Armin's Klage

[113] Nach Ossian.


»Wissen willst du, was ich leise seufze,

Warum Trauer meine Stirn umhüllt?

Nicht gering, o Cormar, ist mein Kummer,

Meine Kinder ruh'n in Todesschlummer

Und von Schmerz ist meine Brust erfüllt!


Armin ist der Letzte seines Stammes,

Seine Glieder werden schwach und alt –

Finster ach! o Daura, ist dein Bette,

Tief dein Schlaf an kalter Grabesstätte,

Deiner Stimme Melodie verhallt.


Herbsteswinde, rauschet durch die Haide!

Bergesströme, brauset wild empor!

Stürme tobet in dem Haupt der Eichen,

Lass' dein Angesicht, o Mond, sich zeigen,

Tritt aus halb zerriss'nen Wolken vor!


Bring' die Trauernacht vor meine Blicke,

Die Arindal, Daura mir entriß –

Daura, weißer als des Schwanes Flügel,

Lieblich, wie das Mondlicht an dem Hügel,

Gleich dem Hauch der Frühlingslüfte süß.[114]


Flüchtig war Arindal's Speer im Felde,

Rothe Wetterwolke war sein Schild,

Sanft sein Blick wie Nebel auf der Welle –

Armar kam, ein Krieger stark und schnelle,

Daura trug im Herzen tief sein Bild. –


Erath's Bruder Armar hat erschlagen,

Den zu rächen, Erath kam daher,

Kam, gekleidet wie des Meeres Söhne,

Weiß die Locke, sanft der Stimme Töne,

Leicht sein Nachen schaukelt auf dem Meer.


›Schönstes Mädchen, holde Daura«, sprach er,

Aus dem Meer hebt dort ein Felsen sich,

Rothe Frucht glänzt durch des Baumes Zweige,

Den er trägt – in meinen Nachen steige,

Dort harrt Armar, zu ihm führ' ich dich!‹


Und sie ging und rief nach ihm, doch Antwort

Nur das Echo gab, sie rang die Hand:

›Armar, was erfüllst du mich mit Zagen,

Daura, ruft dich, hör' ihr banges Klagen!‹ –

Erath, der Verräther, floh zum Land.


Sie erhob der Stimme Klagetöne,

Rief Arindal's, meine Hülfe an,

Von dem Felsen klang ihr Rufen wieder,

Von den Hügeln stieg Arindal nieder,

Rauh mit Jägerkleide angethan.[115]


Fand den stolzen Erath an der Küste,

Fest er an der Eiche Stamm ihn band,

Laut sein Schmerzgeheul die Luft durchschneidet;

Durch die Fluth Arindal's Nachen gleitet,

Daura schnell zu führen an das Land.


Da kam Armar her in seinem Grimme,

Der beschwingte Pfeil vom Bogen flog,

Flog, dein Herz, Arindal, zu durchbohren,

Dein's an Erath's Statt, dem er erkoren –

Todesnacht dein treues Aug' umzog!


Ihm entsinkt das Ruder, an dem Felsen

Strebt' er noch empor – da bricht sein Herz!

Welches war, da du zu deinen Füßen

Sahst des Bruders Blut in Strömen fließen –

Welches war, o Daura, war dein Schmerz!


An den Klippen ist das Boot zerschmettert,

Armar stürzt sich in das wilde Meer,

Seine Daura will er kühn erretten,

Oder sich in dunkle Fluthen betten –

Weh! er sinkt und kehret nimmermehr!


Auf dem seeumwogten Felsen jammernd

Meine Tochter saß in ihrer Qual,

Sie zu retten war ich nicht im Stande,

Weilt' die ganze Nacht am Meeresstrande,

Sah sie bei des Mondes bleichem Strahl.[116]


Kalter Regen peitscht der Berge Seiten,

Laut dazwischen heult des Nordens Wind,

Schwächer ward beim Morgenlicht ihr Weinen,

Schwand dahin, wie auf bemoosten Steinen

Leise seufzend stirbt der Abendwind.


Einer Blume gleich vom Sturm gebrochen,

So sank Daura schmerzbeladen hin,

Du, o Armin! bliebst allein von Allen!

Bei den Frauen ist mein Stolz gefallen,

Meine Macht im Kriege schwand dahin! –


Wenn in's Thal die Stürme niederbrausen

Und der Nord die Wogen wild erhebt,

Sitz' ich an dem donnernden Gestade,

Schau' hinüber nach dem Felsengrate,

Oft von meiner Kinder Geist umschwebt!


Still einträchtig wandlen sie zusammen,

Bleich der Mond ihr dämmernd Bild enthüllt –

Nicht gering, o Cormar, ist mein Kummer,

Meine Kinder ruh'n im Todesschlummer

Und mit Schmerz ist meine Brust erfüllt!«

Quelle:
Luise Büchner: Frauenherz. Berlin 1862, S. 113-117.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Frauenherz
Frauenherz

Buchempfehlung

Diderot, Denis

Rameaus Neffe

Rameaus Neffe

In einem belebten Café plaudert der Neffe des bekannten Komponisten Rameau mit dem Erzähler über die unauflösliche Widersprüchlichkeit von Individuum und Gesellschaft, von Kunst und Moral. Der Text erschien zuerst 1805 in der deutschen Übersetzung von Goethe, das französische Original galt lange als verschollen, bis es 1891 - 130 Jahre nach seiner Entstehung - durch Zufall in einem Pariser Antiquariat entdeckt wurde.

74 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon