Achtzehnter Brief

[84] Paris, Dienstag, den 14. Dezember 1830


Die Polen! ... Das Theater Français hier könnte Gott verklagen, daß er auf seinem Welttheater Stücke aufführen läßt, wozu es allein privilegiert ist – hohe Tragödien. Ich begreife nicht, warum die Leute noch ins[84] Theater gehen. Mir ist die Zeitung wie Shakespeare, wie Corneille. Das Schicksal spricht in Versen und tut pathetisch wie ein Schauspieler. Die Nacht der Rache in Warschau muß fürchterlich gewesen sein! Und doch, als die Geschichten in Brüssel und Antwerpen vorfielen, glaubten wir, alle Schrecken wären erschöpft. Ja, der Tag des Herrn ist gekommen, und er hält ein fürchterliches Gericht. In den hiesigen Blättern stand, es wäre ausgebrochen in der Militärschule, als man zwei jungen Leuten die Knute geben wollte. Hier war es auch so; auch hier haben die Zöglinge der Polytechnischen Schule alles angefangen und das meiste geendigt. Das gefällt mir, daß jetzt die Jugend dem Alter die Rute gibt. Wie wird es aber den armen Polen ergehen? Werden sie es durchfechten? Ich zweifle; aber gleichviel. Verloren wird ihr Blut nicht sein. Und unsere armen Teufel von Deutschen! Sie sind die Lampenputzer im Welttheater, sie sind weder Schauspieler noch Zuschauer; sie putzen die Lichter und stinken sehr nach Öl.

Wie können Sie mir nur jetzt mit den Juden kommen und verlangen, daß ich für sie schreibe? Sie sollen Lärm machen, sie sollen schreien. Mit guten Worten richtet man nichts aus, aber mit Drohungen viel. Die Regierungen sind jetzt so schreckhaft, daß man alles von ihnen erlangen kann, wenn man nur selbst nicht zaghaft ist.

In Warschau haben die Weiber und Kinder auch mitge-fochten. Konstantin soll am Kopfe verwundet sein; aber das sind alle Fürsten. – Die preußische »Staatszeitung« lese ich, wie auch die meisten deutschen Blätter. Gestern habe ich sogar das »Frankfurter Journal« und die »Didaskalia« aufgefunden. Ich habe sie mit Küssen bedeckt. – Diese Cholera Morbus ist eine prächtige Erfindung. Das ist etwas, was auch die Deutschen in Bewegung setzen könnte. Möchte es nur bei uns friedlich abgehen; denn eine Revolution der Deutschen wäre selbst mir[85] ein Schrecken. Diese Menschen wissen noch gar nicht, was sie wollen, und das ist das Gefährlichste. Sie wären imstande und metzelten sich um einen Punkt über das I. Vielleicht geht es besser, als ich erwarte: vielleicht wenn der Sturm heftiger wird, werfen sie freiwillig von ihren schweren Dummheiten über Bord. An unsern Fürsten liegt es nicht allein; die Aristokratie, die Beamten.

Gestern las ich in einer deutschen Zeitung: in Selters hätte das Landvolk auch eine kleine Revolution haben wollen und Unruhen angestiftet, und man hätte sogleich Truppen hingeschickt. Ich erwarte nun, daß der Bundestag den Selterswasserbrunnen, die wahrscheinliche Quelle der Nassauer Revolution, verschütten lassen wird. Das käme mir gar nicht lächerlicher vor als die bisherige Hülfe, die man gegen Revolutionen angewendet. Soldaten, Gewalt, Aderlassen, das sind ihre einzigen Heilmittel. Es einmal auf eine andere Art zu versuchen, fällt ihnen nicht bei. Im Badischen scheint man nachgeben zu wollen. Die Revolution in der angrenzenden Schweiz hat wohl die Regierung ängstlich gemacht. Die Stände kommen nächstens in Karlsruhe zusammen, und da hat man sich geeilt, ein liberales Ministerium zu bilden. Herr v. Berstett, Minister der auswärtigen Angelegenheiten und Metternichs guter Freund, ist abgesetzt, und noch ein anderer Minister. Ich möchte jetzt in Karlsruhe sein. Ich weiß gar nicht, wohin ich mich wenden soll; gewiß gibt es keinen Minister in Europa, der so beschäftigt ist wie ich, und gar kein Weg, etwas zu tun. Gäbe es nur ein Mittel für den Geist, wie das Aderlassen eines ist für den Leib, ich würde es gern gebrauchen. Ich bin so vollselig, daß mir das Herz pocht. Doch ist das ein angenehmes Gefühl. Und warum ich so froh bewegt bin? Von meiner Gesinnung brauche ich Ihnen nicht zu sprechen, die kennen Sie. Daß ich mich freue[86] über den Sieg der guten Sache, mich freue, daß der Mensch seinen Prozeß gewonnen gegen die Hölle, das wissen Sie. Aber das ist es nicht allein, es ist auch die Schadenfreude, zu sehen, wie das armselige Dutzend Menschen in Europa, das klüger zu sein glaubt als die ganze Welt, mächtiger als Gott, gefährlicher als der Teufel – wie es Zuschanden wird und von uns, die sie wie Hunde behandelt, in die Waden gebissen und aus Haus und Hof gejagt werden. Das elende Volk!

Gestern las ich die neueste »Didaskalia«, und als ich darin immer noch die »Szenen aus den Kreuzzügen« fand, mußte ich laut auflachen, und ein grämlicher Engländer sah mich mit Erstaunen an, als wolle er mich fragen: wie kann man lachen? Hätte ich ihm mein Vergnügen so recht klarmachen können, es hätte ihm gewiß seinen Spleen vertrieben. – Der Senator *** hatte doch so unrecht nicht, als er vorigen Sommer sagte, er wolle lieber Schweinhirt sein als französischer Minister. Heute hat er gewiß recht. Heute beginnt der Prozeß der Minister. Welch ein Gefühl muß das für einen alten Edelmann wie Polignac sein, vor allen Diplomaten Europens, mit denen er früher unter einer Decke gespielt, vor vierzig Lumpenkerls von Zeitungschreibern auf dem Armensünderstuhl zu sitzen und Rede und Antwort zu geben. Die spätere Strafe ist nichts gegen dieses Verhör. Man hat bei der Untersuchung den Polignac am schuldigsten gefunden. Die andern waren verführt. Am 25. Dezember wird das Urteil gesprochen werden. Eine schöne Weihnachtsbescherung! Viele glauben, Polignac allein werde zum Tode verurteilt, aber der Gnade des Königs empfohlen werden. Wie wird man sich heute abend um den Messager reißen, der um acht Uhr erscheint und die heutige Sitzung enthalten wird!

Vergangenen Sonntag war Benjamin Constants Leichenbegängnis, dessen ausführliche Beschreibung Sie wohl[87] im Constitutionnel gelesen haben werden. Ich setzte mich auf den Boulevards in eine Kutsche und sah alles bequem mit an. Länger als zwei Stunden dauerte der Zug. Was mir an Franzosen auffiel und gefiel, war, daß in der ganzen Feierlichkeit durchaus nichts Theatralisches war, sondern alles sah ernst, gesetzt und kleinbürgerlich aus. Die Masse gab den Pomp. So wurde noch kein König begraben. Ich sprach einen Mann, der vor vierzig Jahren Mirabeaus Leichenbegängnis mit angesehen; der sagte, so feierlich sei jenes nicht gewesen. Constant hat vom König Philipp bei seiner Thronbesteigung 150000 Fr. zum Geschenke erhalten, und seine Witwe wird eine Pension bekommen. Madame Constant hat drei Männer gehabt. Den ersten verlor sie durch Tod, von dem zweiten ließ sie sich scheiden, der dritte war Constant. Der zweite lebte in Paris und war Mitglied der Deputiertenkammer. Nun geschah es einmal, daß er zugleich mit seinem ehelichen Nachfolger, Benjamin Constant, in der Kammer das Wort forderte, beide zugleich auf die Tribüne sprangen und, ehe es zu verhindern war, Nase gegen Nase da standen, worüber das ganze Haus in lautes Lachen ausbrach. Der Gram, von der Académie française nicht als Mitglied aufgenommen worden zu sein, und daß die Regierung ihn nicht nach Verdienst behandelte, soll sein Ende beschleunigt haben. Die letzten Worte vor seinem Tode verrieten seine Gemütsstimmung. Er sagte: Après une popularité de douze ans justement acquise – oui justement acquise – und mit dem Worte acquise hauchte er seine Seele aus. – Die Geschichte mit Polen macht die Leute hier wie betrunken. Es war immer eine große Freundschaft zwischen beiden Nationen. Ein Pole in Uniform mit einem langen Säbel hat eine Rede bei Benjamin Constants Grabe gehalten. Ich bin sehr begierig auf die nächste Revolution. Wo wird es zuerst losbrechen?[88]

Es wird Sie nicht überraschen, daß ich Ihnen Victor Hugos Gedichte schicke, welche Sie gewünscht haben. Sie haben zwar nur von einem Bande Gedichte gesprochen, und ich schicke Ihnen drei Bände, aber dafür kann ich nichts. Es ist nicht meine Schuld, daß Hugo drei Bände Gedichte geschrieben. Wer kann einem Dichter Einhalt tun? Lieber in ein Mühlenrad greifen. Das kostbarste aller Weihnachtsgeschenke, so kostbar, daß es kein König bezahlen kann; kostbarer als alles, was alle Frauen der Welt erhalten, seitdem Christus geboren, wird diese Weihnachten eine Pariserin bekommen: Frau von Polignac – das Leben ihres Mannes. Gerade am 25. abends, wenn die Lichter angezündet werden zum Bescheren, wird das Urteil gesprochen werden, und Polignac, hofft man, würde das Leben behalten. Behüte einen Gott vor solchen angenehmen Überraschungen!

Quelle:
Ludwig Börne: Sämtliche Schriften. Band 3, Düsseldorf 1964, S. 84-89.
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