I

Die junge Frau saß an dem epheuumrankten Fenster ihres Wohnzimmers und schaute die Straße hinauf nach der Gegend, von wo sie ihren Gatten, dem sie erst seit Wochen angetraut war, erwartete. Aus dem Norden war sie ihm in eine kleine Residenz Süddeutschlands gefolgt, wo er eine Stelle als Bibliothekar bekleidete. Sie hatte in ihrer jungen Ehe heute den ersten stillen Morgen verlebt; die Reise, die Sorge um die Einrichtung, einige nothwendige Besuche hatten sie seitdem vollständig in Anspruch genommen, aber nun war Alles geordnet, nun konnte das Leben, das lang und heiß ersehnte Leben an der Seite des Gatten beginnen, und doch lag es schwermuthsvoll auf ihrer hohen Stirne, und das dunkle Auge blickte fast trübe durch die hellen Scheiben, bald den Zug der Wolken beobachtend, bald wieder in die todte breite Straße sehend, auf der nur in langen Zwischenräumen ein Vorübergehender sich sehen ließ. Um so freundlicher war der Blick geradeaus auf eine anmuthige Hügelreihe, deren waldbedeckte Höhen in dem röthlich hellen Schimmer glänzten, der so ahnungsreich, wie ein stilles Morgenroth, die grüne Frühlingspracht des Buchenwaldes im Voraus verkündet. Dieser Blick konnte die Großstädterin schon entschädigen für die mangelnde Lebendigkeit um sie her, an die sie von Kindheit auf gewöhnt gewesen, und es war weder Heimweh nach der gewohnten Umgebung, noch ein andrer trüber Gedanke, der sie heute so ernst blicken machte. Was auf ihr lag, war das ernste, fast bedeutende Gefühl des Anfangs, das uns Alle beschleicht, wenn wir am Beginn eines neuen Lebensabschnittes, selbst einer neuen Arbeit stehen – Stunde um Stunde, Tag um Tag ihres künftigen Lebens rollte sich im Geiste vor[181] ihr ab, und trotz der inneren Befriedigung ihres Herzens preßte es sich zusammen, wie vor der Arbeit des Sisyphus. Das Gebundensein an alle die kleinlichen Bedingungen des Daseins schien ihr die Seele wie mit tausend lästigen Banden zu umschnüren, und es war ihr zu Muthe, als müßten ihr Schwingen wachsen, gleich der Taube, die an dem Fenster vorüberschwirrte, und als könne sie sich auf diesen erheben in ein endloses Meer von Licht und Freiheit. Dieses Gefühl war ihr nicht fremd, aber daß sie es gerade heute empfand, heute, wo sie zum Erstenmal mit vollem Bewußtsein sich ihrem Glücke hingeben wollte, war ihr befremdend und neu, und sie sagte leise vor sich hin: Adolph! als müsse er kommen, und als müsse sie an seiner Brust dies Gefühl von Heimweh wie nach einer bessern, schönern Welt erfüllt sehen. – Da klopfte es an die Thüre; sie sprang rasch auf, strich sich mit der Hand über die Haare, und auf ihr Herein trat eine freundliche, große Frau von mittleren Jahren in das Zimmer. Charlotte eilte ihr freudig entgegen: »Meine liebe Frau Doctorin«, rief sie mit klangvoller, weicher Stimme, »wie lieb ist es von Ihnen, daß Sie mich in meiner Einsamkeit aufsuchen!« »In Ihrer Einsamkeit?«, lachte die muntere Frau, »so eine Einsamkeit in den Flitterwochen, die läßt sich schon aushalten, und wie froh wäre ich, wenn ich jetzt noch manchmal eine solche Einsamkeit genießen könnte!«

»Machen Ihnen die Jungen wieder den Kopf recht toll? Schicken Sie dieselben nur recht oft herauf zu mir!« »Dafür würde der Herr Gemahl wohl schön danken«, war die lachende Antwort, »ein Gelehrter und Dichter braucht vor allen Dingen Ruhe!«

»Es ist wahr«, antwortete Charlotte, »aber er ist ja jeden Tag mehrere Stunden ganz aus dem Hause!«

»Dazu gratulire ich Ihnen; es ist nichts schrecklicher, als einen Mann den ganzen Tag neben sich sitzen zu haben. Mein armer Mann dauert mich freilich oft, wenn er von früh bis[182] spät bei den Kranken herumlaufen muß, aber es ist doch für uns Beide besser, daß wir nicht immer zusammen sind.«

»Meinen Sie?«, fragte Charlotte ängstlich, »es war bisher mein größter Wunsch, mein Mann könne ganz ungestört zu Hause bleiben und sich nur nach Lust und Laune mit seinen Liebhabereien beschäftigen«.

»Das ist etwas Anderes; wer sein Leben mit den Musen zubringen kann, ist gewiß ein glücklicher Mensch, aber Wohlstand gehört dazu. Ich habe über diesen Punkt viel Kummer und Noth mit meinem ältesten Sohne. Er hat viel Talent, aber mein Mann besteht darauf, daß er sein ›Brodstudium‹ darüber nicht versäumt«.

Charlotte stützte sinnend den Kopf auf die Hand; sie wiederholte leise: »Aber Wohlstand gehört dazu! Ich glaube, Sie haben Recht, liebe Frau Doctorin, wir sind nicht reich, und ich glaube, mein Mann wird noch viel Bibliothekenstaub schlucken müssen, ehe wir so glücklich sind, nur von dem Ertrag seiner Feder leben zu können.«

»Es gehört schon viel dazu, damit eine Familie zu ernähren, aber darf ich Sie wohl fragen, was Herr X. bis jetzt geschrieben, damit wir uns auch in dieser Beziehung mit unseren lieben Hausgenossen näher bekannt machen können?« Die junge Frau erröthete leicht: »Ist der Name meines Mannes hier so wenig bekannt?« fragte sie leise. »Sie müssen mich entschuldigen«, versetzte die Doctorin gleichfalls in einiger Verlegenheit, »bei meinen sechs Kindern komme ich so wenig zum Lesen, daß es mir oft kaum möglich ist, die Zeitung durchzustudiren, aber dies habe ich mir zum Gesetz gemacht, mit der Welt, in der ich lebe, muß ich doch wenigstens fortgehen!« »Sie sind eine prächtige Frau«, rief Charlotte lebhaft und ergriff die Hand ihrer Besucherin, die sie herzlich drückte, »so muß ich auch werden, wie sie, so frisch und resolut und so voll Interesse für Alles, was uns umgibt«.[183]

Die Doctorin hielt ihre Hand fest und antwortete freundlich: »Sie müssen noch viel mehr werden und sind in vieler Beziehung schon viel mehr als ich. Die Frau eines Dichters hat noch höhere und geistigere Pflichten ihrem Manne gegenüber, als die eines schlichten Arztes. Dafür sind solche Frauen aber auch glücklicher und bevorzugter, als Viele unter uns.«

»Ja«, rief Charlotte und ein tiefes Roth malte ihre gewöhnlich bleiche Wange, und das dunkle Auge glühte in Begeisterung, »ja, ich bin glücklich, glücklicher als Alle, Alle!« Sie glitt bei diesen Worten von ihrem Sitze nieder auf die vor ihr stehende Fußbank, und so knieend legte sie ihr Gesicht an die Brust ihrer schnell gewonnenen mütterlichen Freundin, und heiße Thränen strömten darüber hin. Frau Z. strich ihr zärtlich über das volle Haar und sagte begütigend: »Sie sind viel zu aufgeregt, mein liebes Kind, es ist gut, daß Sie bei einem Arzte im Hause wohnen, der muß Ihnen ein niederschlagendes Pulver verschreiben«; aber Charlotte ließ sich nicht irren, sie hob ihr Haupt empor, und, indem sie in die freundlichen Augen blickte, die liebevoll auf ihr ruhten, fuhr sie fort: »Sehen Sie, ich hätte nie im Leben einen gewöhnlichen Mann heirathen können! Was waren mir die Lieutenants, die Referendars, die Beamten, die mir den Hof machten, und von denen Mancher eine ernstere Erklärung wagte. Es mögen recht strebsame, recht bedeutende Männer unter ihnen gewesen sein, aber Keiner vermochte mir Sympathie einzuflößen«.

»Nur der Dichter konnte es, Sie Schwärmerin?« schaltete Frau Z. lächelnd ein.

