Ein Felsenherz

[42] Als Moses in der Seele höchstem Zagen,

Um Hülfe flehend, an den Fels geschlagen,

Da fühlte Mitleid selbst mit ihm der Stein;

Er öffnete des Busens starre Rinde,

Und segensreich entströmte voll und linde

Den Schmachtenden die Quelle frisch und rein. –


Ein andrer Moses, hab' ich auch geschlagen

An einen Fels, mit banger Furcht und Zagen,

Was aus dem Innern mir entgegenquillt;

Voll Inbrunst hab' ich heiß mit ihm gerungen,

Ich redete mit Mensch- und Engelzungen –

Es lag vor ihm der Seele ganzes Bild!


Doch kalt und stumm blieb er bei meinen Fragen,

Taub und verschlossen meinen heißen Klagen,

Ihn rührte nicht der Seele wahrster Schmerz;

Kein Quell hat lindernd sich aus ihm ergossen,

Kein Seufzer wehte, keine Thränen flossen –

Du, mehr als Stein – du warst ein Menschenherz!

Quelle:
Luise Büchner: Frauenherz. Berlin 1862, S. 42-43.
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