Zu einem »Lied ohne Worte«

[23] Ich fleh' zu dir, o, lausche meinen Tönen,

Die sanfte Luft zu deinem Ohre trägt,

Lass' sagen meines Liedes heißes Sehnen,

Was lange schon mein volles Herz bewegt.

Du lauschst ja auch der Aeolsharfe Klingen,

Wenn sanfter Wind durch ihre Saiten zieht,

Und lächelst fröhlich bei der Lerche Singen –

So lächle jetzt auch freundlich meinem Lied.

Denn, um das Herz dir schmeichelnd zu erschließen,

Hab' ich manch' süßen Ton hineingebannt,

Und, die vom Himmel sich zur Erd' ergießen,

Die Melodieen der Natur entwandt.

Der Nachtigall lauscht' ich im dunklen Hain,

Sog ihren vollsten Ton in's Herz hinein,

Ich hörte, was bei'm sanften Sternenlicht

Geheim die Lilie zu der Rose spricht.

Ich lag im Wald am mos'gen Felsenhang,

Aus dessen Brust ein Bächlein murmelnd sprang,

Des Rieselns Sinn hab' ich ihm abgelauscht,

Und wie's ihm Antwort durch die Zweige rauscht. –

Sein Nachtgebet das letzte Vöglein sang,

Zur Ruhe mahnt der Abendglocke Klang,

Nur leise summt noch die Cikade dort,

Die Glocke schweigt in zitterndem Accord,[24]

Ein Seufzer noch – dann hört mein Ohr mit Beben

Des Tages letzten Laut in Nacht verschweben.

Auf ging der Mond, und neue Melodie'n

Begannen durch die stille Nacht zu zieh'n;

Der Erd' entströmten süße Liebesklagen,

Die milde Lüfte hoch gen Himmel tragen,

D'raus leise tröstend Töne niederwallen,

Wie droben sie von Engelsharfen schallen.

Der Erde Leid, des Himmels sel'ge Lust –

Die Töne strömen dir aus meiner Brust.


Und Blumensprach' und Nachtigallensang


Und Bachesmurmeln, Abendglockenklang,

Dies Alles ist in meinem Lied erklungen,

Ich hab' dir's zitternd, bebend vorgesungen.


Dein dunkles Auge eine Thräne füllt,

Ein Seufzer deinen Lippen sanft entquillt,

Mein flehend Lied, es hat dein Herz erweicht,

Des Lebens höchstes Ziel, es ist erreicht!

Da wollt' ich jubeln wie der Wasserfall,

So sollte donnern meiner Töne Schall,

Da wollt' ich jauchzen, wie die junge Welt,

Wenn Sonnenkuß nach langer Nacht sie hellt.

Hin ist die Kraft – mir blieb ein einz'ger Ton,

Wie betend Engelslippen er entfloh'n!

Quelle:
Luise Büchner: Frauenherz. Berlin 1862, S. 23-25.
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