt, und ihm die Brust durchstach,

Ohn' in dem Panzer Hindernis zu kennen,

So daß der Spanier tot zusammenbrach.

Der Ritter eilt, den Speer zurückzuraffen,

Sonst bleiben ihm zum Kämpfen keine Waffen.


43.

Er führt nicht Schwert noch Keule, müßt Ihr wissen:

Als er bekam, was Hektor trug zuvor,

Sollt' er dabei des Hektor Schwert vermissen

Und mußte schwören (und getreu er schwor),

Bis er das Schwert dem Roland hab' entrissen,

Zieh' er im Leben nie ein Schwert hervor;

Nur Durendal, von Hektor einst getragen,

Dem Almont teuer, mehr als man kann sagen.
[299]

44.

Gar vielen, ob im Nachteil, trat entgegen,

Erfüllt von hohem Mute, der Tatar.

Er ruft: »Wer will die Straße mir verlegen?«

Und stürzt sich mit der Lanze in die Schar:

Der senkt den Speer, und jener zieht den Degen,

Umschlossen ist er plötzlich ganz und gar.

Doch eine Menge hat er totgestochen,

Bevor ihm jene Lanze wird zerbrochen.


45.

Jetzt wußt' er noch den großen Stumpf zu fassen:

Hei, wie er den in beide Hände nahm!

So viele Krieger hat er sterben lassen,

Kaum sah man einen Kampf so wundersam.

Wie Simson die Philister ließ erblassen,

Als er den Backen in die Hand bekam,

Zerspellt er Schild und Helm; und Roß und Reiter

Erschlägt mit einem Streich der wilde Streiter.


46.

Zum Tod die Armen um die Wette streben:

Wer fällt, der fällt, von dannen keiner schleicht;

Dem Sterben hat noch Bitternis gegeben

– Deucht ihnen – wie der Mensch den Tod erreicht:

's ist unerträglich, wenn das süße Leben

So durch ein Stück zerbrochen Holz entweicht

Und sie durch Prügel in den Tod gelangen,

In Haufen, just wie Frösche oder Schlangen.


47.

Doch als auf ihre Kosten klar geworden,

Es sei vom Übel, so zu sterben dort

(Zwei Drittel hat schon hingerafft das Morden),

Begannen allesamt zu fliehn vom Ort.

Nun duldet nicht der Fürst der Heidenhorden

(Als trage man sein Eigentum ihm fort),

Daß irgendwelche vom entsetzten Haufen

Vor ihm von dannen mit dem Leben laufen.
[300]

48.

Wie Stoppeln, die aus dürrem Boden stammen,

Und Rohr aus trocknem Sumpfe stand nicht hält

Vor Feuersglut mit Boreas zusammen

(Die klüglich hat der Ackersmann gesellt –

Seht, durch die Furchen laufen hin die Flammen

Und knisternd, platzend fahren sie durchs Feld –),

So hatten gegen Mandrikardos Gluten

Geringen Widerstand die Schwachgemuten.


49.

Nun keine Wächter mehr am Eingang stehen,

Dem schlecht bewahrten, in das Innre dringt

Er, eilt, auf frischem Graspfad hinzugehen,

Wo ein Gejammer und ein Klagen klingt,

Um sich die Königstochter anzusehen,

Ob man mit Recht von ihrer Schönheit singt.

Er schreitet auf den Leibern all der Toten,

Wo Krümmungen des Flusses Zugang boten.


50.

Inmitten grüner Au, im Laubgemache,

Lehnt Doralis – so hieß die Spanierin –

An einem Eschenstamm mit schatt'gem Dache

Und gießt in Klagen aus den trüben Sinn.

Die Tränenflut gleich einem raschen Bache

Rann perlend nach dem schönen Busen hin.

Es schien, als ob – das zeigten ihre Züge –

Sie Furcht für sich und Leid um andre trüge.


51.

Die Furcht nimmt zu, als ihrem Blick sich zeigen

Die finstren Brauen, wild, befleckt mit Blut;

Zum Himmel auf die Jammerrufe steigen

Von ihr und ihrer Schar ob seiner Wut.

Denn auch noch andre waren ihr zu eigen

Außer den Wächtern, ihr bestellt zur Hut:

Gereifte Alte, Mädchen viel und Frauen

Granadas, und die schönsten, die zu schauen.
[301]

52.

Als der Tatar die Reize dieser einen,

Die unerreicht in Spanien ist, erblickt

Und sieht, wie sie in Amors Netz mit Weinen

(Wie wär's mit Lachen erst!) das Herz verstrickt,

Möcht' er sich schier im Paradiese meinen,

Wenn ihn als Siegeslohn nur der erquickt:

Gefangen sein in ihren lieben Händen!

O, daß zu solchem Ziel sich Wege fänden!


53.

Nun, so weit ging er doch nicht im Verehren,

Auf ausgestandner Mühe Lohn Verzicht

Zu leisten, mag sie, als ein Weib, sich wehren

Mit Tränen und mit traurigem Gesicht.

Voll Hoffnung, Leid in eitel Lust zu kehren,

Ist er sie fortzuführen ganz erpicht,

Hebt auf ein Roß sie, einen weißen Schotten,

Und setzt ihn drauf in Trab – und einen flotten.


54.

Mädchen und Fraun und andre Dienstbereite,

Die mit ihr kamen aus der Heimat her,

Entließ er gnädig also in die Weite:

»Sie braucht nicht andere Gesellschaft mehr.

Ich bin ihr Herr, Verwalter und Geleite

Und Magd dazu; lebt wohl, ich danke sehr.«

Zu widerstehn, das durften sie nicht wagen,

So gingen sie, mit Seufzern und mit Klagen,


55.

Und sagten unter sich: »Wie wird voll Schmerzen

Der Vater sein, wenn ihm das Kind entwich!

Wie fühlt nun erst der Gatte Wut im Herzen!

Er rächt sich blutig wohl und fürchterlich!

O, käm' er doch, die Scharte auszumerzen

– Noch keine andre Not hier dieser glich –,

Daß frei das Kind des Königs Stordilan sei,

Bevor noch weiter fort der Weg getan sei!«
[302]

56.

Zufrieden mit dem großen Beuteteile,

Den ihm das Glück beschied und Tapferkeit,

Hat der Tatar jetzt nicht mehr solche Eile,

Den aufzufinden mit dem schwarzen Kleid.

Erst ging's im Flug, jetzt hat es gute Weile,

Er sinnt, wo wohl ein Obdach sei bereit;

Bequeme Stätte könnt' er trefflich brauchen,

Sein mächtig Liebesfeuer auszuhauchen.


57.

Inzwischen tröstet er die schmerzensreiche

Verhärmte und verweinte Doralis:

Schon lange hör' er, daß ihr keine gleiche,

So flunkert er und fabelt das und dies.

Die Heimat hab' er (samt dem blühnden Reiche,

Das keinem sonst der Größe Namen ließ)

Verlassen, nicht um Frankreich zu betrachten,

Nein, ihre schönen Wangen anzuschmachten.


58.

»Wenn Liebe sich durch Liebe läßt erringen,

Verdien' ich es; denn längst schon liebt' ich dich;

Wenn durch den Stamm, – wer kann sich höher schwingen?

Der mächt'ge Agrikan erzeugte mich.

Durch Macht, – wer kann mehr Land und Schätze bringen?

Nur Gott hat größeren Besitz als ich.

Durch Mut, – so hab' ich's, denk' ich, heut bewiesen:

Geliebt zu sein, verdien' ich auch durch diesen.«


59.

Die Worte und was sonst für Liebeszeichen,

Aus Amors Mund geraunt, der Ritter bringt,

Das Herz gar sänftlich trösten und erweichen,

Das immer noch mit leisem Bangen ringt.

Es flieht die Furcht; der Schmerz beginnt zu weichen,

Der ihr zur Zeit die Seele noch durchdringt.

Geduldiger, scheint sie daran zu denken,

Dem neuen Werber ein Gehör zu schenken.
[303]

60.

Auch gütiger ihm Antwort zu erteilen

Beginnt nun allgemach das schöne Kind;

Sie gönnt die hellen Leuchter ihm zuweilen,

Die schon in Mitleid fast entglommen sind,

So daß der Heide, neu von Amors Pfeilen

Getroffen, draus die Sicherheit gewinnt,

Geschweige Hoffnung, daß nicht alle Tage

Die Dame seinen Wünschen sich versage.


61.

Vergnügt, mit der Gesellschaft höchst zufrieden,

Die ihm gar angenehm erscheint und gut

(Nun schon die Zeit naht, da im Abendfrieden

Die Kreatur, zur Nacht sich bettend, ruht) –

Den Sonnenball sieht er schon halb geschieden –,

Trabt er jetzt rascher zu mit frischem Mut,

Da klingt ein Pfeifen- und Schalmeienreigen,

Und Rauch aus Hof und Hütte sieht er steigen.


62.

Der Hirten Häuser sind es, recht bescheiden,

Doch schicklich, mehr bequem als schön und fein.

Er, der die Herde hütet auf den Weiden,

Läßt alles sich so angelegen sein:

Es scheinen ganz zufrieden diese beiden:

Denn nicht in Stadt und Burg und Schloß allein,

Nein, nette Menschen gibt's in vielen Fällen

In Hütten auch, in Böden und in Ställen.


63.

Was sonst im Dunklen dort wohl noch geschehen

Vom Sohn des Agrikan und Doralis,

Kann ich mit rechter Klarheit selbst nicht sehen;

Der Meinung eines jeden lass' ich dies.

Doch da sie früh vergnügt von dannen gehen,

Denk' ich, ins gleiche Horn das Pärchen blies;

Und Doralis bedankte sich beim Hirten

Für seine Freundlichkeit, sie zu bewirten.
[304]

64.

Wie drauf das Paar von Ort zu Orte reitet,

Beut sich zuletzt ein schöner Fluß ihm dar,

Der schweigend, langsam hin zum Meere gleitet;

Er stehe still, vermeint man um ein Haar.

Wenn Licht hineinblickt, bis zum Grund verbreitet

Es sich hinab, so hell ist er und klar.

Am Rand, mit schattigem Gebüsch bestanden,

Zwei Ritter und ein Fräulein sich befanden.


65.

Jetzt führt mich Phantasie, die einem Pfade

Allein mich nicht will folgen lassen, fort,

Hin, wo der Mohren Kriegesheer gerade

Frankreich betäubt mit Lärm und Schreien dort,

Und wo der Sohn Trojans sinnt, daß er lade

Zum heißen Kampf des heil'gen Reiches Hort,

Und Rodomont ihm prahlend gibt zu hören,

Er werde Rom und auch Paris zerstören.


