V

[210] Am folgenden Morgen saß Alice mit ihrer bleichen Freundin Lydia am Fenster und sah gedankenlos in den trüben Nebel hinein, der sich zwischen die Häuser der Straße gedrängt hatte. Lydia war mit einer Handarbeit beschäftigt; man hätte sie für theilnahmlos halten können, wenn sich nicht bei jedem Seufzer, der unbewußt den Busen ihrer gütigen Beschützerin hob, ihr großes feuchtes Auge einen Augenblick auf das Gesicht der Letztern gehoben hätte. Alice konnte diese Blicke nicht bemerken, da sie halb abgewendet von Lydia hinausschaute; auch war sie gewohnt, Lydia so sehr mit sich selber beschäftigt zu wissen, daß sie sich in ihrer Gegenwart weniger, als sonst[210] ihre Gewohnheit war, Zwang auferlegte. Nicht als wenn Alice vor Andern, selbst vor Männern, ihre Seufzer stets unterdrückt hätte – aber sie that es dann gewiß nicht unwillkürlich, am wenigsten ohne Bewußtsein. Sie setzte ihren Stolz darein, stets Herrin ihrer selbst zu sein; denn sie wußte, daß die Herrschaft über sich selbst zugleich die erste Bedingung und die sicherste Garantie für die Herrschaft über andere war. –

Noch eine dritte Person, die wir fast vergessen hätten, befand sich im Zimmer: Salvador. Er hatte sich in dem entferntesten Winkel niedergekauert und klimperte auf einer alten Mandoline eine spanische Romanze. Sein dunkler Blick war starr auf Lydia gerichtet, die ihn entweder nicht bemerkte oder – vielleicht aus dem Gefühl, daß sie dem seinigen begegnen würde – ihr Auge absichtlich nicht nach dem Winkel richtete.

Alice fuhr plötzlich vom Fenster zurück, so daß Lydia erschreckt nach der Ursache fragte.

– Sieh' dort das junge Mädchen, mit dem braunen Tuch um den Kopf geschlungen – was[211] mag sie von mir wollen? Sie starrt fortwährend zu uns herauf, als suche sie Jemanden.

– Wie bleich sie ist! – bemerkte Lydia – Mich dünkt, es liegt ein Zug von verzweifelter Resignation auf ihrem Gesichte.

– Sollte es Anna sein? – sagte halblaut Alice, als stelle sie diese Frage an ihre eigene Erinnerung. – Beim Himmel, sie ist's – aber wie verändert; es muß ein Unglück geschehen sein. – Alice winkte auf die Straße hinab. Lydia verließ das Zimmer. Salvador hörte auf zu summen und zu klimpern.

Bald darauf klopfte es leise aber hastig an der Thüre, und ein zitterndes junges Mädchen stand auf der Schwelle.

– Komm zu mir, Anna – sagte Alice mit jenem Zauber, welchen das Mitleid in der weiblichen Brust erzeugt. – Kennst Du mich nicht mehr, Kind?

Anna hatte gleich bei dem ersten Ton von Alicens Stimme den Kopf erhoben; eine tiefe Röthe überfluthete ihre bleichen abgehärmten[212] Züge. – Einen Schrei, halb von der Angst, halb von Freude ausgepreßt, ausstoßend, stürzte sie auf die schöne Frau zu und warf sich stumm zu ihren Füßen, die sie mit ihren Armen umklammerte. –

– Was ist Dir, gute Anna? –

– Mein Bruder – mein Vater – im Gefängniß! – – – brachte sie endlich mit Mühe hervor.

Alice erbleichte.

– Ralph im Gefängniß? – Warum? Sprich, unglückliches Kind, wann geschah es?

– Heute Nacht – erzählte Anna, ihre noch immer reichlich fließenden Thränen trocknend – kamen vier Gensdarmen und nahmen den Vater und Ralph mit sich. – Der arme alte Vater! Was wird aus ihm werden in dem kalten, dunkeln Gefängniß! O, gnädige Frau, retten Sie ihn, retten Sie den guten Ralph, wenn Sie können. Alice hatte sich erhoben und ging mit hastigen Schritten im Zimmer auf und ab.[213]

– Und weißt Du den Grund der Verhaftung?

– Ach ja – sagte Anna und erzählte den gestrigen Vorfall mit dem von Möller empfangenen Goldstück. – Herr Klingemann, unser Wirth, begleitete die Gensdarmen. Gewiß hat er die Anzeige gemacht.

– Abscheulich – murmelte Alice, die durch den Grund der Verhaftung indeß ziemlich beruhigt wurde; obschon es nicht unmöglich war, daß man einen andern Verdacht gegen Ralph geschöpft hatte und ihn durch dieses Mittel unschädlich machen wollte. – Sie schickte Salvador zu Gilbert mit der Aufforderung, sogleich zu ihr zu kommen.

– Beruhige Dich – tröstete sie Anna – wenn nur jenes Goldstück an ihrer Verhaftung schuld ist, so ist die Sache leicht aufgeklärt.

– Wohnt nicht Herr Möller hier in dem Hause? fragte Anna schüchtern.

– Wer ist Herr Möller?[214]

– Der Herr, welcher mir gestern das Goldstück gegeben und mir befahl, heute früh hieher zu kommen.

– Der Herr hieß Möller, und nicht Gilbert? – fragte Alice, die von der neuen Namensveränderung Gilberts nicht wußte.

Anna sah Alicen verlegen an. Sie wußte von ihrem Bruder, daß Möller und Gilbert ein und dieselbe Person seien, zweifelte aber zugleich daran, ob sie dies, Alicen gegenüber, eingestehen sollte.

Alice, welche die Wahrheit ahnte, half ihr aus der Verlegenheit.

Liebes Kind, der Herr hat auf meine Bitte Dich gestern Abend aufgesucht, um Dich zu mir zu bestellen. Nicht in seinen, sondern in meinen Dienst sollst Du eintreten – wenn es Dir so recht ist. Ob dieser Herr sich Möller oder Gilbert genannt hat, kann uns Beiden gleichgültig sein. Ohnehin wird er gleich hier sein, Du wirst Dich dann überzeugen können, ob es derselbe ist, der Dich gestern hieher geladen hat.[215]

Anna, erfreut über diese unerwartete Wendung der Dinge, küßte dankbar die Hand Alicens, als draußen Schritte hörbar wurden und bald darauf Gilbert, gefolgt von Salvador, eintrat.

Ersterer sah erhitzt und angegriffen aus. Er warf sich nach einem flüchtigen »Guten Morgen« erschöpft auf einen Stuhl.

Was konnte diesen kalten Menschen so aufgeregt haben?

Diese Frage lag in Alicens halb spöttischen, halb besorgten Blicken.

– Nun? unterbrach sie endlich das peinliche Schweigen.

– Die Wahnsinnigen! – murmelte er, nur Alicen verständlich. – Sie werden uns Alle zu Grunde richten.

– Wo? reden Sie doch! Was beunruhigt Sie so heftig? –

– Sie haben also noch nichts gehört? –

– Wovon soll ich gehört haben? –

– Von der Sturmpetition, die heute Abend unter den Zelten berathen und morgen durch eine[216] großartige Demonstration vor dem Schlosse ausgeführt werden soll?

– Und das beunruhigt Sie? – fragte mit ironischem Mitleid Alice, deren Augen bei dieser Nachricht einen eigenthümlichen Glanz annahmen. – Sie Aermster! –

– Spotten Sie immerhin. Ich sage Ihnen, es wird nicht gut ablaufen. Die Polizei hat bereits Notiz davon bekommen und ihre Maßregeln getroffen. Ich bin draußen gewesen in der Gesellschaft, weil ich vermuthete, daß sie berathen würde. Ich täuschte mich nicht, sie waren Alle beisammen, nur Ralph fehlte. – Gilbert warf, indem er diesen Namen aussprach, einen Blick auf Alicen, der eine Verläumdung gegen den Bruder Annas enthielt. Diese schien ihn nicht verstehen zu wollen.

– Gut, daß Sie mich daran erinnern – sagte sie kalt. – Ralph ist im Gefängniß und durch Ihre Schuld.

Gilbert erbleichte. – Durch meine Schuld? fragte er mit unsicherem Tone. In diesem Augenblick[217] bemerkte er Anna, die bei seinem Eintritt sich zurückgezogen hatte.

– Ja, Sie sind, wenn auch nicht gerade schuld, so doch Ursache davon. – Hier ist Ralphs Schwester. Sie wird Ihnen das Nähere mittheilen. Eilen Sie, die armen Kinder aus ihrer Angst um Vater und Bruder zu befreien. An der Bereitwilligkeit, mit der Sie meinen Wunsch erfüllen, werde ich sehen, ob Sie an diesem Irrthum keine wissentliche Schuld haben. –

Dann wandte sie sich zu Anna: Begleite den Herrn, liebes Kind, und gieb dieses Papier in die Hand deines Bruders. – Verwahre es sorgfältig; nachher wirst Du mir Alles erzählen.

Gilbert und Anna verließen die Wohnung. Alice eilte mit einer schnellen Bewegung ins Nebenzimmer, aus dem sie nach wenigen Minuten als junger Mann heraustrat. Salvador, der Alicen noch nie in Männerkleidung gesehen, riß vor Ueberraschung eine Seite auf seiner Mandoline entzwei und starrte mit offnem Munde auf die plötzliche Erscheinung, bis die Stimme Alicens,[218] die ihm eine Kutsche zu rufen befahl, ihn seines Irrthums überführte.

Hotel des Prinzen A...., rief sie dem Kutscher zu, welcher ihr die Fahrmarke in den Wagen reichte. – Nach einer kurzen Fahrt war sie am Hotel angelangt, und von dem vertrautesten Kammerdiener des Prinzen in einen Gartenpavillon geführt.

Hunderterlei blühende exotische Gewächse füllten das phantastisch geschmückte Zimmer, mit einem fast betäubenden narkotischen Wohlgeruch an. Der Prinz in einem orientalischen Kostüm, das ihm als Negligee diente, war in halbliegender Stellung auf einer Ottomane hingestreckt und über ihn hin breiteten mächtige Faisenpalmen ihre eleganten, fußbreiten Blätter aus. Der vor ihm stehende milchweiße Marmortisch war mit einer Menge Zeitungen und Journale bedeckt.

Beim Eintritt Alicens erhob sich der Prinz und führte sie schweigend zur Ottomane. Alice warf einen Blick auf den Zaubergarten, der sie umgab und seufzte.[219]

Es war nicht das erste Mal, daß sie als Knabe verkleidet hier eingetreten und vom Prinzen in derselben Weise, wie heute, empfangen wurde. Aber jene Zeit gehörte der Vergangenheit an. –

– Was bringen Sie mir, Alice? – fragte der Prinz nach einer Pause.

– Ich wünschte, das Ihnen bringen zu können, was ich bei Ihnen zu suchen gekommen – Trost in Verzweiflung.

Jetzt war die Reihe zu seufzen am Prinzen. Doch sagte er lächelnd: worüber oder woran könnten Sie verzweifeln, meine Freundin? Oder ists ein Dritter, für den Sie Trost bei mir suchen?

Alice erzählte die Gefangenschaft Ralphs und bat den Prinzen um Verwendung für den Unglücklichen bei dem Polizeipräsidenten v. M. Ich glaube nicht – fuhr sie fort – daß auf den bloßen Verdacht hin, das Goldstück könne auf unrechtmäßige Weise in die Hände der Familie gekommen sein, so streng gegen den alten Naumann und seinen Sohn verfahren worden wäre, wenn man nicht andere, tiefer liegende Gründe zu haben vermeinte.[220] Uebrigens habe ich zur Aufklärung derselben sogleich den Chevalier St. Just zum Herrn von M. geschickt, da von ihm das Goldstück herrührt.

– Glauben Sie mir, Alice, erwiederte der Prinz, dieser St. Just wird unser Aller böser Dämon. – Hüten Sie sich vor ihm! – Sie lächeln? Meinen Sie vielleicht, daß mein Haß gegen ihn mich verblendet? Und nun schicken Sie ihn vollends zum Polizeipräsidenten. Fürwahr, ich fange an, Ihre sonst so bewährte Klugheit in Zweifel zu ziehen.

Wissen Sie denn nicht, daß Herr v. M. es war, der mir gestern mit Rücksicht auf St. Just jene Warnung für Sie zukommen ließ, die ich selbst nicht einmal verstand?

Alice erbebte. Sie schien mit sich über einen Entschluß zu kämpfen. Vom Divan aufspringend, schritt sie hastig zwischen den Gewächsen auf und ab. Endlich blieb sie vor dem Prinzen stehen. Ihr Anblick war völlig verändert. Ihr dunkles Auge strahlte wunderbar, ihr lockiges Haupt war hoch aufgerichtet.[221]

Wir müssen uns Gewißheit verschaffen, Prinz. Dies aber ist nur möglich, wenn wir gemeinsam handeln. Dann aber Vertrauen um Vertrauen. – Schlagen Sie ein. –

Sie streckte ihm die Hand entgegen.

– Ich sehe noch nicht, was uns selbst die Gewißheit von seiner Verrätherei nützen kann – sagte ungläubig der Prinz; doch legte er seine Hand in die dargebotene Alicens und zog sie zärtlich an seine Lippen.

– Sie, wie ich, werden dieselbe Frucht pflücken – erwiederte Alice, einen köstlichen Granatapfelbaum eines seiner rothwangigen Kinder beraubend – eine sichere Ueberzeugung für unsere zweifelvolle Seele und einen festen Muth für unsere schwankenden Entschlüsse.

Der Prinz, welcher die Worte Alicens auf den Chevalier bezog, lächelte ungläubig, weshalb Alice plötzlich, allen Rückhalt verschmähend mit leidenschaftlichem Tone ausrief:

– Mein Freund, ich nenne Sie in dieser Stunde so, weil ich im Begriff bin, eine schwere[222] Pflicht gegen Sie auszuüben, deren nur die Freundschaft fähig ist, mein theurer Freund, lassen Sie von der Bedford; diese Frau ist ihrer nicht würdig.

Der Prinz, auf welchen der Name der Gräfin den Eindruck eines elektrischen Schlages gemacht hatte, zitterte heftig. Sein flammendes Auge bohrte sich tief in das auf ihn niederblickende Auge Alicens, dessen Ausdruck sich nicht veränderte. Ungestüm entriß er ihr seine Hand und flüsterte mit gebrochener Stimme:

– Sie sind eine Lügnerin, Alice.

Das sanfte Lächeln, welches Alicens Züge überstrahlte, wurde selbst durch diesen harten Vorwurf nicht verwischt, nur mischte sich der Ausdruck einer leisen Ironie hinein, als sie mit Ruhe erwiederte:

– Soll ich Ihnen Beweise geben, Prinz?

Ein stummer Wink hieß sie fortfahren.

– Von dem Verhältniß der Gräfin mit St. Just will ich gar nicht reden. Eine solche Untreue, wie demüthigend auch für Sie, mein Prinz, könnte[223] doch nur ein halber Beweis sein. Denn wer vermöchte den Beweis zu liefern, daß nicht St. Just eben so betrogen wird wie Sie. Aber was würden Ew. Königliche Hoheit zu einem Plane sagen, Sie durch die fein berechnete Koketterie einer geschickten Buhlerin von Ihrer Leidenschaft zur Gräfin, und diese von Ihnen befreien zu lassen?

– Ich würde dazu sagen – daß die Gräfin, wenn sie einen solchen Plan fassen sollte, sich schlecht auf wahre Leidenschaft verstehen, oder eine große Achtung vor dem Talente der »Buhlerin« haben müßte.

– Vielleicht ist Beides der Fall. Und rathen Sie, wen man für würdig erachtet hat, diese Rolle bei Ihnen zu übernehmen?

– Also ist es nicht ein bloßer Einfall, dieser Plan? Man hat in der That an dergleichen gedacht?

– Freilich, aber rathen Sie!

– Wie kann ich wissen – sagte der Prinz zerstreut. – Vielleicht Fräulein S.... oder unsere Primadonna H....?[224]

– Bewahre. Wie sollte man darauf gerathen. Sie besuchen ja die Theater fast gar nicht. Nein, ich will es Ihnen sagen: Mich! –

Sie? – –

– Glauben Sie, mein Prinz, daß ich Scherz mit Ihnen treibe?

– In der That, ich glaube es fast; darum geben Sie mir bessere Beweise.

– Es sei! So hören Sie denn: Die Gräfin ist von einer gewissen Partei, in deren Diensten sie steht, beauftragt, Alles anzuwenden, um Sie dieser Partei zuzuführen. Sie selber hat Rücksichten zu nehmen, weil sie ein offnes Haus hält, das gewissermaßen von allen Parteien als ein neutrales Bereich angesehen wird. Büßt sie diesen Vortheil ein, so ist's um ihre gesellschaftliche Stellung geschehen. Auch stand ihr Ihre Leidenschaft zu ihr im Wege. Darum mußte sie indirekt zum Ziele zu kommen suchen. Man weiß, mein Prinz, daß Sie beim Volke durch Ihre Freisinnigkeit und Freigebigkeit – beides gilt dem Volke oft gleichviel[225] – beliebt sind und deshalb bei etwa ausbrechenden Unruhen sich leicht einen großen und gefährlichen Anhang zu verschaffen im Stande wären. Man hat versucht, Sie von hier zu entfernen, man hat ferner, als dies nicht gelang, Schritte gethan, um Sie der öffentlichen Meinung gegenüber zu compromittiren, ja man hat es nicht gescheut, zu dem Mittel der Verläumdung zu greifen. Alles ist fehlgeschlagen. So hat man denn zum äußersten, aber – der Meinung gewisser Leute nach – sichersten Mittel gegriffen, Sie zu verführen. Man hält mich für eine eingefleischte Aristokratin, dies und das Vertrauen, welches man in meine Fähigkeit setzt, hat jene Partei veranlaßt, mir Avançen in dieser Beziehung zu machen. Ich habe sie anfangs nicht verstehen wollen, da ist man dringender geworden und endlich offen mit dem Plane herausgetreten. Der Prinz hatte mit wachsender Unruhe dem Berichte Alicens zugehört. Als sie geendet, lag auf seinem bleichen Gesicht der Ausdruck eines tiefen Hohns.[226]

– Wie sehr muß ich in den Augen dieser Menschen gesunken sein, daß sie es wagen können, in dieser Art ihr Spiel mit mir zu treiben. – Er stützte den Kopf in die Hand, um die Thräne zu verbergen, welche wider seinen Willen in sein Auge trat. – Fahren Sie fort – sagte er nach einer Pause.

– Ich habe nur wenig noch zu sagen. Daß St. Just ein falsches, ein doppelt falsches Spiel treibt, werden Sie wohl selbst bemerkt haben. Es gilt jetzt, daß wir uns davon Ueberzeugung verschaffen, um den Plänen der Partei, welcher er aus Interesse für die Gräfin dient, entgegenzuarbeiten, ohne daß sie es merkt, um sie schließlich in ihrer eigenen Falle zu fangen. Mein Rath ist nun der: Sie begeben sich sofort zu Herrn v. M. und suchen zu erfahren, ob St. Just an der Verhaftung des braven Ralph schuld ist, oder doch nachträglich bei Herrn v. M. gegen ihn intriguirt hat. Sind Sie bereit dazu?

– Ja – sagte der Prinz sehr ernst. – Sie haben recht, es ist Zeit, mich dieser erbärmlichen[227] Fesseln zu entwinden und ich danke Ihnen, daß Sie mir die Kraft dazu gegeben. Doch habe ich noch eine Bitte, deren Motiv Sie jedoch nicht in irgend einem Zweifel an ihren Worten suchen müssen. Können Sie mir irgend ein materielles Zeichen geben, daß ich von der Gräfin betrogen bin? Ich glaube eine größere moralische Bestimmtheit in der Ausführung unserer Pläne dadurch gewinnen und der Verrätherei mit größerer Festigkeit gegenübertreten zu können.

– Ich wünschte, theurer Prinz, Sie ließen diese für Sie unangenehme Angelegenheit auf sich beruhen; noch mehr aber wünschte ich – Alice ergriff bei diesen Worten seine Hand – ich könnte Sie für unsere Sache, für die Sache der Demokraten, deren Sieg näher bevorsteht, als Sie ahnen, gewinnen.

Der Prinz lächelte. Aber dieses Lächeln enthielt, so wollte es Alicen bedünken, Etwas von Mißtrauen in sich. Sie zog einen Brief aus ihrer Schreibtafel und reichte ihn dem Prinzen.[228]

– Diesen Brief, wie Sie am Postzeichen ersehen, erhielt ich in Wien vor 8 Tagen. Er ist von St. Just und enthält die Aufforderung an mich, schnell nach Berlin zu kommen, um den Plan, welchen ich Ihnen mittheilte, ausführen zu helfen. Die »hohe Person«, welche darin erwähnt ist, sind Sie und die Unterschrift –

– Gilbert! – rief aufspringend der Prinz – Sie kennen diesen Elenden! –

Alice erschrak über die Heftigkeit des Prinzen. – Was ist Ihnen? Ums Himmelswillen –

– Antworten Sie, Alice, ich bitte, ich beschwöre Sie, keuchte der Prinz in fast sprachlosem Zorn.

Der Brief knitterte in den krampfhaft zitternden Händen, und seine Augen rollten wild, als suchten sie den verborgenen Feind.

– Gilbert – sagte Alice – ist Ihr Nebenbuhler, er ist der Chevalier von St. Just.

Während der Pause, welche Alicens Worten folgte, hörte man nur das Rauschen des Briefes,[229] der des Prinzen Hand entfiel. Dann taumelte er ohne Bewußtsein auf den Divan nieder. Nach einer qualvollen halben Stunde schlug der Prinz die Augen auf und blickte noch halb betäubt um sich. Endlich erkannte er Alicen, deren Anblick ihm die ganze Erinnerung über das, was mit ihm vorgegangen war, zurückgab. Ein Schauer durchzitterte seinen Körper – doch versuchte er zu lächeln.

– Seien Sie ruhig, meine Freundin – es ist vorüber. Doch verlassen Sie mich jetzt – ich muß allein sein. – Heute Nachmittag werde ich Sie besuchen.

Schweigend schritt Alice auf die Thüre zu.

– Alice! – sagte noch einmal der Prinz.

Sie kehrte zurück und sah ihn fragend an.

– Alice! Sie nannten sich heute meine Freundin. Ich halte Sie beim Wort und erinnere Sie daran, daß in der Freundschaft Zweierlei vor Allem gilt: Vertrauen gegen einander und Verschwiegenheit gegen den Andern.[230]

– Seien Sie ruhig, mein Prinz – auch wenn Sie nicht mein Freund wären, würde diese Stunde ein Heiligthum für mich sein, in das ich nie einen Menschen schauen lassen würde.

Quelle:
Louise Aston: Revolution und Contrerevolution. Bde. 1–2, Band 2, Mannheim 1849, S. 1.
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