VII

[256] An diesem nämlichen Sonntag-Nachmittag war in der behaglichen Wohnung des Herrn Polizeiwachtmeisters Eisenstein eine sehr würdige Gesellschaft versammelt. In dem freundlichen Wohnzimmer, an dessen Fenstern im warmen Sonnenschein Primeln und Hyacinthen dufteten und mit dem Wohlgeruch kämpften, der einer silbernen Kaffee-Kanne entstieg, saß auf dem Sopha eine sehr stattliche Dame, der man es nicht ansah, wie[256] nahe sie den siebenzig stand. Zu ihrem jugendlichen Aussehen trug ihre Toilette bei, die nach Schnitt und Farbe nichts weniger als im Geschmack einer Matrone eingerichtet war, jedoch durch die Haltung, mit der sie getragen wurde, nichts weniger als unangenehm auffiel. Es war die verwittwete Frau Obristin Daniels, eine Tante von Frau Brandeis und ohne Zweifel das hervorragendste Mitglied dieser Versammlung, durch ihre Manieren und ihren stolzen Anstand, welchem der Ehrenplatz an dem wohlbesetzten Kaffeetisch ganz und gar zukam. Fast eben so stolz thronte neben ihr ihre Busenfreundin oder – Feindin, je nach dem Stand des Mondes, denn die Verbindung dieser beiden Damen glich in seiner Abwechselung genau dem Wechsel der Gestirne. Bald verschwand sie gleich dem Monde vollständig an dem Horizont, dann tauchte sie wieder schüchtern auf, wie Selenens erstes Viertel, füllte sich rasch, war aber, sobald sie ihren Höhepunkt erreicht, wie alles Schöne auf Erden, regelmäßig ihrem Ende am nächsten. Doch konnten die beiden alten Damen nicht von einander lassen, und wir werden es sogleich erfahren, welches Medium sie im innersten Gemüth miteinander verband und einander ebenso wieder entfremdete. Noch ist die Stunde nicht erschienen, wo der erhabene Zweck dieser sich oft wiederholenden freundschaftlichen Zusammenkunft klar enthüllt wird, und so lange die Damen ihren Kaffee trinken und den köstlichen Kuchen der Frau Polizeiwachtmeisterin mit Wort und That rühmen, dürfen auch wir ein wenig plaudern. Das Freundschaftsgestirn der beiden Größen dieses Kreises stand heute im Zenith, was gar nicht zu verkennen war an der Weise, mit der sie sich gegenseitig in freundschaftlichen Ceremonien überboten. Der Pollux der uns schon bekannten Frau Obristin war Niemand weniger als die Frau Hofconditor Eisenstein, deren Mann, wie schon der Titel besagt, eine der ehrenvollsten Stellungen im Staate innehatte. Seine Obliegenheit war es, alle Bitterkeiten des Hoflebens zu überzuckern und zu übergolden,[257] den Hofkämmerer trunken zu machen mit süßem Wein, der Hofliebe Vorschub zu leisten mit holden Verschen in den Knallbonbons, enfin den ganzen Hof mit jenem Wall von Confituren, Torten, Crême's und Eis zu umziehen, der uns schon als Kinder in der Erzählung vom Schlaraffenland entzückte. Niemand muß glauben, daß er selbst Hand angelegt, Zucker gesiebt, Mandeln abgewogen oder einen Schnee geschlagen habe. Nein, er war nur der schaffende Geist, der über dem Corps der Hofküche schwebte, und auf dessen Wink sich alle Kasserollen, Reibeisen, Mörser und Wagen in Bewegung setzten. Er war unermüdlich in seinem Amte und ein Vorbild für alle die betreßten Hofconditoren in seidenen Strümpfen und kurzen Beinkleidern, die das Vorzimmer eines Fürsten füllten. Der süße, unsagbare Duft aus seiner Küche erfüllte die ganze Hof-Atmosphäre, und wenn man dem Fürsten von seinem Volke sprach, so sahen die Bauern alle aus wie Butterbretzeln, die Bürger wie Windgebackenes und der intelligente Mittelstand wie eine süße, zitternde Gallerte. Kein Wunder, daß die Frau Hofconditorin sich stolz in die Brust warf und sich wenigstens eben so viel dünkte, als eine verwittwete Obristin. Das kleine Wörtchen »Hof« hatte der sonst nur dem Bürgerstande angehörenden Beschäftigung ihres Gatten eine unsägliche Würde verliehen; ihr Mann war ein »Angestellter«, seine Arbeiten drangen bis in die Person des Fürsten selber ein, sie durfte stolz sein, durfte es doppelt, da alle achtbaren Hausfrauen ihrer Bekanntschaft sich glücklich priesen, durch ihre Vermittlung eines der geheimnißvollen Recepte jenes selbst an entfernteren Höfen berühmten, culinarischen Laboratoriums des Herrn Eisenstein zu erhalten. Wenn eine Hausfrau bei einer feierlichen Gelegenheit eine Punschbowle auf den Tisch setzen konnte, mit dem Zusatz: »Das Recept zu diesem Punsch verdanke ich dem Herrn Hofconditor!« dann war sie dreifach beglückt. Es war gar nicht nothwendig, den Namen des Wohlthäters[258] hinzuzufügen, sein exquisiter Titel allein reichte hin, alle Welt au fait zu setzen. Bei dem Wohlstand, den er sich in seiner Stellung erworben, und dem Eingebrachten seiner Frau hätte das würdige Paar ein so süßes Leben führen können, als wären sie auf lauter Rosinen und Zuckersyrup gebettet; aber die bittren Mandeln des Geschickes bleiben ja nirgends aus. Zu ihrem Unglück hatte die Frau des »Tortenverarbeitenden, Süßigkeitbereitenden« ein äußerst empfindsames und reizbares Gemüth. Sie sah in sich immer das verfolgte Opfer einer mißgünstischen oder höhnischen Absicht und mußte also stets gewaffnet sein, sich Angriffen entgegenzusetzen, die sich nur zu oft als Don Quixott'sche Windmühlen herausstellten. Wenn sie die Frau Doctor Brandeis besuchte und Ludwig zufällig pfeifend über den Hof ging, so beklagte sie sich weinend, er habe sie ausgepfiffen; wenn ihr Sohn mit einer jungen Dame zweimal auf dem Balle tanzte, so sagte sie nicht, mein Sohn macht dem Mädchen den Hof, sondern, die will meinen Sohn heirathen! was sie gleichfalls als ein Staatsverbrechen betrachtete. In allem sah die arme Frau eine versteckte Absicht, und so brachte sie es endlich glücklich dahin, daß man sich wirklich so sehr vor ihr und ihrer Zunge fürchtete, als sie es zu wünschen schien, denn da sie sich fortwährend als das unschuldige Schlachtopfer fremder Bosheit betrachtete, so hielt sie alle Welt für böse, außer sich selbst, und trachtete unablässig darnach, sich selbst zu schützen. Daß Freundschaft mit einem solchen Charakter, der nur durch fortwährende Schmeichelei einigermaßen besänftigt werden konnte, unmöglich war, hatten alle ihre Bekannten längst eingesehen, aber – so groß ist die Macht der Gewohnheit, ist die Macht einer schönen Wohnung, einer behaglichen Bewirthung, daß man sich immer wieder mit der Frau Hofconditorin versöhnte, trotz ihres allgemein bekannten mißtrauischen und wenig wohlwollenden Charakters. Die harmlose Jugend war ihr vor allen Dingen ein Dorn im Auge,[259] und unter diesen zumeist die unschuldigen Kinder des Doctor Brandeis, die sie in ihrer natürlichen Lebhaftigkeit jeden Augenblick beleidigten. Besonders Ludwig galt in ihrem Kreis als ein hochmüthiger, unhöflicher Mensch, ganz besonders aus dem Grunde, weil sie einst, um ihn zu prüfen, ihr Taschentuch fallen ließ, als er ihr begegnete. Er stolperte darüber hinaus, ohne es aufzuheben, und das konnte sie ihm nie vergeben. Der arme Ludwig! in ihren Augen war er nichts als ein Bengel, und Gustchen war eine Gans, weil sie es einmal gewagt, den Bruder gegen ihre Angriffe in Schutz zu nehmen.

Ihr gegenüber, bequem in einen Sessel gelehnt, saß die dritte dieses Kleeblatts, Fräulein Amalie von Kriegsheim, deren corpulente Gestalt schon vor undenklicher Zeit dem Flügelkleide entschlüpft war. Sie war eine der glücklichsten Personen auf diesem Erdenrund, eine der Wenigen, denen es beschieden war, selbst in dem nüchternen 19. Jahrhundert in dem Zustand des goldenen Zeitalters zu vegetiren. Ihre Jugend und ihr späteres Alter fielen noch in jenen glücklichen Moment, wo die jungen Damen nicht bereits vom 18. Jahre an davon phantasirten sich einen Wirkungskreis zu suchen, ihre Kräfte einem höheren Zweck zu widmen. Der höchste Zweck ihres Daseins war im Gegentheil nur, zu leben, und zwar so bequem und angenehm als möglich. Was gingen sie die Bedürfnisse ihrer Mitmenschen an, wenn nur für ihre eigenen gesorgt war? und dies Letztere bewerkstelligte sie in der naivsten Weise. Ludwig Brandeis hatte in seiner spöttischen Weise einst den Geschwistern das Räthsel vorgelegt: Wer ist das? Sie säet nicht, sie ärntet nicht, sie sammelt nicht in die Scheunen, und ihr himmlischer Vater ernährt sie doch? Im Chorus antwortete der übermüthige Schwarm: Fräulein Amalie von Kriegsheim! Sie hatten es getroffen; die gute, phlegmatische Dame glich in der That den Lilien auf dem Felde und den Vögeln unter dem Himmel. Sie hatte einen großen, großen Bekanntenkreis, in diesem brachte[260] sie abwechselnd ihre Tage zu, und die Nächte zog sie sich in ihr Heim zurück, wo ein langer, friedlicher, traumloser Schlaf sie für die Strapatzen des kommenden Tages stärkte. Am frühen Morgen zog sie dann wieder aus, ein blüthenweißes Strickzeug in der Tasche, mit diesem zog sie sich bei den betreffenden Gastfreunden in eine Fensternische zurück, und nun mochte es um sie her stürmen und toben, so viel es wollte, es war ihr Alles gleichgültig. – Keine große Wäsche der geplagtesten Hausfrau, kein großes Diner, kein Souper, nichts konnte sie vermögen, sich ihrer Ruhe zu entziehen und mit Hand anzulegen. Sie lebte sich, den Mahlzeiten und ihrem Strickzeug. Das Einzige, was sie nebenbei beachtete, waren die Kinder, welche sie, wie so manche andere ihres Geschlechts, als bloße Plagen für die friedliebende Menschheit ansah, und deren höhere Bestimmung sie einzig darin erblickte, sie so viel wie nur möglich zu Maschinen herauszubilden. Mit Argusaugen beobachtete sie alle ihre Bewegungen und tadelte sie mit scharfen Worten: Luise, rühre nichts auf der Komode an! Karl, was hast Du in der Sophaecke zu thun? Ludwig, schnalze nicht mit den Fingern! Sophie, nehme Dein Strickzeug und stricke! Mit solchen wohlgemeinten Ermahnungen brachte sie nachgerade die ganze kleine Welt ihres Kreises zur Verzweiflung, und wie gelähmt fielen die kleinen Hände herab, wie erstarrt standen die Jungen, wenn sie lärmend aus der Schule in's Wohnzimmer stürmten und in der Fensterecke Fräulein Amalie als Gast erblickten. Besonders waren es auch hier die Brandeis'schen Kinder, welche ihr Nervensystem auf's äußerste erregten, und wäre die Frau nicht so gut und wahrhaft wohlwollend gewesen, Fräulein Amalie würde ihr um der »unartigen Kinder« wegen nie mehr die Ehre ihres Besuchs geschenkt haben. Die Frau Obristin befand sich ihrer Großnichten und Großneffen wegen, die sie herzlich liebte, fortwährend in einem kleinen Krieg mit diesen ihren beiden Freundinnen, welcher jedoch nie so heftig wurde, um von dieser Seite[261] her das gute Einvernehmen der drei Großmächte zu stören. Ueber Ludwigs Räthsel war auch sie ernstlich böse, und sie gab sich alle Mühe, ihre Freundin, der etwas davon zu Ohren gekommen, zu beruhigen.


Frankfurter Attentat. Episode mit dem Wachtmeister. Ludwig geht zur Universität. Im Herbst Tod des Studenten. Begräbniß am Abend in Gegenwart von Ludwig und Charlotte. Sie schwören sich gegenseitig zu handeln, eine That zu thun. Verhaftung des Professors. Dessen Frau. Steigende Unzufriedenheit der Gemüther. Ludwig hält Zusammenkünfte mit Bürgerssöhnen. Gustchen dem nicht fremd. Schwärmerische Erinnerung an den Studenten. Der Kleine ihr stets treu ergeben. Dessen Verhaftung. Des Vaters Geburtstag. Ludwigs Schmerz. Sein Verbleiben im Vaterhause. Flucht. Charlotte außer sich. Muß sich von der Familie zurückziehen. Gustchens Liebe zu einem Verbannten, der treueste Freund des Bruders. Ludwigs Krankheit und Tod. Gustchen pflegt ihn, verlobt sich neben der Leiche. Schmerz der Eltern. Charlottens Tod. Gustchens Heirath. 1848.[262]

Quelle:
Luise Büchner: Nachgelassene belletristische und vermischte Schriften in zwei Bänden, Band 1, Frankfurt a.M. 1878, S. 256-263.
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