Erster Auftritt.

[186] Die auftretenden Personen werden gehört; aber nicht gesehen.


CHOR VON ZÄHNKLAPPERNDEN.

Weh! weh! wo schleppt man mich Armen hin?

Welch unanschaulicher scheußlicher Ort!

EINE HOHLE STIMME.

Fort!

CHOR VON WEINENDEN.

Weh! weh! wie saust es und braust es drin!

Wie stinkt's mir entgegen hier und dort!

HOHLE STIMME.

Fort!

ERSTER CHOR.

Was ist's, das so von oben gräßlich saust

Herab durch mein erschüttertes Geknöchel?

HOHLE STIMME.

Der Luft Geröchel.

ZWEITER CHOR.

Was ist's, das siedend immer aufwärts braust

In schwarzen Wolken ungeheuer?[186]

HOHLE STIMME.

Das unter Feuer.

ERSTER CHOR.

Was frißt der dort,

Am Felsen dort,

Zu stillen des Hungers Schmerz?

HOHLE STIMME.

Des Erdballs Herz.

ZWEITER CHOR.

Was trinkt der hier,

Am Strome hier,

Zu stillen des Durstes Wuth?

HOHLE STIMME.

Des Meeres Blut.

BEIDE CHÖRE.

Weh! weh! was harret uns Todten dort!

Welch unanschaulicher scheußlicher Ort!

HOHLE STIMME.

Fort!

EINE ANDRE NOCH HOHLERE STIMME.

Wirf sie all' in den Drachenpfuhl

Hinter des Fressenden Riesenstuhl!


Man hört ein tiefes Plumpen.


CHOR VON WEINENDEN UND ZÄHNKLAPPERNDEN.

Oh! oh! oh! oh!

HOHLE STIMME mit gräßlichem Gelache.

Halloh! halloh! halloh!

Wir betten Euch nur so.

Seyd froh!

Der Pfuhl nur bis an die Nasen steigt –

Wir sind Euch geneigt.

DIE HOHLSTE STIMME fürchterlich laut.

Schweigt!


Lange Pause, um die grausenvolle Stille recht fühlbar zu machen.


HOFRATH WERDER leise.

Das soll vermuthlich uns die Hölle gar

Vorstellen?[187]

OPITZ leise.

Und nicht übel!

MAD. DAUPHIN leise.

Gerade, weil

Man gar nichts sieht.

ST.-PREUX leise.

Ich finde diese Stille

Noch höllischer als Alles.

HERZOG halblaut.

Macht mich schaudern!

Man weiß gar nicht, was da geschieht.

BRUNO leise.

Ein Werk, unsichtbar ganz, und ohne Namen!

GENERALFELDMARSCHALL laut.

Man sieht gar nichts.

HERZOGIN leise.

Mir däucht, ich sehe gerade

Die gräßlichsten Gestalten, wie im Traum.

EINE HOFDAME leise.

Ich auch! Mir wird ganz bange. Julchen! –


Laut.


Julchen!

Mein Gott! was ist's?

HERZOGIN laut.

Was ist's?

DIE HOFDAME ihr Fläschchen suchend.

Sie liegt in Ohnmacht –


Sie gießt ihr das ganze Fläschchen auf die Stirn.


JULCHEN erwachend.

Wo bin ich? leb' ich noch?

HERZOGIN.

Sey ruhig, Kleine!

Wir sind im Schauspiel alle.

OPITZ leise.

So was macht

Effect.

MAD. DAUPHIN leise.

Das wäre nun, zum Beispiel, ganz unmöglich

Bei uns![188]

HERZOGIN leise.

Wie so?

MAD. DAUPHIN leise.

Man würde diese Stille

So laut beklatschen, daß man sie nicht hörte.

Das Pianissimo der Bühne wird

Beständig vom Parterre-Fortissimo

Begleitet.

HERZOGIN leise.

Dadurch geht's ja ganz verloren?

MAD. DAUPHIN leise.

Natürlich! – lieb' es auch nicht.

OPITZ leise zu Mad. Dauphin.

Aber doch

Liebt man bei Ihnen alles was Effect macht?

MAD. DAUPHIN immer leise.

Zum Rasen liebt man den Effect, und macht ihn

Gerade drum am liebsten selbst.


Quelle:
Baggesen, Jens: Der vollendete Faust oder Romanien in Jauer. Jens Baggesen's Poetische Werke in deutscher Sprache, Bd. 3, Leipzig 1836 [Nachdruck: Bern, Frankfurt am Main, New York 1985], S. 186-189.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der vollendete Faust oder Romanien in Jauer
Der vollendete Faust oder Romanien in Jauer

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Der grüne Kakadu. Groteske in einem Akt

Der grüne Kakadu. Groteske in einem Akt

In Paris ergötzt sich am 14. Juli 1789 ein adeliges Publikum an einer primitiven Schaupielinszenierung, die ihm suggeriert, »unter dem gefährlichsten Gesindel von Paris zu sitzen«. Als der reale Aufruhr der Revolution die Straßen von Paris erfasst, verschwimmen die Grenzen zwischen Spiel und Wirklichkeit. Für Schnitzler ungewöhnlich montiert der Autor im »grünen Kakadu« die Ebenen von Illusion und Wiklichkeit vor einer historischen Kulisse.

38 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon