Zweiunddreissigster Gesang

[28] 1.

Vom Argwohn – fällt mir ein – dacht' ich zu sagen

(Ich hatt's versprochen und vergaß es dann),

Der die betrübte Dame kommt zu plagen,

Wie sie auf Roger harrt, den teuren Mann,

In ihre Brust noch schärfern Zahn zu schlagen

Und giftigern, als der Verdacht es kann,

Der ihr die Seele peinigt und vernichtet

Nach dem, was Richardet ihr hat berichtet.


2.

Das wollt' ich – und fing andres an zu singen,

Weil plötzlich sich Rinald zur Stelle fand,

Und Guido kam dazu mit manchen Dingen,

Der eine Weil' ihm dort im Wege stand.

Kurz, eines mußte stets das andre bringen:

Ich dachte nicht der holden Bradamant.

Jetzt denk' ich ihrer, will sie mir erwählen,

Dann von Rinald Euch und Gradaß erzählen.


3.

Zuvor jedoch leg' ich noch etwas heute

Vom Heidenkönig Agramante dar:

Er hat nach Arles geführt den Rest der Leute,

Der ihm seit jener Nacht geblieben war.

Gut ist der Platz, das Volk hier, das zerstreute,

Zu sammeln, auch Proviant und neue Schar;

Geschützt gelegen an des Flusses Rande:

Nah sind von Spanien, Afrika die Lande.
[29]

4.

Marsil sucht Mannschaft rings auf allen Pfaden,

Gut oder schlecht, wie sich's gerade stellt;

Rüstet zu Barcelon an Meergestaden,

Was ihm an Schiffen in die Hände fällt.

Zum Kriegsrat wird tagtäglich jetzt geladen:

Herr Agramant scheut Mühe nicht noch Geld.

Auf Libyens Städte – ohne je zu rasten –,

Legt er der Steuern viel und schwere Lasten.


5.

Umsonst, des Helden Rückkehr zu erreichen,

Bot er sein Bäslein an dem Rodomont

(Mitsamt Oran, dem großen, schönen, reichen),

Ein holdes Kind, die Tochter des Almont.

Von seinem Platz am Brückchen dort zu weichen,

Den stolzen Mohren nichts bewegen konnt'.

Und viele Waffen nahm er schon den Recken;

Er könnte dort den Fels damit bedecken.


6.

So hielt's Marfisa nicht: als sie erfahren,

Wie sich gestaltet hat der Dinge Lauf,

Daß viel im Mohrenheer gefallen waren,

Gefangen noch dazu ein großer Hauf,

In Arles der König mit geringen Scharen, –

Da bricht sie, ohne Ladung, eilig auf,

Um Kron' und Reich nach ihrer Kraft zu nützen,

Mit Gut und Blut den Herrn zu unterstützen,


7.

Und macht ihm ein Geschenk noch mit Brunellen,

Der gegen ihn ja niemals sich verging;

Zehn Tag' und Nächte hielt sie den Gesellen,

Der schon vor Angst im Geist am Galgen hing.

Als kein Verteidiger sich wollte stellen,

Sei's bittend, kämpfend –, schien ihr zu gering

Sein Blut: sie wollte sich mit ihm nicht schänden

Und ließ ihn frei aus ihren stolzen Händen,
[30]

8.

Erließ ihm all die alten schweren Sünden

Und nahm ihn mit nach Arles zu Agramant.

Als nun die Heldin kam, sich ihm verbünden,

Denkt Euch, ob er wohl Jubel drob empfand?

Wie er sie hochhielt, wollt' er gern ihr künden,

Und zum Beweis war hier Brunel zur Hand.

Was ihm zu tun sie früher nur gedachte:

Ihn aufzuhängen, war, was er vollbrachte.


9.

Er ließ den Wicht an einsam wilder Stätte

Als Speise für den Raben und den Aar.

Roger, der ihm den Hals gerettet hätte

Und früher schon einmal sein Schützer war,

Lag krank – durch Gottes Zorn – in seinem Bette,

Unfähig, ihm zu helfen in Gefahr.

Als er's erfuhr, war alles schon vorüber;

Ohn' allen Beistand ging Brunel hinüber.


10.

Und Bradamant indessen klagt' und grollte,

Daß also lang die zwanzig Tage sei'n,

Nach denen Roger wiederkehren sollte

Zu ihr, und zu der Treue obendrein.

Nie dem Gefangnen, dem Verbannten rollte

Die Stunde träger hin, die ihn befrein

Soll und der teuren Heimat wiedergeben

Oder dem süßen ungebundnen Leben.


11.

Zu lahmen scheinen ihr und stillzustehen

Athon, Pyroïs oft in dieser Zeit,

Oder das Rad entzwei; denn sich zu drehen

Säumt's über das Gewohnte – meint sie – weit;

Der Tag so lang wie, da zum Himmel gehen

Der Jude durfte der Gerechtigkeit,

Lang wie die Nacht, drin Herkules gemacht ward,

Fortan ihr jeder Tag und jede Nacht ward.
[31]

12.

Wie hat sie oft beneidenswert gefunden

Das Murmeltier und den verschlafnen Bär!

Sie möchte schlafen, schlafen all die Stunden,

Die ganze Zeit erwachen nimmermehr,

Nichts hören, bis von Roger sie entwunden

Endlich dem trägen, langen Schlummer wär'.

Doch weit entfernt, bis dahin es zu bringen,

Kann sie auch nicht ein Stündchen Schlaf erzwingen;


13.

Nein, hin und her wälzt sie die schlanken Glieder

Auf läst'gem Flaume, findet Ruhe nicht

Und öffnet dann das Fenster hin und wieder,

Um auszuschaun, ob vor dem Morgenlicht

Wohl Tithons Gattin Rosen streut hernieder

Und Lilien weiß, und durch das Dunkel bricht.

Und kam der Tag, wünscht sie den nächt'gen Himmel

Lieber zu sehn, mit seinem Sterngewimmel.


14.

Als es vom Zeitpunkt sind noch vier, fünf Tage,

Von Stund' zu Stunde harrt sie früh wie spat,

Der Hoffnung voll, daß man ihr Botschaft trage,

Die sie so lang ersehnt: »Herr Roger naht!«

Oftmals auf hohen Turm in freier Lage,

Ausblickend über Wald und Feldersaat,

Steigt sie, um nach dem Wege hinzusehen,

Den von Paris her alle Boten gehen.


15.

Läßt sich von fern ein Glanz wie Waffen schauen

Oder was einem Ritter ähnlich scheint,

Dann werden fröhlich ihre schönen Brauen,

Weil sie den teuren Mann zu sehn vermeint.

»Ein Bote kommt«, so sagt sie voll Vertrauen,

Wenn waffenlos, zu Fuß, ein Mann erscheint.

Merkt sie darauf, sie hab' es schlecht getroffen,

Klammert sie doch sich gleich an neues Hoffen.
[32]

16.

Dann wieder nimmt sie Waffen, ihm entgegen –

So scheint es ihr – geht sie hinab zum Plan:

Und hofft darauf, er mög' auf andern Wegen

Heraufgekommen sein nach Montalban;

Mit gleicher Sehnsucht wie hinunter, regen

Sich jetzt die Füße nach dem Schloß hinan.

Er ist nicht hier, nicht dort, – die Frist verstrichen,

In der die Hoffnung nicht von ihr gewichen.


17.

Der Tag darauf und drei und sieben gingen

Und acht und zehn und vierzehn, zwanzig gar:

Als er nicht kam und nicht ließ Kunde bringen,

Wie herzzerbrechend, ach, ihr Jammern war!

Im Hades könnt' es Mitgefühl entringen,

Selbst bei den Furien mit dem Schlangenhaar,

Und wenig wollt' es, traun, den schönen Augen,

Der weißen Brust, den goldnen Locken taugen.


18.

»So ehr' ich also«, sprach sie, »einen Recken,

Der voll Verachtung auf mich niederschaut?

Will, den ich suche, sich vor mir verstecken,

Gefühllos, hart bei meiner Bitte Laut?

Ich liebe, dem ich Haß nur kann erwecken,

Und der so sehr dem eignen Wert vertraut,

Daß eine Göttin müßte niedersteigen,

Um zu empfahn ein liebendes Sichneigen!


19.

Der Stolze weiß, ich bin ihm ganz ergeben,

Und will mich nicht als Freundin, nicht als Magd.

Der Arge weiß, er wird den Tod mir geben,

Und Rettung wird vom harten Mann versagt.

Damit die Lippen Vorwurf nicht erheben

Und ihn erweichen, wenn mein Leiden klagt,

Verbirgt er sich vor mir, wie sich die Schlange,

Um wild zu bleiben, birgt vor dem Gesange.
[33]

20.

O halt ihn, Amor, der sich mir entwunden

Und flink voraus eilt meinem müden Schritt!

Wo nicht, – laß mich, wie früher, ungebunden,

Als ich nicht Knechtschaft, auch von dir nicht, litt!

Die Hoffnung hab' ich trügerisch gefunden,

Daß du voll Mitleid nahst mit leisem Tritt.

Es weiden dich und nähren und ergetzen

Die Tränenbäche, die die Wangen netzen.


21.

Doch wen verklag' ich sonst als das Verlangen,

Das unvernünftig, töricht mich beschlich!

Mich hebt's empor, zum Himmel zu gelangen:

Dort an der starken Glut versengt es sich;

Ist, mich zu halten, ihm die Kraft vergangen,

Stürz' ich herab: neu wachsend tragen mich

Die Schwingen, immer brennend; – wieder,

Ohn' Ende fall' ich aus dem Himmel nieder!


22.

Mehr noch als Sehnsucht ziemt sich's anzuklagen

Mich selbst, daß ich die offne Brust dir bot:

Sie kam, Vernunft von ihrem Sitz zu jagen;

Mein Widerstreben bringt ihr keine Not.

Sie will vom Schlimmen mich zum Schlimmern tragen.

Man zähmt sie nicht: kein Zaum ist, der ihr droht.

Sie wird mich sicherlich zum Tode führen;

Erwartet Unheil läßt sich stärker spüren.


23.

Ach, soll ich gegen mich mit Vorwurf wüten?

Da doch dich lieben bloß mein Fehler war!

Wenn, zart und schwach, die Frauensinne glühten

Und dir erlagen, ist es wunderbar?

Wie hätt' ich suchen sollen zu verhüten,

Daß mir nicht lieblich schienen, süß und wahr

Die weisen Worte und die edle Miene? –

Arm wäre, wem nicht schön die Sonn' erschiene.
[34]

24.

Nicht nur mein Los hat mir es vorgeschrieben,

Mich zog dahin auch ein Prophetenwort;

Es winke höchste Wonne meinem Lieben,

Der größte Lohn der Erde, hieß es dort.

Hat, der so sprach, es falsch mit mir getrieben,

Und riß ein trügerischer Rat mich fort,

So kann ich ob Merlin mich wohl beklagen,

Doch meiner Liebe nimmermehr entsagen.


25.

Und ob Melissen klag' ich gleichermaßen,

Werd' ob der beiden klagen jede Stund'.

Sie haben mich die Früchte sehen lassen

Des Stamms, durch Geister aus dem Höllenschlund,

Nur um mit falscher Hoffnung mich zu fassen;

Ich weiß nun freilich nicht, aus welchem Grund.

Mag sein, daß beide Neid darob empfanden,

Wenn mir so friedenvoll die Tage schwanden.«


26.

Kein Fleckchen bleibt, – so hält sie Schmerz gefangen –

In ihr, wo Platz für Tröstung könnte sein.

Doch Hoffnung kommt trotz alledem gegangen

Und nistet mitten in der Brust sich ein,

Sie mild erinnernd, welche Worte klangen

Beim Scheiden Rogers in ihr Herz hinein,

Und mahnt sie, trotz der feindlichen Gewalten

An seiner Rückkehr harrend festzuhalten.


27.

So stützte sie die Hoffnung, das Vertrauen,

Noch einen Mond nach abgelaufnem Tag,

Daß nicht ihr Herz so ganz in Schmerzes Klauen,

Wie es wohl sonst gewesen wäre, lag.

Als einst sie ging, nach Roger auszuschauen,

Was sie zu tun so viele Male pflag,

Gar böse Kunde ward der Tugendreichen,

Und Hoffnung, ihre letzte, mußte weichen.
[35]

28.

Entgegen kam ihr ein Gascogner Reiter

Vom Heidenlager, der in jener Nacht

Des Unheils focht für Karl als Christenstreiter

Und damals zum Gefangnen ward gemacht.

Sie fragt nach dem und jenem ihn und weiter

Zum vorgesteckten Ziele rückt sie, sacht

Auf Roger kommend: hier nun bleibt sie stehen

Und will nicht fort von diesem Zeichen gehen.


29.

Bescheid zu geben wußt' er allerwegen

(Denn dort am Hofe war er wohlbekannt),

Sagt ihr, wie Roger stand dem Skythendegen,

Und wie der Starke fiel von seiner Hand,

Und wie er an den Wunden dann gelegen,

Vier Wochen, und den Tod beinahe fand.

Ward hier ein End' gemacht mit der Geschichte,

So bliebe Roger schuldlos im Berichte.


30.

Doch fügt' der Mann hinzu, es sei erschienen

Marfisa in dem Lager, eine Maid

So kühn und heldenhaft wie schön an Mienen,

In jedem Waffenwerk voll Trefflichkeit:

Sie liebe Roger, er sei ihr zu dienen

Beflissen und fast stets an ihrer Seit',

Und diese zwei – die Leut' im Lager meinen –

Hätten einand gelobt, sich zu vereinen;


31.

Sobald es Rogers Zustand möge leiden,

Werd' öffentlich der Ehbund kundgetan,

Und jeder König, jeder Fürst der Heiden

Hab' helle Lust und eitel Freude dran:

Denn von der übergroßen Kraft der beiden

Ein mächtiges Geschlecht erhoffe man

In kurzer Zeit, von Kriegern auserlesen,

So stark und kühn wie je nur eins gewesen.
[36]

32.

Der Ritter lag in dieses Rufes Banden

Nicht ohne Grund; rings in der Mohrenschar

In solchem Glauben alle Mohren standen,

Und allgemein Gespräch die Sache war.

Vielleicht, daß die Gerüchte dort entstanden,

Als Freundschaftszeichen wechselte das Paar.

Entfloh ein gut, ein schlecht Geschwätz dem Munde,

Ins Riesenhafte wächst sogleich die Kunde.


33.

Da sie mit ihm den Mohren Hilfe brachte,

Sich ohne ihn nicht sehn ließ, – ihr Gesell

Erschien er: und wenn so der Glaub' erwachte,

Wuchs er nachher noch durch sie selber schnell;

Denn als man sie vom Lager ferne dachte

(Mit ihr ging damals, wie Ihr wißt, Brunel),

Da kam sie, ungerufen, ganz im stillen

Zurück, und alles nur um Rogers willen:


34.

Ihn zu besuchen, der mit schweren Wunden

Daniederlag, ging sie zum Lager dort,

Nicht einmal nur, nein oft: die Tagesstunden

Verblieb sie da, des Abends ging sie fort.

Und seltsam ward es von dem Volk befunden,

Daß sie, die aller Welt in Mien' und Wort

Nur Stolz wie lauter schlechtem Pöbel zeigte,

In Güt' und Demut sich zu Roger neigte.


35.

Was der Gascogner ihr als wahr erzählte,

Schuf Bradamant so schweres Herzeleid,

Daß sich zu halten fast die Kraft ihr fehlte

Und sie gefallen wär'. Auf den Bescheid

Wandte den Renner schweigend die Gequälte,

Der Zorn, die Eifersucht gab ihr Geleit,

Und alle Hoffnung bannend aus dem Herzen,

Sucht sie ihr Zimmer auf in tausend Schmerzen.
[37]

36.

Sie wirft – ohn' erst die Rüstung abzulegen –

Sich auf das Bett, im Kissen das Gesicht;

Um nicht Verdacht durch Schreien zu erregen,

Verstopft sie sich den Mund mit Tüchern dicht.

Stets klingen jene Worte ihr entgegen,

Und übermaßen wächst der Schmerz: sie bricht –

Denn länger ist das Leid nicht zu ertragen –,

Sich Luft zu machen, aus in bittre Klagen:


37.

»Wem soll ich, ach, fortan noch Glauben schenken?

Falsch, grausam nenn' ich jeden ohne Scheu,

Kannst du, mein Roger, durch Verrat mich kränken,

Den ich für edel hielt und gut und treu?

Was ließ sich Schlimmes, Grausiges erdenken

In trag'schen Mären, ob sie alt, ob neu,

Das nicht gering erschien' und schier verschwände,

Wenn deine Schuld sich dem genüber fände?


38.

Wenn nirgends sich ein Ritter mag vergleichen

An Kühnheit und an Leibesschönheit dir

Und nicht entfernt kann deinen Wert erreichen

Noch deines edlen Wesens hohe Zier, –

Was einest du mit hoher Gaben Zeichen

Nicht auch Beständigkeit, o sage mir?

Und Treue nicht, die fest, unwandelbar ist

Und Königin der Tugenden fürwahr ist?


39.

Weißt du denn nicht, daß jeder Wert gering ist,

Wenn sich die Treue nicht mit ihm verband?

Daß nichtig auch das allerschönste Ding ist,

Und unsichtbar, sobald das Licht verschwand,

Und leicht ein Mädchen in des Truges Schling' ist,

Das einen Gott in dir und Herren fand?

Dir hätt' ich ja geglaubt, das Licht sei dunkel

Und blaß und kalt der Sonne hell Gefunkel!
[38]

40.

Was kann, du Arger, noch als Schuld dir gelten,

Wenn deiner Trauten Mord dich nicht gereut?

Kann der wohl einen Fehl verwerflich schelten,

Der vor dem Bruch der Treue sich nicht scheut?

Wie mag der seinen Feinden wohl vergelten,

Der, grausam, Tod getreuem Herzen beut?

Gefahr ist, daß der Mensch des Himmels lache,

Säumt jetzt Gerechtigkeit mit ihrer Rache.


41.

Ist Undank als der schwerste Fehl zu meiden,

Den je der Mensch begeh' in böser Stund',

Und mußte drum der schönste Engel meiden

Des Himmels Glanz, verbannt in dunklen Schlund:

Muß große Sünde große Strafe leiden

(Wäscht Buße nicht die Schuld vom Herzensgrund),

So wird gewiß dich schwere Straf' erfassen:

Bist undankbar und willst die Schuld nicht lassen!


42.

Dazu des Raubs hab' ich dich anzuklagen,

Schlimmen Vergehens, unbarmherz'ger Mann!

Daß du mein Herz hast, soll hier nichts verschlagen;

Weil ich in diesem Fall verzeihen kann:

Nein, daß du mir gehörtest, wollt' ich sagen,

Und wider Recht dich mir entzogst sodann.

Gib dich mir wieder! Denn – du wirst es wissen –

Wer andrer Gut nimmt, muß den Himmel missen.


43.

Du ließest mich: ich kann von dir nicht lassen:

Unmöglich ist's: auch will ich's nimmermehr.

Jedoch entfliehn den Qualen, die mich fassen,

Das kann ich, und ich will's, – sie sind zu schwer.

Nur ohne deine Liebe zu erblassen,

Schmerzt mich; – wenn mir vergönnt gewesen wär',

Als du noch hold mir warst, dahinzuscheiden,

Nie könnte sel'gern Tod ein Mensch erleiden.«
[39]

44.

Sie spricht es, springt, um Hand an sich zu legen,

Vom Bett und gönnt sich keine längre Frist:

Sie richtet auf das Herz den spitzen Degen –

Da merkt sie, daß sie noch gerüstet ist,

Und in der Brust beginnt sich so zu regen

Ihr beßrer Geist: »Die du entsprossen bist

Aus hohem Haus, willst du, von edlem Schlage,

In solchem Schimpf denn enden deine Tage?


45.

Ist es nicht besser, in den Tod zu gehen,

Da wo man rühmlich stirbt, im Kriegesfeld?

Und sinkst du dort, so mag es wohl geschehen,

Daß Rogers Blick voll Mitleid auf dich fällt.

Doch bist du seinem Schwertstreich ausersehen,

Stirbt eine dann beglückter in der Welt?

Ihm ziemt es ja, nimmt er dir fort das Leben,

Weil er den Grund zu solchem Leid gegeben.


46.

Zuvor mag dir vielleicht noch eins gelingen:

An jenem Weib Marfisa rächst du dich,

Die sich mit argem Trug und schlechten Dingen

Die Liebe Rogers – dir zum Tod – erschlich.«

Von Überlegung läßt sie Rat sich bringen,

Und eine Tracht und Zeichen wählt sie sich,

Die auf Verzweiflung deuten und auf Qualen

Und Wunsch, zu scheiden von der Sonne Strahlen.


47.

Dem Oberkleid ist jene Farbe eigen

Des toten Laubs, wenn abgestreift das Blatt

Vom Baum ist, oder wenn sich aus den Zweigen

Der Saft, der Leben bringt, verloren hat.

Zypressenstücke, aufgestickt, sie zeigen,

Daß alles leblos ist, erstorben, matt,

Weil hart getroffen von dem grimmen Beile:

Der rechte Anzug ward ihr, ach, zuteile.
[40]

48.

Sie nimmt den Hengst, den Astolf einst bestiegen,

Dazu den goldnen Speer, der jeden Mann,

Den er berührt, läßt aus dem Sattel fliegen.

Warum ihn Astolf gab und wo und wann,

Von wem er ihn erhielt, damit zu kriegen,

Zu wiederholen ich verzichten kann.

Sie nahm ihn, ohne seinen Wert zu kennen,

Der wahrlich ganz erstaunlich war zu nennen.


49.

Und ohne Knappen, gänzlich ungeleitet,

Steigt sie vom Berg hinunter, und alsbald

Geraden Weges auf Paris zu reitet

Sie nach der Mohrenkrieger Aufenthalt.

Noch hatte sich die Kunde nicht verbreitet,

Daß sie, bedrängt durch Paladin Rinald,

Dem Karl und Malegis zu Hilfe kamen,

Die Truppen fort von der Belagrung nahmen.


50.

Cahors und Quercy waren freigegeben

Und das Gebirg, von dem hinab zur Au

Der Fluß Dordogne strömt, sowie daneben

Von Clermont und von Montferrant der Gau.

Da sah sie gleichen Weges vorwärtsstreben

Mit güt'gen Blicken eine schöne Frau.

Ein prächt'ger Schild hing ihr am Sattelbogen,

Drei Ritter kamen noch mit ihr gezogen.


51.

Auch andre Fraun und Knappen sah sie reiten,

Voraus und hinterdrein, in langer Reih'.

Die Tochter Haimons fragt', als ihr zuseiten

Ein Knappe ritt, wer wohl die Dame sei.

»Wir gehn zum Frankenkönig und geleiten

Sie als Gesandtin,« sprach er, »mancherlei

Hat sie aus Nordpolgegend zu bestellen,

Von einer Insel fern in Meereswellen.
[41]

52.

Verlornes Eiland, Island auch genannt wird

Die Insel, wo die Königin zu Haus,

Die als das schönste Weib der Welt gekannt wird;

So zeichnete des Himmels Gunst sie aus.

Wenn jener Schild jetzt an Herrn Karl gesandt wird,

So schickt sie die Bedingung noch voraus,

Daß er dem besten Rittersmann ihn gebe,

Der seiner Ansicht nach auf Erden lebe.


53.

Da sie sich schöner dünkt als andre Frauen

Und wirklich ist die schönste auf der Welt,

Will sie nur einem Ritter sich vertrauen,

Der über alle sich erweist als Held.

Denn ihr Entschluß steht fest, um drauf zu bauen,

So daß er nicht durch tausend Stöße fällt;

Nur, wer die höchste Waffenehr' errungen,

Der wird von ihr als trauter Mann umschlungen.


54.

Sie hofft, in Frankreich, dort im Heldenkreise

Des Kaisers Karl, trifft man den Ritter an,

Der dargetan in tausendfacher Weise,

Daß er der kühnste und der stärkste Mann.

Die drei, die jener folgen auf der Reise,

Sind Könige: ihr Land ich nennen kann:

Von Schweden ist, Norwegen, Gotland einer,

So stark wie die sind wen'ge oder keiner.


55.

Die drei Gebiete sind nicht nahe eben,

Doch nicht so weit wie das ›verlorne Land‹

(Man hat den schlimmen Namen ihm gegeben,

Denn Schiffer kennen kaum noch jenen Strand):

Sie sind der Königin in Lieb' ergeben

Und warben um die Wett' um ihre Hand,

Worauf von ihnen mancherlei vollbracht ward,

Wodurch ihr Name hochberühmt gemacht ward.
[42]

56.

Als Gatten möchte sie nur den ertragen,

Der für die Welt der erste Meister wär'.

›Ihr habt euch gut bewährt‹, pflegt sie zu sagen,

›Doch schätz' ich dieses just nicht allzusehr.

Sollt' über zwei von euch der dritte ragen,

So wie die Sonne übers Sternenheer,

Würd' ihm der Ruhm doch, scheint mir, nicht gebühren,

Alle zu schlagen, die da Waffen führen.


57.

Man soll von mir zu Karl dem Großen bringen

(Dem weisesten der Herrscher auf der Welt)

Hier diesen Goldschild: ich muß ausbedingen,

Daß ihn nur jener Rittersmann erhält,

Auf den des Ruhmes höchste Lieder klingen

Und der gepriesen wird als erster Held.

Und ob er Lehn von Karl, von andern trüge,

Des Königs Meinung ganz allein genüge.


58.

Nahm Karl den Schild, und hat ihn dann empfangen

Der Held von solchem Ruhm durch Mut und Kraft,

Wie den die andern Ritter nicht errangen,

Und euer einer kann durch Heldenschaft

Im Kampf von ihm den Schild zurückerlangen,

So daß er mir ihn hier zur Stelle schafft,

Will ich ihm Lieb' und Zärtlichkeit nicht wehren

Und ihn als Gatten und Gebieter ehren.‹


59.

Das sind die Worte, die zum Kaiser senden

Die drei von ihrem fernen Meergefild:

Beschlossen ist's: sie sterben von den Händen

Des Siegers oder bringen heim den Schild.«

Gespannt vernimmt das Fräulein, bis sie enden

Die Rede hört, was es zu schaffen gilt.

Der Knappe spornt sein Roß; den andern Mannen

Sich zu gesellen, sprengt er rasch von dannen.
[43]

60.

Sie galoppiert nicht, um ihm nachzueilen:

In Ruhe reitet sie des Weges fort,

Und vieles geht ihr durch den Kopf derweilen:

Sie fürchtet, daß der Schild im Lager dort

Die großen Streiter werde feindlich teilen

Und Zwietracht wecken, wenn des Kaisers Wort

Über die andern einen werd' erheben

Als besten Helden und den Schild ihm geben.


61.

Dies drückt ihr Herz, jedoch noch mehr beklommen

Und trauriger sie der Gedanke macht,

Daß Rogers Liebe von ihr fortgenommen

Sei und dem Weib Marfisa dargebracht.

Von ihrem Grübeln gänzlich überkommen,

Hat sie beim Reiten nicht des Weges acht

Und sie versäumt, nach Herberg' auszuschauen,

Der sie zur Nacht sich könnte gut vertrauen.


62.

Ein Schiff, das in den Fluß die Winde trieben

Oder ein andrer Unfall riß vom Strand,

Läßt ganz allein sich von der Strömung schieben,

Denn Fährmann nicht noch Steuer ist zur Hand;

So wird auch sie geführt von ihren Trieben,

Die ganz allein auf Roger hingewandt.

Das Roß geht, wie es will: Gedanken weilen,

Anstatt zu lenken, weit – gar viele Meilen.


63.

Sie blickt empor zuletzt; den Rücken zeigen

Muß schon der Sonnengott dem Bacchusland,

Um nach dem Schoß der Amme sich zu neigen,

Dem Taucher gleich, fern von Marokkos Strand.

Nun für die Nacht im Freien abzusteigen,

Das wäre, meint sie, wahrlich Unverstand.

Es weht ein kalter Wind, und Schnee und Regen

Droht in der schweren Luft der Nacht entgegen.
[44]

64.

Nun ist sie hastiger vorangeritten,

Den Sporn am Roß: es hat nicht lang gewährt,

Da kommt ein Hirt des Wegs dahergeschritten,

Der mit der Herde heim vom Felde kehrt.

Ihn fragt das Fräulein unter vielen Bitten,

Werd' ihr wohl Obdach in der Näh' beschert,

Gut oder schlecht: wie's komme, soll es gehen,

Denn schlimmer wär's, im Regenguß zu stehen.


65.

Der Schäfer sprach: »Von Plätzen wüßt' ich keinen

Hier nahebei: vier Stunden oder mehr

Entfernt sind all die andern, bis auf einen,

Den man die Tristanburg nennt rings umher.

Doch mißlich ist es, dort als Gast erscheinen,

Denn jeder muß, in seiner Faust den Speer,

Die Unterkunft durch Kämpfe sich bereiten

Und auch das fürdre Bleiben sich erstreiten.


66.

Sobald ein Ritter kommt, wird er empfangen

Vom Herrn des Schlosses, wenn die Zimmer frei,

Falls er verspricht, wenn mehr noch angelangen,

Daß er bereit zum Kampf mit ihnen sei.

Er bleibt in Ruh, kommt niemand mehr gegangen;

Doch sonst muß er im Waffenkleid herbei

Zum Streit: und wer besiegt wird von den zweien,

Räumt das Gemach und sucht ein Dach im Freien.


67.

Wenn viele kommen, läßt man sie in Frieden,

Obs zwei, drei, vier sind oder gar ein Hauf.

Dem Einzeln ist ein schlimmes Los beschieden:

Den Kampf mit allen nimmt er in den Kauf.

Langt einer an und ruht sich aus zufrieden,

So rufen ihn zum Lanzenbrechen auf

Die zwei, drei, vier: ist Kraft und Mut ihm eigen,

So braucht er sie gar wohl und kann sie zeigen.
[45]

68.

Wenn eine Frau sich eingefunden hätte,

Geleitet oder nicht, in diesem Haus,

Und eine andre käme, blieb' im Bette

Die schönre und die andre müßt' hinaus.«

Das Fräulein fragt, wo sei denn diese Stätte:

Der Schäfer ist gefällig überaus

Und macht den Platz ihr klar mit Hand und Worten:

Zwei Stunden sind es zu des Schlosses Pforten.


69.

Ob auch des Renners Beine flink sich regen,

Und seiner Herrin Sporn ihm Kraft verleiht

Auf diesen schmutzigen und schlechten Wegen,

Die arg zerrissen von der Regenzeit,

Ist bei der Ankunft tiefe Nacht gelegen

Ringsum, und dichtes Dunkel weit und breit.

Verschlossen ist das Tor: sie sagt der Wache,

Ihr Wunsch sei, daß man drin Quartier ihr mache.


70.

Der meint, mit Gästen sei bereits versehen

Das Schloß, so Herrn wie Damen, für die Nacht,

Die um das Feuer drinnen harrend stehen,

Bis daß die Mahlzeit werd' hereingebracht.

»Die hat, wenn die Verspeisung nicht geschehen,

Der Koch, so denk' ich, kaum für sie gemacht.«

Die Dame sprach: »Sag drin, daß ich bereit bin

Und, mit dem Brauch bekannt, gewillt zum Streit bin.«


71.

Der Wächter geht und bringt hinein die Kunde

(Die Herren stehn behaglich dort umher):

Unmöglich, daß die Nachricht ihnen munde,

Denn Kälte schafft im Freien viel Beschwer,

Und auch ein starker Regen fällt zur Stunde.

Doch stehn sie auf und nehmen sacht die Wehr.

Die andern bleiben bei den Herdesflammen;

Sie gehen langsam vor das Schloß zusammen.
[46]

72.

Drei Ritter waren's, hochberühmt im Streite,

Wie auf der Welt man wenig sehen mag:

Dieselben, die an der Gesandtin Seite

Zu sehen waren an dem gleichen Tag:

Sie, die sich rühmten, nach des Schilds Geleite

Ihn heimzubringen durch der Schwerter Schlag;

Sie spornten etwas eiliger die Rosse

Und waren so vor Bradamant im Schlosse.


73.

Wenn wen'ge sie im Waffenwerk erreichen,

Wird Bradamant von diesen Wen'gen sein;

Zu fasten draußen und sich einzuweichen

Die liebe lange Nacht, fällt ihr nicht ein.

Die drinnen sehn den Stößen zu und Streichen

Vom Gang und Fenster, bei des Mondes Schein:

Der weiß sein Licht durch Wolken hinzugießen,

Mag auch der Regen mächtig niederfließen.


74.

Wie sich der Buhle freut, der süßem Spiele,

Von heißer Glut entflammt, entgegengeht,

Merkt er nach langem Warten, nah dem Ziele,

Daß endlich leise sich der Schlüssel dreht,

So fühlt die Jungfrau freud'ger Wonnen viele,

Frohlockend, daß sie Helden jetzt besteht:

Es klirrt das Tor, die Brücke senkt sich nieder,

Und sie erscheinen, stahlbewehrt die Glieder.


75.

Sobald sie jenseits von der Brücke waren

Und, fast in einem Haufen, rückten an,

Da nimmt sie Feld, um auf sie loszufahren,

So schnell der gute Renner laufen kann,

Fest eingelegt den Speer, den unfehlbaren

Des Vetters, der so sicher seinen Mann,

Und wär' es auch der Kriegsgott selbst, vom Pferde,

Den Sattel leerend, schleudert auf die Erde.
[47]

76.

Der Schwede, der als Erster sich bewegte,

Als Erster auch von seinem Pferde schoß.

Der Speer, der nie umsonst zu treffen pflegte,

Zerbrach den Helm; die Wucht war allzugroß;

Worauf von Gotland der sich niederlegte,

Die Füße oben, fern von seinem Roß.

Kopfüber fliegt, das gleiche Los zu haben,

Der Dritte, wird im Sumpfe halb begraben.


77.

Nachdem sie jene drei zu Boden brachte

(Der Kopf lag unten und die Füße hoch),

Ging sie zur Burg, wo sie zu bleiben dachte,

Bereit zu einem neuen Kampf jedoch

(Weil diesen Schwur man zur Bedingung machte),

Melde vielleicht ein neuer Gast sich noch.

Der Schloßherr, der den Streit sah mit den dreien,

Ließ Ehr' und Huldigung ihr angedeihen.


78.

Das gleiche tat die Dame, die gekommen

Mit jenen Rittern war und abgesandt

Vom nord'schen Eiland, wie Ihr schon vernommen,

Als Botin an den Herrn vom Frankenland.

Sie ging aufs Fräulein zu, hieß es willkommen,

Anmutig erst begrüßt von Bradamant,

Nahm lächelnd drauf die Hand der Hochgemuten

Und zog sie mit sich nach des Feuers Gluten.


79.

Die ging, sich Helm und Rüstung abzuschnallen,

Weil ihr der Schild schon abgenommen war:

Da läßt sie mit dem Helm ein Häubchen fallen

Aus Gold, darin verdeckt ihr langes Haar, –

Und frei die Locken auf die Schultern wallen

Und machen ihr Geschlecht auf einmal klar:

Ein Mägdlein ist vor aller Aug' erschienen,

So kühn im Waffenkampf wie schön an Mienen.
[48]

80.

So wie, wenn man den Vorhang aufgehoben,

Die Bühn' erscheint mit Lampen groß und klein

Und Bogen – stolze Bauten sieht man oben

Und Statuen und Gold und Malerein; –

Oder wie plötzlich aus den Wolken droben

Die Sonne glänzt mit freundlich hellem Schein,

So bot, nachdem der Helm gefallen, diese

Dem Blick die Aussicht nach dem Paradiese.


81.

Die Zeit hat schon das Haar ihr wachsen lassen

(Das ihr verkürzt war durch des Mönches Scheer'):

In einen Knoten hinten kann sie's fassen,

Wenn's auch noch nicht so lang ist wie vorher.

»Auf Bradamant nur kann dies alles passen,

's ist klar«, sagt sich der Herr des Schlosses, der

Sie früher sah, und eifrig ist sein Streben,

Ihr darzutun, wie sehr er ihr ergeben.


82.

Als alle drauf sich froh ans Feuer setzen,

Erlabt ein heiteres Gespräch das Ohr;

Um später auch den ganzen Leib zu letzen,

Bereitet man noch sonst'ge Speise vor.

Das Fräulein fragt, seit wann man mit Gesetzen

Wohl diese Form der Herberg' sich erkor;

Wie alles kam, wer die Verordnung wählte,

Worauf der Ritter folgendes erzählte.


83.

Als Faramund regierte, da vertraute

Clodion, der Königssohn, sich einer Maid:

So schön und fein und lieblich war die Traute,

Wie sonst ein Mädchen nur der alten Zeit.

Die liebt' er inniglich, und nimmer schaute

Er von ihr weg (wie, wachsam und bereit,

Bei Io stets ihr Schäfer war geblieben):

Denn seine Eifersucht glich seinem Lieben.
[49]

84.

Hier barg er sie (von Faramund dem Alten

Hatt' er den Platz), nur selten ging er fort.

Und noch zehn Ritter, die für trefflich galten,

Von Frankreichs besten, wachten mit ihm dort;

Da sah man vor dem Schloß Herrn Tristan halten

Mit einer Dame, die an wald'gem Ort

Der Held in eines Riesen Hand gefunden

Und rasch befreit, gerad vor wenig Stunden.


85.

Tristan erscheint, als Phöbus dem Gestade

Sevillas schon den Rücken hat gewandt,

Und sagt, daß er sich drin zu Gaste lade,

Denn auf zehn Meilen sei kein Haus im Land.

Doch Clodion, sehr verliebt, indes gerade

So eifersüchtig, weigert's kurzerhand:

Kein fremder Mann – und sei er, wer er wolle,

Solang die Dame drin, dort weilen solle.


86.

Auch lange, wiederholte Bitten gingen

Umsonst vorüber; sprach der Rittersmann:

»Wohlan, so werd' ich, dir zum Trotz, erringen,

Was ich mit Höflichkeit nicht finden kann!«

Und Clodions und der zehn Genossen Klingen

Kündet er Trutz mit stolzem Streitruf an

Und will dem Schloßherrn, in der Hand das Eisen,

Wie grob und niedrig jener sei, beweisen;


87.

So zwar: wenn der mit seinem ganzen Trosse

Den Sattel räum', er aufrecht bleib' allein,

Werd' er allein herbergen in dem Schlosse

Und ausgesperrt der Burg Bewohner sein.

Nicht diese Schmach zu dulden, steigt zu Rosse

Der Prinz und sprengt fast in den Tod hinein:

Er stürzt, getroffen, mit den andern allen:

Tristan sperrt aus vom Schlosse, die gefallen.
[50]

88.

Drin in der Feste hat er sie gefunden,

Die in des Prinzen Herz gesenkt den Pfeil

(Durch Frau Natur – sonst karg zu allen Stunden –

Ward auserlesne Schönheit ihr zuteil);

Er spricht mit ihr; in bittrer Qual gewunden

Hat sich der Prinz vor seinem Tor derweil:

Er zaudert nicht, den Ritter anzuflehen,

Er mög' ihm doch sein Liebchen zugestehen.


89.

Schlägt auch um Tristan keine Glut zusammen

(Er kann für niemand glühen als Isold,

Der Zaubertrank bestimmte, daß er Flammen

Niemals für eine andre fühlen sollt'),

Möcht' er zur Strafe Clodion doch verdammen;

Weil er so große Härte zeigen wollt',

Und spricht: »Mir schien's, ich täte böse Dinge,

Wenn solche Schönheit aus dem Schlosse ginge;


90.

Und will sich Clodion nicht damit begnügen,

Im Frein zu schlafen, der Gesellschaft fern,

Mag eine Kleine sich zu ihm verfügen,

Die ich gebracht, ist's auch kein großer Stern.

Sie kommt zu ihm, so glaub' ich, mit Vergnügen,

Erfüllt auch alle seine Wünsche gern.

Jedoch die Schönste darf allein sich geben

Ihm, der die größte Kraft uns ließ erleben.«


91.

Der ausgesperrte Clodion, sehr verdrossen,

Ging schnaubend auf und ab die ganze Nacht,

Als hielt' er über sie, die, eingeschlossen,

In allem Frieden schliefen, dort die Wacht.

Weit mehr als Regenfluten, die da gossen,

Hatt' ihm der Raub des Liebchens Schmerz gebracht.

Tristan, dem er nun leid tat, gab am Morgen

Sie ihm zurück und stillte seine Sorgen;
[51]

92.

Er führe sie, so sagt' er, ihm entgegen

– Und er bewies es –, wie sie war vorher;

Wenn jener auch der groben Haltung wegen

Fürwahr jedweder Schande würdig wär',

Soll es genug sein, daß in Kält' und Regen

Er eine Nacht hindurch litt viel Beschwer,

Wobei er nimmer die Erklärung dulde,

Daß große Liebe jenen Fehl verschulde;


93.

Denn edlen Sinn soll Lieb' ins Herz uns senden

Und nicht in edle Herzen niedern Hang.

Als er nun Tristan sah sich weiter wenden,

Blieb Clodion auch im Schlosse nicht mehr lang.

Er gab es einem Rittersmann zu Händen,

Der sich besondre Huld von ihm errang,

Bestimmend, daß er, und wer nach ihm käme,

Für Gäste diesen Brauch als Richtschnur nähme:


94.

Der Herr, der stärker hat sein Schwert geschwungen,

Die schönre Dame findet Wohnung dort;

Den Platz räumt, wer im Kampfe ward bezwungen,

Schläft draußen oder sucht sich andern Ort.

Ihr seht, der Brauch hat Geltung sich errungen

Und dauert bis zum heut'gen Tage fort.

Als er, des Brauchs Entstehung nachzuweisen,

Gesprochen, bringt der Truchseß grad die Speisen.


95.

Die Tafel stand in großen Saales Weiten:

Kein schönrer wär' in aller Welt zu schaun.

Nun kommen sie, mit Fackeln zu geleiten

Zum Mahl herein die beiden schönen Fraun.

Das Fräulein läßt umher die Augen gleiten,

Und auch die Dame tut's aus Islands Aun.

Man sieht, erhabne Malereien decken

Ringsum die Wände, die sich endlos strecken.
[52]

96.

Die Gäste schaun auf herrliche Gestalten,

Und an das Essen denken sie noch nicht,

Obwohl der Leib, in Atem stets gehalten,

Es brauchen kann, weil Frische ihm gebricht.

Schon klagten Koch und Truchseß, und sie schalten,

Kalt würden ja die Speisen; einer spricht:

»Bedünken will mich, es wird besser taugen,

Ihr weidet erst den Magen, dann die Augen!«


97.

Sie setzten sich und dachten zuzugreifen:

Da fand der Wirt mit einemmal heraus,

Zwei Frauen dürfe nicht das Schloß begreifen

Als Gäste, und die eine müss' hinaus,

Wo Regen klatsche und die Winde pfeifen:

Die Schönre nur von ihnen bleib' im Haus.

Denn weil die zwei nicht miteinander kamen,

So müsse eine weichen von den Damen.


98.

Er ruft zwei Greise, ruft auch ein paar Frauen,

Geschickt zu solchem Urteil, drauf herbei

Und heißt sie, wohl die Damen anzuschauen

Und zu entscheiden über jene zwei.

Zuletzt – einstimmig – sagen diese Grauen,

Daß Ritter Haimons Kind die Schönre sei

Und ihre Schönheit just so überwiege,

Wie sie an Wert die Krieger all besiege.


99.

Zu der von Island, die schon voller Bangen

All dem entgegensah, der Schloßherr spricht:

»Sind wir nach Brauch, o Dame, vorgegangen,

So findet Euch darein und scheltet nicht!

Sucht nun ein ander Obdach zu erlangen,

Weil's klar ist, daß ein schöner Angesicht

Und größre Wohlgestalt hier dieser eigen,

Beliebt ihr auch, sich ohne Schmuck zu zeigen.«
[53]

100.

Wie plötzlich sich empor zum Himmel heben

Die dunklen Wolken aus dem feuchten Tal,

Daß sie mit finstrem Schleier ihn umgeben,

Verhüllend ganz der Sonne hellen Strahl,

Sah man die Dame – schön und fröhlich eben –

Bei diesem harten Spruch mit einemmal

Verwiesen in die Nacht, von andrem Wesen

Und nicht mehr lieb und hold, wie sie gewesen.


101.

Man sah sie bleich, die Züge ganz verzogen,

Denn dieses Urteil stand ihr wenig an.

Doch Bradamant, von Mitgefühl bewogen,

Wehrt ihr hinauszugehn, und sprach sodann;

»Mir scheint ein Urteilsspruch nicht wohl erwogen,

Auch, daß man nichts gerecht entscheiden kann,

Vergönnt man der Partei nicht, daß sie Gründe

Und, was sie zugibt, was bestreitet, künde.


102.

Den Fall verteidigend, sag' ich: Zu fragen

Hilft nicht, wer schöner sei: ich kam herein

Nicht als ein Weib, und will, daß mein Betragen –

Und Tun hier keinem frauenhaft erschein'.

Ob ich wie diese bin, wer will es sagen,

So lang ich hier mag voll bekleidet sein?

Was man nicht weiß, das soll man auch vermeiden

Zu sagen; gar, wenn andre drunter leiden.


103.

Langlockig sieht man viele noch im Leben

Und nennt sie doch nicht Frauen um das Haar.

Ob ich als Ritter Anspruch kann erheben

Auf Obdach, ob als Frau, das ist wohl klar.

Was wollt Ihr mir den Weibesnamen geben,

Wenn all mein Handeln hier doch männlich war?

Nach Eurem Brauch soll Weib dem Weibe weichen,

Nicht überwunden sein mit Schwertesstreichen.
[54]

104.

Und wär' ich Weib, so wie ich Euch erscheine

(Ich geb's nicht zu, doch nehmen wir es an!),

Und vor der Schönheit dieser müßte meine

Zurückstehn, würdet Ihr den Lohn sodann

Für meinen Sieg mir nehmen? – Nein, ich meine:

Reicht' ich auch nicht an ihren Reiz heran,

Nicht recht wär's, daß mir Schönheit wieder raube,

Was ich durch Waffentat errungen glaube!


105.

Und müßt' es auch nach Euerm Brauch geschehen,

Und sollt' ich, minder schön, aus diesem Haus,

Würd' ich für mich doch nicht vom Platze gehen,

Lief es nun günstig oder übel aus.

Wie ungleich unser Streit ist, müßt Ihr sehen,

Und Unrecht käm' auf jeden Fall heraus:

Denn immer ginge die verkürzt von hinnen –

Sie könnte nur verlieren, nie gewinnen.


106.

Wo nicht für beide Teile gleich zu nennen

Gewinn ist und Verlust, steht's ungerecht.

Drum sollt Ihr diese jetzt von uns nicht trennen,

Durch Gunstbeweis, und auch nach strengem Recht.

Doch wer die Kühnheit hätte, zu bekennen,

Nicht gut sei dies mein Urteil, sondern schlecht,

Dem will ich nach Belieben mit dem Eisen,

Daß irrig seine Meinung ist, beweisen.«


107.

Voll Mitleid, daß man also vor die Pforte

Das edle Fräulein wies zu nächt'ger Stund',

In Regenguß und wo an keinem Orte

Ein Obdach, sei es eine Hütte, stund,

Drang in den Burgherrn ein mit klugem Worte

Das Haimonskind, und mancher gute Grund,

Zumeist jedoch die letzte Wendung, machte,

Daß sie auf ihre Seit' ihn schließlich brachte.
[55]

108.

So wie das Blümlein, wenn der Gluten Weben

Es schmachten ließ im schlimmsten Sonnenbrand,

Schon fühlte, daß der Saft entschwand soeben,

In dem noch seine letzte Kraft bestand,

Und dann durch Regen neu erwacht zum Leben –

Schön und der Freude wieder zugewandt,

Stand die Gesandte, da ihr so zum Heile

Ward glänzende Verteidigung zuteile.


109.

Das Mahl, das unberührt so lang gestanden,

Genoß man jetzt in froher Sicherheit,

Und da sich nächt'ge Gäste nicht mehr fanden;

Vermied man jede neue Schwierigkeit.

Nur Haimons Kind lag in des Kummers Banden:

Schmerz nagt' an ihr gar sehr die ganze Zeit,

Derweil Verdacht, den sie zu allem mitnahm

Im tiefsten Herzen, ihr den Appetit nahm.


110.

Auf stand nach Schluß der Tafel Bradamante.

Noch länger hätte wohl gewährt das Mahl,

Doch Augenweide lockte: die Gesandte

Stand gleichfalls auf und blickte nach dem Saal.

Sieh da, auf einen Wink des Schloßherrn brannte

Wächserner Kerzen eine große Zahl:

Ein Lichtglanz, daß jed Eckchen hell zu sehn ist. –

Der nächste Sang erzählt, was dann geschehn ist.

Quelle:
Ariosto, Ludovico: Der rasende Roland. In: Sämtliche poetischen Werke, Berlin 1922, Band 3, S. 28-56.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Der rasende Roland
Die Historia vom Rasenden Roland
Ludovico Ariosts Rasender Roland nacherzählt von Italo Calvino

Buchempfehlung

Droste-Hülshoff, Annette von

Ledwina

Ledwina

Im Alter von 13 Jahren begann Annette von Droste-Hülshoff die Arbeit an dieser zarten, sinnlichen Novelle. Mit 28 legt sie sie zur Seite und lässt die Geschichte um Krankheit, Versehrung und Sterblichkeit unvollendet.

48 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon