Siebente Szene

[47] Vorige. Staberl, den Rapport im Patrontaschenriemen tragend, stellt sich mit einem Dienstgesicht vor Toloysky hin und salutiert ihn.


TOLOYSKY nimmt ihm den Rapport ab, durchfliegt ihn und sagt ernst. Schon recht!

STABERL. Hab noch gehorsamst zu melden, wasmaßen der Delinquent flüchtigerweise hat Reißaus nehmen wollen, jedoch an seiner Unternehmung durch die Unerschrockenheit der Mannschaft verhindert wurde und wie der Blitz nun an Ort und Stelle gebracht ist. Auch hat derselbe noch mit mehreren Dalken und Bäumscheibeln herumgeworfen, wovon bei der Teilung ein ganzer Dalk und ein halber Bäumscheibel auf mich gekommen ist.

TOLOYSKY lacht. Gehen Sie zum –

STABERL. Übrigens läßt sich der Delinquent gehorsamst empfehlen und bittet, seinen Handkuß an die Frau Gemahlin – Salutiert wieder, holt Atem. Ach, da ist ja der Hansel, grüß dich Gott, wie geht's dir denn? – Grüß euch Gott, Weiber! Ihr bringt das Essen für die Mannschaft? Setzt sich. Die Mannschaft ißt schon. Macht sich kommod. Apropos, habt's schon gehört? Trinkt. Sapperment, das ist ein guter Wein für die Mannschaft. Ißt. Habt ihr schon g'hört –? Sapperment, die Suppen ist heiß; die Mannschaft hat sich g'brennt – also habt ihr schon g'hört, das Unglück –?

DIE WEIBER neugierig. Nun?

STABERL. Nichts habt ihr g'hört? Das Unglück nicht gehört –? Ei, das ist ein Unglück, daß ihr das unglückliche Unglück nicht g'hört habt. – Trinkt.[47]

ERSTE BÜRGERIN. So erzähl der Herr Staberl nur!

STABERL. Was soll ich erzählen; morgen kommt alles heraus. Morgen lesen wir schon das Unglück: Ein Kreuzer die neue Beschreibung von der Katherl, die ins Wasser gesprungen ist – und dem Mussie, der s' herausgezogen hat, alle zwei um einen Kreuzer.

HANS UND DIE WEIBER zugleich. Was? Ins Wasser?

STABERL will just trinken, sie stoßen ihm den Wein aus der Hand. Freilich ins Wasser! Brüllen wie die Ochsen: »Ins Wasser?« Und schütten mir den Wein dabei aus.

ERSTE BÜRGERIN. Nur nicht gleich wie die Ochsen.

STABERL. Nein, ich hab sagen wollen, wie die Küh.

HANS. Parapluiemacher, jetzt erzähl einmal ausführlich, oder ich steck dir wieder eine Faunzen, daß du acht Tag nicht erzählen kannst.

STABERL. Bedank mich schön, das wird Er bleiben lassen.

HANS. Oder ich trag gleich den ganzen Wein wieder fort.

STABERL. Das wär noch ärger! Ich erzähl schon –. Abo daß ich sag – ein Unglück ohnegleichen. Allein, ich muß ausführlich sein. Trinkt, wischt sich den Mund ab und steht auf. Es werden jetzt gerade neunzehn Jahre sein, daß dem Bindermeister Josef Redlich eine Tochter geboren worden.

HANS. O weh, hörst auf – der fangt gar vor neunzehn Jahren an.

STABERL. Nur ausführlich!

DIE WEIBER. Da gehen wir.

HANS. Ich nimm den Wein.

STABERL. Halt! Also kurz, daß diese Tochter geboren wurde, ich will kurz sein, und nach und nach emporwuchs. Wie s' so eine Weile wachst, kommt einer daher und entführt sie mit der Mutter Einwilligung mitten im Wachsen in einem Schiffel auf der Donau. Ich steh gerad auf dem Posten und zähl die Minuten wegen dem Ablösen, als auf einmal ein schreckliches Geschrei sich hören läßt. Ich als honette Schildwache spitze meine Ohren so lang als möglich. Da kommt das besagte Schiff. »Katherl, du bist verloren«, schreit ein junger Mensch und – kehr eine Hand um – springt das Katherl ins Wasser, und ich schrei: »Gewehr 'raus!« statt: »Zu Hilf!« – lehn mein Gewehr an, und weil man gewöhnlich beim Feuer trommeln tut, so tromml ich halt beim Wasser aus Leibeskräften.[48]

HANS. Weiter! Weiter!

STABERL. Der junge Mensch springt ins Wasser nach, zum Glück kann er besser schwimmen – als ich – und trägt sie heraus.

DIE WEIBER. Ist das alles auch so wahr?

STABERL. Hab ich je mein Leben gelogen?

HANS. Weiter!

STABERL. Trägt sie heraus, nicht weiter! Hätt er sie wieder hineinwerfen sollen? Trägt sie heraus, und nun war die Katherl im Trocknen und mein Hals auch, drum bin ich da, daß ich anfeuchten kann.

HANS. Weiter!

STABERL sieht Hans an. Ich weiß nicht, was der Tiroler alleweil mit seinem »Weiter!« will – geh weiter, wenn du immer weiter willst.

ERSTE BÜRGERIN. Wer war denn aber der junge Mensch?

STABERL. Ich hör, ein Dichter, andere sagen wieder, ein Schriftsteller – er muß so was sein, weil er's Wasser nicht scheut.

ZWEITE BÜRGERIN. Aber wo ist denn der Herr Redlich jetzt?

STABERL. Zu Haus mit seiner Tochter –. Den Herrn Müller, so heißt der Entführer, den hab ich an Ort und Stelle geführt – wie ich eben im Rapport meldete. – Ich war Kommandant über drei Mann und einen Arrestanten – das war ein Aufsehen. In der Kumpfgasse haben die Leut ein Fenster um 25 Gulden verlassen, wir sind aber nicht vorbei'kommen.

HANS. Was wird dem sauberen Müller geschehen?

STABERL. Einige sagen, er wird zeitlebens frei Quartier kriegen, andere sagen wieder Macht die Pantomime des Aufhängens. er wird g'steigert – so eine kleine Ehrensäule könnt ihm gar nicht schaden, wenn ich nur was davon hätte!

HANS. Weiter!

STABERL. Jetzt laß mich aus mit dem »Weiter!« – oder ich werde toll.

ERSTE BÜRGERIN. Wir wollen nun gleich zum Nachbarn Redlich hin. Ein solcher Schlag tut weh – der Mann braucht Trost.

STABERL. Ja, geht's hin, wird ihm eine Ehre sein, aber tröstet's[49] lieber d' Frau. Die ist an allem schuld. Ich glaub immer, die wird ein ganz anderer Schlag treffen.


Man hört von draußen: »Abgelöst!«.


STABERL. Ha, bravo, jetzt heißt's fort. Die neue Mannschaft zieht auf. Er nimmt sein Gewehr. B'hüt euch Gott, Weiber, Hans, b'hüt dich Gott – ich zieh hinaus ins Weite – fall ich, so – heb mich auf – Adies! Will ab.

DIE WEIBER halten ihn zurück. Herr Staberl – Herr Staberl – noch auf ein Wort – wo sind denn unsere Männer?

STABERL. Sie sind zum Arrestanten eing'sperrt worden, damit er Unterhaltung hat. Alle ab.


Quelle:
Das Wiener Volkstheater in seinen schönsten Stücken. Leipzig 1960, S. 47-50.
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