Das Trauerspiel in Tirol

Ein dramatisches Gedicht von Immermann

[342] Als ich das Buch aufblätterte, hineinsah und den Vizekönig von Italien gewahrte, den Herzog von Danzig, den Andreas Hofer, den Speckbacher, den Pater Haspinger, den Priester Donay – gute alte Bekannte –, da dachte ich gleich: nie endet das glücklich, es müßte denn ein Wunder geschehen. Wenn Geschichten, die wir gelebt, und Menschen, die wir gekannt, auf der Bühne dargestellt werden, fordern wir Treue von den Schilderungen, Ähnlichkeit von den Bildnissen, und finden wir sie nicht, werden wir mit dem Dichter unzufrieden sein. Gibt er sie uns aber, was haben wir dann? Der Aufstand in Tirol, der Herzog von Danzig, Andreas Hofer –[342] was sind sie? Verse, halbe Reime, aus dem großen Drama unsrer Zeit herausgerissen, ohne Sinn, unverständlich und gar nicht zu deuten, wenn man nicht kennt und beachtet, was vor-, was mitgeht und was folgt. Ein Drama aber muß ein ganzes, abgeschlossenes, lebendiges Wesen sein, das vor unsern Augen geboren wird und stirbt; das sein eignes Herz hat, seine eigenen Glieder, das sich bewegt nach eigenem Gesetze seinen eigenen Dunstkreis hat und die Welt nur berührt, sie als Nahrung zu erfassen. Nein, das kann nicht gut werden, dieses Trauerspiel wird nur eine Trauerspielerei sein; wenn viel, ein Schlachtgemälde.

Ich hatte noch andre Sorgen. Wohl gibt es nichts, das erhabener und schöner wäre, als der Kampf eines Volkes für sein Vaterland. Aber der Kampf, daß er schön sei, muß einer sein für Land und Freiheit. In den Tagen Griechenlands und Roms war er immer ein solcher; denn wie in jenen Zeiten die bürgerliche Lage eines Volkes auch gewesen, ob es sich selbst beherrschte oder einem Fürsten gehorchte, ob dieser mild und gerecht regierte, oder streng und wie es ihm beliebte – das Volk verlor immer, wenn es besiegt wurde. Es verlor sein Geburtsland, die Wiege seiner Kinder, die Gräber seiner Voreltern und seine Freiheit. Es wurde weggeführt und in Sklaverei geworfen. In unsern Tagen ist es aber anders. Ein besiegtes Volk wird nicht mehr verjagt, es wird nicht mehr seiner Güter und Freiheit beraubt; es wechselt nur seine Gesetze. Ob dieses ein Unglück sei, das mitfühlend zu beweinen, müssen wir erst bedenken; wir müssen untersuchen, studieren, ob die alten oder neuen Gesetze besser sind; wir müssen berechnen, ob besser sei, zu leben unter Österreichs oder unter Bayerns Herrschaft. Hat man aber Zeit zu rechnen, wenn man vor den Lampen sitzt? Schlimm, wenn man sie hat ... Doch die Liebe für den angestammten Fürsten? Der Kampf[343] für diesen, ist er nicht auch ein schöner? Es ist ein würdiger Kampf, es ist ein Glaube wie ein andrer, und heilig wie jeder. Aber ... das Herz hat seinen Hunger wie der Magen seinen. In einer wüsten, kahlen, menschenleeren Zeit greift das Herz nach jeder Nahrung, daß es sich nur fülle, daß es nur fortbestehe. Da kämpft der Bauer für den Ritter, der Ritter für den Lehnsherrn, der Lehnsherr für den Kaiser. Ist aber der schöne Sommer gekommen, grünen und blühen die Felder, hängen süße Früchte an den Bäumen, stehen die Halme voll, und dem Herzen genügt noch immer ungesunde unerquickliche Nahrung – dann ist es die Not nicht mehr. die solche traurige Gelüste erklärt; nur die Armut tut's, die Armut des Herzens. Das ist kein Künstlerziel. Im Leben weinen wir mit jedem Schmerze, auf der Bühne nur mit dem schönen.

Noch nie ging ein Volk unter, das für seine Freiheit kämpfte; noch keines starb eines gewaltsamen Todes, sie starben nur immer den gemachen Tod aller lebenden Geschöpfe. Völker schwimmen gut und lang, und stürzen die Wellen über sie zusammen, glauben wir sie gesunken. Doch gleichviel, wir sehen und leben kurz, und das Volk, das unseren Augen untergegangen, ist uns gestorben, und wir beweinen es. Aber nur in der Geschichte, dort, wo unsre Einbildungskraft den feindlichen Widerstand so lange vergrößern darf, bis die Niederlage der Freiheit aufhört, schändlich zu sein. Aber anders ist es auf der Bühne. Da sehen und zählen wir den Feind, da sehen wir auch das unzählbare Volk, und es wird lächerlich, wenn es unterliegt. Nur der Sieg kann das Drama retten. Die Tiroler unterwerfen sich den Franzosen. Wie? Warum? Was ist geschehen? Ein Held wird getötet oder gefangen, und dann ist es aus mit seiner Kraft. Aber ein Volk! Sind die Tiroler alle auf dem Schlachtfelde geblieben? Hat man sie alle in Ketten[344] geworfen? Nein. Die wenigen Gefallenen vermißt man nicht, und wenn der Vorhang sinkt, sehen wir des Volkes noch so viel, als wir gesehen, da der Vorhang aufging. Warum weichen sie? ... Vielleicht frägt einer: warum so feilschen mit dem Herzen? Die Tiroler fielen, weil sie den Mut verloren, weil sie schwach waren. Ist Schwäche nicht auch ein böses Geschick? Wir wollen um sie weinen ... Gut, es sei! Die Tiroler waren schwach, und darum sanken sie. Aber nein, sie sanken nicht bloß, man ließ sie sinken: Die Geretteten ließen die edlen Schwimmer sinken, die sich in die Flut gestürzt, sie zu retten. Die Tiroler waren nicht bloß schwach, sie waren auch dumm. Schwach und dumm zugleich. – Das ist zuviel! Über solche Menschen kann man nur die Achseln zucken, um sie weinen kann man nicht. Die Tiroler gehören in Venturinis Chronik des 19. Jahrhunderts, nicht in die Chronik des menschlichen Herzens – sie gehören in keine Tragödie.

Ohne Führer kann ein Volk nicht siegen, ohne solchen darf man es nicht besiegen lassen – das hatte ich nur zeigen wollen. Wo sind aber die Führer der Tiroler? Warum hat sie der Dichter nicht hervorgestellt? Sind die Tiroler von selbst gegangen, haben sie frei geschlagen? Nein, sie wurden aufgezogen, und da gingen sie einen Tag und blieben am Abend stehen, weil man sie nicht von neuem aufgezogen. Wir möchten gern den Uhrschlüssel und die Hand sehen, die das getan. Hofer hat es doch nicht vollbracht? Der war nur der Leithammel, nicht einmal der Hund, der Schäfer gewiß nicht. Oder war es ein Glaube, der die Tiroler geführt? Welcher? Für welchen haben sie gekämpft? Sie sollen es uns sagen, wir wollen sie reden lassen, wir wollen sie anhören.

Als Hofer vor der Schlacht am Berge Isel mit etwas gesalbter feierlicher Lustigkeit, nach Art des Königs[345] David, Wein trinkt aus einem silbernen Pokale, auf dessen Deckel das alte Schloß Tirol eingegraben war, bewegt ihn dieser Anblick, denn – sagt er – das erinnere an


Die Freiheiten, die Recht' und Privilegien

Der sel'gen, gnäd'gen Frauen Margarete.


Wir sind froh, die Quelle der Anhänglichkeit der Tiroler für ihren alten Landesherrn endlich gefunden zu haben, ob sie zwar publizistisch ist und trübe. Ein schlichter Landmann braucht es freilich nicht zu wissen, daß Freiheit besser sei als Freiheiten, Gerechtigkeit besser als Rechte, und besser Gleichheit als Privilegien. Es muß wohl etwas Rätselhaftes in jener Liebe sein; denn der Vizekönig von Italien, der als kluger Feldherr sich doch gewiß bemüht hatte, die Verfassung des Landes, das er bekriegen sollte, und die Stimmung seiner Bewohner und deren Grund zu begreifen, weiß sich nicht herauszufinden. Er sagt zum Grafen Barraguay, einem von seinem Gefolge:


Fassen Sie die Treue,

Womit das Volk am Hause Habsburg hängt?

Den Eigensinn, das Beßre, was von außen

Zu seinem Heil ihm zukommt, abzulehnen?

Ich mind'stens fasse die Gesinnung nicht; –


worauf Barraguay antwortet:


Sie sind denn doch nur Deutsche, wie die andern. –


Wir wollen uns mit diesem naseweisen Franzosen nicht aufhalten, er ist ein viel zu gemeiner Mensch, um deutsche Herrlichkeit zu fassen; wir wollen Hofer hören. Nach dem Friedensschlusse erscheint er vor dem Vizekönig, bringt ihm die Unterwerfung Tirols, empfiehlt das Land seiner Milde und spricht:


Bedaure das unglückliche Tirol!

Laß unsern Sinn von deinen Spöttern nicht[346]

Zur Fratze dir verspotten! Lobt man doch

Den Hund am meisten, der von seinem Herrn,

Und keinem andern, seine Speise nimmt,

Ihr habt zum Grabe Österreich gemacht!

Ich sage dir: Der arme, treue Hund

Wird auf dem Grabe sich zu Tode heulen!


Mag diese hündische Liebe loben und lieben, wer da will, aber der Dichter wende sein heiliges Auge von ihr ab, nicht die darf er singen! Der Vizekönig, noch immer unbelehrt, fragt:


Warum liebt ihr Östreich?

Denk' mal darüber nach und sag' die Gründe,

Die euch so heiß nach Wien und Schönbrunn wenden

Wir wolln dann miteinander prüfen, ob

Der neue Landsherr nicht alles tat,

Nicht alles tun kann, um den Preis zu zahlen

Für diese Liebe. Warum liebt ihr Östreich?


HOFER.

Mein Herr, die Frage legt' ich selber mir

Und keiner, glaub' ich, in Tirol sich jemals vor.

Ich kann dir keine Antwort darauf geben.

VIZEKÖNIG.

Besinne dich nur, ich laß dir Zeit, du sollst,

Es ist mein Wille, dich ganz frei erklären.

HOFER.

So helf' mir Gott, ich weiß dir nicht zu sagen,

Warum den Kaiser wir zu Wien verehren.

Ich schüttle mein Gedächtnis suchend durch, –

Wir ziehen nur in Krieg, wenn wir gefährdet;

Wir zahlen Steuern nur, die wir bewilligt;

Wir haben gleiche Rechte mit den Rittern,

Wir stimmen auf dem Landtag, so wie sie;

Und freundlich immer war der Kaiser uns.

Und doch erspäh' ich in dem allen nicht

Den Winkel, der den Grund der Liebe birgt.[347]

Das alles ist es nicht, was uns macht hüpfen

Und jauchzen und das Herz vor Freuden zittern,

Wenn wir die schwarz und gelben Fahnen sehn.

Der neue Herr könnt' alles das gewähren,

Und dennoch glaub' ich – frei soll ich ja reden, –

Die alte Liebe bliebe, wie ein Kind,

Dem man die Hand gebunden, uns im Herzen.

VIZEKÖNIG.

Es scheint mithin, daß grundlos diese Liebe.

HOFER.

Ich glaube selbst, die Lieb' hat keinen Grund.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Ich bin ein Bauer

Und kann nicht, was ich meine, deutlich sagen,

Allein es dünkt mich fast, wenn ich's bedenke,

Als käm' die Liebe von der Erde nicht;

Vielmehr sie sei ein Strahl, den Gott der Herr

Vom Himmel in das Herz der Menschen sendet,

Daß sie drin scheinen solle, gleich dem Lichtlein,

So aus der Hütte Fenstern freundlich blinkt.


Das ist alles recht gut, alles recht schön, nur zu gut und zu schön für einen Bauer. Hofer denkt und spricht von der Liebe wie ein Philosoph, ja besser, denn Hofer weiß, daß er nichts weiß, und das wissen die Philosophen selten. Der Bauer hat nicht sein Herz, der Dichter hat seinen Helden erklärt. Doch es sei. Die Liebe ist ohne Grund, und diese Liebe ohne Grund war der Grund des Aufstandes der Tiroler. Wir wollen alles vergessen, woran wir nicht denken können, ohne uns zu verwirren – könnten wir nur auch vergessen, daß Hofer einige Minuten früher, an demselben Orte, in der nämlichen Unterredung zum Vizekönige gesagt:


Ich bin nicht aufgestanden freventlich,

Nicht wie ein Ritter aus dem Stegreif!

Vielmehr, ich habe höchste Mahnung und[348]

Des Kaisers Willensmeinung abgewartet

Und eher nicht den Stutz zur Hand genommen.

Ich kann wahrhaftig meine Zweifel, ob

Ich ihn ablegen solle, kann sie nicht

Aus meiner Seele in die Lüfte schicken,

Eh' ich nicht Kaisers Hand und Siegel, nicht

Den Friedensbrief von meinem Kaiser sehe.


Also war es doch nicht die Liebe ohne Grund, die ihn getrieben! Also hat er doch nicht aus dem Stegereif geliebt? Sein Herr befahl ihm, das zu tun, und er tat es. Er befahl ihm, das nicht mehr zu tun, und er tat es nicht mehr. Ist die Liebe eine Verschreibung, eine Wechselschuld? Wenn der Liebegläubiger dir sagt: Du bist mir nichts mehr schuldig, sieh, ich zerreiße die Verschreibung – bist du dann frei? Auch Ferdinand hieß sein Volk die Waffen niederlegen, und es hat es nicht getan. Tirol hätte ein anderes Spanien werden können; aber freilich war das Herz der Spanier ein Springbrunnen, keine Pumpe – es war kein deutsches Herz.

So suchen wir noch immer vergebens, was die Tiroler beseelt, und waren sie nicht beseelt, was sie getrieben, die Führer suchen wir. Warum ist nicht Hormayr da? Wie artig, wie prächtig wäre es gewesen, diesen Mann zu sehen und sprechen zu hören, der sich so heiß bemüht für Östreich gegen – Bayern. Aber Hormayr lebt! Wie! lebt denn der Vizekönig nicht auch? Was liegt daran, daß wir ihn seit einigen Jahren nicht gesehen, weil er unter der Erde wohnt? Wer ihn nicht kennt, wer keinen Zutritt zu ihm hat, wer nicht in München wohnt, kann der nicht denken, er lebe noch; muß er die Zeitung gelesen haben?

Speckbacher, der zweite Anführer der Tiroler, spricht von den Franzosen:


Ich hasse sie, ich weiß nicht recht warum.

Doch hass' ich sie, und bis ich diesen Haß[349]

In ihrer Leiber rotem Born gelöscht,

Soll mir von Fried' und Freundschaft niemand sprechen.


Beim Himmel! ... Doch still, da reden noch andere; hören wir, was die sagen. Der Priester Donay, Hofers Eigentümer, der seine große Puppe mit dem langen Barte streckt und richtet und setzt und stellt und legt, wie es ihm beliebt, will sein Spielzeug den Tirolern als Oberhaupt empfehlen und spricht:


Wählt ihn zum Haupte, den die Heil'gen lieben!

(Und der den frommen Dienern unsrer Kirche

Gern alles gönnet, was ihr Herz begehrt).


Diese letzten Worte flüsterte er dem Kapuziner Haspinger zu, ihn gleichzustimmen, und dieser sagt:


Ich will mein Haupt nicht scheren und den Staub

Von meinen Füßen nicht zur Erde schütten,

Bis ich die Feinde unsrer heil'gen Kirche

Vom Boden weggetilgt, wie sie's verdienen.


Ist das vielleicht der Schlüssel zu den Bewegungen der Tiroler? Kurz – er ist's. Wie in Spanien war es auch in Tirol Pfaffentrug, der das Volk aufgerührt, und der Herzog von Danzig ruft daher mit Recht seinen Soldaten zu:


Denkt eures Ruhmes, ihr beherzten Braven,

Folgt mir zum Angriff auf die Pfaffensklaven!


Aber der Dichter hätte diesen Schlüssel größer machen sollen, er ist zu klein. Ein Kritiker, der gräbt und schaufelt und umhersieht, konnte ihn wohl finden; aber der flüchtige Leser oder der Zuschauer, den die Lichter blenden, bemerkt ihn gewiß nicht. Die angeführten Reden der beiden Priester sind die einzigen, die das Geheimnis verraten – zu wenige Worte, zu leise ausgesprochen, und nur den Nahestehenden vernehmlich, wenn sie gut aufhorchen.[350]

Doch Glaube oder Unglaube, freie Liebe oder Folgsamkeit, edler Stolz oder Knechtsinn – der Dichter will uns zum Mitleiden, zum Abscheu, zu freudiger Überraschung oder zum Schrecken führen, und erreicht er sein Ziel, hat er es immer gut erreicht. Aber gelangte unser Dichter, wohin er wollte? Nein. Wir sollen um die Tiroler weinen, und wir bemitleiden die Franzosen; wir sollen über das schlimme Ende einer guten Sache erschrecken, und wir erschrecken nicht; denn der Ausgang überrascht uns nicht, wir haben ihn vorhergesehen, es kam, wie es kommen mußte. Wenn nicht das böse Geschick, sondern der Unverstand entscheidet, warum da geduldig sitzen bis zum letzten Blatte oder bis der Vorhang sinkt? Es gibt keinen Deutschen, der nicht die Wege des Unverstandes kennte. Ich sage: wir bemitleiden die Franzosen, und ich wette, das geschähe, wenn dies Trauerspiel von der Treue der Tiroler durch die Aufführung uns recht lebendig vor die Augen träte. Die Franzosen streiten mit ihrer gewohnten Tapferkeit, die Tiroler von ihren unerreichbaren Bergen herab, hinter undurchdringlichen Felsen hervor. Wir sind keine ritterlichen Narren, die Ehre haben und fordern – behüte uns Gott! Die Tiroler in der Geschichte brauchen keine Tapferkeit, die Franzosen mit Ruhm zu besiegen; aber die Tiroler auf der Bühne hätten Tapferkeit gebraucht, unsere Herzen zu besiegen. Sie zeigten keine, die Steine behielten Recht, und es zwingt uns darum, mit dem Vizekönig zu empfinden, wenn er spricht.


Ich klage nicht, wenn Menschen fallen, leider

Will's unsre Zeit, will's unser Schicksal so,

Doch wenn sie in dem Kampf mit Felsen, mit

Der blinden, wütenden Natur verderben,

Unnütz verderben, dann empört sich mein Gemüt.


Wie schön hat der Dichter – schöner als gut war – den Kampf geschildert, den Kampf der Berge, die zornig[351] werden und ein Herz bekommen, gegen Menschen, die der Schreck entherzt!


Wir klimmten in der Felsensäulen Mitte,

Da grade, wo sie ob der Brücke hangen,

Die schmal und spärlich überbaut den Fluß,

Und lösten alle Lärchen aus den Wurzeln

Und hoben Felsenblöck' aus ihren Betten

Und rammten in das Erdreich schwache Pfeiler

Und legten erst die Lärchen auf die Pfeiler

Und schoben dann die Blöcke auf die Lärchen;

Jetzt luden unsre guten Büchsen wir

Und hingen still wie Gemsen an den Zacken.


Nicht lange drauf, da kamen hergezogen

Die hüpfenden Franzosen in der Tiefe.

Sie trippelten in Hasten übers Brücklein

Und sahen aus von oben klein wie Mäuse.

Und als die rechte Zeit gekommen war,

Gab ich das Zeichen mit der Jägerpfeife,

Und unsre Buben löseten die Stützen.


Da hob der Berg zu dröhnen und zu wandern an

Und ging, als wie ein rollend Weltgericht,

Hinunter in die Tiefe! – Alsobald

Klang ein erschrecklich Wimmern aus dem Schlunde;

Geschrei und Heulen, wie dicht bei uns, tönte,

Drauf stieg ein Dampf empor und rollte qualmend,

Die Schlucht bedeckend, bis zu unsern Füßen.

Wir alle schossen durch den Dampf hinab,

Daß, wer noch lebt', empfing vom Blei sein Grab!


Wie nun der Staub verzogen war, so stiegen

Wir von dem Grat und gingen zu den Feinden.

Da sahn wir nichts als Stein getürmt auf Stein,

Gebrochne Augen, rauchendes Gebein!

Die Brücke lag in Trümmern, und die Eisack,

Von wild verschränkten Totengliedern starrend,

Sprang, wie ein rasend Untier, übers Schlachtfeld.[352]


Der Dichter hätte ebensogut, ja besser, die Franzosen durch ein Erdbeben können vernichten lassen; dann hätte uns doch das Mitleid nicht beunruhigt, das wir jetzt für übermütige Feinde nur mit Bedenken haben.

Ständen unsern deutschen Landsleuten nur wahre Franzosen, im schlimmen Sinne des Wortes, entgegen; hätte der Dichter den braven Tirolern gegenüber, die nicht wanken, nicht deuteln und nicht klüger sein wollen, als sie sind, Franzosen erscheinen lassen, wie wir sie kannten – summende Witzkäfer des 18. Jahrhunderts oder Phrasenmacher aus der Freiheitsfabrik oder übermütige Knechte aus der Kaiserzeit, daß wir, wenn auch von jenen nicht angezogen, doch wenigstens von diesen abgestoßen würden! Aber er tat es nicht. Alle Franzosen, welche auftraten, sind brave Leute, die tun, was sie müssen, aber denken, wie sie sollen, und sagen, was sie denken. Nur der kleine Page des Vizekönigs, der sich über den langen Bart Hofers lustig macht und meinte, er könne den Jakob in »Joseph von Ägypten« spielen – nur dieser erinnert mit wenigen Worten an Paris. Der Herzog von Danzig ist ein Biedermann, ein tapferer Soldat, in der schönsten Bedeutung dieses Ausdruckes. Der Vizekönig hat gar etwas deutsches Romantisches, er blickt nicht bloß weit, sondern auch tief, er hat etwas Überfranzösisches, er ist sinnig. Wie sinnig er ist, zeigt sich in folgender Rede, die er dem Grafen Barraguay hält, als dieser nicht begreifen kann, warum die Niederlage, die der Herzog von Danzig von den Tirolern erlitten, seinen gnädigen Herrn so betrübe? Der Vizekönig erwidert, nicht das wechselnde Kriegsglück habe ihn überrascht, bestürzt gemacht, ihn beunruhige etwas anderes:


Wodurch denn sind wir groß geworden, Graf!

Als daß wir gingen mit dem Sturm des Volkes?

Der wehte uns den lichten Sternen zu[353]

Und gab uns Kräfte, unsern goldnen Tempel

Inmitten dieser mürben Welt zu bau'n.

Uns regte an ein mächtiges Bewegen,

Ein zeugender, ein frischer Lebensgeist,

Und gegenüber war nur toter Stoff,

Nur Zahlen, Uniformen, Kabinette,

Die Fürsten ohne Völker, und die Völker

Hinwieder ohne Fürsten. –

Hier aber tritt uns ja dasselb' entgegen,

Was uns getrieben. Dieses arme Volk,

In seiner Einfalt, unter seinen Pfaffen,

Ist zu derselben Mündigkeit gelangt,

Wie wir mit unserm glänzenden Verstande,

Es will auf sich stehn, einen Willen haben.

Wer schauderte wohl nicht, wenn sich die Geister,

Die selbst wir riefen, gegen uns sich wenden!

Dies deutet eine böse Spaltung an,

Der schwangern Zeit unheimliche Geburten!


Ja, übersinnig ist der Vizekönig, er hört das Gras wachsen. Als Graf Barraguay, ihn zu trösten, sagt: »Deutschland wird uns nie gefährlich werden« – erwidert er:


Das gebe Gott! Denn würd' es uns gefährlich,

So endet' die Gefahr in unserm Sturze.

In diesem Lande voll Geheimnisse

Reift alles heimlich, unsichtbar heran,

Und seine Schrecken sind unüberwindlich.

Wir würden uns noch voll Gesundheit wähnen,

Wenn uns der Wurm schon nah am Herzen säße.


Der gute Vizekönig denkt zu gut von uns. Wäre Rußland nicht gewesen, das den kalten Ofen eingeheizt – nie wäre das Strohfeuer der einen mit der knorrigen, eichenen Geduld der andern zusammengekommen, und der Rauch der Freiheit wäre nie emporgestiegen.

Das Schauspiel hat keinen Kern, die Schale wickelt sich um nichts. Das Gemälde hat keinen Rahmen, was ist hier, was ist dort? Wo ist die Länge, die Breite, wo der[354] Boden, wo die Luft? Es ist eine Seite aus der Weltgeschichte, die mitten im Satze beginnt und mitten im Satze aufhört. Vielleicht, daß uns die Bilder entschädigen für das, was ihrer Zusammenstellung, was dem Gemälde mangelt – betrachten wir sie.

Hofer ist der Papa seines Volkes, ein guter Mann, aber schwach und abergläubisch. Er ist ein Teig für Pfaffen, und die haben ihn ganz weich geknetet. Er hat Träume und läßt sie sich von einem Pater auslegen. Wenn er schlagen soll, betet er, und wenn er geschlagen, weint er, statt den Sieg zu verfolgen. Als man ihm verkündet, er sei zum Oberhaupte gewählt worden, faßt er die Torheit gar nicht, bis ihm ein Pater sagt:


Begreifst du's nicht, so nimm es für ein Wunder;

Ein König wird nur durch ein Wunder König.


– und Speckbacher (es ist fast Spott):


Brauch' unsern Rat, wir brauchen dein Gemüt.


Da faßt er die Wahl und das große Ritterschwert, das man ihm in die Hände gibt. Nun will man von ihm wissen, welchen Plan er zur bevorstehenden Schlacht entworfen, und er antwortet: er habe keinen, das werde sich schon finden zu seiner Zeit. Zwar ist er kein pragmatischer Kopf, der viel über die Geschichte der drei letzten Jahrhunderte nachgedacht; doch hört man ihn einmal sagen:


– – – – mit den neuen Büchern

Und neuen Moden stürzte das Verderben

Über unsre Buben, über unsre Mädchen.


Also die Bücher haben es getan, auch in Tirol haben sie das Volk verdorben! Wie gut östreichisch der Mann gesinnt ist! Ist es aber wahr, so hat Speckbacher etwas geprahlt mit der patriotischen Einfältigkeit seiner Landsleute, als er dem Herzog von Danzig sagte:[355]


Wir lesen nichts als den Kalender, Herr.


Hofer, da er vor dem Vizekönige steht, ist so demütig, so unleidlich demütig! Etwas edler Trotz hätte ihn besser gekleidet. Aber der Backofen der Majestät macht ihn ganz mürbe, gleich in der ersten Minute. Das ist wohl sehr deutsch, aber gar nicht schön. Der Vizekönig will von ihm wissen, warum er die Franzosen hasse und bekriege, und statt ihm kurz und gebührlich zu antworten: ungebetene Gäste wirft man zur Tür hinaus – hält er eine lange gründliche Rede von der Liebe, die keinen Grund hat. Nachdem der Kaiser seinen Frieden geschlossen, geht Hofer traurig in die Berge, wirft sein Schwert in eine Felsenspalte und schläft ermüdet ein. Da erscheint ihm ein Engel. Was? Ein Engel erscheint ihm? Nun ja, er träumt davon, und daß wir wachend sehen, was er im Traume, muß der Engel wohl erscheinen. Es sei gut. Aber der Engel erscheint nicht bloß, er spricht auch eine ganze Zeile, er sagt:


Du sollst das Schwert, das du geführt, behalten –


und legt das weggeworfene Schwert neben dem Schlafenden nieder und verschwindet. Nein, das ist zuviel. Der Engel spricht Deutsch und trägt das lange Ritterschwert der alten Grafen zu Görtz in seiner luftigen Hand! Ein englisches Schwert, das könnte wohl sein – die englischen Waffen waren damals in Tirol wie überall und immer zu finden, wo Feinde der Franzosen – aber das Schwert eines Engels! das ist zu schwer zu tragen und zu glauben! Als Hofer erwacht und sich der Traumesmahnung erinnert und das Schwert findet, sagt er, er wäre betrogen mit dem Frieden, und beginnt den Aufruhr von neuem. Endlich ist er überzeugt, legt die Waffen nieder und irrt verzweiflungsvoll in den Bergen umher. Er ist dem Kriegsrechte verfallen, seine Freunde wollen ihn retten, ihn aus dem Lande führen, doch er[356] will nicht flüchten, er will als Märtyrer endigen, aber er zeigt sich nicht begeistert, hochsinnig, sondern entseelt und stumpfsinnig, so daß wir die Schwäche des Unglücklichen beweinen, nicht sein Geschick. Er geht unter ... Ja geschähe das nur, ginge er unter; der Tod versöhnt wie die Schuld so die Torheit. Aber er stirbt nicht, er wird nur gefangen, und wir erfahren, er solle nach Mantua geführt und dort vor das Kriegsgericht gestellt werden. So bleiben wir nach Endigung der Tragödie noch ungewiß über das Schicksal unsers Helden. Wird er verurteilt, freigesprochen werden? Wird man ihn begnadigen? Wird nicht das dankbare Östreich sich für ihn verwenden? Es kostete nur ein freundliches Wort, ganz gewiß geschieht's. Wir zweifeln – das ist nicht gut. Der dramatische Dichter muß seine Rechnung mit unsrer Einbildungskraft abschließen, ehe der Vorhang sinkt; er darf uns nicht als Schuldner verlassen.

