Letzter Zug an Gott

[247] 1844.


Komm, Gott, komm, Gott vom Himmel

Und sieh in Gnaden drein,

Durchleuchte das Gewimmel

Der Nacht mit Sonnenschein,

Entwirre die Verwirrung,

Die ohne Licht und Rat

Stets tiefer in Verirrung

Verfahren hat den Pfad.
[247]

Komm, Gott, komm, Gott der Gnaden!

Und hilft nicht Sonnenschein,

So komm mit Blitz geladen

Und blitz' und donnre drein,

Daß wieder innewerden

Erbebend Herr und Knecht,

Daß Gott regiert auf Erden

Und pflegt das höchste Recht.


Es war der Tag gekommen,

Der Tag der bittern Schmach,

Der Tapfern, Weisen, Frommen

Das deutsche Herz zerbrach,

Es lag von düstern Schanden

Befleckt das Vaterland

In Ketten und in Banden

Durch welschen Trug und Tand:


Gefesselt in Verstrickung

Der freie deutsche Mann –

Da wehte mit Erquickung

Der Geist von dir ihn an,

Da schlug dein hehres Mahnen

Wie Blitz ihm durch die Brust,

Glück brausten seine Fahnen,

Sein Atem Siegeslust.


Ach! Von den schönen Tagen,

Von jener Wonnezeit

Tönt's heut nur wie von Sagen

Aus längst verklungner Zeit,

Verworren und beklommen

Weiß keiner kaum, wohin,

Den Weisen selbst und Frommen

Steht still der kluge Sinn.


Denn ach, die einen rufen:

Nichts, nichts als Frei und Gleich,

Die andern aber fluchen:

Sie wollen uns ans Reich,

Und böser Geister Schwirrung

Umschwirrt dies Nachtgeheul –

Verwirrung auf Verwirrung,

Stets dichter wird der Knäul.
[248]

So wirrt sich's durcheinander,

So tobt und schreit es laut –

Wo ist der Alexander,

Der diesen Zank durchhaut?

Wo lebt der hohe Meister,

Wo dräut der mächt'ge Bann,

Der diesen Krieg der Geister

Zum Frieden zwingen kann?


Das bist du, Gott der Gnaden,

Du einzig gleich und frei,

Komm von den Sonnenpfaden,

Komm, still' uns dies Geschrei,

Laß hell den Degen klirren

Von deiner Sternenburg,

Hau' von den wüsten Wirren

Den ganzen Jammer durch.

Quelle:
Ernst Moritz Arndt: Werke. Teil 1: Gedichte, Berlin u.a. 1912, S. 247-249.
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