|
[776] Der Herr Verleger dieser Blätter, ein erfahrner Mann, lachte sehr, da ich traurig und besorgt wegen der versprochenen Ankündigung der Zeitschwingen, die voller Anpreisungen ihrer künftigen guten Eigenschaften sein mußte, vor ihm erschien. »Weiß es nicht jedermann«, sagte ich, »daß Oliven und Zeitungen nur beim anfänglichen Drucke reines Jungfernöl geben, nachher aber schmieriges? So wahr es auch ist, daß diese Blätter einem dringenden Bedürfnisse unserer Zeit abhelfen und ein großes Loch in der Literatur ausfüllen werden, wer glaubt es mir, wenn ich es versichere?« Jener aber meinte, die Deutschen wären es noch lange nicht müde, an Versprechungen zu glauben, und sie hätten dafür schon Werteres hingegeben als einige Gulden. Ich solle darum ganz kühn versichern, die Zeitschwingen würden sich über alles verbreiten, was nur Himmel und Erde bewahren; Politik, Literatur und Kunst würden auf das Anmutigste abgehandelt und alles auf das Gründlichste besprochen werden. Auch wären mit allen Hauptörtern Europas Korrespondenzen eingeleitet, und der neuesten und gewissesten Nachrichten könnten die Leser versichert sein.
Auch ist es vertragsmäßig festgesetzt, daß ich mich selbst loben soll. Mir fällt dieses leichter als jedem andern. Ich tue es hiermit. Nimmt man nicht allgemein an, daß derjenige nicht ohne Tugenden sein könne, der seine Fehler[776] offen eingesteht? Einige meiner schriftstellerischen Fehler, denke ich darum, werden mich empfehlen, wenn ich sie bekenne.
Sechs Monate lang habe ich die sogenannte Zeitung der freien Stadt Frankfurt (man sieht, daß es der deutschen Sprache an keiner Art Biegsamkeit fehlt und ich davon Gebrauch zu machen verstehe) teils geschrieben, teils abgeschrieben. Aber vor vierzehn Tagen wurde mir unerwartet von Staatswegen auf die Finger geschlagen und mir die Fortsetzung jenes Blattes untersagt. Nämlich nicht die Zeitung, sondern ich wurde unterdrückt. Diese wohlverdiente Strafe ward mir auferlegt erstens: weil ich mich als einen geschmacklosen Übersetzer aus dem Französischen gezeigt, und zweitens: weil ich dem »gemeinen Wesen« jener freien Stadt nicht hinreichend gehuldigt. Die Leser der Zeitschwingen können also leicht denken, daß ich durch diesen Vorfall zugleich gewitzigt und vom Witze abgeschreckt, mich künftig eines mäßigen, bescheidenen und ehrsamen Tones befleißigen werde. Mit dem »gemeinen Wesen« des deutschen Vaterlandes werde ich mich unaufhörlich beschäftigen und mich dem Vorbilde eines frommen, polizeiergebenen Bürgers immer mehr und mehr zu nähern suchen. Ich will zwischen freisinnigen und knechtischen, zwischen herrschaftlichen und untertänigen Meinungen die friedliche Mitte halten und mich nur zu mediatisierten Ansichten bekennen. Zu mediatisierten? Dieses Verhältnis, wird mancher sagen, gibt mir immer noch mehr Freiheiten, als gut ist. Ich sage es selbst.
Ich werde mich einigem Spaße ergeben, ob ich zwar recht gut weiß, daß die Deutschen keinen Spaß verstehen. Ich habe auf meiner kurzen literarischen Laufbahn merkwürdige Erfahrungen darüber gemacht. Wie manche Ironie hatte ich fein zugespitzt; wie werden diese lachen, wie jene sich ärgern, dachte ich. Aber was geschah? Jene lachten[777] nicht, und diese ärgerten sich nicht; und hatte ich behauptet: zweimal zwei sei fünf, so schalten mich die Klugen einen Dummkopf, und die Dummköpfe triumphierten, ihre eigene Meinung so verbreitet zu finden.
Die Zeitschwingen führten bis jetzt auch noch den Beinamen: des deutschen Volkes fliegende Blätter. Dieses Spottnamens geschieht künftig keine Erwähnung. Was wäre denn am deutschen Volke, das flöge? Es war niemals flügge, aber heftige Stürmen hatten es einige Minuten in die Höhe geworfen. Die wenigen fliegenden Blätter, die es noch besitzt, werden täglich enger zusammengeheftet. Die schöne schweinslederne Zeit der Foliobände kehrt mit starken Schritten zurück. Ein großer Gelehrter studierte seine ganze Lebenszeit, mit dem Bauche auf der Erde liegend. Ein anderer sagte seinem Diener, der ihm zu melden kam, daß das Haus über seinem Kopfe brenne, kalt und zerstreut: »Geh' Er zu meiner Frau! Ich bekümmere mich nicht um die Wirtschaft.« Der denkende Teil des deutschen Volkes wird sich bald wieder dem Studieren ergeben – auf dem Bauche liegt er schon; und wenn ihn Rauch und Flamme und Krieg umgibt, wenn die emsigen Spritzen ihm den warmen Kopf waschen, wenn Seelenhandelsverträge geschlossen und die deutschen Schafe an England verkauft werden, um sie abwechselnd zu scheren und einzuwollen – sagt er ganz gelassen: »Was geht's mich an? Ich bekümmere mich nicht um Wirtschaftsangelegenheiten; das ist die Sache meiner Regierung.« Darum fort mit fliegenden Blättern!
Die großen Herren lieben es sehr, daß wir kleinen Knechte erhabene Betrachtungen anstellen und ihnen die niedrige Handarbeit überlassen; daß wir hoch über den Wolken den Lauf der Sterne berechnen und uns um[778] den Lauf der irdischen Dinge nicht bekümmern, daß wir algebraische Aufgaben lösen, während sie den geldbaren Vorteil einstreichen. Weil sie es wünschen, kann es nichts Gutes sein. Wie so viele wohldenkende und verständige Menschen lassen sich hierin zum besten haben. Die Gewaltigen im Lande donnern ihnen seit dreißig Jahren zu, sie möchten sich nicht mit Theorien abgeben, die in der Wirklichkeit keine Anwendung verstatteten, und unsere lieben Gelehrten werden darauf warm, verteidigen ihre Grundsätze und verwickeln sich um so enger in das Netz, das man über sie hergeworfen. Jene wollen es nicht anders, als daß wir hierin ihnen nicht gehorchen. Unterdessen gehen die Dinge ihren alten Gang. Sokrates wurde gepriesen, weil er die Philosophie vom Himmel herabgeholt, und so ward er ein Lehrer der Menschheit. Wenn wir beglücken wollen, müssen wir die Politik aus den Wolken erdwärts ziehen. Kein Hungriger wird gestillt mit einer Abhandlung über die freie Kornausfuhr, kein Kranker geheilt mit einem Handbuche der Therapie, keine Bürgerfreiheit durch Montesquieus geschaffen. Saatkorn für die Nachwelt, Brot für die Zeitgenossen. Nur der gute Heinrich konnte sich ohne Schwärmerei dem schönen Traume von einer europäischen Republik und einem ewigen Frieden hingeben, weil er den schönern hatte von dem sonntäglichen Huhne im Topfe.
Über Grundsätze läßt sich hadern, über Erfahrungen nicht. Den Verstand kann man betören, aber nicht die Sinne. Gegen ein System der Meteorologie läßt sich streiten, aber nicht gegen das Gefühl der Haut, wenn sie Kälte oder Wärme, Nässe und Trockenheit der Luft empfindet. Wollen wir Menschenglück verbreiten, dann müssen wir mehr des Lebens Erscheinungen als dessen Regel besprechen. Erst an toten Körpern wird der Bau der Lebenden erkannt. Laßt uns der atmenden Brust Erleichterung geben![779]
Darum soll man (ich werde es) öfterer des Volkes Entbehrungen besprechen als seine Rechte, wärmer die Staatsverwaltungen als die Staatsverfassungen, mehr die täglichen Erscheinungen des Bürgerlebens, wie sie im häuslichen Kreise und auf dem Markte sich zeigen, als die Grundsätze der Gesetzgebungen und die großen politischen Verhältnisse.
Wie im Familienleben, wie in der stündlichen Not oder Lust des Menschen eine vollkommene oder fehlerhafte Regierung sich ausspreche; dieses setze ich mir vor, an einzelnen Wahrnehmungen so aufzuzeigen, daß es dem Verstande eines jeden faßlich werde. Das deutsche Volk hat noch zuwenig politische Aufklärung. Es kennt den Zusammenhang nicht zwischen einer repräsentativen Verfassung und seinem Magen. Es sieht die Gefahren einer Gewitterwolke nicht eher ein, bis der Blitz das Haus getroffen, und begreift die Wohltätigkeit eines befruchtenden Regens nicht früher, als bis es das in dem hundertsten Folgegliede entstandene Butterbrot in den Mund steckt. Man muß es von seinen sinnlichen Wahrnehmungen zu den obersten Grundsätzen hinaufleiten; der umgekehrte Weg führt zur Verwirrung, welche die Schlechten benutzen.
Und da auch ich, wie ich es schmerzlich fühle, noch in der Zwitterzeit erzogen bin, wo die Wissenschaft sich vom Leben schied und man eine doppelte Sprache für beide Welten erlernte und gebrauchte; da man in Büchern anders redete als mit dem Munde, so werde ich mich jener soviel als ausführbar enthalten. Ich will lieber nützen als gespriesen werden; Trost gibt der Himmel, von dem Menschen erwartet man Beistand.
›Ich habe geglaubt, dieses wenige sagen zu müssen, damit nicht der Herr Verleger, welcher aufpaßt, und die neuen Leser der Zeitschwingen den Kopf schütteln, wenn sie sehen, daß ich nicht mit etwas Wichtigem auftrete, mit[780] einer Übersicht der europäischen Verhältnisse, mit einer Betrachtung, ob zwei Kammern besser seien als die Hälfte davon, oder eine besser als gar keine: sondern nur mit folgendem:‹
Ausgewählte Ausgaben von
Aufsätze und Erzählungen
|
Buchempfehlung
Die Brüder Atreus und Thyest töten ihren Halbbruder Chrysippos und lassen im Streit um den Thron von Mykene keine Intrige aus. Weißes Trauerspiel aus der griechischen Mythologie ist 1765 neben der Tragödie »Die Befreiung von Theben« das erste deutschsprachige Drama in fünfhebigen Jamben.
74 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.
442 Seiten, 16.80 Euro