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[681] Paris, Sonntag, den 30. Dezember 1832
Louis-Philippe, der gute Friedensrichter, hat seine Gerichtsdiener, nachdem sie jetzt den König von Holland ausgepfändet, gleich wieder aus Belgien zurückgerufen. Ich fange an zu glauben: der Mann ist ein Philister. Es wäre merkwürdig! Ist er kein Bösewicht oder ist er nicht wahnsinnig, ist er ein Philister. Seine königlichen Vorfahren, durch viele Jahrhunderte, waren der Reihe nach einige groß, die meisten klein; manchmal gut, öfter schlecht; viele leer, die meisten unmäßig. Aber so glatt gestrichen wie ein Scheffel Hafer, gleich diesem Louis-Philippe, war noch kein französischer König. Die andern hatten ihre Leidenschaften, sie hatten ihre Krankheiten; aber diese Leidenschaft der Ruhe, dieses Ordnungsfieber hatte keiner von ihnen. O Gott! mußte ich das noch erleben, daß die Könige Hofräte werden! Und seine Dintenlecker, seine besoldeten Redner und Zeitungschreiber,[681] was sie ihm Hymnen singen! So wurde nicht Achilles und Hektor, nicht Alexander, nicht Cäsar, nicht Napoleon besungen. Sie sagen: vor Antwerpen sei ein Krieg geführt worden wie noch keiner. Die Franzosen hätten nicht für die Freiheit gekämpft wie unter der Republik, nicht für den Ruhm wie unter Napoleon, sondern für die Gesetze hätten sie gekämpft, es sei ein legaler Heroismus gewesen. Für die Gesetze wären Frankreichs Heldensöhne drei Wochen lang zwei Fuß tief im Wasser gestanden und hätten sich beregnen und niederschmettern lassen und hätten dabei ihren fröhlichen Mut behalten; nicht aber die Marseillaise gesungen, wie die revolutionären Blätter gelogen, sondern die guten Kinder hätten gerufen: Vive le roi, vive le roi! ... Und darum jene drei heißen Julitage, und darum kam uns die Sonne um drei Erdfernen näher, um zwei armselige Könige, einen Regenten und einen Herzog auszubrüten! Einen Braunschweiger Herzog, der kürzlich auf jeden falschen Zahn seiner Untertanen seine Abgabe von zwei Taler gelegt hat, vierundsechzig Taler für einen ganz falschen Mund! (Wenn dieser gute Herzog viele Beamten und Höflinge hat, muß er ein reicher Fürst werden.) Und darum dieses dreitägige Fest, welches die Götter selbst mit ihrer Gegenwart beehrten, um den Namenswechsel einiger Tyrannen zu feiern! Und darum verschleuderte Jupiter in drei Tagen alle seine Blitze, um ein frommer Jurist zu werden und Götter und Menschen ferner durch Konferenzen und Protokolle zu beherrschen! Was ist da zu machen? Ich will mir einen Haarbeutel anhängen und mich von dem Fürsten von Sigmaringen zum Legationsrat ernennen lassen.
Ein deutscher Esel in London hat in einem englischen Journale von meinen Briefen gesprochen; ein deutscher Esel in Leipzig hat das im »Literarischen Konversationsblatt« übersetzt, und ein deutscher Esel in Paris[682] hat mir den Artikel zu lesen gegeben und darauf geschworen, ein Engländer habe das gemacht. Ein Engländer soll gesagt haben: »Wir lieben eine vernünftige Preßfreiheit!« Ein Engländer soll durch vier Seiten von Jude gesprochen und gesagt haben, ich sei »eingestandenermaßen« ein Jude! Eingestandenermaßen – wie gefällt Ihnen das? Ein Engländer habe gesagt: das Ganze habe eine Satire sein sollen auf das Reden und Treiben der Liberalen! Ein Engländer: ich sei ein kalter Mensch, ohne allen Enthusiasmus, und man höre es mir an, daß mir alles gleich wäre, so oder so! Dieses Lumpengesindel ist nur zu Löschpapier zu gebrauchen; aber sie drucken ihr Bestes darauf und nennen es gutes weißes Druckpapier. Sie verstehen das nicht, Sie haben nicht den Witz davon; aber wüßten Sie, was das heißt, gutes weißes Druckpapier, das gäbe Ihnen ein lebhafteres Bild von unserm öffentlichen Leben. O das Vieh – eingestandenermaßen!
Vorigen Sommer unternahmen einige Deutsche in London ein freisinniges Blatt in deutscher Sprache. Als dort der österreichische und der preußische Gesandte das erfuhren, ließen sie von einem ihrer vertrauten Gesellen ein ähnliches Blatt ankündigen, das sie verschenkten oder wohlfeil weggaben, um das andere zu unterdrücken. Ihre Absicht gelang ihnen auch. Wenn man Patriotismus, Mut und Beharrlichkeit genug hätte, mich hier in Paris bei solch einem wohltätigen Unternehmen zu unterstützen, nicht dem ganzen diplomatischen Korps, den Nuntius an der Spitze, sollte es gelingen, mich niederzudrücken, zu schrecken oder zu bestechen. Aber ... aber ... gutes weißes Druckpapier!
Montag, den 31. Dezember
Ein neues Journal ist auf das kommende Jahr, das heißt auf morgen, angekündigt. L'Europe littéraire, Journal[683] de la Littérature nationale et étrangère. Das einzige Interessante bei der Sache ist, daß Heine die Redaktion der deutschen Literatur übernommen, alles übrige, fürchte ich, ist Wind und wird zu Wasser werden wie jeder Wind. Die Natur mag es mir verzeihen, wenn ich ihr unrecht tue, ich weiß wahrhaftig nicht gewiß, ob jeder Wind zu Wasser wird; aber es steht einmal da. Die Ankündigung des Journals liegt vor mir: Prospectus confidentiel imprimé pour MM. les fondateurs et les rédacteurs de L'Europe littéraire. Ich habe keine Geheimnisse vor Ihnen, und Sie sollen alles erfahren.
Pour nous faire l'écho fidèle des littératures et des arts de tous les peuples, et arriver ainsi à cette universalité qui sera le but constant de nos efforts, nous avons dû nouer d'immenses relations, non seulement avec les académies et les corps savants de nos provinces et des diverses capitales de l'Europe, qui représentent les centres d'autant de cercles partiels, mais encore nous mettre en rapport direct avec tous les comités littéraires et artistes du monde civilisé. Nous devons dire qu'en France, comme à l'étranger, tous les noms célèbres dans la littérature, la philosophie et les diverses branches de l'art ont accueilli notre projet avec le même enthousiasme, et qu'ils ont promis de contribuer de leurs travaux et de leurs noms au succès de cette grande et utile entreprise. Das ist alles Wind! Was wenigstens die berühmten deutschen Literatoren betrifft, so ist nicht möglich, daß sie versprochen haben, an dem neuen Journale mitzuarbeiten, oder der Hofrat Rousseau in Frankfurt müßte ein Lügner sein, was auch nicht möglich ist. Dieser hat ja kürzlich erst bekanntgemacht, »daß die vorzüglichsten Schriftsteller Deutschlands« sich verpflichtet hätten, in sein »Frankfurter Konversationsblatt« zu schreiben; und um ein Journal, das der Hofrat Rousseau redigiert, interessant zu machen, das allein[684] könnte schon alle Kraft und Zeit einiger Dutzend Voltaires beschäftigen. Was bliebe ihnen für Paris übrig? Also gelogen. Weil ich gerade von ihm spreche – neulich erzählte mir jemand, in einem neuen Bande liri-liri-lirili-lyrischer Gedichte von Rousseau stehe auch eine Ode an den berühmten Pfeilschifter, worin diesem gesungen wird, er habe wie ein mächtiger Sturmwind alle Demagogen gleich welken Blättern vor sich hergetrieben. Wenn Sie mich liebhaben, wenn Sie mich erquicken wollen, schicken Sie mir das Gedicht!
Jetzt das Wasser! »La politique sera complètement exclue de L'Europe littéraire. Notre feuille, ainsi concentrée dans le domaine de l'art, restera toujours placée en dehors des passions du moment: elle formera, pour ainsi, dire, un territoire, neutre, où pourront demeurer et vivre en paix tous les partis et toutes les opinions. Le premier avantage qui résultera pour notre recueil de cette exclusion totale de la politique, c'est qu'il pourra franchir toutes les frontières et trouver auprès de tous les gouvernements la protection et l'appui nécessaires au succès universel qu'il a l'ambiton d'obtenir. Déjà des hauts patronages sont assurés à L'Europe littéraire. Nous avons l'espoir de rencontrer partout cette même bienveillance qui ne manqua jamais aux publications dont l'art et le progrès furent le but unique et spécial« ... Ich muß in der Mitte aufhören, um zu horchen; es ist zehn Minuten vor Mitternacht.
Hoch! Hoch! Hoch!
Dienstag, den 1. Januar 1833
Ich kehre zum französisch-europäisch-literarischen Winde zurück. Der Herausgeber des neuen Journals schrieb früher den Figaro mit viel Geist und Witz. Unter der Regierung Casimir Périer zog er sich mit seinem Witze,[685] seinem Gelde und seiner Tugend zurück und hing, wie man zu sagen pflegt, die Politik an den Nagel, das haben schon viele getan; es ist eine gefahrlose Inokulation des Galgens. Seitdem lebt er von seinen Renten. Die Moral eines Schriftstellers hat in Frankreich große Fortschritte gemacht. Der ärgste Schelm, wenn er sein Gewerbe versteht, kann mit dem Code moral in der Hand sich vor die himmlischen Assisen stellen und Gott und seine Engel keck herausfordern, ihm den Paragraphen zu nennen, den er übertreten. Ein deutscher Journalist verkauft sein Gewissen, ein französischer verkauft seine Aktien. So kömmt das Journal in andere Hände, und man braucht die eignen nicht zu beschmutzen. Ein deutscher Journalist stellt sich an den Pranger, ein französischer begnügt sich, ihn zu verdienen. Der Unternehmer der Europe littéraire, der die Gefahren der Tugend einmal kennengelernt, meidet sie ängstlich, und, um nicht zum zweiten Male in Versuchung zu kommen, seine Aktien zu verkaufen, nahm er sich lieber vor, das neue Journal von aller Politik rein zu halten. Daher hat er auch hauts patronages gefunden, nämlich eine große Menge Aristokraten und Juste-Milianer, die das Unternehmen mit Geld unterstützen. Sie sind hier wie bei uns, es ist gar kein Unterschied. Sie glauben auch, es sei möglich, dem Geiste der Zeit eine andere Richtung zu geben, und wenn man die Ästhetik gut bezahlt, werde die ungereimte Politik zugrunde gehen. Sie sehen nicht ein, daß es ihnen an Verstand mangelt, sie glauben nur, es mangle ihnen an Geld. Sie begreifen nicht, daß es ihnen an Kopf fehlt, sie meinen, es fehlen ihnen nur die Köpfe anderer – zum Abschlagen. Käme ich morgen zu dem ersten Minister jedes Staates auf dem europäischen Festlande und brächte ihm tausend Million Dukaten und einen ausführbaren Plan, hunderttausend unruhige Köpfe nach beliebiger Auswahl herunterzuschlagen – er bestellte[686] mich auf übermorgen wieder und verspräche mir, bis dahin die gute alte Zeit wiederherzustellen. Ich glaube, ihr Irren kömmt daher, daß sie die Geschichte nicht kennen oder nicht verstanden haben; die Welt wurde immer von einer Idee beherrscht, und Völker wie ihre Regierungen mußten sich ihr unterwerfen. Zwischen einer und der andern Idee kam aber immer ein Jahrhundert des Stillstandes; da schlief die Menschheit. Diese Zeit des Schlafes benutzten die Machthaber, um die Völker zu unterjochen. Diese erwachten, und da gab es Revolutionen – da war erst das Christentum, dann die Völkerwanderung, dann kamen die Kreuzzüge, darauf die Rückkehr der Künste und Wissenschaften nach Europa, dann folgte die Reformation, endlich die Idee der Freiheit. Zwischen dem Frieden, der die Religionsstreitigkeiten endigte, und der Französischen Revolution war ein Jahrhundert des Schlafes, und während dieser Zeit bildete sich das ministerielle Regieren aus, das früher gar nicht stattfand. Die Menschheit erwachte endlich, und ihr neues Tagewerk war die Idee der Freiheit, für die Machthaber die gefährlichste unter allen; denn die Freiheit ist eigentlich keine Idee, sondern nur die Möglichkeit, jede beliebige Idee zu fassen, zu verfolgen und festzuhalten. Man kann eine Idee durch eine andere verdrängen, nur die der Freiheit nicht. Wenn die Fürsten ihren Völkern sagen: wir geben euch Friede, Ordnung, Religion, Kunst, Wissenschaft, Handel, Gewerbe, Reichtum für die Freiheit – antworteten die Völker: Freiheit ist das alle zugleich; wozu sie wechseln lassen, wozu uns mit der Scheidemünze unseres Glücks beschleppen? Es ist also da gar nichts zu machen, und die Europe littéraire wird die Welt nicht ändern. Übrigens erscheint sie viermal wöchentlich in Großfolio sur papier grand, raisin velin, satiné. Das würde man bei uns ein Prachtwerk nennen, ein deutsches Nationalwerk.[687]
Davon würden nur 36 Exemplare abgezogen für unsere 36 Fürsten, die andern aber bekämen das Journal auf gutem weißem Druckpapier.
Heute vormittag habe ich im magnetischen Schlafe die »Postzeitung« von diesem Morgen gelesen. Auf der ersten Seite steht ein Neujahrsgedicht von Glaube, Liebe und Hoffnung. Glaube ist Friedrich Wilhelm, Liebe ist Franz, und Hoffnung ist Nikolas. Habe ich recht gelesen? Später ward es mir etwas dunkel, und ich konnte nicht unterscheiden, ob »Jakob hatte sieben Söhne« darinsteht.
Mittwoch, den 2. Januar
Sie sind klug. Sie geben mir auf Neujahr ein Trinkgeld und ziehen mir es dann an meinem Lohne wieder ab. Warum habe ich heute keinen Brief von Ihnen? Ist das recht? Ist das schön?
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Briefe aus Paris
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