VI.

[786] Frankfurt, den 5. Mai


Das Lumpengesindel von Zeitungsschreibern hat sich durch unaufhörliches Sprechen von hohen, höchsten und allerhöchsten Personen so verwöhnt, daß sie das Wort hoch ohne Unterscheidung auch bei jeder andern Dimension anwenden. Es gibt für sie keine Flächengröße, keine kubische, sie kennen nur eine vertikale. Sie reden von hoher, statt von großer Wichtigkeit; sie sagen hoch – wichtig statt sehr wichtig. Sie sagen von einer Burg, sie sei tiefromantisch gelegen. O, das ist hochdumm! Sie sagen auch tiefblau statt dunkelblau. Ich glaube, Fouqué hat das erfunden. Gut für Fouqué: das ist seine Feudomanie. Die Lehensherrlichkeit des Hellblau über Dunkelblau wird freilich hochsinnig dadurch bezeichnet. Aber was geht das die anderen bürgerlichen Schrift – steller an? Warum ahmen sie ihn nach?

Der Berliner Korrespondent der Allgemeinen Zeitung – liest man seine Berichte, ist es gerade, als wollte man ins Wasser beißen: es sind zarte méringues à la crème, die man mehr trinkt als ißt – sagte neulich einmal: Man spricht in den höhern Zirkeln von einem höchsten Reiseprojekt nach dem Norden. Das will ich alter Primaner ins Französische übersetzen. Meidinger hilf!

Hoch, haut. – Höher, plus haut. – Der Höchste, le plus haut. – In höheren Zirkeln, dans les plus hauts cercles. Ich fürchte aber sehr, das ist falsch! Soviel ich mich aus den Zeiten Robespierres erinnere, wird, um im Französischen den Superlativ zu bilden, der Artikel vor den Komparativ gesetzt; dans les plus hauts cercles hieße also nicht in den höhern, sondern in den höchsten Zirkeln. Wie bringe ich aber das höher heraus? Ich weiß nicht. Zwar könnte ich mir helfen, wenn ich statt hauts cercles: cercles élevés sagte; das würde mir aber schöne Händel[786] zuziehen. Denn wenn man meine französische Übersetzung wieder zurückübersetzte ins Deutsche – und es gibt oberflächliche Menschen genug, welche niemals die Quellen studieren –, würde cercles élevés heißen: erhabene Zirkel. Bewahre mich Gott; das hieße ja so viel als Zirkel von fürstlichen Personen! Es ist eine kitzliche Sache. Still! Ich bin dabei, ich sage: cercles qui sont plus que hauts. Bravo! ... Spaßhaft bleibt es, daß hier im Deutschen der Komparativ höher weniger ausgedrückt als der Positiv hoch, denn wenn der Berliner Allgemeine, statt in höhern Zirkeln, in hohen Zirkeln geschrieben hätte, so würde das bedeuten: ein Zirkel von wenigstens Ministern.

Nun weiter. Ein hohes Reiseprojekt – un haut projet de voyage. Ein höchstes Reiseprojekt – un plus haut projet de voyage. Das hieße aber ein höheres Reiseprojekt. Wie mache ich den Superlativ? Halt, so geht's. Ich sage: un projet de voyage l'un des plus hauts. Also im ganzen: On parle dans les cercles qui sont plus que hauts d'un projet de voyage l'un des plus hauts au nord.

Es ist mir sauer geworden, ich habe aber auch ein feines Stück Arbeit zustande gebracht. Wenn man sich auch im Himmel zankt, was ich sehr vermute, werden sich die Manen meiner beiden Lehrer der französischen Sprache um den Ruhm ihres irdischen Schülers streiten. Der eine war ein hochbejahrter deutscher Jude, Namens Wolf, den man, weil er in seiner Jugend einige Jahre Bambusrohre auf dem Pontneuf verkaufte, Wolf Pariser nannte. Bald vierzig Jahre sind darüber hingegangen, und noch erinnere ich mich wie von gestern, welche Mühe sich der alte Pariser gegeben, mir die richtige Aussprache des ille in canaille, bataille, oreille beizubringen. Endlich gelang es ihm. Ich sprach oreille ganz genau aus wie er selbst, nämlich orehgelje. Viele, viele Jahre sagte ich nicht anders als orehgelje. Da ging ich einmal im Bade Ems drei Tage mit einem Diplomaten um, der[787] selbst oreille vom Kopf bis zu den Füßen, mir die echte Aussprache dieses intriganten Wortes beibrachte. Nur drei Tage dauerte unsere Freundschaft, die reiche Ernte aber entschädigte mich für den kurzen Sommer. Ich trug damals, wie ich es noch trage, ein schwarzes grünbesäumtes und mit einem goldenen Schnällchen geziertes Band, das, um Hals und Brust hängend, die Uhr in der Westentasche festhielt. War es Zufall, kränkliche Eitelkeit oder gesunde Badepolitik, – das Band mit dem Schnällchen hatte einen solchen Wurf und Hang, daß, wenn der Rock das halbe Geheimnis verhüllte, es einem Ordensbande glich. Der Diplomat merkte es, suchte meine Bekanntschaft mit großem Eifer und machte sie mit vielem Vergnügen. Drei Tage waren wir unzertrennlich und liebten uns ordensbrüderlich. Aber am dritten Tage knüpfte ich meinen Rock auf und zog die Uhr hervor, um zu sehen, ob die Stunde sei, an den Brunnen zu gehen. Da entdeckte der Diplomat, daß mein Ordensband nichts anderes sei als ein seidener Galgenstrick, woran meine goldene Zeit zappelte. Er verließ mich auf der Stelle, sprach, sah, hörte mich nicht mehr; doch, um nicht gar zu grob zu sein, wich er mir soviel als möglich aus. Der Diplomat war ein Graf, dick, und ich kann es nicht leugnen, er hatte nicht bloß Leibeigene, sondern auch schöne Kenntnisse. Seine Dicke, die ihm das Gehen sauer machte, gab mir Gelegenheit, mich an ihm zu rächen. Jeden Mittag nach dem Essen, wenn sich die Kurgäste zum Kaffee im Garten versammelten, setzte ich mich an den Tisch, der unter einer schattigen Linde und auf welchem das Windlicht stand, das zum Anbrennen der Pfeifen bestimmt war. Sobald nun der Graf in den Garten trat, gegen dessen Eingang ich mit dem Rücken gekehrt saß, nahm er eine Zigarre zwischen Daumen und Zeigefinger und watschelte dem Leuchtertische zu. Kaum aber erkannte er mich, kehrte er wieder um und machte, um Feuer in der[788] Küche zu suchen, einen Weg von dreißig schattenlosen Schritten. Vierzehn Tage lang mußte er wegen der optischen Täuschung mit dem Uhrbande schwer büßen. Ich lachte weniger, als er schwitzte, denn wahrhaftig, er dauerte mich.

Mein zweiter französischer Sprachlehrer hieß Marx und war ein emigrierter Geistlicher. Er bekümmerte sich wenig darum, wie ich canaille aussprach; aber Voltaire, Voltaire – dieses Wort konnte ich richtig sprechen lernen; denn es füllte fast die ganze Lehrstunde aus. Jeden Fluch, jede Schande, jedes Verderben häufte er auf diesen Mann, und der gute alte Mann vergaß ganz in seinem Zorne, daß er mit einem achtjährigen Knaben sprach, der damals von Voltaire noch gar nichts und von der französischen Revolution nicht mehr wußte, als noch heute mancher graue Staatsmann weiß. Ich hatte von alten Kinderfrauen viel vom Kopfabhacken sprechen hören, und Revolution und Kopfabhacken war mir gleichbedeutend. Ich machte mir eine Guillotine aus Kartenblättern und köpfte als ein blutjunger Samson manche aristokratische Fliege, die des Zuckernaschens verdächtig war. Guter Marx, wie wirst du erstaunt und erschrocken sein, als du auch Voltaire im Paradiese fandest! Mit welcher Gebärde des Unmuts wirst du gefragt haben: wo ist denn die Hölle? ... Da nahte sich ein Engel des Lichts dem Throne Gottes und flehte: er ist soeben erst angekommen.

Wieder zu Ihnen, mein zarter Berliner. Wenn Sie mir gütigst erlauben wollten, Sie einmal wacker durchzuprügeln, das würde mich ungemein erheitern. Hätten Sie mir nicht alle diese saure Mühe, all dieses naseweise Geschwätz ersparen können, wenn Sie, statt von einem höchsten Reiseprojekt nach dem Norden zu reden, gesagt hätten: man spricht davon, der Kronprinz, werde nach Petersburg reisen? Glauben Sie denn, wir wüßten solche Zeitungsrätsel nicht zu lösen? O, wir Bürgerlichen haben[789] auch Verstand! Erst kürzlich las ich im »Ausland« – eigentlich sollte es das Inland heißen, denn das Ausland ist das Inland der Deutschen, nur dort haben sie Bürgerrechte, in ihrem Vaterlande aber müssen sie sich, wie es Fremden gebührt, bescheiden nach den Gesetzen des Landes richten, müssen sehen, hören und schweigen – ich las: "Von dem Tode des Kaisers P. von R." Was helfen aber die Punkte? Es dauerte keine acht Tage und ich hatte es herausgebracht, daß von dem Tode des Kaisers Paul von Rußland die Rede sei. In dem nämlichen Zeitungsberichte, o Allgemeiner! worin Sie von höhern Zirkeln und dem höchsten Reiseprojekte sprechen, erzählen Sie auch: das Berliner Publikum beschäftige sich viel mit den religiös – mystischen Umtrieben in Halle. Hier sagen Sie Publikum, denn Sie halten die Theologie für eine pöbelhafte Angelegenheit, die dem Publikum gehöre, ein höchstes Reiseprojekt aber, meinen Sie, sei ein großes eleusinisches Geheimnis, das nur in den höhern Zirkeln des Adels besprochen werden dürfe.

Ich bin nur froh, daß nicht der König selbst nach Petersburg zu reisen gedenkt; denn alsdann hätten Sie von einem allerhöchsten Reiseprojekt gesprochen, und damit hätte weder Meidinger noch Mozin, noch der Teufel selbst fertig werden können. Als die französische Sprache erfunden worden, da lebten die Franzosen noch im rohen Zustande der Natur, sie waren Wilde und Tieren ähnlicher als Menschen. Damals gab es noch nichts in in der Welt, was allerhöchst gewesen, nicht einmal Gott war es, denn – sagen die Druiden – Gott ist der Höchste; höher als das Höchste aber ist eine Unmöglichkeit. Nun ist zwar seitdem auch in Frankreich Gott herabgesunken und der Mensch gestiegen, und der Thronhimmel wurde höher hinaufgeschraubt als Gottes Himmel. Aber die allzu fertigen Franzosen haben ihre Sprache zu schnell unter Dach gebracht, und jetzt haben die Unbesonnenen[790] kein Wort für Allerhöchst. Wir Deutsche sind vorsichtiger gewesen. Wir ließen, um zu keiner Zeit bei unserm Hoch – und Höherbau gehindert zu sein, lieber in unsere Sprache hineinregnen und – schneien, ehe wir sie bedeckten, und so blieben wir auf alle Ereignisse gefaßt. Sollte einmal ein König der Könige sich erheben, ein zweiter Napoleon, aber ein legitimer, für den Allerhöchst zu wenig wäre und dem wir Komplimentenpriester ein Aller – Allerhöchst verehren möchten – das würde uns nicht in die geringste Verlegenheit setzen; wir wären mit unserer Deklination des Aller – Allerhöchsten gleich bei der Hand.


Aller-Allerhöchstdieselben.

Singularis.

vacat.

Pluralis.

Nom. Aller-Allerhöchstdieselben. Gen. Aller-Allerhöchstderselben. Dat. Aller-Allerhöchstdenselben. Acc. Aller-Allerhöchstdieselben. Voc. O Aller-Allerhöchstdieselben! Abl. Aller-Allerhöchstdenselben.

Quelle:
Ludwig Börne: Sämtliche Schriften. Band 2, Düsseldorf 1964, S. 786-791.
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