Speckbacher ist der Mann seines, jedes Volkes. Er ist kühn, diebesschlau, wie es sich gebühret, der Übermacht entgegen. Als er im Wirtshause am Berge Isel mit dem Herzoge von Danzig zusammentrifft, verliert er, obzwar erkannt als früheres Parteihaupt, seine kecke Fassung nicht. Ja er verhöhnt den Herzog, indem er in seiner Gegenwart eben rückkehrende Boten unter Anspielungen eines Pferdehandels über die Fortschritte des Aufstandes ausfragt und sich von einem den Feinden gelieferten Treffen berichten läßt. Das war wohl toll, übermütig, frech; wer aber in solcher Zeit der Not mutig bleiben will, der muß sich in Keckheit betrinken. Speckbacher kennt und braucht die Pfaffen, er ist nicht ihr Knecht. Daß er nicht gewußt, warum er die Franzosen befeinde, haben wir schon gehört. Es ist bei ihm, wie bei den Seinigen, eine Art Sinnlichkeit, Jagdlust, Freude am Stutz, vielleicht auch dankbare Erinnerung an die landesherrlichen Preisdukaten, die er an Schützenfesten[357] sich wohl gewonnen. Als nach dem Frieden alles verloren, rettet er sich für bessere Tage. Er will nicht romantisch untergehen wie Hofer. Romantik ist die Auszehrung der Freiheit, die ihr fieberrote Wangen gibt, und darunter den bleichen Tod. Speckbacher ist der Tatenheld des Dramas; Hofer ist nur der Leidensheld eines Romans.

Der Priester Donay, ein Judas bis auf die Reue, liefert den frommen Hofer zu gewissem Tode aus. Er ist ein arithmetischer Schurke, eine hölzerne, leblose Rechenmaschine des Eigennutzes. Solche Menschen gibt es zwar im Leben; aber wir erkennen sie nicht, sie sind zu fein. Auf der Bühne aber, durch das Vergrößerungsglas der Kunst gesehen, machen sie uns Ekel und Grauen. Dort muß ein Bösewicht kalt sein oder heiß, das Fieber der Leidenschaft muß ihn beherrschen. Eine gesunde schlechte Natur können wir nicht hassen, sie ist von unserm Herzen gar zu weit. Dieser Priester, da er dem Grafen Barraguay den versteckten Hofer herbeizuschaffen verspricht, bedingt sich seinen Lohn so gemein wie ein Taglöhner; er fordert sein Trinkgeld. Er ist ein schlechter Geselle, kein Meisterschurke. Ihm gegenüber stellt der Kapuziner Haspinger, ein braver Mann, so viel man mit einer Standesvorliebe brav sein kann. Die Kirche ist ihm alles. Zwar kämpft er wacker mit, während Donay seine Haut schont, aber von Treue und Vaterlandsliebe ist auch bei ihm kein Wort. Den Bruder Donay kann er nicht ausstehen. Das ist gewiß kein Handelsneid; aber es scheint oft so. Diese beiden geistlichen Herren bilden den Dampf der Machine, der sie treibt. Man sieht ihn nicht, man spürt ihn nur. Nun ist zwar die Insurrektion der Tiroler eine Dampfmaschine gewesen; aber auf der Bühne soll es für die Zuschauer keine Geheimnisse geben. Der Dichter hätte uns den Kessel, den Ofen, die Räder, den Maschinenmeister zeigen sollen. Der Kessel[358] platzt, alle Spur geht verloren, und wir wissen nicht, wo das Leben war und woher der Tod gekommen.

Was ist der Nepomuk von Kolb für ein Mann? Der Dichter nennt ihn im Personenverzeichnisse einen Abenteurer. Aber ist er das? Ein Abenteurer ist ein kleiner bürgerlicher Held, der, seine kleine Kraft und seinen kleinen Mut zu üben, kleine bürgerliche Gefahren sucht und es mit ihnen aufnimmt. Er wagt falsche Würfel, Stockschläge, Zweikämpfe, das Gefängnis, die Polizei, und tritt ganz nahe zum Pranger heran. Er ist ein angenehmer Schwätzer, macht Glück bei den Weibern, gibt sich für einen Edelmann aus, ist Protestant und Jesuit, Demagog und Spion, verliert sich oft im Staatsgefängnisse, rettet sich wunderbar, schreibt Memoiren und lügt sehr. Kolb tut nichts von dem allen. Vielmehr wagt er den Pulverkrieg, führt eine Schar an und kämpft gegen die Franzosen. Ist er ein Betrüger oder ein Dummkopf? Eher das erste wie das andere; ich halte ihn nicht für so dumm, als der feine Donay meint. Im Lande gilt er für einen Schwärmer; man nennt ihn den Fluch der guten Sache, den ausgelassenen Nepomuk von Kolb. Aber Kolb beträgt sich nicht wie ein Schwärmer, sondern wie einer, der sich über Schwärmer lustig macht, er karikiert ihre Sprache. Denkt ein wahrer Schwärmer an Geld? Aber Kolb spricht zweimal davon. Er sagt einmal zu Donay:


Wo sahst du Witz bei leerem Beutel blühn?

Donay! ich bin erschrecklich im Verfall.

Kein Engel spricht, und alle Gläub'ger schrein.


– und ein andermal sagt er zu seiner Schar:


Kommt, meine Kerle, keines Groschens mächtig,

Doch all von Mut und tapfern Taten trächtig!


Kolb ist ein Volksnarr, der Harlekin der Insurrektion, aber weder ein Schwärmer noch ein Abenteurer.[359]

Jetzt zu dir, arme Elsi. Ach! es ging dir sehr schlimm im Leben und im Gedichte. Elsi ist Wildmanns Frau, des Wirtes am Isel. Bei diesem kamen oft die Tiroler Eidgenossen zusammen. Dort kehrte auch der Oberstlieutenant Lacoste, im Gefolge des Herzogs von Danzig, ein. Der Franzose verführte das junge Weib. Hat er das wirklich getan? Es wäre sehr gut, wenn man das glaubte, der Elsi und der Tragödie willen; aber ich glaube es nicht. Hat Elsi ein Boudoir? Trinkt sie Tee? Schläft sie bis an den hellen Tag? Trägt sie Marabufedern? Das alles nicht. Nein, Elsi wurde nicht verführt, sie verließ ohne Sträuben den rechten Weg. Das merke man sich, es hat Einfluß. »Alter mürrischer Wildmann« – sagt einmal Hofer. Das ist's. Wildmann entdeckte das Verständnis. »Seit gestern weiß ich's« – sagt er zu seiner Frau. Er verstößt sie, er jagt sie aus dem Hause. Sie weint und fleht vergebens. Der Mann sagt: die Untreue könnte er ihr verzeihen;


Doch daß du deine Ehre hast vergeudet

An meinen Feind, an unsers Landes Feind,

Das ist's, was Milde aus dem Busen weist,

Barmherzigheit zur Sünde macht und Mitleid

Zur feigen Schwäche.


Der Kampf zwischen Erbarmen und Gerechtigkeit in Wildmanns Brust, in Wildmanns Munde, ist sehr schön geschildert; aber ich weiß nicht, warum das Gefühl, das der Dichter so geschickt in uns weckte, nicht recht gedeihen will. Die Empfindung kann nicht zur Ruhe und nicht zur Unruhe kommen. Sollen wir das treulose Weib verdammen? Aber die Verräterin am Vaterlande verachten wir, und was wir verachten, mögen wir beschämt, doch nicht bestraft sehen – der Schmerz brennt die Schande weg. Sollen wir die Bürgerin verdammen? Aber die Liebe, selbst die entartete noch, jammert uns ... Die[360] verstoßene Elsi verläßt das Haus und läuft dem Oberstlieutenant Lacoste nach. Sie läuft? Ja, sie muß laufen, der Weg ist weit. Sie geht bis nach Villach in das Hauptquartier des Vizekönigs, wo sich Lacoste aufhält. Sie läßt sich bei ihrem Freunde melden. Der Bediente sagt: eine junge Frau, sie heiße Elsi, wolle ihn sprechen. Der Franzose antwortete barsch, er kenne das Weib nicht, er kenne keine Elsi. Das ist hart; aber der Krieg ist auch hart. Hat der Franzose nicht recht, wenn er sagt:


Das wär' zu harte Strafe unsrer Sünden,

Wenn sich die Schönen, die die Langeweile

Von ein paar müß'gen Stunden uns vertrieben,

Gleich Furien an unsern Fersen hingen –?


Das arme Weib, so schnöde abgewiesen, fällt in Verzweiflung und Wahnsinn, taumelt fort und schleicht von Elend zu Elend. Überall verhöhnt und weggestoßen, gerät sie in ein wildes Felsental, wo sie mit dem unglücklichen flüchtigen Hofer zusammentrifft. Die Szene dieser Begegnung ist schön, sehr schön. Der gute Hofer macht keinen Unterschied zwischen seinem eigenen unverschuldeten Mißgeschicke und dem verschuldeten des gefallenen Weibes; er sieht nur einen gemeinschaftlichen Schmerz. Aber Elsi ist so ruhig, so fürchterlich ruhig. Sie fühlt keine Schmerzen mehr, der Brand ist schon in ihrem Herzen. Hofer sucht sie zu trösten. Wildmann, erzählt er ihr, habe ihm zugesagt, sie wieder aufzunehmen. Es sei zu spät, antwortet Elsi. Sie bekennt, daß sie ein blutiges Vorhaben pflege, und Hofer kann ihren Sinn nicht ändern. Sie kehrt, da es dunkel ist, in das Haus ihres Mannes, den der Krieg entfernt, zurück. Ihr Kind und das Gesinde schickt sie unter einem Vorwande fort. Lacoste kehrt ein. Der Weg im Dienste führte ihn vorbei, er ist müde und will da übernachten. Als Lacoste schläft, legt Elsi Feuer an und verbrennt das Haus und den alten Freund. Dann stürzt sie sich in einen Abgrund ... Das ist ein niederträchtiger[361] Mord! Glaube Elsi ja nicht, uns mit ihren schönen Reden zu täuschen, wenn sie spricht:


Ein tirolisch Weib

Kann sich vergessen; aber aufgeschreckt

Vom eklen Rausch, bedeckt sie ihre Schande

Und ihren Schänder mit dem tiefsten Dunkel.

Was aber ist wohl dunkler als das Grab?


Nicht der Rausch, der Durst hat sie zur Besinnung geführt; nicht die Reue über ihr Verbrechen, der Verdruß, das Verbrechen nicht fortgesetzt zu haben, brachte sie zur Buße. Sie bringe sich um; aber was hat ihr Lacoste getan, daß sie ihn meuchelmordet? Er hat sie schnöde fortgeschickt – aber sie ließ ihm ja nicht sagen, daß sie ihr Mann verstoßen habe, daß sie eine Zuflucht bei ihrem Freunde suche! Sie ließ sich melden zum Besuche, Lacoste dachte, sie käme zum Zeitvertreibe, und ihr die Zeit zu vertreiben, ließ ihm im Hauptquartier seine Pflicht keine Zeit. Nein, diese Rache war nicht tirolisch, und sie verunziert die schöne Bewegung des Landes, die, als solche vorzustellen, sich doch der Dichter so sehr bemüht hat. Das, was Elsi getan, war kein gerechter Aufstand gegen die Franzosen, das war freche Empörung gegen die Natur.

Etwas sehr Wahres, Schönes, aber zugleich Bedenkliches hat der Dichter in seiner Vorrede bemerkt. Er hat eine Saite berührt, die er lauter hätte sollen tönen lassen, die aber freilich, zu stark angeschlagen, gar leicht springt. Er sagt: »Eine besondere Schwierigkeit, dem deutschen Theater, wie es gegenwärtig ist, gemäß zu dichten, liegt darin, daß das Publikum vorzugsweise nur von dem Deklamatorischen und Rhetorischen, nicht aber von dem Poetischen und Charakteristischen angesprochen wird. Der abgesonderte und einsame Zustand, worin die meisten Deutschen leben, begünstigt die Neigung, sich gewisse prächtige Gesinnungen und Gedanken vorzusagen[362] und dem einförmigen Strome einer einseitig angeregten Empfindung bis ins Unendliche zu folgen. Alles, was ihnen in solcher Form und von solchem Gehalte von andern geboten wird, ist ihnen gemäß. Ein sozialer und öffentlicher Zustand dagegen fordert notwendig zur Gestalt auf und bildet den Sinn für Gestalt aus ... Das Deklamatorische und Rhetorische führt, konsequent ausgebildet, zur Zerstörung des eigentlich Dramatischen. Es bewirkt, daß den Personen Sentenzen und Schilderungen in den Mund gelegt werden, die weder aus dem Charakter noch aus der Situation hervorgehen.« – Aber wie ist das zu ändern? Der Bühnendichter kann sich sein Volk nicht umgestalten, das Volk erzieht sich seine Bühne. Schauspiele sind für die Menge, und was der Menge nicht gefällt, berührt sie gar nicht. Der Deutsche liebt Reden, die Rede ist ihm die geliebte Suppe; der Dichter mag etwas Handlung hineinbrocken, aber nicht zuviel, sie muß Platz zum Schwimmen haben. Wir denken gut und reden schlecht, reden viel und tun wenig, tun manches und vollbringen nichts. Aber unsere Gleichgültigkeit gegen Handlungen entspringt nicht aus unsrer Vorliebe für Worte, sondern umgekehrt, unsre Vorliebe für Worte entspringt aus Scheu vor Handlungen. Die keuschen Deutschen wenden ihre Augen weg vor jeder nackten Tat. Es geschieht etwas ohne Umstände – pfui, wie abscheulich! Wir gleichen den verschämten Söhnen Noahs, die über ihren entblößten betrunkenen Vater rückwärts schreitend ihre Kleider warfen. Aber Worte sind die Kleider der Taten. Bei uns machen nicht bloß Kleider, auch Worte machen Leute. Diese Tatenscheu hat ihren Grund in der Geheimnissucht, die uns angeboren, die wir geerbt. Wir tun gern nichts; denn das nicht Geschehene bleibt am leichtesten verschwiegen. Das Geheimnis ist unser Gott, Verschwiegenheit unsere Religion. Wir lieben die Stille und das Grauen. Bei uns hat[363] jeder seine Geheimnisse oder sucht sie, der Bettler wie der König. Der Minister möchte gerne jede Bombe im Kriege mit Baumwolle umwickeln, daß man sie nicht fallen höre, und der Polizeidirektor meint, der Staat würde zugrunde gehen, wenn der Bürger erführe, daß sich sein guter Nachbar am Morgen erhenkt hat. Wer von uns den Jüngsten Tag erlebt, wird viel zu lachen bekommen. Was Gott unter zwanzig Bogen spricht, wird zensiert werden, und wenn die Welt brennt und das Fett schmilzt von den Sündern herab, wird die Polizei bekanntmachen: »Unruhestifter haben das Gerücht verbreitet, es sei heiß in der Welt; aber das ist eine hämische Lüge, das Wetter war nie kühler und schöner gewesen. Man warnt jedermann vor unvorsichtigen Reden und müßigem Umherschweifen auf der Straße. Eltern sollen ihre Kinder, Lehrer ihre Schüler, Meister ihre Gesellen im Hause behalten! Man bleibe ruhig! Ruhe ist die erste Bürgerpflicht.« ... Und dann wird die Welt untergehen und ruhig werden, und dann wird die ganze Welt deutsch sein. Handlung – Gestaltung – woher? Ich wollte lieber verdammt sein, alle Hochzeitgedichte für alle Philisterbräute in Deutschland zu machen als Schauspiele für ihre Väter, Männer und Brüder. Worte, Worte, Worte. Es gibt nur ein einziges Drama, das dem Deutschen gefällt, ihm angemessen und doch dabei schön ist, musterhaft und höchst vollendet – Hamlet. Aber ein Shakespeare mußte kommen, es zu dichten, ein Zauberer, der alles kann.[364]

Quelle:
Ludwig Börne: Sämtliche Schriften. Band 1, Düsseldorf 1964, S. 342-365.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Klopstock, Friedrich Gottlieb

Hermanns Schlacht. Ein Bardiet für die Schaubühne

Hermanns Schlacht. Ein Bardiet für die Schaubühne

Von einem Felsgipfel im Teutoburger Wald im Jahre 9 n.Chr. beobachten Barden die entscheidende Schlacht, in der Arminius der Cheruskerfürst das römische Heer vernichtet. Klopstock schrieb dieses - für ihn bezeichnende - vaterländische Weihespiel in den Jahren 1766 und 1767 in Kopenhagen, wo ihm der dänische König eine Pension gewährt hatte.

76 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon