Der Wilddieb

[88] Romanze.


Die Mutter hat schon lang' geschaut

Von ihrem Giebelfenster,

Als kaum der Morgen hat gegraut,

Es weckten sie Gespenster:

Der Mann, der Sohn, sie blieben aus,

Sie wollten Abends schon nach Haus.


Da naht der Sohn, sie lacht ihn an,

Er keucht mit schwerem Ranzen;

Sie räth, was ihm so lasten kann,

Was nach der Pfeif' muß tanzen:

Ob Hirsch, ob Reh im Tanze fiel?

Sie holet Wein zum Freudenspiel! –


Der Sohn schleicht scheu und denkt der Noth,

Die Nachts von ihm bestanden,

Wie viele Jäger ihn bedroht,

Im Dunkel ihn nicht fanden;

Der Vater nur, der konnt nicht mit,

Der rief zu ihm die letzte Bitt'.


Der Vater scheut die lange Haft,

Fällt er in Jäger-Hände,

Erloschen war der Füße Kraft,

Der Augen Feuer-Brände;[88]

Vom Sohn erfleht er schnellen Tod,

Der wartet bis zum Morgenroth.


Der Sohn kann fliehen, doch er harrt,

Daß sich der Vater stärke,

Sein Fuß scharrt leis, sein Auge starrt,

Daß es der Vater merke:

Kein Jäger weicht von seinem Ort,

Sonst trüge er den Vater fort.


Der Fuchs, wenn ihn das Eisen fängt,

Beißt ab die eignen Glieder;

Die gleiche Noth ihn jetzt umdrängt

Und das Gesetz der Brüder:

»Wer lebend fällt in Jägers Hand,

Den tödte, wer ihm noch verwandt.«


Sein Kopf wird heiß, kein Thau ihm sinkt,

Die Nacht ist so verflossen,

Der Vater kniet, als Morgen blinkt,

Der Sohn hat abgeschossen,

Und wie der Vater niederfällt,

Die Jäger fliehn, die ihn umstellt.


Sie meinen all ein Jäger, that's

Und scheun des Sohnes Rache,

Durch Zeichen sind sie eines Raths,

Sie fliehn, als ob ein Drache

An ihre Fersen sei gebannt,

So sind die Jäger fortgerannt.


Des Vater Ehr' bedenkt der Sohn,

Daß ihn nicht fressen Raben,

Daß ihn die Fremden nicht mit Hohn

In Kirchhofseck begraben:[89]

Er sackt ihn ein und hebt ihn auf

Und eilt nach Haus im schnellen Lauf.


So tritt er zu der Thüre ein,

Die Mutter fröhlich winket:

»Heut muß es reiche Beute sein,

Das Blut schon fernhin blinket!

Da, Mutter, nehmt sie heut für euch,

Ich brach mir keinen grünen Zweig.«


»Spart auf den Wein zum Todtenmahl,

Das Ehbett macht zur Bahre,

Wascht Vatern rein vom blut'gen Strahl,

Daß keiner es erfahre,

Das beste Hemde zieht ihm an

Und sprecht, es starb am Schlag der Mann.


Ihr sorgt für Schmaus und ehrlich Grab,

Für Gäste will ich sorgen,

Die Büchs schoß manchen Vogel ab,

Die Freunde Kugeln borgen:

So viele Jäger uns umstellt,

So viele sind zum Schmaus gesellt.


Ich ruf' die Freund' um Hülfe an,

Daß ich bald fertig werde,

Die Jäger treff ich Mann für Mann

Rings an des Försters Heerde:

Durch's Fenster schießen wir hinein,

So lang' sich reget ein Gebein.«


Quelle:
Achim von Arnim: Sämtliche Werke. Band 22: Gedichte, Teil 1, Bern 1970, S. 88-90.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Musset, Alfred de

Gamiani oder zwei tolle Nächte / Rolla

Gamiani oder zwei tolle Nächte / Rolla

»Fanni war noch jung und unschuldigen Herzens. Ich glaubte daher, sie würde an Gamiani nur mit Entsetzen und Abscheu zurückdenken. Ich überhäufte sie mit Liebe und Zärtlichkeit und erwies ihr verschwenderisch die süßesten und berauschendsten Liebkosungen. Zuweilen tötete ich sie fast in wollüstigen Entzückungen, in der Hoffnung, sie würde fortan von keiner anderen Leidenschaft mehr wissen wollen, als von jener natürlichen, die die beiden Geschlechter in den Wonnen der Sinne und der Seele vereint. Aber ach! ich täuschte mich. Fannis Phantasie war geweckt worden – und zur Höhe dieser Phantasie vermochten alle unsere Liebesfreuden sich nicht zu erheben. Nichts kam in Fannis Augen den Verzückungen ihrer Freundin gleich. Unsere glorreichsten Liebestaten schienen ihr kalte Liebkosungen im Vergleich mit den wilden Rasereien, die sie in jener verhängnisvollen Nacht kennen gelernt hatte.«

72 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon