Luftfahrt

[236] Dein Haupt leg nach Morgen,

So fliehen die Sorgen,

Und schimmernde Träume

Zu kommen nicht säumen,

Durchstrahlen die Locken

Von Luft umwallt,

Von Vöglein schallt

Ein himmlisches Locken.


1.

»Es tragen dich Flügel

Vom schwellenden Hügel

Und alles ist offen,

Du schauest betroffen

Unendliche Bläue,

Voll Freundlichkeit,

Voll Zärtlichkeit

Die Erde im Maie.«[236]


»Hoch über dem Blauen

Da hast du zu schauen,

Der Sterne Gestalten

In Kreisen da walten;

Erst wandelt mit Schrecken

Der Löwe wild.

Die Jungfrau mild

Will zärtlich dich necken.«


»Von Sternen strahlt nieder,

Was kräftig und bieder,

Es doppeln die Heere

Sich spiegelnd im Meere,

Sie schreiten, sie ziehen

Voll Göttlichkeit;

Zum höchsten Streit

Die Schwerter erglühen.«


»Nach Ruhme sie werben

Und können nicht sterben,

Im ew'gen Gesunden

Verschwinden die Wunden;

Sie wünschen sich wieder

Die Sterblichkeit,

Zur Menschlichkeit

Sie sinken hernieder.«


»In ganzen Geschlechtern

Von stattlichen Fechtern

Verbluten die Götter

Wie tosende Wetter;

Die Erde versinket,

In Blutes Fluth,

Des Muthes Gluth

In Jammer ertrinket.«


2.

[237] »Die Blumen dich wecken,

Die erst dich bedecken,

Mit fröhlichem Regen

Sich alle bewegen;

Gebadet im Thaue

Gestählt die Brust,

Mit neuer Lust

Nun Mensch dich schaue.«


»Was trittst du auf Sklaven,

Gleich glühenden Laven,

Sie scheinen zu kriechen,

Verzehrend doch siegen;

Was willst du dich kränzen

Mit Bruderblut,

Nein, thue gut,

Die Sonne laß glänzen.«


»Wie willst du entscheiden,

Was dunkel bei beiden,

Steh dir nicht im Lichten,

Ein andrer wird richten;

Dir singet der Hirte:

O Lorbeerblatt

Wie bist du platt,

Wie zierlich ist Myrthe.«


»Ich grüß euch ihr Myrthen,

Ach Freunde wir irrten,

Uns waren die Welten

Zu enge zum Schelten;[238]

Die Ecke der Laube

Voll Düsterkeit

Ist überweit

Der girrenden Taube.«


»Ihr fröhlichen Seelen,

Euch will ich erwählen,

Die über das Leben

Mit Flügeln entschweben,

Ich möcht euch erdrücken

Mit süßem Kuß, –

Ich will, ich muß,

Ich kann euch beglücken.«


Quelle:
Achim von Arnim: Sämtliche Werke. Band 22: Gedichte, Teil 1, Bern 1970, S. 236-239.
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