»Sagen Sie nicht der Dichter als solcher, als ein Mensch, der nur Verse macht oder Novellen schreibt, nein, der Mensch, der sich in einer höheren und schöneren Welt bewegt, der frei ist von den eingebildeten Vorurtheilen, die ein besonderer Stand mit sich bringt, der unabhängig und frei empfindet, was recht und gut ist, und sein Herzblut daran setzt, es zu verwirklichen.[184] Nur einen solchen Mann konnte ich lieben und ihm zu eigen sein!«

»Und haben Sie dies Alles gefunden?« fragte Frau Z. fast zögernd.

»Ich muß es gefunden haben, dafür bürgt mir meines Adolph Talent, seine Liebe zum Schönen und Großen, die Begeisterung, mit der er darüber redet.«

»Er hat noch nicht viel geschrieben?«

»Nein, aber jetzt in seiner Häuslichkeit, an meiner Brust wird er die Ausdauer, die Ruhe dazu finden. Die Störungen, welche sein Tagewerk mit sich bringt, werde ich ihm durch meine Aneiferung, mein Interesse vergessen machen. Ich werde es keinen Augenblick meines Lebens vergessen, daß ich die Frau eines Dichters bin und in diesem Sinne für den Geliebten leben muß!«

Die Doctorin drückte den Kopf der jungen Frau an ihr Herz und küßte sie auf die Stirne: »Thun Sie das, meine liebe schwärmerische Freundin, aber wenn Sie die Prosa brauchen, dann kommen Sie herunter zu mir und holen Sie sich guten Rath.« Mit diesen Worten erhob sie sich, Charlotte folgte ihr zur Thüre, aber ehe sie ging, setzte sie noch mit lächelnder Miene hinzu: »Daß Sie mir aber nur meinem Ludwig nicht zu viel von Ihrer Dichterbegeisterung erzählen, erst muß der Junge etwas Tüchtiges lernen, ehe er daran denken darf!«

»In seinem Auge liegt ein tiefes, bedeutendes Leben; obgleich er mich, als ich Sie gestern unten besuchte und er diesesmal stille halten mußte, kaum ansah, konnte ich soviel doch bemerken.«

»Ja, er ist ein bedeutender Mensch,« sagte die Mutter zärtlich, »und wenn Alles so wird, wie wir es uns denken, dann werde ich noch große Freude an ihm erleben. Dann bekomme ich auch einen Dichter!« setzte sie lachend hinzu. »Aber nun leben Sie wohl, meine liebe, junge Frau, kommen Sie bald zu mir herunter. Adieu, Adieu, ich eile, eben kommt der[185] Herr Gemahl die Treppe herauf!« Mit diesen Worten eilte sie rasch die Stiegen hinunter und war schon in die Glasthüre herein, ehe noch ein schlanker Mann, der bedächtig herauf stieg, seinen Gruß anbringen konnte. Es war Charlotten's Gatte, er ging wie in Gedanken versunken und sah erst lächelnd auf, als ihm ihre helle Stimme von Oben herab freudig zurief: »Guten Tag, Adolph, wie schön, daß Du kommst!« Nun beschleunigte sich sein Schritt, er flog die paar letzten Stufen hinauf und schloß die schlanke Gestalt stürmisch in seine Arme. Sie zog ihn herein und an den Tisch vor ihrem Sopha, wo ein Veilchenkranz auf einem zierlichen Porcellanteller süße Düfte ausströmte. »Siehst Du Adolph, es ist nun Frühling, wirklicher Frühling, die Veilchen sind da«, rief sie schmeichelnd und legte den Kopf auf seine Schulter, »sobald Du kannst, gehen wir dort die Höhe hinauf, in den Buchenwald, und da sollst Du mir ein Frühlingslied singen, wie es vielleicht noch keinem Dichter gelungen ist und das Keiner ungerührt hören kann!«

Er küßte ihren Mund, ihre Wangen und sah ihr tief in die dunklen, schwärmerischen Augen, dann sagte er lächelnd: »Frühlingslieder, Kind, die will ich den Vögeln und kleineren Talenten überlassen; Dein Sänger wählt sich höhere Gegenstände. Im Oriente wächst der Lotos meiner Dichtung, und Egypten's Pyramiden sollen darauf herab schauen, wie einst auf Napoleon's Siege.«

»Warum willst Du nicht in der Heimath bleiben, sie ist doch schön?« fragte sie dagegen mit lieblich sinnendem Blick. »Das verstehst Du nicht, meine gute Lotte; hier ist Alles abgedroschen, Alles alt und abgegriffen; nur Neues, Fremdartiges kann mir die Muse in der Brust erwecken!«

»Gewiß, ich verstehe es nicht«, sagte sie freundlich zustimmend, »ich glaubte, der Dichter finde überall die Blumen zu seinen Kränzen, und wenn es auch nur Haidekraut und Ginster wäre,[186] so könnten sie doch unter seiner Hand sich zu poetischer Schönheit fügen«.

»Du irrest, mein Kind, nur der große Gegenstand macht den Dichter und ich muß hier verkümmern in kleinen, elenden Verhältnissen!« Er ließ Charlotte los und ging finster im Zimmer auf und nieder. Sie ließ ihn einen Augenblick ruhig gewähren, dann rief sie mit so süßer Stimme: »Adolph!«, daß er wie gebannt sich zu ihr hinwandte. Sie saß wieder auf dem Sessel am Fenster, eine Epheuranke senkte sich auf ihr Haupt und umwand es fast mit einem Kranze, unter welchem das edle, schöngeschnittene Gesicht hervorsah. Im nächsten Augenblick lag er zu ihren Füßen und barg den Kopf in ihrem Schooße. »Meine Charlotte, meine Muse, mein Alles!« rief er mit erstickter Stimme, »zürne mir nicht, wenn ich klage; in meiner Brust hebt und drängt es sich von wechselnden Gestalten, sie dürsten nach Dasein, nach Leben, und ich kann es ihnen nicht geben. Ich fühle es, daß ich zu Großem geboren bin, es muß kommen. Du wirst die Zauberin sein, die alle Schätze meines Geistes und meines Herzens hebt.« Sie hatte die reine Stirn niedergesenkt auf sein blondes Haupthaar, eine Thräne hing an ihrer Wange, und wieder sagte sie mit der melodischen, süßen Stimme nichts als »Adolph«! aber in diesem einen Wort lag Alles, was die Hingebung eines Weibes auszudrücken vermag. –

Charlotte Klein war eine Waise, aber wohlhabende Verwandte hatten nichts versäumt, ihren Geist und ihr Gemüth so auszubilden, wie es Beider würdig war. Sie war in Berlin geboren und erzogen, und ihr ganzes Wesen war noch durchdrungen von einem Nachhall jener Sentimentalität und Romantik, wie diese so lange dort herrschend gewesen. Zu begabt und gebildet, um nur leer zu schwärmen, hatte sich doch schon frühe in ihr ein Hang zur Idealität entwickelt, der sich gern auf äußere Dinge übertrug. Hübsch, geistvoll und vielfach in die Gesellschaft eingeführt, hatte es ihr schon frühe nicht an[187] Bewerbern aus verschiedenen Ständen gefehlt. Wäre sie prosaischeren Sinns gewesen, sie würde wohl an dem Einen oder Andern Gefallen gefunden haben, aber sie wollte, daß auch ihre äußere Lebensstellung mit den Wünschen ihres Inneren harmonire. Es war ja ganz so, wie sie der Doctorin gesagt, sie fühlte es als eine Unmöglichkeit, sich in der Sphäre der Frau eines Beamten oder Militärs zu bewegen. Geistiges Leben, geistige Thätigkeit sollten sie umfluthen, und bei dieser Stimmung war es für einen Mann, der sich in einer solchen Stellung befand, sehr leicht möglich, ihr schon von vornherein ein erhöhtes Interesse einzuflößen. Bei einer Abendgesellschaft in Berlin lernte sie Arthur Hohenstein kennen. Er hielt sich einige Wochen dort auf, um Studien an der Bibliothek zu machen, und war durch Empfehlungsbriefe bei Freunden, die ihr nahe standen, eingeführt. Schon am ersten Abend machte er einen bleibenden Eindruck auf ihr Herz. Sein ganzes äußeres Gebahren war das eines außergewöhnlichen oder genialen Menschen, ohne dabei irgendwie affectirt oder gemacht zu erscheinen. Von schlankem Wuchs und nicht unangenehmen Gesichtszügen, war eine gewisse Steifheit in seiner Haltung und seinen Bewegungen nicht gerade störend. Sie gaben ihm die imponirende Ruhe, ohne welche wir uns den deutschen Gelehrten nicht wohl denken können, und darin ward er unterstützt durch eine vielseitige Bildung, welche ihm erlaubte, sich auf verschiedenen Gebieten des Wissens mit Leichtigkeit zu bewegen und durch eine höchst gewählte Ausdrucksweise, welche oft nur von Eingeweihten verstanden wurde. Weit entfernt von der Einfachheit bewegte sich seine Conversation so ruhig im Tone einer höheren Sphäre, daß er schon allein da durch Charlotten imponirte. Sie hatte Mühe, ihm zu folgen, sie bewunderte den Geist, der sich mit so großer Leichtigkeit fast sogar die Ausdrucksweise des Volkes anzueignen wußte, von dessen Literatur oder Sprache er redete. Je ferner diese Beziehungen lagen, um so überraschender[188] erschien diese Summe von Gelehrsamkeit; um so reizender ward es sich mit ihm zu unterhalten, je weniger Fremdere diese eigenthümliche Weise, in welcher allerdings nur wahrhaft Gebildete sich zurecht zu finden wußten, verstanden.

Charlotten's Geist war umstrickt, ehe noch ihr Herz sich's gestehen mochte, daß sie jedem Abend, den sie in Arthur's Gesellschaft zubringen sollte, mit Spannung entgegensah. Hohenstein beseelte die gleiche Empfindung.

Er hatte im Ganzen wenig Glück bei der Frauenwelt; sein Gespräch war ermüdend, oft hieroglyphisch dunkel für solche, die ihm nicht an allgemeiner Bildung nahe standen, dabei fehlten ihm die leichten Umgangsformen, welche so leicht selbst die Besseren des weiblichen Geschlechts einzunehmen verstehen. Er tanzte nicht, er musicirte nicht, Gesellschaftsspiele waren ihm zuwider; das einzige Talent, welches er in hoher Vollkommenheit besaß, war die Gabe des Vorlesens, aber auch dieses kann sich nur in kleineren und gewählteren Kreisen geltend machen. Charlotten ergriff es mächtig, ihn eine schöne Dichtung vortragen zu hören, und wenn sie dann, ihm zu danken, an den Flügel trat und ohne große technische Vollendung, aber mit dem herrlichsten Ausdruck eine einfache Piece vortrug, dann klang in Beiden die Gewißheit wieder, daß sie einander verstanden, und daß Eines des Anderen würdig war. Und eben weil Arthur Hohenstein es eigentlich nicht verstand, im gewöhnlichen Sinne den Hof zu machen, sog ihr Ohr jedes seiner Schmeichelworte mit Entzücken ein. Ihre Stirne glühte, wenn er ihr von den persischen Dichtern erzählte, und wenn er sie dann seinen Ferver nannte, halb lächelnd, aber doch mit einem Blicke, der die ganze Bedeutung des Wortes enthüllte. Jeden andren Mann würde sie ausgelacht haben, wenn er sie so unvermittelt als seinen Schutzengel, als sein besseres Selbst bezeichnet hätte – hier, umgeben von dem Duft des Ausländischen, einer fremdartigen Poesie, machte dies Wort sie erröthen, und indem sie lächelnd und[189] verwirrt die Augen senkte, sagte sie dem Manne genug, dessen Herz sich schon lange nach Liebe sehnte, dessen eitler Geist schon lange nach einem Triumphe schmachtete. So wuchs ihr gegenseitiges Interesse, und es bedurfte nur noch eines äußeren Anstoßes um es sich gegenseitig zu gestehen. Hohensteins Anwesenheit in Berlin ging ihrem Ende entgegen; er hatte bei seinen und Charlotten's gemeinschaftlichen Freunden versprochen, noch einmal vorzulesen, ehe er reise. Der kleine Kreis war gespannt, was er bringen würde; aber er hätte kaum Schöneres und Lieblicheres wählen können. Er las jenes herrliche, unnachahmliche Gedicht des fernen Indiens, jene wunderbare Sakontala, die uns wie ein Zaubermärchen von der Gesittung und den Geistesschätzen eines Volkes erzählt, das heute fast zu den Vergessenen gehört. Er las es mit dem ganzen Zauber seines Talents und in dem erhöhten Gefühl, daß eine Seele ihm lausche, für die jedes Wort eine doppelte tiefere Bedeutung habe, und er verfehlte seine Wirkung nicht. Als er geendet, als die Andern sich im lebhaften Gespräch über die reiche Schönheit der ihnen vorher fremd gewesenen Dichtung ergossen, lehnte Charlotte schweigend zurück in ihren Sessel, den sie vorher etwas zurück aus dem hellsten Bereich des Lichtes geschoben hatte. Sie war tief ergriffen, und in solchen Momenten ist Schweigen der höchste Preis, welcher dem Genius des Schönen gezollt werden kann. Hohenstein verstand sie ganz, und er wollte die Blüthe dieses Augenblicks pflücken. Er setzte sich leise neben sie, neigte seinen Mund fast bis an ihr Ohr und sagte flüsternd: »Duschmente war doch glücklicher als ich; mit seinem Herzen verlor er auch das Gedächtniß, und als dieses ihm wiederkehrte, war ihm auch schon die Erfüllung nahe. Was aber soll mir die Erinnerung, wenn ich fern bin ohne diese?

Charlotte versuchte zu lächeln und antwortete kaum vernehmlich: »Vielleicht nehmen sich dann auch Ihrer die Götter an«.[190]

»O so gib mir ein äußeres Zeichen, ein Amulet, das mir gleich dem Ringe der Sakontala das Recht gibt, das Gedächtniß Deines Herzens zu wecken, wenn es meiner vergessen könnte.«

Sie streifte schweigend und erglühend einen schmalen Goldreif vom Finger, den ihre Mutter schon als Mädchen getragen, und den sie seit dem Tode derselben nie mehr abgelegt hatte. Als Kind trug sie ihn an einem schwarzen Band um den Hals, später an der Hand. Man hatte sie schon manchmal mit diesem Ring, der fast wie ein Trauring aussah, in Hohensteins Gegenwart geneckt, er wußte, daß er ihr überaus theuer war; sie konnte ihm kein werthvolleres Zeichen ihrer Neigung geben. Langsam glitt er von ihrer feinen Hand nieder zwischen die Falten ihres schwarzseidnen Kleides; ehe er zu Boden fiel, fing Arthur ihn auf, und indem sich Beide mit einem Blicke ansahen, der mehr sagte, als Worte je vermögen, drückte er ihn an seine Lippen und verbarg ihn dann in seiner Hand. So stumm, unentweiht durch ein überflüssiges Wort, lieblich und geheimnißvoll wie ein Märchen, schlossen sie den Bund ihrer Seelen. Poetischer konnte nicht ausgedrückt, zärter nicht erwidert werden, was Eines von dem Andren wünschte. Beiden war es mit ihrer Liebe heiliger Ernst in dieser Stunde, Beide sahen sich am Ziele ihrer heißesten Wünsche, und Charlotte insbesondere fühlte die ganze Seligkeit eines Herzens, das seinen schönsten Traum ganz so verwirklicht sieht, wie es ihn seit Jahren geträumt. Sie war die Braut nicht allein eines gelehrten Mannes, von feinem, gewähltem Geiste, sondern auch von dichterischer Begabung; sie konnte mit ihm auf des Lebens reichster Höhe gehen, eine höhere und reinere Gedankenwelt sollte sie in seinen Armen umwehen, ihr Durst nach dem Idealen sollte an seinem Herzen Befriedigung finden. – Hohensteins Bewerbung um ihre Hand fand nur wenigen oder keinen Widerstand bei den Verwandten, die sich der Elternlosen liebend angenommen.[191] Es hätte auch nichts genützt; sie war 24 Jahre alt, konnte frei über ihre Hand und ihr kleines Vermögen verfügen, dessen Einkünfte, mit dem Gehalte verbunden, den Hohenstein als Bibliothekar bezog, ihnen ein bescheidnes aber anständiges Auskommen sicherte. Was sich daran von hochfliegenden Plänen knüpfte, bezüglich der Einnahmequellen, welche er sich durch seine dichterischen Productionen zu verschaffen hoffte, konnte dazu den »schönen Ueberfluß« bilden, welcher, wie eine geistreiche Schriftstellerin sagt: »allein glücklich macht!« Aber Arthur knüpfe die für ihn angenehmere Hoffnung daran, dann seiner Stellung, deren Pflichten ihn an gewisse Tagesstunden bannten, zu entsagen. Er gehörte trotz seines Geistes zu den Menschen, die sich wenig selbst kennen. Er glaubte, was ihn an der freien Entfaltung seines dichterischen Talentes hindere, sei der Zwang eines täglich zur bestimmten Stunde wiederkehrenden Geschäftes. Schon seit Jahren trug er sich mit den hochfliegendsten Plänen der poetischen Werke, die er vollenden wollte; daß nur selten Fragmente davon auf das Papier kamen, schien ihm zumeist die Schuld seiner Beschäftigung. Er fragte sich nie, ob es nicht umgekehrt diese sei, welche ihn zum Dichten anrege, ob es ihm nicht wohl ergehe wie Byron, der von sich selbst sagt, daß er nie ein ihn anregendes Buch gelesen, ohne sogleich den Gedanken zu fassen, ein ähnliches zu schreiben. Daß der wahre Dichter einen solchen Gedanken nie ausführt, ist selbstverständlich, aber Hohenstein wollte ihn verwirklichen; die fremde Gluth, welche ihn, den ästhetisch gebildeten Mann, erwärmte, hielt er nur zu oft für eigene. So schwankte er von einem Standpunkt auf den andern, die Flamme eines neuen Enthusiasmus löschte die des alten aus; er kam nie zu der höheren Sammlung seiner Kräfte, die Keiner mehr als der Dichter bedarf. »Aeußere Schranken sind es, die mich hemmen!« rief er oft verzweiflungsvoll, denn oft glich sein Zustand dem des Tantalus. Seine Phantasie ließ ihn in weiter, dämmernder[192] Ferne edle, herrliche Gestalten erblicken, die sein Genius geschaffen, aber wenn er sie in Wirklichkeit fest halten wollte, zerrannen sie in Schaum und Luft. Zu dem Kleinen, Naheliegenden wollte er sich nicht bequemen; zu gebildet, um nur ein Dichterling sein zu können, griff er nach dem Außergewöhnlichen, wähnend, daß allein die Wahl des Stoffes schon hinreiche, den höheren Genius zu bekunden. Er vergaß, daß die Quellen der Poesie uns überall umrauschen, und zuerst in dem Busen dessen, der ihr zu dienen erwählt ist. Sein Studium der orientalischen Sprache und Litteratur hatte ihn, wie schon früher Anderes, zu dem Glauben verleitet, daß dort im Morgenlande auf's Neue die Blume der Dichtung entsprießen müsse. Hat nicht Göthe selbst in seinen letzten Lebensjahren durch seine spätesten Dichtungen auf diesen Pfad gewinkt? Seit ihn diese Idee erfaßt, beherrschte sie Hohenstein vollständig und er verachtete gewissermaßen Jeden, der noch im Vaterlande sich zu Dichterflügen zu begeistern vermöge. In dieser Stimmung lernte er Charlotten kennen; es war keine Täuschung, wenn er in ihr das Wesen erkannte, welches fähig war, durch die Idealität des eigenen Innern einen Mann zu stützen, dessen Streben nach Höherem, als dem Gewöhnlichen ging. Durchaus nicht unfrei von einer gewissen ästhetischen Schwärmerei, widerstrebte ihr das Gemachte, der Mangel an Einfachheit in Hohensteins Wesen nicht. Seine pathetische Ausdrucksweise imponirte ihr, und bei einer Dame war es vollständig verzeihlich, daß sie Vieles für Gelehrsamkeit hielt, was genauer besehen nur für Phrase gelten konnte. – Mit heißer Ungeduld sahen Beide dem Augenblick entgegen, der sie auf immer vereinen sollte. Für Hohenstein mischte sich nur der eine Wehmuthstropfen hinein, daß er nun genöthigt war, vorläufig an seiner Stellung festzuhalten, ohne welche er keine Familie begründen konnte, Charlotte aber war ganz Glück und Hingebung. Arthur fühlte sich in dieser Zeit wirklich poetisch angeregt, manches zarte, tiefempfundene[193] Gedicht wanderte zu der Geliebten, und was lag ihr daran, ob sie als Suleika und Annesuja oder als Charlotte besungen wurde – im Gegentheil, der Zauber einer fremden Umgebung erhöhte noch den Reiz, der ihr aus diesen Ghaselen und Sonnetten floß und sie lächelte selig, wenn die Phantasie ihres Geliebten die Spree in den Ganges verwandelte, an dem sie hinwandelte mit der Anmuth einer Gazelle. Im Frühjahr holte Arthur sie heim in die kleine Residenz, in der er geboren und erzogen war, und in der man, wie sie voll Staunen aus dem Munde ihrer mütterlichen Freundin vernommen, so wenig von seiner Eigenschaft als Dichter wußte. War dies allein Arthurs Schuld? O, nein, arme Charlotte, du wirst es noch erfahren, wie viel in kleinen, deutschen Residenzen ein Dichter gilt, und noch dazu in jener Zeit. Ist das nicht ein Mensch, dem eigentlich Jeder auf zehn Schritte aus dem Wege gehen muß, und auf den die Kinder fast mit Fingern deuten? Dieser gefährliche Mensch hat den Muth zu denken und zu träumen und wenn diese Träume laut werden, dann weht ein anderer, schönerer Geist darin, als in diesen chinesischen Bureaukraten- und Offizierskreisen erlaubt ist.

Wozu braucht man dort Menschen von Geist, von eigner Gesinnung, von ideellem Schwung? Festgeschlossen stehen die Kasten der Gesellschaft da, in Stein gegraben die Urtheile, welche dort allein gelten dürfen. Hier wird ein Sänger gefeiert, vergöttert, – wehe dem Frechen, der es wagt zu sagen: »Der gute Mann singt falsch, und wenn er so fortsingt, wird er in zwei Jahren seine Stimme ruinirt haben!« Steinigt ihn! ruft die Menge, er erlaubt sich eine andere Meinung zu haben, als wir. Dort stellt ein Maler ein Bild aus, das dem neuesten Modegeschmack huldigt, man drängt sich vor demselben, man ist entzückt, man proclamirt einen zweiten Raphael. Eine schüchterne Stimme läßt sich dagegen vernehmen; sie will gar nicht verwerfen, kaum tadeln, nur klar machen, was vielleicht anders und besser sein[194] könnte. Steinigt ihn, ruft es wieder, wir haben geruht zu loben, der Maler gehört zu den Unsern, er ist einer von unsrer Coterie, von unsern Frommen oder unsern Dienstbeflissenen, sein Werk ist mithin über jeden Tadel erhaben. – Ein neues Buch taucht auf, ein Buch voll widerlicher Süßlichkeit und Sentimentalität, aber es huldigt der Menge, oder der Dichter, der natürlich nicht in der nämlichen Stadt leben darf, ist vielleicht der Vetter eines Hochgestellten; natürlich ist es das Buch aller Bücher, und wer nicht mit einstimmt in den allgemeinen Jubel, der ist abermals nichts als ein Ungläubiger, ein Ketzer, ein verlorner Mensch.

Arme Charlotte, die du in größeren Kreisen aufgewachsen, du ahnst noch nichts von der geistigen Stagnation der kleinen Städte, wo der Genius für einen Narren gilt, und wo das Talent entweder verkümmert oder systematisch zu Grunde gerichtet wird, wenn es in diese Zauberkreise, wo die schlimmste geistige Unfreiheit herrscht, hineingeräth. So wirst du auch deinen Arthur finden – obschon er an Geist und Bildung um Kopfeslänge alle diese Pygmäen überragt, muß er sich doch sozusagen scheu an den Wänden hindrücken, muß er doch mit jeder Miene um Verzeihung bitten, daß er wirklich Geist besitzt, und jene kaum den blassen Schein davon!

Quelle:
Luise Büchner: Nachgelassene belletristische und vermischte Schriften in zwei Bänden, Band 1, Frankfurt a.M. 1878, S. 181-195.
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