An die Deutschen

[30] 1806.


Keine Träne, Hermann, für dein Volk?

Keine Träne? und die Schande brennet,

Und der Feind gebietet, wo die Freien

Siegten und fielen!


Keine Stimme laut, wo Luther sprach?

Alle Donner, die der Himmel sendet,

Sollten rufen: Volk, erwache! feiges,

Greife zum Schwerte!


Rache! Rache! Heißen, blut'gen Tod

Sklavenfürsten und dem Knecht, der fliehet!

Männerwort gefürchtet und gepriesen

Männliche Tugend!


Ach wohin? Wo Winkelried erlag,

Wilhelm schlug und Ruyter tapfer siegte,

Auf den höchsten Alpen, in den tiefsten

Sümpfen ist Knechtschaft.


Auch du, Hermann, auch du, kühnes Volk?

Auf! erwache! schüttle deine Ketten,

Daß die Schmach die Welt vernehme, bald auch

Blutige Rache.


Lieder helfen hier und Mäler nicht.

Mäler? Tief im Herzen sei das Denkmal,

An dem Turm der selbstgebornen Tugend

Hebe dich, Jüngling!


Und vorangeworfen kühn die Brust!

Und empor das Auge zu dem Himmel!

Hoch die Fahnen! Hoch zum Himmel! Höher

Flammende Herzen!
[30]

Tod, du süßer, für das Vaterland!

Süßer als der Brautgruß, als das Lallen

Auf dem Mutterschoß des ersten Kindes,

Sei mir willkommen!


Was das Lied nicht löset, löst das Schwert –

Blinkend Heil, umgürte meine Hüften!

Von der Schande kannst du Tapfre retten,

Zierde der Tapfern.

Quelle:
Ernst Moritz Arndt: Werke. Teil 1: Gedichte, Berlin u.a. 1912, S. 30-31.
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