Herr von Falkenstein

[240] Fliegendes Blat, auch abgedruckt in Herders Volksliedern I. Th. S. 232.


Es reit der Herr von Falkenstein,

Wohl über ein' breite Haide.

Was sieht er an dem Wege stehn?

Ein Mädel mit weissem Kleide.


»Wohin, wohinaus du schöne Magd?

Was machet ihr hier alleine?

Wollt ihr die Nacht mein Schlafbule seyn,

So reitet ihr mit mir heime.«


»Mit euch heimreiten, das thu' ich nicht,

Kann euch doch nicht erkennen.«

»Ich bin der Herr von Falkenstein,

Und thu mich selber nennen.«


»Seyd ihr der Herr von Falkenstein,

Derselbe edle Herre,

So will ich euch bitten um'n Gefang'n mein,

Den will ich haben zur Ehe.« –


»Den Gefangnen mein, den geb ich dir nicht,

Im Thurn muß er vertrauren.

Zu Falkenstein steht ein tiefer Thurn,

Wohl zwischen zwo hohen Mauren.« –


»Steht zu Falkenstein ein tiefer Thurn,

Wohl zwischen zwei hohen Mauren,

So will ich an den Mauren stehn,

Und will ihm helfen trauren.« –[240]


Sie ging den Thurm wohl um und wieder um:

»Feinslieb, bist du darinnen?

Und wenn ich dich nicht sehen kann,

So komm ich von meinen Sinnen.«


Sie ging den Thurm wohl um und wieder um,

Den Thurm wollt sie auf schließen:

»Und wenn die Nacht ein Jahr lang wär;

Keine Stund thät mich verdrießen!


Ei dürft ich scharfe Messer tragen,

Wie unsers Herrn sein Knechte,

Ich thät mit'm Herrn von Falkenstein,

Um meinen Herzliebsten fechten!« –


»Mit einer Jungfrau fecht ich nicht,

Das wär mir immer ein Schande!

Ich will dir deinen Gefangnen geben;

Zieh mit ihm aus dem Lande!« –


»Wohl aus dem Lande, da zieh ich nicht,

Hab niemand was gestohlen:

Und wenn ich was hab liegen lahn,

So darf ichs wieder holen.«


Quelle:
Achim von Arnim und Clemens Brentano: Des Knaben Wunderhorn. Band 1, Stuttgart u.a. 1979, S. 240-241.
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