B. Notizen

[1013] Verborgen und niedrig wie sein Stand und Leben war auch seine schriftstellerische Tätigkeit, die er seine Autorschaft zu nennen und mit der Vaterschaft zusammenzustellen pflegte. Seine Druckschriften aus drei kleinen Zeiträumen 1759–63, 1772–76, 1779–84 sind zahlreich, aber keine über 5, die meisten nicht über 2 Bogen stark. Alle waren durch besondere Veranlassungen hervorgerufen, keineswegs aus eigener Bewegung, noch weniger um erwerbswillen unternommen; wahre Gelegenheitsschriften voll Persönlichkeit und Örtlichkeit, voll Beziehung auf gleichzeitige Erscheinungen und Erfahrungen, zugleich aber voll Anspielungen auf die Bücherwelt, in der er lebte und gelebt hatte. Sie wurden von den meisten seiner Zeitgenossen als ungenießbar mit Gleichgültigkeit oder als Werke eines Schwärmers mit Verachtung aufgenommen.


Für die nicht seltenen unverständlichen Stellen dürfte kein anderer Rat sein, als den einst Hamann selbst, nur[1013] inbezug auf seine oft unleserlich Hand, seinem Freunde Schaffner gab: Imaginez et sautez.


Hamann, gleich noch andern frühern, gleichzeitigen und spätern deutschen Philosophen, wendete ebensoviel Witz und Scharfsinn an, den Glauben an die heilige Schrift und deren Offenbarungen zu verteidigen, als die gleichzeitigen französischen Philosophen angewendet, ihn anzugreifen. Aber Witz und Scharfsinn sind Waffen gut zum Angriffe, doch nicht zur Verteidigung des Glaubens. Wer die Dunkelheit beleuchtet, um zu lehren, was sie sei, der zerstört sie. Hamann suchte den Zwist des Verstandes mit dem Glauben zu schlichten, ohne daß einer dem andern einen Schritt entgegenzukommen, ohne daß sie von ihren wechselseitigen Ansprüchen das Geringste aufzuopfern nötig hätten. Ein verzweifeltes Unternehmen. Der Glaube ist Licht für das innere Auge, Musik für das innere Ohr. Einer tauben und blinden Seele erklärt man das durch Worte nicht.


Hamann hat ein so kindliches Vertrauen zu Gottes gütiger und väterlicher Führung, daß er von 300 Pfund Schulden redend, die er in London gemacht und die ihn ängstigen, ausruft: »Wie sollte es Gott auf eine Kleinigkeit ankommen? Die 300 Pfund sind seine Schulden.«


Die deutsche Sprache zur Zeit Hamanns hatte etwas von den Sitten, Kleidern, Trachten und Moden der damaligen Zeit, wie sie auch in Frankreich herrschten. Es fällt uns etwas schwer, einen geistreichen Mann mit einer Allongeperücke, wie sie Voltaire trug; eine große tragische Schauspielerin im Reifrocke zu finden. Hamanns Geist scheint von seiner Sprache maskiert.


Hamanns Schriften. Gold mit Schlacken, ohne Geschmack, ohne Form.

[1014] »Die Dämmerung des Ausdrucks.« Glückliches Wort Hamanns, das man auf seine Schriften anwenden kann.

Die Mannigfaltigkeit der Kenntnisse der deutschen Schriftsteller und ihre Belesenheit in der Literatur aller Völker und Zeiten gibt ihnen, wenn sie Dichter und Humoristen sind, eine große Bild[ung] aus allen Zweigen des Wissens, so daß man gelehrt sein muß, die Spiele ihres Witzes zu verstehen. So Hamann. Sie sind so bekannt mit jenen Kenntnissen, diese sind ihnen so häuslich und alltäglich geworden, daß sie ganz vergessen, daß es gebildete Leser geben kann, die dieses nicht verstehen.


Hamanns Worte reichen nicht für seine Gedanken, nicht für sein Denken hin.


Hamann lebt nur in der Bücherwelt. In seinen Schriften so viel von Büchern die Rede als in den Memoiren der französischen Schriftsteller von Menschen.


Den deutschen Gelehrten ist die Welt ein Buch, wozu die Wissenschaft den Text, das Leben die Notizen liefert.


– Hamanns Schriften haben einen Vorzug, der oft den Werken der berühmtesten Schriftsteller fehlt, um ihnen die äußerste Vollendung zu geben; ein Vorzug, den jeder Schriftsteller sich aneignen sollte und könnte, weil weder Talent noch Geist dazu gehört, sondern nur Klugheit oder Bescheidenheit; ein Vorzug, der auch eine schlechte Schrift vor strengem Tadel und den Leser einer langweiligen Schrift vor Langeweile schützt – die Kürze.

– Es gibt unter den Deutschen wenige philosophische Schriftsteller, die man unmittelbar genießen kann, die dem Geiste eine schon zubereitete Nahrung geben. Die vollendetsten geben uns Mehl, das man erst zu Brot backen, die minder vollendeten Getreide, das man erst mahlen muß. Hamann aber gibt uns dieses nicht einmal.[1015] Die Bedürfnisse unseres Geistes zu befriedigen, gibt er uns die Arbeit. Er ist ein scharfer Pflug, und wenn man ihn gelesen und in die Furchen, die er in unsrem Geiste gezogen, gesäet hat, wird man der Ernte froh. Seine Gedanken bereichern uns nicht, aber sein Denken.


Hamann hat oft Artikel gegen seine Rezensenten [geschrieben]. Die Schimpfreden deutscher Kritiker und Antikritiker sind riesenhaft. Die Zänkereien der homerischen Helden sind artiges Hofgeschwätz, damit verglichen.


Hamann mußte von seinen Rezensenten, die ihn nicht verstanden, oft den Vorwurf hören: er habe nur witzig sein wollen, sowie den der Dunkelheit. Hamann, in seinen Antikritiken, sucht sich deutlich zu machen, aber ohne Erfolg. Er gebraucht eine Blendlaterne, wobei er sieht, aber kein anderer.

Es gab mehrere solcher Geister wie Hamann, die wie Blitze in die dunkle Nacht ihrer Zeit herabfuhren, aber nicht dazu dienten, sie zu erhellen, sondern nur zu erfrischen.

Frau von Genlis ließ ihre Zöglinge mit bleiernen Schuhen große Fußwanderungen machen, damit ihnen hierdurch weite Fußreisen in gewöhnlichen Schuhen zum Spiele würden. Ich würde aus gleichem Grunde den Franzosen, die sich mit der deutschen Literatur bekannt machen wollen, um sich gegen alle Ermüdung abzuhärten, raten mit Hamann den Anfang zu machen.

Hamann lebte und wirkte gleichzeitig mit Rousseau, Voltaire, und sie gehörten zwei aneinander grenzenden Völkern an. Wenn man aber das Leben und Wirken Hamanns und anderer deutschen Schriftsteller mit dem der französischen des achtzehnten Jahrhunderts vergleicht, sollte man nicht glauben, daß Jahrhunderte oder das Weltmeer sie getrennt? Welche Not, Armut und[1016] Verborgenheit bei den deutschen, welches Wohlleben, welcher Glanz und welches Ansehen bei den französischen Schriftstellern! Auch viele der letztern litten und hatten mit Widerwärtigkeiten zu kämpfen, aber sie besiegten endlich immer ihre ungünstigen Verhältnisse und hatten in ihren Kämpfen immer Waffenbrüder zur Seite. Und welch ein Unterschied zwischen den Widerwärtigkeiten eines deutschen und eines französischen Schriftstellers. Der erste focht im Dunkeln, keiner war Zeuge seines Muts und seiner Wunden, und alle seine Leiden wurden lebendig begraben. Der französische Schriftsteller, der Verfolgungen und Not litt, hat ganz Paris zum Zeugen. War er wie Rousseau unglücklich, ein Bettler, ein verkannter Biedermann, so spielte er seine Lebensrolle gleich dem Glücklichen, dem Reichen, dem beliebten Voltaire, auf der nämlichen Bühne, beim Schein derselben Lichter mit ihm. Welcher Luxus in der Not Rousseaus, welche Armut in der Hamanns! Der französische Schriftsteller litt wie ein König im Kerker, den sein Feind, der ihn gefangen hielt, in den Hungerturm sperrte; der deutsche hungerte wie ein armer Tagelöhner. Der französische ging im Sturme unter, der deutsche ertrank in einem Mühlbache.[1017]

Quelle:
Ludwig Börne: Sämtliche Schriften. Band 2, Düsseldorf 1964, S. 854,1018.
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