66.

Es kam zu Ohren König Agramante,

Daß die von England gingen übers Meer:

Drum holten den Algarven Abgesandte,

Marsil auch und die andren Führer her.

Zu rüsten galt es kräftig; man erkannte,

Paris zu überwältigen sei schwer.

Und starken Zuzug brauche man vor allen,

Sonst werde überhaupt die Stadt nicht fallen.


67.

Ringsum läßt nun der König Leitern bringen

(Man schleppt davon unzählige herbei)

Und Bretter, Balken mit Gezweig verschlingen,

Denn nützlich kann es sein für mancherlei,

Für Schiff' und Brücken; und vor allen Dingen

Will er, daß für den Sturm gerüstet sei

Die erst' und zweite Schar: in deren Mitten

Komm' er dann selbst zum Sturme mitgeritten.
[305]

68.

Am Tag, bevor das Schlachten soll beginnen,

Hält man bei Karl im eingeschlossnen Kreis

Hochamt und Messen für die Scharen drinnen

Durch Priester, Brüder schwarz und grau und weiß.

Man hört die Beichte drauf, durch sie entrinnen

Wir ja dem Feind im Höllengrunde heiß,

Und alle, absolviert, kommunizieren,

Als gält' es, bald das Leben zu verlieren.


69.

Er selbst mit Paladinen und Baronen

Und Fürsten geht zum höchsten Tempel hin,

Um fromm der heil'gen Handlung beizuwohnen;

Sein Beispiel lenkt zugleich der andren Sinn.

Den Blick gewandt nach himmlischen Regionen,

Spricht er: »Ich weiß, Herr, daß ich Sünder bin;

Doch räch' es nicht in deiner Lieb' und Gnade,

Daß nicht mein Fehler deinem Volke schade!


70.

Und ist's unmöglich, daß dein Zorn sich wende,

Und muß es Strafe dulden – ach, gerecht! –,

Dann werde nicht durch deiner Feinde Hände,

Nein, später irgendwie, die Schuld gerächt.

Denn wenn der Heide uns erschlagen fände,

Die deine Diener heißen, im Gefecht,

Höhnt er: ihm könne nichts durch dich geschehen,

Weil du die Deinen lassest untergehen.


71.

Und wo dir einer Feindschaft hat getragen,

Da werden's hundert durch die Welt jetzund,

Bis Babel deinen Glauben wird verjagen

Und falsche Lehre richtet ihn zugrund.

Hilf deinem Volk und laß es nicht verzagen;

Es hat dein Grab gesäubert ja vom Hund,

Dem schlechten, und durch heil'ge Stellvertreter

Schützt es die Kirche gegen Missetäter.
[306]

72.

Unser Verdienst – ich weiß – kann nicht genügen:

Dem ›Soll‹ genüber ist es viel zu klein;

Wir können nicht mit Hoffnung uns belügen,

Betrachten wir hier unser Tun allein;

Doch will die Gnade noch dazu sich fügen,

Dann erst wird unsre Rechnung klar und rein.

Weil wir Erinnrung deiner Huld uns gönnen,

An deiner Hilfe wir nicht zweifeln können.«


73.

So sprach der fromme Kaiser schmerzzerrissen,

Mit trübem Herzen und zerknirschtem Mut.

Noch andres zu erflehn war er beflissen,

Der Not entsprechend, für des Reiches Hut.

Heißes Gebet soll nicht Erfüllung missen:

Sein bessrer Engel nimmt's und trägt es gut

Als Schutzgeist himmelwärts auf seinen Schwingen,

Es dem Erlöser oben darzubringen.


74.

Noch viel' in diesem Augenblick gelangen

Durch solche Boten hin zu Gottes Reich;

Als sie ans Ohr der lieben Sel'gen klangen,

Von Mitleid färbte sich ihr Antlitz bleich,

Worauf sie in den ew'gen Bräut'gam drangen

Und ihren Wunsch ihm zeigten alsogleich,

Daß doch dem Christenvolk dort auf der Erde

Die Bitt' erfüllt und ihm geholfen werde.


75.

Die ew'ge Güte, die noch stets erreichen

Gebete, treuen Herzens ausgesandt –

Mitleid'ge Augen hebend, macht ein Zeichen

Zum Engel Michael hin mit der Hand

Und spricht: »Zum Christenheer sollst du entweichen,

Vor Anker liegt es am Picardenstrand;

Zur Mauer von Paris sollst du's geleiten,

Von Feinden unbemerkt an seinen Seiten.
[307]

76.

Geh hin zunächst und sage du dem Schweigen,

Zu jenem Zuge soll es mit dir gehn;

Denn es vermag am besten ja zu zeigen,

Womit man sich am besten muß versehn.

Wenn das geschehn ist, sollst du niedersteigen

Und zu dem Aufenthalt der Zwietracht gehn;

Sie nehme Schwamm und Stein sogleich zusammen,

Im Mohrenheer das Feuer zu entflammen«


77.

Und unter just die Tapfersten von allen

Dort Zank zu streuen, Zwiste mancherlei,

Daß sie nicht fürder kämpfen, manche fallen

Und der verwundet, der gefangen sei

Und der das Feld verlass' in Zorneswallen;

Dann stehe bloß ein Teil dem König bei.

Der Engel, ohne nur ein Wort zu sprechen,

Beeilt sich, gleich vom Himmel aufzubrechen.


78.

Und wo der Bote mag die Schwingen breiten,

Da fliehn die Nebel, und der Himmel lacht;

Strahlen umringen ihn von allen Seiten,

So wie die Blitze leuchten in der Nacht.

Wo es geboten sei, hinabzugleiten,

Das zu bedenken hat der Engel acht,

Um sichrer, nach des ersten Auftrags Zwecken,

Den Feind gesprochner Worte zu entdecken.


79.

Wo wohnt, wo weilt er? – fragen die Gedanken,

Und diesen Schluß die Überlegung bringt:

Er muß sein Heim dem Priester, Mönch verdanken;

Im Kloster ihn zu finden wohl gelingt:

Dort setzt man dem Gespräch ja strenge Schranken,

Und überall, wo man die Psalter singt,

Auch wo man schläft und ißt, steht »Schweigen« immer,

Und »Schweigen« schließlich noch in jedem Zimmer.
[308]

80.

Dort such' ich, denkt der Engel, in den Zellen,

Und regt den Fittich eiliger jetzund;

Auch Friede, Ruhe, Liebe, sie gesellen

Mit Frömmigkeit sich jenem heil'gen Bund.

Doch kaum betritt er die geweihten Schwellen,

So sieht er sich enttäuscht, und aus dem Grund:

Hier weilt das Schweigen nicht; es ward vertrieben,

Wohl findet man es dort, doch nur – geschrieben!


81.

Er sieht nicht Ruhe, Demut nicht noch Frieden

Und sieht nicht Liebe, sieht nicht Frömmigkeit.

Sie waren einst, doch sind sie längst geschieden:

Vor Schlemmerei, Stolz, Grausamkeit und Neid,

Vor Faulheit und vor Zorn den Platz sie mieden.

Der Engel staunt, der Wechsel schuf ihm Leid.

Er schaut die arge Schar mit trüben Mienen

Und sieht nun auch die Zwietracht unter ihnen,


82.

Nach der er – den Befehl nicht zu vergessen,

Der ihm gegeben durch des Ew'gen Wort –

Den Weg hin zum Avernus wollte messen,

Im Wahn, sie sei bei den Verdammten dort:

Sie fand er hier bei heil'gem Amt und Messen

– Wer glaubt es nur! – an neuem Höllenort!

Wie seltsam schien's, daß er hier finden sollte,

Nach der er weite Wege machen wollte.


83.

Er kannte sie am Kleid aus Lappenflecken,

Ungleich sind hundertfarbig anzusehn,

Die bald den Körper zeigen, bald bedecken

(Sie sind zerfetzt), im Winde und beim Gehn.

Die Haare, die – man meint – sich feindlich necken,

Goldfarben, silbern, schwarz und graulich wehn;

Die sind als Flechten, die als Schopf gebunden,

Die frei um Schultern und um Hals gewunden.
[309]

84.

Von Klageschriften voll sind Brust und Hände;

Da gibt es Vollmacht, Ladung, Kommentar

Mit Protokollen, Bündeln ohn' ein Ende;

Rechtsglossen, Rat, Erklärung nimmt man wahr,

Daß kein Besitztum sich gesichert fände

Von armen Schelmen in der Bürgerschar.

Und vor ihr, hinten und zur Seite waren

Sachwalter, Advokaten mit Notaren.


85.

Der Engel ruft und heißt sie niedersteigen

Hin zu den Mächtigsten im Mohrenheer:

Dort möge sie Gelegenheiten zeigen,

Wo Zwist entbrenne mannigfach und schwer.

Drauf fragt er noch die Zwietracht nach dem Schweigen:

Vielleicht, weil sie so weithin schweif' umher,

Um hier und dort die Feuer zu entzünden,

Vermöge sie den Aufenthalt zu künden.


86.

Die Zwietracht sprach: »Ich sah's auf meinen Reisen,

Soweit ich mich besinn', an keinem Ort.

Wohl hört' ich's nennen oft und höchlich preisen

Als schlau, denn es vermeidet jedes Wort.

Vielleicht kann dir's der Unsern einer weisen,

Der ihm sich schon gesellt hat hier und dort,

Der Trug –«; sie läßt den Finger sich erheben

Und zeigt auf einen: »Diesen mein' ich eben.«


87.

Sein ehrbar Antlitz konnte schier bestechen:

Demüt'ger Augenaufschlag, würd'ger Gang!

Dazu so freundlich und bescheidnes Sprechen,

Wie Gabriels des Engels Gruß es klang.

Sonst war er häßlich, widrig, voll Gebrechen,

Doch barg er alles unterm Mantel lang,

Und immer unter diesem weiten Kleide

Trug er den Dolch vergiftet in der Scheide.
[310]

88.

Der Engel fragt: »Wie mag es sich verhalten

Wohl mit dem Weg zum Sitz des Schweigens hin?« –

»Es pflegte sonst«, sprach Trug, »sich aufzuhalten

Bei lauter Tugenden im Kloster drin,

Als noch Sankt Benediktus' Regeln galten;

Es ging nach ihm und nach Elias' Sinn;

Auch durch die Schulen sah man's früher schreiten,

Zu des Pythagoras, Archyta Zeiten!


89.

Seit Heiligkeit und Weisheit ward vertrieben

– Die hatten seines rechten Weges acht –,

Ist's bei der Ehrbarkeit nicht mehr geblieben,

Hat zum Verbrechen hin den Sprung gemacht:

Ging nachts mit Buhlen und sodann mit Dieben

Und übte schließlich jede Niedertracht;

So ist es dem Verrat vertraut geworden,

Und häufig sah ich's auch bei Menschenmorden.


90.

In dunklem Loche hält es sich verschlossen

Da, wo man falsches Geld zustande bringt,

Und ändert oftmals Wohnsitz und Genossen;

Nur wem Fortuna lächelt, zu ihm dringt.

Doch wenn, sobald die Mitternacht verflossen,

Dir Eingang in das Haus des Schlafs gelingt,

In dem es ruht, so kann ich mich verbinden,

Du wirst es dort ganz ohne Zweifel finden.«


91.

Wenn auch des Truges Reden meistens lügen,

Hielt Michael für Wahrheit jetzt sein Wort.

Nun schien es Zeit, daß ihn von dannen trügen

Die Schwingen mählich, von dem Kloster fort.

Den Flugschlag mäßigt er zu langen Zügen,

Dann winkt das Ziel zur rechten Stunde dort.

Er kannte längst des Schlafes stille Klause,

Dort, hört er, ist das Schweigen jetzt zu Hause.
[311]

92.

Von Stadt und Dörfern fern, in schöner Lage

Ruht in Arabien ein schönes Tal

In Bergesschatten und mit dichtem Hage

Von Tannen, Buchen stark und alt zumal.

Die Sonne kommt umsonst mit hellem Tage:

Nicht in das Dunkel dringt ihr lichter Strahl;

Der Weg ist ihr versperrt von vielen Zweigen,

Man muß zu einer Höhle niedersteigen


93.

Und tief in eine weite Grotte dringen,

Verdeckt von dunklem Wald am Felsenhang;

Schmiegsamen Efeus Ranken kraus sich schlingen,

Er kriecht gewundnen Schritts die Wand entlang.

Der Schlaf liegt hier, die Stunden zu verbringen,

Feist und behäbig sitzt der Müßiggang

Und, gegenüber, Faulheit auf der Erde

– Sie kann nicht gehn – mit lässiger Gebärde.


94.

Gedankenlos am Tor steht das Vergessen:

Keinen erkennt es, keinen läßt es ein;

Es kann nicht Botschaft noch Bericht ermessen;

Gleich ausgeschlossen muß ein jedes sein.

Das Schweigen spielt den Wächter unterdessen,

Filzschuhe sind und brauner Mantel sein.

Wen es nur trifft, dem winkt es schon vom weiten

Mit seinen Händen, nicht heranzuschreiten.


95.

Der Engel sagt ihm leise in die Ohren:

»Gott will, daß du Rinaldos Heeresmacht,

Die seinem Herrn zur Hilf' er hat erkoren,

Führst auf Paris zu noch in dieser Nacht,

Jedoch so still, daß keinem von den Mohren

Ruf oder Laut das Nahen kenntlich macht;

Fama zu holen, möge keinem glücken;

Dem Heere folge sie vielmehr im Rücken!«
[312]

96.

Als Antwort ward ein Nicken ihm zuteile;

Das hieß, es sei zum Werke schon bereit,

Die Picardie zeigt' sich nach einer Weile;

Der Engel gab dem Schweigen das Geleit.

Er schenkte dort den kühnen Scharen Eile:

Sie machen großen Weg in kurzer Zeit,

Daß sie an einem Tag Paris erreichen,

Und merken nicht das Wunder ohnegleichen.


97.

Das Schweigen ging und ließ nun über allen,

Den einzlen Haufen und der ganzen Schar,

Rings in der Runde tiefe Nebel wallen,

Derweil doch sonst ein klarer Tag es war;

Beim Nebel hörte man kein Hörnerschallen,

Kein Ruf, kein Ton bot sich dem Ohre dar.

Dem Heidenheer das Schweigen andres brachte,

Ich weiß nicht was, das taub und blind es machte.


98.

Indes Rinald sich so geschwind bewegte,

Daß man des Engels Führung gleich ersah,

So still, daß für die Heiden nichts sich regte

Und keiner ahnte, was beim Feind geschah,

War Agramant nicht träg; sein Fußvolk legte

Er bei Paris dem Fuß der Mauern nah.

Bis an der Gräben Rand schickt er die Leute,

Die Kräfte anzuspannen gilt es heute.


99.

Wer sagen will, wieviele ausgezogen

Sind an dem Tag mit König Agramant,

Der hat die Zahl der Halme, die da wogen

Auf wald'gem Kamm des Apennins, gekannt

Und weiß zu melden, wieviel Meereswogen

Des Atlas Fuß bespülen an dem Strand

Und wieviel Augen wach am Himmel bleiben,

Zu schaun, was nachts Verliebte heimlich treiben.
[313]

100.

Mit raschen Schlägen laut die Glocken schallen,

Erschreckend dröhnt ihr Hammer in der Rund';

Wo man nur hinblickt, in den Tempeln allen

Sieht man erhobne Hand und flehnden Mund.

Und könnten Schätze Gott so wohlgefallen,

Wie Unverstand es meint in mancher Stund',

So fände sich ein beßrer Tag mit nichten,

Sein golden Bildnis übrall zu errichten.


101.

Man hört die guten Alten jammernd weinen,

Verschont zu sein von solcher schweren Not;

Sie singen Lob den heiligen Gebeinen,

Die in der Erde viele Jahre tot,

Derweil's die rüst'gen Jungen anders meinen:

Die, nimmer ahnend, welch ein Unheil droht,

Der Ältern Weisheit leichten Sinns verachten

Und eil'gen Schrittes nach den Mauern trachten.


102.

Barone, Paladine sind mit denen,

Und Könige, Fürsten, Grafen, edle Herrn;

Einheimische und Bürger dicht bei jenen,

Die für Herrn Christus kamen aus der Fern'.

Sie wünschen Angriff auf die Sarazenen

Und senkten schon des Tores Brücken gern.

Der Kaiser freut sich, sie so kühn zu sehen,

Doch aus den Mauern läßt er keinen gehen.


103.

Die Wacht der nöt'gen Plätze gab er ihnen,

Und keinen Weg läßt er dem Feinde frei.

Genügend hier schon ein paar Leute schienen,

Und dort bedurft' es großer Kompanei.

Die schickt er zum Geschütz, und die bedienen

Maschinen, wie's gerade nützlich sei.

Nie steht er still, er schaut nach allen Dingen,

Hier Schutz zu spenden, Hilfe dort zu bringen.
[314]

104.

Paris ist einem ebnen Plan entsprossen,

Den Frankreichs Nabel, auch sein Herz man nennt.

Der Fluß hat durch die Mauern sich ergossen,

Sie zu verlassen an dem andern End'.

Ein Eiland wird vorher von ihm umflossen,

Das man als Stadtteil – und den besten – kennt.

Zwei andre – ihrer drei ja sind es – haben

Den Fluß als Grenze und sodann den Graben.


105.

Verschiedne Meilen streckt sich in die Weite

Die Stadt, die manchen Punkt zum Angriff beut,

Doch stürmen will der Mohr von einer Seite,

Weil er nicht gern die Kriegesmacht zerstreut:

Drum geht er übern Fluß zurück zum Streite;

Von dort her, aus dem Westen, stürmt er heut,

Denn bis nach Spanien gibt's nicht Land noch Städte,

Die er als feindlich noch im Rücken hätte.


106.

Was nur die großen Mauern rings umschließen,

Hat Karl mit starken Werken wohl bedacht:

Damit die Dämme keine Lücken ließen,

Sind Gänge drin und Bauten angebracht;

Wo Wellen münden und von dannen fließen,

Da halten Ketten allerstärkste Wacht.

Jedoch die größte Sorgfalt ließ er walten,

Wo irgend Stellen für gefährdet galten.


107.

Mit Argusaugen Karl sofort erkannte,

Wo Sturm und sonst ein Angriff etwa drohn,

Und keinen Plan ersann Fürst Agramante,

Dem nicht begegnet wäre früher schon.

Mit Ferragu, Grandon und Baligante,

Mit Serpentin, Isolier, Falsiron

Und denen, die aus Spanien kommen waren,

Hielt Herr Marsil zum Kampf bereit die Scharen.
[315]

108.

Sobrin mit Almont und Pulian indessen

Hält auf dem linken Strand der Seine sich

Mit Orans König, den sechs Ellen messen

Von Kopf zu Fuß, dem Riesen fürchterlich.

Was bin ich, ach, aufs Schreiben nicht versessen,

Wie jene Leute sind auf Hieb und Stich!

Denn laut flucht Sarzas Fürst mit wilder Stimme,

Er ist aus Rand und Band vor Wut und Grimme.


109.

Wie auf den Rest von süßen Speisestücken

Hinstürmen dicht an heißem Sommertag

Und auf des Hirten Töpfe läst'ge Mücken

Mit surrndem Ton und rauhem Flügelschlag,

Wie Stare auf den Weinberg, um zu pflücken,

Was sich an reifen Trauben finden mag,

Also zum Angriff wilde Mohren schwirren:

Der Himmel dröhnt von Schrein und Waffenklirren.


110.

Die Christen oben auf der Mauer wehren

Mit Stein und Feuer sich und Lanz' und Schwert.

Sie schützen ihre gute Stadt mit Ehren,

Und keiner an der Feinde Wut sich kehrt;

Wo einer fiel von Pfeilen oder Speeren,

Den Platz zu nehmen keiner feig verwehrt:

Viel Sarazenen in den Gräben blieben,

Hinabgestürzt von Stichen und von Hieben.


111.

Nicht Eisen nur, nein ganze Turmeszinnen,

Mächtige Klötz' und Steine braucht man gut,

Und Blöcke, losgelöst von Mauern drinnen,

Auch Mauerkranz und Dach hier Dienste tut.

Siedende Wasser, die herniederrinnen,

Schaffen den Mohren qualenvolle Glut,

Es will kein Schutz vor solchem Regen taugen;

Er dringt durch jeden Helm und trübt die Augen.
[316]

112.

Und dies noch schuf vielleicht den schlimmsten Schaden:

Was tun, wenn Kalk sich senkt als Nebelmeer?

Was tun, wenn glühnde Schalen sich entladen

Mit Öl und Pech und Harz und Schwefel schwer?

Kranzreifen rasten nicht: in ganzen Schwaden

Von Feuerflammen fliegen sie daher;

Hinabgeschleudert nach verschiednen Seiten,

O, wie sie bösen Kranz dem Feind bereiten!


113.

Der Fürst von Sarza unterdessen reitet

Hin zu der Mauer mit der zweiten Schar:

Von Burald wird er und Ormid begleitet

(Der Garamant, der aus Marmonda war).

Clarin wie Soridan zur Seit' ihm streitet,

Auch Settas König zeigt sich kühn fürwahr:

Marokkos Herr und der von Cosca zeigen,

Ein hoher Mut ist ihnen beiden eigen.


114.

Das rote Banner sieht man sich bewegen,

Das Rodomonts von Sarza Löwen bringt,

Der nicht verschmäht, die Zügel anzulegen,

Die seine Dam' ihm in den Rachen schlingt.

Mit diesem Löwen meinte sich der Degen.

Und mit der Dame, die ihn zäumt und zwingt,

Die schöne Doralis bezeichnen mocht' er,

Des Königs von Granada holde Tochter,


115.

Dieselbe, die Fürst Mandrikard begehrte –

Und an sich nahm, ich sagte, wo und wann –,

Die Rodomont so feurig liebt' und ehrte:

Er gäbe Krone, Reich und Augen dran,

Für die er hohe Ritterschaft bewährte –

Er ahnt nicht, daß ein andrer sie gewann.

Hätt' er's gewußt, so tat er – wehe, wehe! –

Was ich an diesem Tage tun ihn sehe.
[317]

116.

Dort an der Mauer tausend Leitern lehnen,

Auf jeder Staffel mindestens zwei Mann:

Der zweite treibt den ersten Sarazenen,

Derweil ihn selbst der dritte zwingt voran.

Den führt der Mut, und blasse Furcht führt jenen,

Und mit Gewalt klimmt jeder dort hinan:

Wo einmal einer wirklich zaudern konnte,

Da tötet ihn der grimme Rodomonte.


117.

So zwingt sich jeder Mann, emporzusteigen;

Durch Feuer und Vernichtung geht's hinauf.

Die andern all sich mehr behutsam zeigen

Und schaun: tut eine Lücke wohl sich auf?

Lust an Gefahr ist Rodomont nur eigen:

Er weilt, wo das Verderben dringt herauf;

Wo andre betend Gottes Hilfe suchen,

In schwerer Not, hört man ihn Gott verfluchen.


118.

Als starken, festen Panzer trägt er Lagen

Von eines Drachen schuppenreicher Haut,

Die einst um Brust und Rücken hat getragen

Der Ahnherr, der da Babel hat gebaut

Und Gott aus seinem goldnen Saal zu jagen

Und aus dem Sternenreich vermaß sich laut.

Vollkommen ließ zu diesem Zweck der Wilde

Den Helm sich schmieden samt dem Schwert und Schilde.


119.

Wie Nimrod kann man Rodomont hier sehen

Unbändig, wütend, stolz und unverzagt:

Zum Kampfe mit dem Himmel wird er gehen,

Sobald ihm einer nur die Straße sagt.

Ob ganz die Mauern, ob zerstückt sie stehen,

Ob tief die Flut, wird nie von ihm gefragt:

Er eilt, nein, fliegt zum Graben; auf dem Grunde

Im Schlamme geht er, Wasser bis zum Schlunde.
[318]

120.

Durchweicht und schmutzig, drängt er nach den Mauern

Durch Feuer und Geschoß von Pfeil und Stein,

Wie im Mallea-Sumpf zum Schreck der Bauern

Durchs Röhricht kommt gerast das wilde Schwein,

Das, wo es geht, mit Rüssel, Brust und Hauern

In alles mächt'ge Lücken reißt hinein.

Er sucht den Schild als Schutzdach zu verwenden,

Gott böt' er Trotz, geschweige Mauerwänden.


121.

Im Trocknen kaum, schon auf der Mauer Rücken

Und auf die Bauten dann klomm er hinauf,

Die für die Frankenscharen dort als Brücken

Am Wall, hoch und geräumig, strebten auf:

Zerspellt lag manche Stirne hier in Stücken,

Tonsuren schafft er einen ganzen Hauf;

Es fliegen Arm' und Köpfe mit dem Hut hin,

Und auf der Mauer rinnt die rote Flut hin.


122.

Er läßt den Schild – das Schwert in beiden Händen,

Dringt er jetzund auf Herzog Arnulf ein.

Der kam vom Land, wo in der Meerflut enden,

Der salzigen, die Wogen aus dem Rhein.

Er ist nicht stärker, Unheil abzuwenden,

Als gegen Feuer mag der Schwefel sein.

Er stürzt und haucht am Boden aus die Seele,

Das Haupt durchspalten tief herab zur Kehle.


123.

Der Heide fällt darauf mit einem Streiche

Adrad, Anselmo, Spinellotsch und Prand,

Dieweil sein Schwert hier Beute, überreiche,

Durch engen Platz und Menschenfülle fand.

Die eine Hälfte kam vom Vlamenreiche,

Die andre Hälfte vom Normannenstrand.

Orgett, der Mainzer, ist sodann zu schauen,

Vom Kopf zu Brust und Bauch hinab durchhauen.
[319]

124.

Moskin und Andropon wirft von den Zinnen

Er drauf hinab: ein frommer Priester der;

Der Wein nur ist des andern ganzes Sinnen,

Führt er den Krug zum Mund, ist er schon leer,

Vorm Wasser flieht er wie entsetzt von hinnen,

Als ob es giftig wie die Viper wär'.

Er stirbt; und bittrer macht den Tod dem Prasser,

Daß er sich sterben fühlt in schnödem Wasser.


125.

Der Provenzale Louis wird vom Riesen

Zerspalten, und durchbohrt sinkt hin Arnald.

Hubert von Tours, Claud, Hugo, Dionysen

Macht er die Seele frei, die Leiber kalt.

Vier aus Paris gesellten sich zu diesen,

Gautier, Satallon, Odo, Arobald,

Und andre viel durch ihn ums Leben kamen,

Ich kann nicht nennen aller Heim und Namen.


126.

Auf Leitern hinter Rodomonte dringen

Sie nun hinauf, an mehr als einem Ort.

Abwehr kann hier den Christen nicht gelingen,

Drum von der Mauer weichen sie jetzt fort.

Der Feind muß drinnen vieles noch vollbringen;

Fürwahr, kein Kinderspiel harrt seiner dort:

Denn zwischen Wall und zweitem Ringe haben

Die Mohren vor sich grausen, tiefen Graben!


127.

Nicht nur von unten kämpfen mittlerweilen

Die Unsern mutig, nach der Höh' gewandt,

Auch neue Scharen helfen jetzt, sie eilen

Hin nach des innern Abhangs steilem Rand

Und leisten brav mit Lanzen und mit Pfeilen

Der großen Menge draußen Widerstand.

Ich glaube wirklich, diese wär' erlegen

Ohne den Sohn Uliens, den grimmen Degen:
[320]

128.

Die Widerwill'gen macht er kampfbereiter

Und treibt durch Zuspruch sie und Scheltwort an:

Sieht er zur Flucht gewendet einen Streiter,

Kopf oder Brust zerhaut er dann dem Mann;

Er rückt und stößt sie vor, zu fechten weiter,

Reißt sie an Haaren, Hals und Arm voran

Und macht von Leichen solch ein dicht Gedränge:

Der Graben ist für alle schier zu enge.


129.

Derweil die Mohren hier hinunterdringen –

Nein, taumeln, stürzen auf den schlimmen Grund –

Mit Leitern suchen sie emporzudringen

Zum zweiten Kreis hin über diesen Schlund –,

Sieht man den Sarzakönig – ob ihm Schwingen

Allüb'rall wüchsen – vorn vom Rand jetzund

Trotz mächt'gen Leibes und so schwerer Waffen

Zum Sprunge übern Graben auf sich raffen.


130.

Hinüber sprang er, gleich geschmeid'gem Hunde

(Es waren dreißig Fuß so ungefähr),

Und lauter klang sein Fuß nicht auf dem Grunde,

Als ob es eine Sohl' aus Filze wär'.

Die drüben streckt er hin in dieser Stunde,

Als sei von schwachem Blech die Rüstung schwer

Oder aus Borke gar und nicht aus Eisen:

So mächtig Kraft und Waffen sich erweisen.


131.

Inzwischen haben unsre Krieger Fallen

In tiefem Höhlengrunde aufgespannt,

Versehn mit Reisigbündeln nach Gefallen,

Mit Pech geschmiert und sonst noch allerhand.

Doch merkt man äußerlich nichts von dem allen,

Obschon vom hohlen Innern bis zum Rand

Das Pech das Ganze füllt die Quer und Länge,

Und flacher Schalen haben sie die Menge
[321]

132.

Mit Öl, Salpeter, Schwefel – was es geben

An Stoffen mag, zu schaffen Feuers Graus.

Die Unsern sehen auf das tolle Streben –

Daß es den Mohren schlage übel aus

(Die suchten auf die Zinne sich zu heben

Mit vielen Leitern aus dem Sumpf heraus),

Läßt man, da Zeichen den Moment verkünden,

Auf einmal alle Feuer sich entzünden.


133.

Die Einzelfeuer schließen sich zusammen

Und zünden rings die beiden Ufer an

Und steigen hoch empor, daß an den Flammen

Der Mond den feuchten Busen trocknen kann*.

Und Nebel schwarz dem Glutenmeer entstammen,

Der Strahl der Sonne dringt umsonst heran –

In jähem Knall ein gräßlich Krachen, Schmettern,

Wie Donner bei den fürchterlichsten Wettern!


134.

Der Jammerrufe grauenvollem Schallen,

Dem Heulen und dem Kreischen schauerlich

Von jenen todgeweihten Armen allen,

Die ihres Führers Schuld vom Leben strich,

Vermählt, als stimm' es ein mit Wohlgefallen,

Mördrischer Flamme wildes Tönen sich. –

Genug, Herr! Laßt zum Schlusse mich gelangen:

Bin heiser schon und trag' nach Ruh' Verlangen.[322]

Quelle:
Ariosto, Ludovico: Der rasende Roland. In: Sämtliche poetischen Werke, Berlin 1922, Band 2.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Der rasende Roland
Die Historia vom Rasenden Roland
Ludovico Ariosts Rasender Roland nacherzählt von Italo Calvino

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