Dritter Auftritt.

[30] ST. PREUX zu einer Tollen an der linken Seite.

Sie glauben denn an keinen Gott, Mamsell?

DIE TOLLE.

Es ist kein Gott!

ST. PREUX.

Wie kommen Sie darauf?

DIE TOLLE.

Christus hat's selbst gesagt.

ST. PREUX.

Ich steh' versteint –

Wo hat er das gesagt? Wann hat er das

Gesagt? Wem hat er das gesagt?[30]

DIE TOLLE.

Mir! mir!

Mir selbst hat er's gesagt – und laut, laut, laut –

Die Todten hörten's – und die Lebenden,

Sie starben, als er's sagte – außer ich,

Die todt zwar, aber nicht gestorben bin.

Denn, sieht Er, mein jungfräulich dünner Leib

Ist eine durchgebohrte Seifenblase,

Und mein' ätherisch drin entpuppte Seele

Der Traum im Traume. Sage, kann Er mir

Im Sonnenschein aus weggeschmolz'nem Schnee

Ein tüchtig Petermännchen machen? Was?

Es ist kein Gott in aufgeklärten Zeiten –

Auch giebt es keine Wonne mehr. Dahin!

Dahin! Dahin!

ST. PREUX vor sich.

Entsetzlich!


Laut.


Haben Sie

Die Bibel nie gelesen?

DIE TOLLE.

Darin stand

Mit großen schwarzen glühenden Buchstaben

Geschrieben –


Sie sinnt nach.


Weh mir! ach! ich hab's vergessen –

Die Worte sind erlöscht; die Kohlen aber

Geblieben – lauter Kohlen!


Sie sinnt wieder nach.


Jetzt erinnr' ich's!

Es steht im Buche Richter, bei Johannes

Am Schluß des Briefes vom Apostel Paul,

Die sämmtlich abgebrannte Himmelsbürger

Zu Hof im Vogtland sind. Kann Er Fractur

Mit bloßen Augen lesen, starrer Blicker?

Da steht's noch deutlich an der hellen Wand

Mit meinem eignen Blute roth copirt –

Schrieb ein Postscriptum drunter noch mit Thränen –

Mit Thränen – aber die erst sichtbar werden

Um Mitternacht.[31]

ST. PREUX vor sich.

Mir fährt's durch Mark und Bein!


Laut.


Sie glauben aber doch an den St. Paul?

DIE TOLLE.

Wie sollt' ich nicht! Er glaubt ja auch an mich.

Ich bin, als Jungfrau, seine sel'ge Mutter,

Die schmerzensreiche! Warum betet Er

Sein Ave Magdalena nicht, und wirft

Sich vor mir auf die Kniee nieder, wie

Der Papst, und alle die gekrönten Sünder?

ST. PREUX weint.

Ich halt' es nicht mehr aus. Unsel'ges Mädchen!

Vielleicht hat Dir mein unvorsicht'ger Traum –

Ach! Wein vertragen kaum die schwachen Nerven,

Geschweige Weingeist, vollends Alkohol

In Quintessenz. Der schönen Seelen Nektar

Hab' ich, befürcht' ich – selbst davon berauscht –

Zu Gift rectificirt.

DIE TOLLE.

Was schwatzt Er da?

Warum doch weint Er? Laß die Thränen mir!

Ich will mich bis zur Seele ganz entblößen;

Ich will mein'n Schawl von Abendroth abwerfen;

Mein himmelblaues Hemd von Aether ausziehn,

Und mein Nachthäubchen von Gestirnen gerne

Wegschmeißen, wenn Er will – Was hat Er doch,

Daß wie 'ne Hopfenstang' Er auf und ab

Da steht, und's Mäulchen hängen läßt?

ST. PREUX lacht, indem er sich wegkehrt.

Ich kann's

Unmöglich lassen, trotz der inn'gen Rührung!

Der Himmel weint' und lachte laut zugleich,

Als ich empfangen wurde. Schmerz und Scherz

Heiratheten einander in dem Stern,

Worunter ich geboren. –


Laut.


Lebe wohl,

Wahnsinn'ge Heil'ge!

DIE TOLLE.

Gute Nacht, Freund Hain![32]

ST. PREUX geht nach einer andern Zelle, und schreibt, murmelnd, in seine Tafel.

Der Schawl von Abendroth – das Hemd von Aether –

Die Haube von Gestirnen – wenn hinzu

Den Gürtel noch, den brennenden, ich füge –

Von Mutter Erde welch ein Jungfraubild!


Ab.


Quelle:
Baggesen, Jens: Der vollendete Faust oder Romanien in Jauer. Jens Baggesen's Poetische Werke in deutscher Sprache, Bd. 3, Leipzig 1836 [Nachdruck: Bern, Frankfurt am Main, New York 1985], S. 30-33.
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