Ad locum

[15] 1799.


Zapft die Tonnen, füllt die Gläser,

Heute laßt uns fröhlich sein!

Ach! bald säuseln grüne Gräser

Auch um unsern grauen Stein:

Unser Leben schwingt die Flügel,

Hinkend holt der Tod es ein,

Um der Gräber stille Hügel

Klingt kein Jubel, fließt kein Wein.


Sonn' und Sterne fliegen trunken

Durch des Himmels blaue Bahn,

Frohberauschet läuten Unken

Und begeistert singt der Schwan;[15]

Wenn die Nektarflut der Tonne

In den blanken Becher fleußt,

Flieget über Mond und Sonne

Des entzückten Zechers Geist.


Evan, Heil dir! Sorgenbrecher!

Freudenbringer, Heil und Preis!

Du erlabst den matten Zecher,

Du entflammst des Alters Eis,

Rötest die gebleichten Wangen,

Stärkest das gebogne Knie

Und erschreckst des Grames Schlangen

Durch der Lieder Melodie.


Heil dir, Göttersohn der Traube!

Jubelt, Saiten! Becher, klingt,

Bis man mit dem Trauerlaube

Unsre Urnen still umschlingt.

Hier in Bacchus' Heiligtume

Herrsche das Gesetz der Lust!

Ach! es traur't der Jugend Blume

Bald verwelkt an unsrer Brust.

Quelle:
Ernst Moritz Arndt: Werke. Teil 1: Gedichte, Berlin u.a. 1912, S. 15-16.
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