Fuhrmannslied auf der Weinstraße

[88] Wahrscheinlich aus dem siebzehnten Jahrhunderte.


Zieh, Schimmel, zieh!

Im Dreck bis an die Knie;

Schieb dich fein in diesen Karren,

Wir wollen an den Neckar fahren.

Zieh, Schimmel, zieh!


Mein lieber Schimmel mein,

Dort lad ich lauter Wein,

Mein Schimmel geht die Weinstraß gern,

Hat's g'wiß von seinem Herrn gelernt.

Zieh, Schimmel, zieh!


Hot, Schimmel, hot, fein flugs!

Mein Schimmel nicht zuruks,

Wir müßen durch den Strudel setzen,

Mein Schimmel d' mußt d'Füß einnetzen.

Zieh, Schimmel, zieh!


Setz an, Schimmel, setz an!

Spann alle Kräften d'ran!

Da giebts ein'n steinigen Holzweg 'nauf,

Mein Schimmel da gilt's schnauffen d'rauf.

Zieh, Schimmel, zieh!


Adelich ist sein Natur,

Er ist kein Bauern Gurr,

Er ist nit längst im Krieg g'wesen,

Und ist auf ihm ein Hauptmann g'sessen;

Zieh, Schimmel, zieh![88]


Er war ein Kyrrisir,

Bey Gott ein stolzes Thier,

Am Haupt trug er ein Federbuschen,

Nahm ein, theilt aus viel guter Huschen,

Zieh, Schimmel, zieh!


Wenn es gab ein Gefecht,

Zum Fliehen war er recht,

Und wann man sich recht wollte wehren,

Da riß er aus mit seinem Herren.

Zieh, Schimmel, zieh!


Mein Schimmel ist kein Narr,

Wust wohl für wen er war,

Wär er nit längst davon geflogen,

So hät man ihm den Pelz abzogen,

Zieh, Schimmel, zieh!


Truz allen Schimmeln truz,

An ihm ist alles nutz,

Ich kann ihm alle Rippen zählen,

Und sehen wann ihm eins will zerschnellen,

Zieh, Schimmel, zieh;


Er hat ein gleichen Schritt,

Fällt nur den vierten Tritt,

Und wenn er stolz will gallopiren

So geht er auf dem Maul spazieren;

Zieh, Schimmel, zieh!


Ein recht demüthig Pferd,

Küßt oftermal die Erd,

Er taugt gar wohl zu Rittertänzen[89]

Und ist gut zu den Reverenzen,

Zieh, Schimmel, zieh!


Jezt wird er allgemach,

Ein kleines Rößlein schwach,

Er kann kein Offizier mehr tragen,

Doch ist er recht in meinem Wagen.

Zieh, Schimmel, zieh!


Er ist noch wohlgestalt,

Ist nit zu jung noch zu alt,

Er ist mit meinem Weib geboren,

Hat erst den zehnten Zahn verlohren.

Zieh, Schimmel, zieh!


Das Hüftbein hängt empor,

Es langt ihm 'rab das Ohr,

Ich kann ihn bey demselben lenken,

Und den Huth an die Rippen henken.

Zieh, Schimmel, zieh!


Ey du holdsel'ger Dieb,

Bist mir von Herzen lieb;

Ich will mich sehr um dich bewerben,

Und dich nicht lassen Hunger sterben.

Zieh, Schimmel, zieh!


Wart nur, mein Schimmel, wart!

Das Stroh ist dir zu hart,

Morgen wollen wir Haber dreschen;

So hat mein Schimmel Futter z'fressen.

Zieh, Schimmel, zieh![90]


Nun iß, mein Schimmel, iß!

Fehlt es dir an dem Biß?

Sollt' dich der Haber in d'Lungen stechen,

So laß ich ihn beym Müller brechen,

Zieh, Schimmel, zieh!


So hast du's alle Tag,

So lang ich es vermag,

So lang du wirst ein Ader rühren,

Laß ich dich nicht zum Schinder führen.

Zieh, Schimmel, zieh!


Quelle:
Achim von Arnim und Clemens Brentano: Des Knaben Wunderhorn. Band 2, Stuttgart u.a. 1979, S. 88-91.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Des Knaben Wunderhorn
Ludwig Achim's von Arnim sämtliche Werke: Band XVII. Des Knaben Wunderhorn. Alte deutsche Lieder, gesammelt von L. A. v. Arnim und Clemens Brentano. Band 3
Sämmtliche Werke, Neue Ausgabe. Herausgegeben von Bettina von Arnim und Wilhelm Grimm. Band 06: Des Knaben Wunderhorn I und II. - Reprint der Ausgabe von 1857
Des Knaben Wunderhorn Band 2
Des Knaben Wunderhorn. Alte deutsche Lieder, gesammelt von L.A.v. Arnim und Cl. Brentano. Neu bearbeitet von Anton Birlinger und Wilhelm Crecelius; ... in Holz geschnitten von C.G. Specht: Band. 1
Ludwig Achim's Von Arnim Sämmtliche Werke: Des Knaben Wunderhorn. T. 3 (German Edition)

Buchempfehlung

Pascal, Blaise

Gedanken über die Religion

Gedanken über die Religion

Als Blaise Pascal stirbt hinterlässt er rund 1000 ungeordnete Zettel, die er in den letzten Jahren vor seinem frühen Tode als Skizze für ein großes Werk zur Verteidigung des christlichen Glaubens angelegt hatte. In akribischer Feinarbeit wurde aus den nachgelassenen Fragmenten 1670 die sogenannte Port-Royal-Ausgabe, die 1710 erstmalig ins Deutsche übersetzt wurde. Diese Ausgabe folgt der Übersetzung von Karl Adolf Blech von 1840.

246 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon