[99] »Denn es ist ja doch wirklich eine Schande!«
Und zugleich mit einem behenden Ruck, auf den der Träumende nicht gefaßt war, tauchte sie aus seiner Umarmung. Es läutete Mittag.
Aber er wollte sie nicht lassen, sondern haschte und umschlang sie von hinten und bog ihren entfliehenden Rücken auf seine Lippen zurück, daß ihre Locken über ihn rollten. Da glitt sie listig ganz sachte in die Kniee hinab und war ihm unter dem Griffe, ehe er es merkte, mit glatter Windung entschlüpft. Und nun wälzte sie sich, von dem fransigen Vließe des Teppichs schmeichlerisch gestreichelt, und lachte und klatschte und jauchzte und verspottete ihn.
Dann bekleidete sie mit seinen weichen, weiten Filzpantoffeln, in denen sie versanken, ihre Füßchen, welche von Küssen verwundet waren, und stampfte gravitätisch mit einer sehr würdigen und kaiserlichen Miene und sang, indem sie mit dem Kopfe den Takt dazu pendelte, ein altes feierliches Kirchenlied. Aber plötzlich, aufrecht auf einem Beine, schnellte sie mit dem Schwunge des andern den Schuh hoch, um ihn[100] durch eine flinke und zuversichtliche Gebärde wieder aufzufangen. In dieser anmutigen Pose verweilte sie.
Sie stieß den Laden nach dem Garten auf, aus welchem der Flieder süße Grüße schickte.
Er rührte sich nicht, sondern schlürfte nur mit lauschend ausgestreckten Sinnen diesen Duft von Blumen und Fleisch. Das war ihm so unsäglich gut, nichts Besseres wußte er zu, wünschen. Nur immer noch mehr hätte er trinken mögen, je mehr er davon trank.
Er hielt sich ganz stille. Nur manchmal, als ob er einem Gedanken ausweichen wollte, der heraufsteigen könnte, neigte er leise, langsam das Haupt nach der Seite, wie der Gekreuzigte gemalt wird. Nur manchmal, als ob er eine Erinnerung ersticken wollte, vergrub er sich tiefer in die zerknüllten Kissen, welche von dem Atem ihrer Säfte in allen Poren geschwängert waren.
Er hatte in reichen Gefühlen keinen Gedanken als diesen einen, in welchem er verweilte: daß es ihm vorkam, wenn er das Auge öffnete, nichts als mit schwarzem Strich sein eigenes Lid auf einem sehr weißen Grunde zu sehen. Er dachte sich, daß das doch merkwürdig war, wenn das Auge sich selber erblickte, und spielte damit, es durch Wiederholungen auszuproben. Und es fiel ihm ein, ob es einem nicht gelingen könnte, einmal den ganzen Körper auf diese Weise anzuschauen, so von innen heraus, die Seelenseite, welche nach dem Geiste hin liegt – wenn man sich nur die gehörige Mühe gäbe.[101]
Da schreckte sie sein Träumen durch einen rieselnden Guß, kalt über das ganze Gesicht, daß es plätscherte. Und er im ersten Schauer gleich heraus und auf sie los, welche im Becken Busen und Nacken badete, und von hinten über sie her, zu rächen, und schleifte sie, wie sie auch mit Seifenschaum um sich schlug. Und sie rangen und stießen und würgten und zwickten und kitzelten und bissen sich, unter Jauchzen und Knirschen und Gellen ...
Lange blieben sie ohne Wort. Sie staunte hinaus ins Leere, weit, weit um Hilfe, mit grauem, ratlosem Blick, der vergeblich suchte. Jedesmal wieder erschreckte sie die Liebe, welche sie immer begehrte, und nimmermehr vermochte sie's zu begreifen, das alles, das ewige Geheimnis.
Dann drückte er sie mit sanfter Zärtlichkeit und hatte Mitleid und Reue. Gern hätte er geweint, recht lange und recht laut geschluchzt, wußte nicht, warum. Aber es war ihm, als könnte wohl nach solcher Seligkeit nur noch in Thränen eine neue, eine größere sein.
Und er strich ihr die verwirrten Locken aus der blassen Stirne, und sein warmer Kuß trocknete ihr die versunkenen Augen, und mit kosendem Finger schaukelte er leise ihre Nerven. Ihr wurde, als sprühte in Funken aus seinem Nagel ihr der glühende Flieder ins Fleisch, der in der Sonne schwamm, und als schäumte der Sommer, der in den Gärten sang, ihr ins Blut in brennenden Bächen ...
Sie begriffen sich nicht. Sie waren sich so fremd[102] und waren doch eins in dem anderen. Sie konnten nicht verwachsen und hingen doch zusammen. Sie wollten jedes in das andere hinüber, bis von dem eigenen nichts mehr übrig wäre, aber sie fanden nur immer wieder sich selbst. Das andere konnten sie nicht gewinnen, weil sie sich nicht verlieren konnten, und blieben entfernt, wenn sie sich berührten.
Und dann wieder unter jauchzenden Gesängen lud er sie auf seine kräftige Schulter und, wie Sieger rühmliche Beute, schleppte er sie durch die helle Werkstatt in tollen Tänzen, und ganz zu höchst auf dem besonnten Sockel der Modelle richtete er ihre nackte Schönheit auf. Im wogenden Silberstaube des Lichtes erglühte von ihrem Rosenfleisch ein holder, bebender Schein, aus schwarzblauen und hellgrünen Dämpfen gewoben, welche ihr Flaum ausatmete. Und er kniete nieder und barg sein Haupt in ihrem Schoß und verehrte sie mit allen Sinnen.
Bis mit Gewalt und Stoß, den Fuß gegen seine Wange, sie seiner rauhen Drossel sich plötzlich entrang, schräg über die Staffelei in jähem Sprung, welche stürzte, und es dröhnte und stäubte. Und sich wiegend und schüttelnd, unter Gesängen, vor dem Spiegel in aufrechter Würde, glättete sie ihre goldigen Schlangen, flocht sie, begann feierlichen Schmuck. Er aber, schlaff, lahm, hinkte wie ein verhetzter Jagdhund in die Linnen zurück und kauerte sich ein und in gurgelnden Seufzern röchelte er nach Atem, während in rüttelnden Wogen Krämpfe über seine Knochen rieselten.
Und sie machte sich schön, und sie schaute ihre[103] Schönheit und vermochte es gar nicht zu begreifen, wie namenlos schön sie war, und berauschte sich und ward nicht satt. In den hastigen Tänzen des wirbelnden Lichtes rings, das neben ihrem Fleische Schatten wurde, vor dem glückstrahlenden Glase, faltete und wendete sie ihre stolze Nacktheit, wie wenn eine Priesterin ein gebenedeites Sakrament ins lauschende Volk trägt, und zeigte sich sich selber, allen flimmernden Reichtum, und durchsuchte mit prüfender Neugierde die üppige Schatzkammer ihres Leibes nach allen köstlichen Kleinoden.
In den Knieen, auf die Ellenbogen gestützt und unter der Last des Hauptes auf die Fäuste die Wangen hinaufgeschoben, daß sie die Furchen an der Nase vertieften, stumpf vor sich hin, sah er ihr zu. Ihm wurde, als wären seine Sohlen von sanften Sammetnadeln leise gepinselt, immer feiner, immer zärtlicher, immer hastiger. Und er dachte nur immer, jetzt, jetzt gleich würde es über ihn kommen, das große Glück, aus der Wolke, die vor seinem starren Blicke wuchs, jeden Augenblick konnte es sein; aber er würde es nicht mehr erleben, weil es über die Kraft des Menschen ist, und schon wankte ihm das Gefühl, strauchelte ihm das Bewußtsein.
Und er erwartete den Streich wie ein geducktes Opfer und rüstete seine Nerven auf das schöne Sterben, die ganze Wollust dieses Todes auszukosten.
Dann aber plötzlich, bei ihrem bachantischen Rucke, da rieselte alles in ihm, und Wirbel rauschten, als ob aus tausend Brunnen brandige Ströme durch seine[104] Adern loderten, und es war ihm um die Seele von Hoffnungen und Freuden ein taumelnder Cancan.
Es bäumte sich in ihm und warf ihn und er hatte an der Brust ein Ticken, atemräuberisch, eilig, kaum mehr erträglich; er fühlte seine Knochen und sie wurden ihm zu schwer und sie zogen ihn hinab. Es wankten und brachen Riegel und Wehren seiner Seele, und aus dem Schutte flatterte in Licht Blüte an Blüte, Bild für Bild, die große neue Kunst. Es wichen und schwanden die Schleier und befreiten das Reine, und er brauchte nur noch diese dünne Stirnhaut wegzukratzen – und er würde sie endlich, endlich die Herrliche greifen und halten für alle Ewigkeit.
Sie war schon ganz deutlich in immer gewisseren Gestalten. Nur sie durch unsanften Griff nicht wieder zu verscheuchen, ängstigte ihn. Und er hielt an sich und wagte keine Bewegung, bis sie sich befestigt hätte und gewachsen wäre.
Plötzlich stand in seinem Gehirne die Erinnerung auf, daß es diese ganzen vier Wochen her alle Tage so her das Nämliche gewesen. Alle Tage kam der Schauer, kam die Wonne, kam der Taumel! Sie vergingen, nichts geschah. Es war nur wieder ein neuer Betrug.
Aber er wollte nicht daran denken, weil es doch nichts half, nein, sondern nur erbitterte und quälte. Er wollte es vergessen, alles, selbst die Kunst, ja selbst die Kunst, die auch bloß äffte. Und nichts als die Wollust, ewig die Wollust, in welcher allein die Wahrheit ist![105]
Und wieder über sie, wie der Trinker nach der Flasche, das Gedächtnis auszuwischen.
Aber sie hatte einstweilen den Schmuck ihrer Flechten begonnen, welche sie spitz aufgesteckt trug nach der spanischen Weise, und drehte die Stirnlocken mit gewärmtem Eisen. Darum wollte sie von der Erneuerung der zärtlichen Spiele nichts wissen und verwehrte standhaft seine Liebkosung. Mit dem Kamme, mit der Bürste, mit dem glühenden Stifte trieb sie ihn zurück.
Dann nahm sie die Zeitung, welche der Austräger des Morgens durch die Thürritze schob, von der Schwelle, deckte ihn damit zu und wickelte ihn darein, daß er endlich Ruhe gäbe.
Lesen. Was draußen inzwischen geschehen, ob Krieg und welche Händel unter den zänkischen Völkern – nichts wußte er mehr seit diesen vier Wochen, ohne jede Kunde und allen Geschehnissen entfremdet. Lesen ... lesen ... festhacken in den Buchstaben und die Stelle ankern, müde vom ewigen Schweifen.
Aber da, kaum daß er es recht aufgefaltet hatte, gleich auf den ersten Blick – es war auf der ersten Seite, gerade über dem Buge, ganz vorn und in großem Druck – dieses schlug ihn wie Blitz.
Nein, nein, es konnte ja nicht sein, nimmermehr konnte es wahr sein.
Und er tastete die Finger über die Zeile und vergrub die Nägel, wenn schon die Augen trogen.
Und nur heraus, mit eiligen Sprüngen, in etliche Kleider, fort, fort, um die Wahrheit![106]
Eine rasche Lüge an sie, zum Vorwand, in abgerissenen Brüchen halbsilbig gestammelt, abends, abends würde er ihr es schon erklären, und nur fort, mitten durch ihre Verwunderung, fort in Sturm.
Und wie Geier über die Beute, stieß er in dem nächsten Café auf alle Zeitungen, raffte sie zusammen, wühlte durch, eine nach der anderen, welche er nur fand, zerknitterte in Wut und konnte es nimmermehr glauben, was alle bestätigten, weil es ja nicht möglich war.
Liebermann hatte den großen Preis.
Sie brachten es alle – mit den nämlichen Worten die gleiche Notiz. Officiell offenbar, von der Jury der Ausstellung. Nein, es war kein Reporterwitz.
Er las es in jedem Blatte und las es wieder und dann mit fester, langsamer, eindringlicher Stimme las er es laut, daß jeder einzelne Buchstabe herauskollerte und mit Summen in die Wölbung hinaufschwirrte, tönend in der weiten Halle und sich lagernd in den langen Tönen, und es wurde am Ende aus den wachsenden Schwüngen, wie sie sich verschlangen, wie sie sich gesellten, aneinander ereiferten, ein brausender Chor wie von grausamen letzten Gerichten, in verdammenden Posaunen.
Liebermann hatte den großen Preis. Und er beugte sich und lauschte und erwartete das Ende, den tödlichen Streich, der es vollenden würde, von oben herab, wenn sich der Himmel öffnete.
Bis er dann plötzlich alle Blätter in einem Griff zusammenraffte und in steilem Bogen wegschleuderte[107] über das Billard, daß ihre Rahmen sich an dem Lampengehänge überschlugen und verfingen, weit von sich. Zahlte und fort in Hast. Ins Wandern, Wandern – es war wie ein sausendes Räderwerk in ihm, das ihn trieb.
Er wollte ihm entlaufen, dem Schrecklichen, wohin es nicht nach könnte.
Aber es blieben in grimmigen Tänzen um sein Auge jene boshaften Lettern und in knirschenden Gesängen um sein Ohr jene höhnische Botschaft, ein unerbittliches Geleit.
Bis er dann auf einer Bank unter duftender Linde in Schwindel und Nebel fiel, lange.
Als er erwachte, verwundert und schwierig, sich zurecht zu finden – aber es war ein anderer, der erwachte, ein Fremder, ein Neuer, und der den Früheren, den Alten nicht begreifen konnte, der entschlafen war.
Es war ihm gut unter den warmen, sanften Blättern, aus welchen Wollust tropfte, und er schnupperte gierig nach den Küssen ihres Atems, während sein Auge die Sonne trank, und war ganz ins Glück verwandelt, nur daß er sich ein wenig matt und abgeschlagen empfand, mit leisen Stichen im Gehirn, wie nach einem bösen Traum im Rausche.
Da hatte er eine Anwandlung von Logik.
Er stopfte sorgsam mit erlernter Kenntnis seine Pipe, versuchte dann erst noch einmal mit gründlicher Prüfung, ob die Verteilung auch richtig gediehen war, daß die Kräuter Luft und doch auch die gehörige[108] Fühlung hatten, was den Stolz seines Verstandes bekräftigte, und dann entzündete er sie, beharrlich um den ganzen Rand herum. Er rückte die Mütze in den Nacken zurück, daß der Sommer frei über seine Stirne wandeln konnte, und schlug die Beine übereinander wie weiland von der Vogelweide. Dann löste er noch die Bänder seiner Unterhose, weil sie ihm die Waden schnürten, und es sieht auch viel malerischer aus, wenn es flattert; und nachdem er so alle Vorkehrungen zur Beförderung der Vernunft eingerichtet hatte, unternahm er wieder einmal Erforschung und Beratung seines Gewissens, um mit starkem Geiste Ordnung und Richtung zu schaffen.
Er verfuhr systematisch, von einer Frage zu der anderen, nach der Reihe, daß es ja gewiß gelingen mußte. Und alle Träume, welche ihn von der Hauptstraße verlocken wollten, schüttelte er weg wie Fliegen. Er war auf einmal ganz fanatisch auf das strenge Denken.
Erstens, sagte er, die Thatsache feststellen, das äußere Ereignis und die innere Wirkung. Was ist denn eigentlich geschehen? Wenn einmal die Prämissen gereinigt sind, die Schlüsse wachsen aus der flachen Hand, von selber.
Was ist geschehen?
Liebermann hat die Ehrenmedaille, mein alter Freund Liebermann. Das heißt, Freund – was sich halt so nennt, vom Café und Wirtshaus her, wenn man einem Du sagt, um ihn bequemer schimpfen zu können. In vielen fröhlichen Fehden – weil er vom[109] Malen wie ein Schuster denkt – war ich seinem kurzen Verstande stets überlegen, weshalb ich ihn aufrichtig lieb gewann und seine Gesellschaft suchte, und immer haben wir uns gut vertragen, und fleißig soffen wir auch zusammen an der Isar, oft, in allen Spelunken, was Menschen aneinander bringt. Und Meister Conrad, der reisige Recke der neuen Litteratur, so gewaltig hünisch im Zechen wie im Dichten, schüttelte die blonde Mähne dazu und schenkte uns vergangene und zukünftige Märchen. Das bleibt eine schöne Erinnerung, ganz gewiß.
Die andere Freundschaft freilich, die echte, die nur in den Wünschen ist, wäre mit ihm nicht möglich gewesen, weil er doch nur unter die Kleinen und Gewöhnlichen gehört, in den niedrigen Durchschnitt der gemeinen Rasse.
Aber item: mein Freund. Und wir waren ja auch von der nämlichen Gemeinde, die in der Kunst das Neue will. Schule Liebermann, sagen die Leute, natürlich, weil von uns allen Liebermann am wenigsten Talent hat.
Auszeichnung des Freundes – angenehm und erfreulich.
Aber zudem: Auszeichnung der Schule – sehr nützlich. Die dummen Kritikaster hinter den Vogesen werden sich nicht wenig giften. Und alle miteinander können wir die Preise steigern, ohne daß ein Händler mucken darf. Lauter Gewinn. Überall Vorteil.
Freue Dich also, sagte er sich, weil es bewiesen war. Freue Dich dreifach, durch alle Abteilungen der[110] Seele, weil jede Ursache hat. Und er stellte es sich noch einmal von Anfang an deutlich vors Gemüt, daß er als Freund, als Künstler und als Geschäftsmann zugleich gewann und darum ohne Zweifel nachweisbar sehr vergnügt war, wenn er es auch nicht gleich gewahrt und erst unrichtig ausgelegt hatte – bis wirklich die gehorsamen Lippen sich ins Lachen kräuselten, daß sie ihren Beruf nicht länger versäumen möchten.
Und dann, zudem, um die Heiterkeit zu befestigen, machte er sich darauf aufmerksam, was nicht zu unterschätzen war: welche üppige Hoffnung dadurch seinem eigenen Erfolge erschlossen wurde. Denn offenbar, wenn sie an dieses stammelnde Gesudel schon die goldenen Preise hingen, dann würde es wohl nicht anders gehen, als daß sie ihm einen neuen Eiffelturm aufbauen müßten, seiner Ehre zur Gebühr, sobald er nur einmal sein Großes offenbaren würde, das Werk, in welchem alles erfüllt und bewährt war, so daß die ewige Sehnsucht vor ihm verstummte. Hei, wie sie da gucken und taumeln und jauchzen würden, und über die ganze Erde würde ein großes Fest sein und nur Wimpel und Triller und Blüten ohne Ende, ohne Ende, niemals, nirgends kein Winterliches mehr!
Nachdem er sich so entschlossen hatte, daß er vergnügt war, unternahm er zweitens die Untersuchung des Schreckens, welchen es ihm versetzt hatte. Dieses mußte noch gelöst werden, wie er hatte entstehen können. Dann war das ganze Problem erledigt und er konnte feststellen, woran er sich zu halten hatte.[111]
Und er rauchte ein neues an, immer unter der braunen Linde, auf welcher sich die Sonne schaukelte.
Offenbar, es war eine Verirrung seines Gefühles gewesen in eine ganz falsche Richtung.
Thatsache, daß er statt der notwendigen Freude, welche geboten, einen unmöglichen Schmerz, welcher verwehrt war, gespürt hatte, im ersten Anfalle. Aber wie denn konnte das sein? Woher nur hatte das über ihn kommen dürfen, so einfältig und trügerisch?
Dieses war die Frage.
Er hatte es sich bewiesen, unwiderleglich, rechnungsmäßig, daß keine Ursache dafür war, durchaus nicht die geringste, wie man auch suchen mochte, sondern Ursache bloß, umgekehrt, reichlich fürs Gegenteil. Aber irgend einen Anlaß, aus welchem es angefangen hatte, mußte es irgendwo haben. Den galt es.
Neid?
Aber da mußte er wirklich lachen, von Herzen, wie ihm dieser Argwohn über's Gehirn huschte, weil es wahrhaftig gar zu drollig war, sich dieses vorzustellen. Er neidisch auf Liebermann? Dazu hätte er ihn doch vor allem erst für was Ebenbürtiges und Gleichwertiges anerkennen müssen, um ihn durch solche Ehre auszuzeichnen, den traurigen Tapper in der Finsternis, der die abgelegten Schnörkel der Pariser für die Erneuerung der deutschen Kunst verhandeln wollte. Er neidisch auf Liebermann! Warum denn nicht gleich auf Anton von Werner und Thuman?
Oder etwa vielleicht, weil er selber nicht – aber nein, auch dieses konnte kein Grund sein. Die Österreicher hatten ja noch gar nicht entschieden, und nicht[112] einmal äußerlich, da sie in verschiedenen Gruppen ausstellten, waren sie Nebenbuhler. Er selber konnte immer noch – möglich war es – die nämliche Ehre abkriegen.
Wenn nämlich solcher Geiz ihn je besessen hätte – aber er müßte sich ja schämen. Als ob man nicht wüßte, wie es gemacht wird! Wenn man so that, als ob das vielleicht doch französisch sein könnte, was die Frau Munkacsy zusammenwelschte mit ihren Talmi-Parisismen, und die fesche Frau Jettel durch ein paar harbe »Weaner Tanz« walkte, dann brauchte man nur noch dem Brozik vorzulügen, daß man ihn unter die Maler rechne, und hatte die Medaille auch schon bombenfest in der Tasche.
Um die Ohren hauen würde er ihnen den Wisch – voilà!
Nein, aber daß dieser ganze gelbe Spuk von ausgeronnenem Schatten und krätzigen Gespenstern, so geblichen und verwischt, so fahl und ohne Saft und morsch, so ausgekohlter und verzerrter Nebelabhub, überhaupt noch da war mit dem Schein des Wirklichen, immer noch, unverscheucht durch keinen atemstarken Morgen, und in knochigen Grimassen lügnerischer Todestänze die lebendige Gebärde freier Wahrheit äffen durfte, immer noch, dieser breite, sumpfige Betrug, daß er wucherte und wuchs, unaufhalsam –
Weil –
Ja, weil er die Wahrheit verschlossen hielt, feige und träge, der einzige, der sie gewähren konnte, weil er es ihnen nicht gab, den Durst zu löschen, das[113] heilende und erlösende Werk aus seiner Brust, und weil es wieder umsonst gewesen, wieder alles umsonst, wie allemal, und wieder nur eitler und höhnischer Wahn, auch dieser letzte Stoß, wie die anderen, auch dieses Ereignis der Sehnsucht, wie immer, selbst die Liebe, die große Liebe, und es wieder nur in Dunst und Dampf verraucht war, unnütz und stumpf, wie immer, wie immer!
Es kam ein großer Ekel über ihn vor dem ganzen Leben, und am liebsten wäre er tot gewesen, wenn nur die Vögel nicht sängen und nicht die Lindenblätter so goldig bräunten mit Geruch von Hoffnungen!
Er brauchte ja nur aufzustehen, ein einziges Mal, mit dem geringsten seiner Werke, ein einziges Wort bloß brauchte er zu sagen aus den unendlichen Verkündigungen seiner Seele, nur einen einzigen Strahl aus der Sonnenfülle seiner lodernden Gesichte zu versenden – und gleich über die ganze Erde mußte es tagen.
Und er blieb starr. Und er blieb stumm. Und er blieb finster. Und die höhnische Lüge lachte stolzer und hochmütiger und siegerischer, alle Tage, sichere Königin der Welt. Und in seinem bangen Herzen knirschte an Ketten die gefangene Wahrheit.
Einen Riesenbohrer mit sengender Schraube hätte er sich ins Fleisch wälzen mögen, mit ächzenden Furchen durch die knarrenden Rippen, tief, ganz tief, bis ein großes Loch würde, in die Abgründe der Seele hinein, ein ungeheures Triumphthor seiner Kunst, durch welches die Eingeweide sie herausspeien könnten.[114]
Es war alles nur Wahn. Immer hoffte er wieder, und alles hatte er versucht, mit immer erneutem Vertrauen, und alles war immer wieder nichts, und jedes versagte und nichts half, nicht einmal die Liebe. Nicht einmal die Liebe.
Ja, damals, die ersten acht Tage!
Da war aus dem Glück ein Singen von Märchen und ein Blühen von Wundern in seiner grünenden Seele aufgesprossen, wenn er nur in ihre feuchten Augen tauchte, und seine Adern rauschten von flüssigem Golde und von gewälztem Feuer und von dampfenden Weinen, wenn er, mit geblähten Nüstern, nur den Balsam ihrer braunen Brüste schlürfte, und über seine Nerven, jedesmal, daß sie sich bogen, war ein großer Wirbelwind gebraust aus glühenden Wonnen, jedesmal, unter prasselnden Stößen, wenn seine hungrige Zunge die heißen Rosen ihres Fleisches leckte. Da hatte er geschrieen, vor grimmiger, schriller Wollust, weil es zu viel war, daß sein armer Kopf es nimmermehr ertragen könnte, zu viel von Glück, von tödlichem Glück, und sich gefürchtet, in lodernden Fiebern und vereisenden Schauern, die sich jagten und haschten und scheuchten und einfingen und zerhackten, sich gefürchtet, daß es ihn zersprengen, wie Hammerwucht, und zereißen würde, wie Pulverstoß. Da waren unter den krachenden Taumeln die Schleier gewichen von seiner verhüllten Kunst, während Posaunen jauchzten, und da, aufrecht in nackter Würde, die wie diamantene Sonne blendete, hatte er sie geschaut mit gespreizten Blicken und[115] hatte sie gegriffen mit zuckenden Tasten, und den Jasmin geschlürft, der in Gießbächen aus ihrem Adel sprühte, und wahnsinnige Gebete auf blutenden Knieen nach ihr geröchelt, in schäumenden Brünsten der Andacht – aber nur halten, halten hatten sie seine verkrampften Nägel, stumpf aus Ohnmacht, nimmermehr können und nimmermehr seinem Gesetze, mit aller zerwühlenden Gier nicht, zwingen, daß sie diente und gehorchte, die Herrliche, die Große!
Und da war diese ungeheure Angst, wie er es über die Kraft fühlte, in seine wunde Hoffnung gekommen, mit rissigen Dornenstichen, die ins Mark folterten und striemten, daß es am Ende, wie er auch rang, wieder vergehen möchte, noch einmal ohne Spur und Mal auseinanderflatterte und zerränne und ihn wieder im Einsamen verließe, mit Verzweiflung, im Verschmachten. Da zischelte es ihm mit gischend rieselnden Giften in die Ohren, daß es die Rast verjagte, er möchte das Glück am Ende wieder versäumen, aus Schuld, auch dieses Mal wieder, durch Fehl und Thorheit. Und da klammerte er sich an sie und hackte sich auf sie und vergrub sich in sie und verbiß sich mit ihr und verkroch sich durch sie und tauchte sich unter sie, daß er nur in ihr und mit dem Glücke bliebe, ewig, ohne Laß.
Dann wieder schlaflose Nächte, hatte er sich das Gehirn zerknittert um Hilfe, weil es noch immer nicht das rechte war, noch immer nicht völlig.
Er versammelte allen Verstand, wie viel er nur an scharfem und klugem Sinnen vermochte, und[116] entbot alle Erfahrung, was er je an sich selber beobachtet und fremden Rates erholt hatte, wie Glück befestigt werden muß. Er brütete, mit Fragen und aus Büchern, über Plänen und Einrichtungen, wie es wohnlich und seßhaft wird, und gab nicht nach in wechselnden Versuchen. Denn es ist, sagte er gern, mit dem Glück wie mit den Krebsen: Haben thut's nicht, man muß es auch verstehen, wie sie zu essen sind.
Dieses galt es, daß er erst heimisch würde in dem neuen Glück. Dann, mit Gewohnheit, gewänne sich Vertrauen, und was jäh jetzt schreckte, das ergebe sich dann in williger Freundschaft.
Sich eingewöhnen ins Glück. Er sagte es sich alle Stunden.
Angelegenheit der Übung – Fleiß, Geduld.
Man durfte nur nicht nachgeben. Man mußte es verdienen. Prüfungen bestehen.
Brünstig gelauscht und demütig geharrt, bis es sich neige.
Gläubige Werbung, unverzagt, über alles Hindernis. Bis es, gerührt, sich schenke, Treue zu belohnen. Es konnte ja nicht fehlen, wenn er nur den Ungestüm bezwang.
Aber nur glauben an das Glück und keine Zweifel. Sonst war es gleich verscheucht, wenn man es kränkte. Nur verharren im festen Glauben und weg vom Denken, von dem feindseligen und verderblichen Denken, das neidisch lauert.
Dann konnte sich der Friede verbreiten. Es war schon Glück, was in seinen Nerven wühlte. Wenn[117] er dazu den Frieden noch gewann, daß es langsam und still und sanft ward, dann, sicher, brachte es die scheue Kunst.
Und so, als den Beruf zur Kunst, durch welchen sie zugänglich wurde, befolgte er die Liebe, und an Leib und Seele, was nur in ihm von Kraft und Absicht war, verwandelte er sich ganz, mit Eifer, in Werkzeug und Dienst der Liebe, daß jeder Rest geschieden ward, und mit ängstlicher Hut, die nicht rastete und mit Eifersucht das Fremde wegtrieb, liebte er die Liebe, weil sie Hoffnung und das ewige Leben war. Er fürchtete mit Grimm das Denken, das verseucht, und wagte keine Einsamkeit, daß nur nicht das andere erwache, was nicht Liebe war. Sondern umschlungen in langen Krämpfen, lechzende Lippe auf Lippe, suchend durch Fleisch die Hostie ihres Glaubens, während sich die Augen schlossen, daß die Welt versänke, wollten sie sich nimmermehr, keinen Augenblick, verlassen und erstickten sich in der Gier des anderen und entfleischten und ertöteten sich, und Tage lang, lange Nächte, verstoßen aus der anderen Welt, röchelten sie nur immer die ewige Frage, die bange, mißtrauische, hoffende, jauchzende, drohende Frage: »Liebst Du mich, sag' – kannst Du denn wirklich, kannst Du mich denn lieben, sag', wie ich Dich liebe?«
Es war so gut, zu vergehen, sich und die Welt zu vergessen in Ermattungen und wie das Eigene neu sich regte, nur eine leise Spur und Mahnung, es zu erdrosseln in neuem Taumel, zu betäuben in neuem Schwindel, zu entkräften, zu erschlaffen, zu[118] verbluten, immer, immer aufs neue, in Wonnen ohne Ende, ohne Ende!
Da fühlte er sich oft in plötzlichem Erwachen, und es ward vor seiner frohen Seele ganz rosenhelle von lichten Dämpfen, die in Schimmern stiegen – da fühlte er sich dann der Kunst verbunden und vermählt, in nimmer endlichen Hochzeiten, und sie war da, mit ihm, in ihm, ewig und konnte nicht mehr weichen, und nun mußten sie mitsammen durch das Leben, untrennlich verkettet, und er hielt sie in seligem Besitz mit jauchzenden Beweisen, und oft, wenn er aus der schwülen Decke nach Atem tauchte, und die bleiche Werkstaat ergrünte rings unter den vollen Nebeln des Mondes draußen, da lauschte er lange, wie es in ihm brauste und schwoll und sich gestaltete in mächtigen und ungestümen Drängen, die wuchsen, und dann wußte er es, daß er glücklich war, wirklich einmal glücklich. So schöpferisch, in leichten Trieben, war ihm nie gewesen und niemals in so greifbar sicheren Scheinen, die sich befestigten, hatte er es geschaut, das Wunder, wie unter einer hellseherischen Gnade, niemals zuvor, wie lange er sich forschend erinnerte, über die ganze Jugend. Da, in bereiten Erfüllungen, die quollen, rieselte es ihm schon aus saftigen Knospen, bis in die letzte Haut der Fingerspitzen, daß sie prickelten, knarrten, brannten, und ein geringes nur noch, wie es kam, ein leiser Ruck sanfter Kraft vom nächsten Zufall, leicht erwerblich und reif, endlich sprang es auf.
Und sie wanderten viele Tage durch die große[119] Stadt, in den Abschieden des Frühlings, überall, unter dem Reichtum, wo das Üppige schwelgt, und hinaus nach den dürftigen und scheuen Heiterkeiten der Armen, und zeigten sich mit wachsenden Wonnen die Fülle der bunten Märchen, und konnten es gar nicht fassen, woher so namenloser Zauber ausgegossen war, und ermüdeten nicht in langen Wegen, als glitten sie auf holden Wolken aus Schwanenflaum, und priesen alles Herrliche, das nicht endete, mit unersättlichen Loben, die um neue Worte kämpften, für das Unausdrückliche. Sie suchten die Gärten, wo an Brunnen, welche murmelten, neben grauen Büsten grelle Dolden träumten, unter schwerem Duft versponnen, und in dem heiligen Geruche alter, kalter Kathedralen beten sie zu ihren heißen, jungen Begierden. Und sie stiegen unter girrendem Kichern mit schlimmen Scherzen in den krummen, schmalen, schauerschwarzen Treppen auf alle Türme und schlürften das Leuchten der Wunder, die rings aus Silbermeeren loderten, und immer zu höchst mit gewissenhaftem Fleiße, jedesmal küßten sie sich brünstig unter der freudigen Sonne.
Ihm geschah es wundersam, wie Traum, in holden Zeichen, wenn sie so wandelten, und ward ihm ein köstliches Fieber. Er hatte, während über seine Nerven Wechsel von Schauern und Gluten strichen und an allen Strängen zum Gehirn in wilden Rissen ein heftiges Läuten war, unter Schwindeln und Wirbeln das jauchzende Gefühl, als sei für alle Zeit das Böse jetzt durch Gnade überwunden, alles Böse,[120] Zweifel, Grillen, Unglaube an sich selbst, und dieser hohe Sonnensommer seines Herzens könne nimmermehr daraus vergehen. Es schaukelten um ihn auf erwachsenen Hoffnungen gewaltige und selige Symphonien von steilen, felsigen und kobaltenen Gesichten. Angst und Hast, daß es schwände, wie er's hielte, versanken. In Früchten winkte Frieden.
Es war da, in vollendeten Gestalten, sichelreife Ernte, hochgeschossen in geneigten Ähren. Er hatte nur die Hand auszustrecken, daß er's bräche, und brauchte sich nur zu schütteln, ganz leise und ganz sanft, und es flatterte hinaus, unter alle beglückte und erlöste Menschheit. Und so heftig, in ungestümen Zwängen und vermessenen Stößen drängte es ihn manchmal, daß er es auf das nächste Brett schleudern wollte, über den Boden des Kahns, an die Mauer des Gartens, auf das Pflaster, daß er es nur los würde, das Überwachsene, welches ihn sprengte.
Aber es hatte Zeit. Es war so selig, zu schwelgen in diesem Bewußtsein seiner Ankunft und seinen Verheißungen zu horchen. Und jetzt konnte es ja nimmermehr vergehen.
Und endlich unternahm er es. Endlich stellte er sich an die Leinwand. Er brauchte es ja nur hinüberrinnen zu lassen, wie es in Sprudeln sprühte.
Aber merkwürdig: da wollte es auf einmal nicht!
Er fühlte es wallen und sieden und in Gießbächen nach dem Pinsel gleiten, ganz bereit und zugethan; aber dann mit jähem Stocken, im letzten Augenblick durch steiles Hindernis gehemmt, gerade wenn es sich[121] entschied, da, plötzlich, wie um ihn scherzhaft zu necken und zu äffen, da widersetzte und versagte es sich und machte Kehrt.
Er war halt ein bißchen aus der Übung der Arbeit. Er mußte sich erst wieder hineinfinden. Mit etwas Zwang und Vorsatz ging's schon, sicher.
Er hatte es ja ganz deutlich und fertig und wußte, daß er es besaß, nur an den richtigen Ansatz geriet er nicht gleich. Dann wickelte es sich von selber herunter.
Und er war auch gerade an einem schlechten Tag gekommen. Frage der Stimmung. Launen der Kunst.
Und diese zwei Wochen hatten ihn doch tüchtig hergenommen. Jetzt fühlte er es erst.
Sich ein wenig sammeln und beruhigen und erholen.
Und das zweite Mal, wie er es wieder versuchte, um etliches später, siehe! da war er wie gewandelt, und es gedieh in leichter Lust, und er raschelte nur so über die Leinwand, in vergnügten Sprüngen. Aber wie es getrocknet war, und er es den nächsten Tag betrachtete, da konnte er's nicht wieder erkennen, und es war was ganz Anderes geworden und ganz fremd und wieder völlig verfehlt.
Es kam ihm vor, als wäre zu viel in ihm und eines mische sich in das andere und bedränge und entstelle und verwirre es, und weil er alles auf einmal sagen mußte, so tausendfältig verschiedenes, fremdes, unvereinliches, feindseliges, nimmer verträgliches, welches alles gleich wichtig und bereit und[122] eindringlich war, darum gerade konnte ihm keines geraten.
Es war zu viel, ja, dieses bloß machte es, daß es zu viel war, eines durch das andere und eifersüchtig mit ihm entzweit, und darum, in den Wirren des Haders, vermochte es sich nicht zu klären oder vielleicht, das kam noch dazu, vielleicht hatte es noch nicht die nötige Ruhe, daß es erst abstehen mußte, bis das Trübe sank, oder auch, es fehlte ihm der Schwung oder die Kraft oder die Freude oder auch – oder auch –
Und er grübelte und brütete und sann und rang und konnte keine Wahrheit als diese entsetzliche und höhnische und in Greueln verwüstete finden, daß es nichts war, daß es mit allen Hoffnungen und Wünschen nichts war, daß es wieder nichts war.
Und Tage lang irrte er nur und konnte nichts denken und konnte nichts begreifen und sah nur rot um sich, überall rot, ein grelles, grinsendes, satanisches Rot und wiederholte es mit fahlem Stammeln, wiederholte es ewig, wie einen bösen Fluch, mit dem er sich ermorden könnte, daß es wieder nichts war.
Und dann wieder warf er sich über sie um Betäubung und spritzte die Wollust in sich wie Morphium und verwundete sich den Leib und zerstampfte sich die Kräfte und wollte nur vergessen.
Und wieder regte sich der Mut, und wieder schlich er sich ans Bild, und er versuchte es wieder und zermarterte sich wieder und verzweifelte wieder.
Ah, wenn er sich erinnerte! Welche Folter, welche[123] Hölle! Er wunderte sich nur und bewunderte sich, daß solches sich ertrug ohne Wahnsinn.
Endlich raffte er sich auf mit dem Rest des Lebens und floh in seine letzte Vernunft, um Rat.
Er rettete sich zur Logik, gerade wie eben jetzt, gerade wie heute.
Und das fiel ihm auf, wie er zurückdachte, daß er sich jedesmal ans Denken wendete, und es half niemals.
Er vertraute sich dem Denken, den Schlüssen. Das Gefühl hatte ihn betrogen. Nun wollte er Sicheres. Er rechnete alles nach. Da mußte sich der Fehler finden.
Es war sicher, daß er die Kunst besaß. An diesem einzigen war kein Zweifel. Denn er fühlte es.
Er war sicher, daß er nur die Liebe brauchte, um die Kunst zu heben. Das ließ sich beweisen, weil alles andere durch vergebliche Versuche schon erschöpft war. Es blieb kein anderes im Kreise der Mittel.
Und es war sicher, daß es auch mit der Liebe wieder mißlungen war, auch dieses Mal wieder mit dieser Liebe.
Es mußte also nicht die rechte Liebe sein.
Das that ihm recht wehe, wie ihm dieses das erste Mal einfiel. Es wäre doch gar zu traurig.
Und es war ja auch nicht möglich, nimmermehr.
Aber der Zweifel ließ nicht vom Nagen.
Und wenn es am Ende wirklich nicht die rechte Liebe war?
Aber es ließ sich ja beweisen, sicher ließ es sich beweisen, daß es die rechte Liebe war.[124]
Er brauchte es nur zu glauben. Darauf kam es an. Daran hing das Wunder. Der Glaube bloß entschied und aus der Neigung seines Gefühles allein war seine Echtheit zu beweisen. Freilich, wenn er die Kraft und das Vertrauen zum Glauben nicht fand, dann war es nichts und eitel.
Aber das war echt Marius, der die Einbildungen liebte und sich selber zu betrügen, weil er an keine Wahrheit mehr glaubte und an keinen eigenen Grund der Dinge, außer den Menschen. Er hätte es im voraus wissen können, daß von diesem kein anderer Rat zu erwarten war. Der machte aus der ganzen Welt ein Theater, wie er es gerade nötig hatte, und alle Erscheinung behandelte er als Puppen seiner Willkür.
Und das war feige, und vorgelogenes Glück konnte ihm nicht helfen, weil sein Stolz lieber ganz verzichtete. Wenn es die rechte Liebe war, dann trug es auch den Zweifel und hatte nichts zu fürchten. Ja, vielleicht gerade im Zweifel bewährte es sich erst, reinigte sich unter den Flammen und ward wunderkräftig und wirksam.
Und seit dieser Stunde prüfte er die Liebe.
Er lauerte und lauschte und merkte jedes Zeichen. Er nahm sein Gefühl alle Tage, so viel es nur an Ausdrücken darbot, und durchforschte es emsig nach allen Spuren und wendete es hin und her und trennte die Nähte auf und stöberte in alle Winkel. Er suchte es ab von oben nach unten mit unnachgiebiger Neugierde und zerschnitt es in ganz schmale, dünne[125] Streifen, und diese ausgezogenen Proben setzte er unter die Lupe.
Er sammelte alle Ereignisse und verglich sie und forschte bei Freunden und horchte aus Büchern und fragte immer wieder, mit Mißtrauen bald und bald mit Hoffnung: »Ist es die Liebe?«
Es galt zunächst Deutlichkeit über die Eigenschaften seines Gefühls. Seine Beschaffenheit beschreiben.
Ähnliches je empfunden zu haben, konnte er sich nicht erinnern, irgendwie Vergleichbares, von dem nämlichen Schlage, an dem er es hätte messen können. Nein, niemals. Das war immer schon etwas, weil es nicht alle Tage begegnet und nicht jedem.
Aber vielleicht, daß es neu und ungewohnt und seltsam war, vielleicht war dieses Befremdende sein einziger Reiz, sein einziger Wert.
Oder bedeutete es auch sonst? War es angenehm und freudig, war es Qual und Leiden?
Danach konnte man es dann in eine Kategorie bringen. Das hilft.
Und sonderbar: das ließ sich nicht sagen, gerade das nicht.
Nein, wenn er ehrlich und aufrichtig sein wollte, das konnte er nicht sagen.
Wirklich nicht. Keine Mühe wirkte. Weder ja noch nein. Es war ganz anders, daß es sich nicht schildern ließ, ein anderes, zwischen ja und nein, und doch entschiedenes, über ja und nein, keines und beides. Ein gesalzener Honig oder ein vertrockneter Regen oder ein erfrorener Wüstensand – um lauter[126] solche thörichte und irre Vergleiche schweifte er herum und konnte es nicht finden, konnte es nicht fassen.
Manchmal freilich, mit einem Ruck auf die eine Seite – aber dann gleich wieder das andere drüben.
Und nicht etwa, daß es schwankte und pendelte. Es war fest und eingeankert an einem Platz, immer an dem nämlichen, aber er war drüben und herüben zugleich, oben und unten.
Nein, es gab darauf keine Antwort.
Es war ganz außerhalb der Sprache. Wie man es auszudrücken versuchte, war es gleich verwandelt und entstellt. Die Worte konnten nicht hinüber.
Und es wehrte und schlug gegen die Worte, weil sie ihm wehe thaten. Was man von ihm aussagte, war Lüge, wie man es verglich. Und dann das winkende Gegenteil, wenn man es aussagte, wurde dadurch die nämliche Lüge. Und nur das andere, jedesmal, was nicht gesagt war – bei diesem immer lag die Wahrheit, niemals faßlich.
Nur von den einzelnen, aus denen es sich zusammensetzt, von denen konnte man sprechen.
Die waren deutlich, die ließen sich nennen. Manchmal selig, manchmal Fluch. Aber wie sie sich zum Ganzen fügten, da wurde das schaurige Rätsel.
Es wurde ihm wohl manchmal unsäglich gut, und er hörte lichte Geigen und sah hellgrünen Staub um matte Malven und tastete Sammet und hätte weinen mögen und pries die Liebe.
Oft, wenn sie unter den Grüßen des Morgens, der golden die Hyacinthe ihres Fleisches überschuppte,[127] sich aufrecht vor dem Spiegel flocht, von seinen Begierden umringelt, und langsam mit zupfenden Fingern, die wie rasche Schlangen schimmerten, ganz sachte und beharrlich die verwirrten Wimpern, die gesträubten Brauen auszog, netzte, bog, während die Lippen sich in stumme Pfiffe rundeten, zwischen welchen eilig die unruhige Zunge hervorzischelte, ausschnellte, einschmatzte, und dann mit verschlossenen Lidern, wie unter betender Demut vorgeneigt, leise, behutsam, innig die Puderquaste, während das Näschen in der Furcht des Staubes sich wegspreizte, über die gesenkten Wangen wischte, eifrig, oft und mit einer sehr ernsten, feierlichen, heiligen Miene wie Gottesdienstliches verrichtet wird; oder dann, wenn sie, auf Besorgung auswärts, ihn im Bette einsam zurückließ, unter den Spuren ihres Geruches in den schwülen Gruben, aus welchen ihm wonnige Gebilde dampften, zur Trunkenheit, verzückte Formen; oder im Frieden des Abends, wenn sie die Nacht erwarteten, während langsam die sanfte Erinnerung des Lichts verlosch, und schon schlief die Rede, und von ihren träumenden Lippen huschte nur noch ein scheues Lied, aus kindlichen Spielen herüber – da manchmal, hätte er in die Sterne hinauf jauchzen mögen vor unbändiger Wonne, weil ihm so namenlos gut war.
Anderes Mal wieder, gleich darauf, ohne Vermittlung, wandelte es ihn an, sie zu würgen, zu peitschen, zu zerfleischen, mit wühlenden Griffen durch ihr verhaßtes Fleisch, bis sie weg wäre, ausgetilgt, vor Wut, Grimm und Ekel; und er hätte den Grund[128] nicht sagen können, gar keinen Grund, sondern es kam nur so, wußte nicht, woher, es kam nur so in Aufruhr über ihn und bestürzte ihn unwiderstehlich, wenn er sie bloß ansah, unversehens, manchmal, in das beste Glück hinein.
So kannte er sich gar nicht mehr aus, weil es wie eine Krankheit war, die in immer anderen Schrecken sich erneut, und wußte nicht, woran er war, und konnte sich nicht einrichten auf ein bestimmtes und verläßliches Gefühl und war immer in Sorge und Kummer, was denn wohl jetzt wieder geschehen würde, den nächsten Augenblick, und nimmermehr durch allen Eifer der Neugier entschied es sich, ob es Segen, ob es Fluch war.
Ärgerlich, dieses Wackeln zwischen den Gegensätzen, herüber, hinüber, mit ewig zweifelnder Seele. Ein entschiedenes Leid hätte er vorgezogen. Aber das Springen von einer Stimmung in die andere, rastlos, bis man zuletzt überhaupt gar nichts mehr wußte, in welcher man war, das konnte er nicht leiden.
Und es wechselte und wechselte, wie er auch ums Festhalten bemüht war, wechselte tausendfach, unaufhörlich, und ein einziges nur, wenn er recht gründlich forschte und alle Stimmungen zerlegte, Glied um Glied, wie sie sich zusammensetzten, ein einziges fand sich, das in dem ewigen Wechsel blieb und verharrte.
Es blieb ein Herbes und Bitteres immer, das den Mund zusammenzog, ein kalter Saft am Grunde der vielen Gefühle, das nimmermehr vergehen wollte, nicht in den süßesten Wonnen.
Schwer zu beschreiben. Es war nur ein ganz[129] leichter Zusatz, der nichts verdarb, aber überall herauszuschmecken in seinem seltsamen, traurigen Geruch; und oft hatte er schon daran gedacht, ob es nicht an der Zunge der Seele selber wäre, die es aussonderte, wie sie nur über ein Gefühl tastete, welches es auch war.
Manchmal, wenn er es ganz sicher festgestellt hatte, in vollem Glück zu sein diesen Augenblick gerade, da wurde es recht deutlich. Wenn er da nach der Seele lauschte, da wich aus allem Jauchzen niemals ein ganz sanfter Seufzer, und in allen Wallungen der Freude hatte er immer ein leises, feines Stechen an der Brust. Es war deswegen immer noch dasselbe Jauchzen; aber er mußte sich doch wundern, daß einem bei allem dem so traurig werden konnte.
Dieses Bittere – einen anderen hätte es verdrossen – tröstete ihn ein bißchen in der Unzufriedenheit mit dem Glücke, weil es doch wenigstens treu und beständig war, in den flüchtigen und verräterischen Wirbeln; man konnte sich darauf verlassen. Aber das Gefühl selbst, das schwankende und wendische, verbesserte es nicht, in keiner Weise, weil es nur von außen hineingemischt wurde, von seiner Unverträglichkeit mit dem Wirklichen, das immer sich von der Vorstellung weg absonderte und entfremdete: manchmal schöner, immer anders und immer darum schmerzlich. So war das einzige am Ende, welches er in der Fülle der Gefühle freundlich und vertraulich fand, nur immer seine eigene Spur.
Konnte es, konnte es denn sein, daß dieses die Liebe war, wirklich die Liebe, dieses veränderliche, unschlüssige und verdrossene?[130]
Er hatte es sich so ganz, aber ganz anders gedacht, in ungestümen Hoffnungen!
Daß es mit Gewalt und Sieg ihm das Zersplitterte der Seele zusammenzwänge und aus den Zweifeln in sichere Pflicht risse, jäh und gebieterisch – und nun wußte es selber keinen Weg und war selber so schwank und ungewiß, ohne Richtung und Rat, so lau und grau wie schleichender, gebückter Herbst, der zwischen Reben und Schnee sich nicht entscheiden kann!
Es war ja zu unsäglich traurig, nimmermehr erträglich, wenn es auch mit der Liebe wieder nur auf hämischen Betrug herauskam, wie immer, überall, im ganzen Leben! Es wäre ja tödlich.
Und dann wieder, um sich zu retten, weil es ja nicht möglich war, mit neuem Mut, mit letzter Hoffnung, mit gieriger Zuversicht bohrte er die Frage von der anderen Seite an: »Verdiente sie denn die Liebe?«
Wenn es schon aus dem Gefühle selber nicht zu entscheiden war, ob es die Liebe, vielleicht ließ es sich aus seinen Umständen entscheiden, ob es wenigstens möglich, vielleicht wahrscheinlich sein konnte, daß es am Ende doch die Liebe wäre.
Verdiente sie denn die Liebe? Durch Güte, durch Schönheit, durch irgend eine Tugend vor den anderen – oder auch bloß, weil sie seinem besonderen Geschmacke gerade zusagte und seinen besonderen Wünschen gerade paßte? Das mußte man doch feststellen können.
Und da, auf einmal, wie er es von dieser Seite durchnahm, da wußte er zuletzt gar nichts mehr, und es zerrann ihm alles.[131]
Er wußte nicht mehr zu antworten, weder so noch anders, auf gar keine Frage, nicht ob sie gut, nicht ob sie schön, nicht ob sie angenehm war – gar nichts mehr, gar nichts konnte er aussagen, alle Auskunft war versunken.
Es gab nichts Sicheres und Entschiedenes. Es war alles, wie man wollte. Man konnte es nehmen, wie einen die Lust anfiel, heute so und morgen so und jeden Tag von neuem anders, gerade wie's einem Spaß machte; nur der Spaß entschied – selber, wenn man es nicht formte, war es gar nichts.
Er ließ sich alles wunderschön beweisen, wie man es gerade nötig hatte, unwiderleglich jedesmal, durch die heilige Logik. Und natürlich gleich darauf, gleich unwiderleglich, durch dieselbe Heiligkeit der gleichen Logik, ebenso das Gegenteil, noch wunderschöner. Nichts hatte Farbe an sich selbst, sondern alles war geliehener Schein, und bloß das eigene Auge schickte seinen Schimmer darüber, der blendete und trog.
Wahrheit! Wahrheit! Aber Wahrheit war bloß, sich irgend etwas einzubilden, was es sein mochte, nach zufälliger Laune; Wahrheit war bloß, sich gründlich anzulügen.
Ja, sie war gut, wenn er es so wollte – aber ja! Gütigeres, reineres, innigeres Gemüt – dachte er oft bewegt – konnte man sich nicht vorstellen. Viele Zeichen nannten sich dafür, und manchmal für ein geringes, dürftiges Geschenk, an welchem nur der Wille wert war, eine Rose, eine Schleife, wenn dann wie an zartem Glasglöckchen der Dank an ihrem kleinen[132] und verschämten Stimmchen läutete, so hold und zärtlich wie ein junger Knospentrieb, da wurde es ihm gleich zum Weinen vor Seligkeit und Wonne, daß solche Elfenanmut unter den rauhen Menschen war.
Und auch andere Male, wenn sie durch besonnte Wälder am leuchtenden Strome, unter Lerchengesang – aber es hing ihre Güte zu sehr vom Wetter, von der Landschaft ab, wie es regnete, oder regelmäßig auf der Heimkehr durch die staubigen, öden und verschmutzten Viertel der Armut, da auf einmal konnte sie ganz unausstehlich werden, launisch und boshaft, ins Häßliche verwandelt.
Ebenso im Bette, nichts Entschiedenes – aus dem einen in das andere, jäh, daß man nie heimisch ward, in keiner Stimmung. Manchmal vor dem Knirschenden, wenn ihn die Liebeswut anstürmte, da hatte sie oft, daß ihn erbarmte, aus aufgeschreckter und entsetzter Jungfräulichkeit einen schutzflehenden, hellvioletten Gazellenblick, wie eine kleine Heilige, wie die Johanna des Bastien-Lepage. Aber wenn sie dann mitten aus der seligen Ermattung, während ihm ganz feine Geigen über das Gehirn schaurige Gebete sangen, hastig sich in der Furcht emporriß und nachher fröstelnd unter Schelmereien sich an seinen heißen Fingern wärmte, da am liebsten hätte er sie erdrosseln mögen, weil sie auch nur eine Dirne war, wie die anderen, wie alle, wie alles, was Weib heißt.
Nein, sie war nicht ordentlich gut, und sie war auch nicht ordentlich schlecht, sie war allerhand durcheinander, wie's gerade kam, ein liederliches Gemisch aus[133] Kot und Honig, wie die anderen, wie alle, wie alles, was Weib heißt.
Und man konnte nicht sagen, daß sie für ihn paßte und mit ihm stimmte, und konnte auch nicht sagen, daß sie gegen seine Wünsche und ihm verdrießlich war – nein, gar nichts, überhaupt, konnte man sagen, gar nichts, weil sie wechselte, ohne Halt, und rastlos sich verwandelte und nimmer festzuhalten war, wie überhaupt das ganze Leben, bei dem sich nie etwas empfinden ließ und wie ein Gefühl sich regte, ward bereits ein anderes wieder eingeläutet, und die Seele wurde ganz verwirrt und stumpf, und es kam über ihn eine große Müdigkeit und ein großer Ekel und er hätte nur schlafen mögen, traumlos schlafen, lange sich ausschlafen von dem rohen Durcheinander und Lärm, mit verschlossenen Lidern, weil es doch die Mühe niemals lohnte, irgend etwas anzuschauen.
Ja, er wußte eine lange Liste von Tugenden an ihr, die ihm gefielen. Aber dann wußte er eine ebenso lange von verächtlichen Lastern. Also, was war denn das für ein Leben? Wozu gehörten denn die Dinge rings herum, als einem einzuheizen, wenn man fror? Aber das sollte man alles immer nur aus der eigenen Seele besorgen und nur immer geben, nie, niemals empfangen!
In ihre Augen blickte er gern, da wurde ihm so friedlich und so still. Das hatte er am liebsten, wortlos vor ihr zu knieen mit gefalteten Händen und in ihren sanften Segen zu schauen, recht lange. Es war um sie aus schmerzlich Violett und hellem Golde ein feuchter[134] Schimmer, wie Murillo die Wolken malt; und oft dachte er, jetzt gleich müßten sie auseinandergehen und dann, mit Sternen und Engeln würde sich der Himmel aufthun.
Und dann – das auch – hatte sie eine sehr feine Haut, die gut zu streicheln war. Das verträumte ihn mit schmachtenden Hoffnungen, wenn er darüber spielte wie über eine Katze. Da rieselte es durch sein beschleunigtes Blut, wie Geruch von weißem Heliotrop.
Und es ward Licht, wo sie wandelte, und sie strahlte Leben aus, daß er sich noch einmal so kräftig fühlte, wenn er nur ihren Schein trank, und immer mußte er an die Diana des Baudelaire denken: s'enivrant de tapage. Da sog er sich dann fest an ihr, wie an einem Schwamm, der von Freude, Mut und Hoffnung troff.
Ja, das alles war wohl sehr gut und köstlich.
Aber dann auf der anderen Seite.
Warum sprang sie so grausam aus einer Stimmung in die andere, daß man in keiner seßhaft und nur ganz schwindlig wurde, vom Himmlischen in das Gemeine, daß alle Ordnung sich verlor?
Und sie hatte, das war noch ärger, sie hatte keine Manieren. Sie konnte – keine Lehre half, wie viel er ihr auch vorschrieb – das Magazin nicht vergessen.
Oft saßen sie im Café zum Absynth, und er betrachtete sie, wie sie träumte, und da auf einmal, wenn ein neuer Gast kam, da knixte sie plötzlich zusammen und sagte mechanisch: »Mein Herr,« mit dienstbereiten Grüßen auf den wackelnden Lippen, wie sie es aus[135] dem Magazin gewohnt war, so oft die Thüre ging – und er mußte ihr erst einen Puff versetzen, und am liebsten vor Zorn hätte er sie windelweich geprügelt.
Und so tausendmal, jeden Tag was anderes – ah, er durfte ja gar nicht dran denken!
Es fehlte ihr das Künstlerische, die Würde, die Haltung, die Hoheit, der große Stil – gerade was er brauchte, das fehlte ihr alles. Sie war und blieb, wie Marius es gesagt hatte am ersten Tag: ein herziges Radaumädel. Und seine schwelgerische Hoffnung!
Und gleich zuthunlich und vertraulich gegen alle Welt und erzählte der Hausmeisterin ihr ganzes Leben, jedes Geheimnis, und der Bäckerjunge, welcher des Morgens die Kipfel brachte, wurde bald ihr bester Freund, weil er den Paulus so vortrefflich kopierte, aber schon ganz famos. Und sein vermessener Wahn, so oft in üppigen Gesichten stolzwüchsiger Träume, daß vor dem sengenden Sonnenadel seiner Geliebten dereinst betende Völker die Kniee bögen unter Schauern der Ehrfurcht und in irren, stammelnden Seligkeiten, wie vor gesalbter Majestät!
Und alle Tage verbummelte und verlotterte sie sich nur immer mehr. Sie war nicht wieder zu erkennen, wenn er vier Wochen zurück dachte. Anfangs, die ersten Tage, hatte sie sich noch ein bißchen zusammengenommen und die natürliche Gemeinheit des Weibes hinter Scham, Zärtlichkeit und Leidenschaft verkleistert. Aber natürlich, jetzt hatte sie längst die überflüssige Mühe nicht nötig, als höchstens wenn einmal fremder Besuch kam. Da, freilich, spielte sie allerliebst die[136] Dame oder das gute Kind und that sehr nett und wurde wieder ganz erträglich. Aber sie entschädigte sich schon für den lästigen Zwang, nachher, sobald sie nur wieder allein waren.
Selbst zur Toilette – und das konnte er gar nicht vertragen – war sie oft zu faul, sondern schlampte ungewaschen ganze Tage in dem verschlissenen und ausgefransten Schlafrock herum, brütete über blöden Launen, verdrossen, weil sie sich keine Beschäftigung wußte, zänkisch, um sich die Zeit zu vertreiben, geil durch das lange Wälzen in den schwülen Kissen, und in schmutzigem Tratsch, über alle Geheimnisse der Wollust, mit den Mätressen der anderen Maler, deren Sitten und Gebräuche und Redensarten sie begierig äffte, um nicht verlacht zu werden, verkokottete sie mit jedem Tage mehr.
Und das Ganze nennt man Liebe, höhnte er sich dann selber und spuckte vor Ingrimm, als hätte er den Schlund voll Schlamm.
Das Glück hatte er sie genannt, damals in der Eselei des ersten Rausches.
Und er behandelte sie wie die nächste Dirne von der Straße.
Was war denn auch für ein Unterschied von den anderen, wie er sie sonst auf Maskeraden, in Spelunken, hinter dem Zaune aufgefischt hatte, eilig, eine halbe Stunde? Daß er es damals nach dem Stücke bezahlte ... immer noch billiger ... Und daß das Hinausschmeißen jetzt umständlicher war!
Und wenn sie wenigstens schön gewesen wäre,[137] wenigstens schön – sonst begehrte er ja gar nichts, aber doch wenigstens schön! Aber er glaubte es nicht mehr, nein, auch dieses nicht mehr. Es war sicher auch nur wieder ein dummer Betrug seiner schwindeligen Sinne, wie alles Schöne, alles Gute!
Es verhielt sich mit ihrem Gesicht, wie mit seinem Gefühl: alles durcheinander geschmiert und verwischt und jede deutliche Gewißheit ausgelöscht. Ja, er konnte sie so ansehen, daß sie schön war, wie ein frommes Kindermärchen. Aber dazu brauchte sie ihn, immer ihn, seinen Blick, der erst die Schönheit in sie hinein trug: selber war sie gar nichts.
Und er dürstete, ausgetrocknet zum Verschmachten, nach einer sicheren und entschiedenen und unabhängigen Schönheit und Güte, die, lebendig außer ihm in eigener Herrlichkeit, seine spröden Zweifel überwältigt hätte!
Aber man konnte immer so und auch anders, und nichts bändigte die Willkür. Es war nichts Ordentliches, überhaupt niemals im Leben, nirgends.
Und drum, natürlich, konnte man keine Kunst machen.
Und er führte sie herum und verglich sie. Wenn sie schon nicht schön war, vielleicht war sie doch wenigstens schöner als die anderen. Wenigstens die Eitelkeit konnte dann schwelgen.
Und sein Schmerz wuchs, wenn er manchmal einer edleren Nase, kühneren Lippen, dralleren Waden begegnete. Tadellos war keine. Man hätte ein Dutzend nehmen und tranchieren müssen, und dann aus diesen Armen, jenem Busen könnte man das Normalweib zusammenleimen, das der Menschheit fehlte.[138]
Und so lange, bis er das Normalweib fand, irgendwo, irgendwie, so lange konnte er nimmermehr lieben.
Nein, es war nicht die Liebe, sicher nicht.
Es war nicht die Liebe, es war nur –! Ja, da, jedesmal stolperte und stockte seine Erwägung, und die Logik war am Ende. Was denn, was anders konnte es denn sonst sein?
Und Tage lang strich er um dieses Rätsel und betastete es und schnupperte in alle Winkel.
Wenn er dachte, sie könnte ihn vielleicht wieder verlassen – nein, nein, nur der bloße Gedanke war schon Wahnsinn! Nimmermehr ertrüge er es. Ohne sie zu leben, nur einen Tag, eine einzige Nacht – nein, das konnte er sich nimmermehr vorstellen.
Aber warum liebte er sie dann nicht?
Entweder – oder!
Rechtschaffen sich lieben und rechtschaffen glück lich sein, wenn man schon zusammen lebte.
Oder, da die Begierde befriedigt war, in Freundschaft auseinandergehen, wenn man sich nicht liebte.
Aber er wollte nicht das eine und konnte nicht das andere und wußte nicht, was daraus werden sollte.
Er hätte sich in die ganze Geschichte überhaupt nicht einlassen sollen von vornherein.
Das Einfachste und Bequemste wäre es eben doch gewesen – darauf kam er immer am Ende zurück – da er sie nun einmal hatte und Trennung nur erst Leid und eine Menge Umstände machte, das Einfachste und Bequemste war es ohne Zweifel, wenn er sich entschloß, sie zu lieben.[139]
Dieses löste alle Schwierigkeiten, wenn er sich entschloß, sie zu lieben.
Wie die Dinge nun doch einmal lagen.
Es kam nur auf ihn au. Dann war sie gut, dann war sie schön, dann kehrte das Glück der ersten Woche wieder. Er brauchte sie nur zu lieben.
Und er liebte sie ja auch, ohnedies.
Sonst war es ja nicht zu erklären. Woher denn sonst?
Er redete es sich nur ein, das andere.
Ganz gewiß liebte er sie. Sonst hätte er gar nicht so lange darüber geforscht, ob er sie liebe.
Er liebte sie ganz gewiß, nur an der Form fehlte ihm was.
Ja.
Es war ganz wie mit der Kunst. Er hatte sie alle beide, die Liebe und die Kunst. Aber er vermochte sie nicht zu gestalten.
Und da fand er eines Tages die Formel, die alles erklärte, ganz genau: es handelte sich um die neue Liebe.
Um die neue Liebe, wie es sich um die neue Kunst handelte. Genau dasselbe.
Nun war das Rätsel klar, auf einmal.
Das gefiel ihm ungemein. Ein ganzes System ließ sich daraus machen. Er führte es wunderschön durch, alle Paragraphen.
Merkwürdig, daß noch kein anderer darauf gekommen.
Der Aberglaube war doch zu einfältig, daß in[140] dem ewigen Wechsel aller Dinge die Liebe allein unwandelbar bliebe, von der Steinzeit bis aufs Elektrische, in immer gleicher Form.
Es wechselten Götter und Rechte, die Hoffnungen und die Wünsche, das Leben und das Denken. Natürlich wechselte auch die Liebe.
Und die neue Zeit begehrte neue Liebe, wie sie neue Kunst begehrte. Es galt eine Liebe zu finden, welche diesem sinkenden Geschlecht gerecht war. Eine neue Erscheinung der Liebe, welche sich in die allgemeine Decadençe schickte. Mit der alten ließ sich nichts mehr anfangen. Man mußte sie auf den Stil »fin de siècle!« bringen.
Und wie er nun einmal so weit war, daß er diese Namen verwenden konnte, da wurde er schon sehr vergnügt.
Decadençe und fin de siècle, damit ging alles. In der Kunst handelte es sich ja auch um nichts anderes.
Und er sann und bekräftigte es sich durch viele Beweise.
Natürlich, die Dutzendmenschen, die immer träge hinter der Entwickelung haschten, die konnten noch glücklich werden in der alten Dutzendliebe. Sie vertrugen ja auch die alte Dutzendmalerei ganz gut.
Aber die Elitemenschen, die Pfadsucher, die Wegweiser der Entwickelung, welche vor den Jahrhunderten wandeln! In ihren Begierden jedesmal meldete sich jedes neue Bedürfnis der Menschheit zuerst. Sie litten, zum Sporn, um zu ringen, zu belagern, zu erobern, Märtyrer der Kultur, damit die anderen dann[141] den erbeuteten Segen genössen, die glücklichen Schläfer hinten im Troß.
Er mußte die neue Liebe begründen.
Jetzt hatte er wieder einen Zweck, wofür zu leben.
Etwas ganz Nervöses, Raffiniertes, Kompliziertes mußte es werden, weil sie ja dieses nervöse, raffinierte, komplizierte Geschlecht ausdrücken sollte. Und er grübelte nach anderen Fremdworten: denn in der eigenen Sprache konnte man sich nicht nähern.
Und nur etwas ganz Neues, ganz neu, unerhört – das Große, was noch vor der Menschheit liegt.
Daher diese Geburtswehen.
Und nur keine halbe Neuerung, sondern ganz – ganz –
Er fand aber kein Wort. Er wußte es schon, wie. Aber er konnte es nur durch eine Geberde sagen, durch eine große Geberde in kühnem Bogen weit hinaus, und dazu immer wiederholen, mit mächtigem Atem tief herauf: ganz, ganz!
Wenn er nur einmal die Sache hatte, dann kam schon auch das Wort.
Im Stile der Elektrizität und des Dampfes, darum handelte es sich.
Eine Edison-Liebe.
Das würde dann auch die neue Religion sein.
Aber darin glich sie auch wieder der Kunst: daß das Alte unwiederbringlich dahin und nicht länger erträglich war – aber sonst, außer ihrer Unentbehrlichkeit, wußte man nichts von der neuen.
Er besaß von der neuen Kunst und von der[142] neuen Liebe gerade genug, daß es ihm die Zufriedenheit in den alten verdarb. Aber nicht mehr.
Nicht mehr als die Forderung des neuen, den sehnsüchtigen Trieb darauf.
Man mußte ihn kräftigen, bis er unwiderstehlich wurde, alle Hemmnisse zu sprengen.
Nur nicht nachgeben, sich nicht abschrecken lassen.
Die Hauptsache war ja doch, auf der richtigen Fährte zu sein. Jetzt nur vorwärts mit der rüstigen Axt durchs Gestrüpp.
Wenn er ihr Stifter würde, der neuen Kunst und der neuen Liebe zugleich, Heiland aller Begierden!
Dann war dieses irre, lechzende, hungrige Gefühl erlöst, die seelenmörderische Krankheit der Zeit.
Ja, weil sie die Liebe brauchten und konnten sie nicht finden! Darum war ein solches Brausen überall, in blutigen Blitzen. Weil sie nicht lieben konnten.
Die Liebe mußte wieder unter die Menschen gebracht werden, die Möglichkeit der Liebe.
Nur nachdenken und forschen, prüfen und versuchen, die Wirkungen vergleichen.
Experimentieren.
Ungefähr einen Plan, einen Grundriß des Verfahrens konnte man ja aus dem Charakter der Zeit gewinnen.
Die neue Liebe müßte ungeheuer sein, gewaltsam, roh, jäh, furchtbar, maßlos – gotisch muß sie sein, wie die Zeit.
Und dabei etwas ganz Feines, Zartes, zierlich Gedrechseltes, wie ein japanisches Figürchen.[143]
Ein Riese, aber der Chic hat.
Ja, das war der eigentliche Charakter der Zeit, diese Vereinigung von Gigantischem und Churriguereskem.
Wie eine schnaubende und tosende Maschine, an welcher doch jedes winzige Knöchelchen so knospenhaft zärtlich und mildwüchsig ist, wie ein junger Kuß.
Ja, eine maschinenmäßige Liebe.
Das war es.
Freilich, das Detail blieb noch geheim. Es konnte sein, daß man überhaupt ein neues Prinzip in die Liebe bringen mußte, etwas wie den Dampf, und das wurde eine Revolution bis in den letzten Grund, und nichts verweilte vom Alten als eine verwunderte, ungläubige Erinnerung. Nur der gleiche Name dauerte fort.
Oder es genügte, in der alten Überlieferung, eine technische Neuerung, ohne Wandel des Wesens. Man änderte bloß das Verfahren. Hilfreiche Handgriffe wurden erfunden.
Aber das alles lag noch schwarz im Übel.
Das alles mußte erst reifen und wachsen, unter der Sonne der Gewohnheit.
Wenn er nur die Spur nicht verlor.
Wenn er nur nicht ermüdete.
Wenn er nur nicht wankte im Glauben und Vertrauen, so oft es auch mißraten mochte.
Und dafür, vor allem, mußte er sich die Unerträglichkeit der alten Liebe recht lebendig machen, bis ihm Leib und Seele schrieen, unter Wunden, nach Erlösung.[144]
Das war sehr wichtig.
Dann durfte er die neue hoffen, wenn er zuvor erst an der alten ganz verzweifelt war. Früher nicht.
Nun freute er sich, wenn er litt, und suchte das Leid. Nun suchte er den Ekel und das Grauen bei ihr, um die Empörung zu beschleunigen und den Sieg.
Und dann horchte er begierig, ob es noch immer sich nicht melden wollte.
Und alle Tage kroch sein Gehirn diesen nämlichen Weg, von der Trauer zum Zweifel und immer zuletzt an diese Hoffnung.
Anders konnte er ja auch nicht leben.
Wenn auch dieses wieder nur betrog –
Oft verlor er allen Mut. Dann beschloß er, nicht mehr daran zu denken.
Bis dann wieder von außen ein Stoß – wie heute mit dem Liebermann –
Und da wickelte sich die Spule wieder herunter. Und morgen wieder.
Nein, dieses konnte ja nicht betrügen. Es war so logisch.
Nur nicht irre werden. Nur beharren. Nur vertrauen.
Er hatte ja auch schon, wenngleich noch wüst und ungestalt, in verworrenen Drängen manchen führen den Instinkt.
Nur herausgearbeitet mußte es erst werden.
Stundenlang, oft, brütete er an den Abhängen seiner Triebe, ob die wilde Blume noch immer nicht[145] aufkeimen wollte, und lauschte nach der Seele hin, wie die Launen und Wünsche strichen, und verzeichnete jede Spur.
Nur Geduld. Heute eine Vermutung, die morgen wieder zerflatterte, aber um in acht Tagen zurückzukehren und in neuen Anwandlungen zu erstarken. Und auf einmal – bisweilen fühlte er es schon ganz deutlich heraufsteigen – eines schönen Morgens würde es ihm aus dem Schädel springen, fertig und auf jeden Widerspruch gerüstet.
Ganz anders mußte sie sein.
Ganz, ganz anders.
Diese Losung sagte er sich alle Stunden vor und wiederholte sie hartnäckig, wie ein heilkräftiges Gebet. Sonst wußte er nichts, als nur: anders, ganz anders. Daran klammerte er sich.
Das Gegenteil, das Gegenteil von allem, von allem Gewesenen und Erfindlichen.
Wie die Zeit das Gegenteil war und ganz anders.
Darum konnte man mit der Vernunft nichts ausrichten, nein, die half gar nichts, sondern mußte warten, bis es einem das Gefühl eingäbe.
Es mußte einem geschenkt werden.
Das Unfaßliche im Gefühl, das war es. Der Ausdruck des Unausdrücklichen, wohin kein Gedanke reichte, würde es werden. Was bisher nur in der Musik gewesen ist.
Was manchmal in den hohen Schichten des Gehirns, wenn sie sich erweichen, von Sehnsucht singt, wie eine zersprungene Harfe, über die ein Seufzer weht.[146]
Was manchmal den Schlund dolcht, daß man schlucken muß, wie vor Thränen, und kann es sich nicht deuten.
Ganz weißgekleidet würde es sein.
Immer mußte er an die Mönche des Zurbaran denken – so, irgendwie.
Und auch auf gelbem Grunde. Schmutzig Gelb, lechzend, verzückt, ermattet, ausröchelnd, verschmachtend und mit violetten Tönen, aber nur ganz leise.
Ja, keusch.
Er fühlte es mit Wollust, daß sie sehr keusch sein würde. Er bemerkte neuerdings an sich eine große Neigung, unbezwinglich, zur Keuschheit, ganz seltsam, wunderlich, unerklärlich, die ihm früher niemals aufgefallen war. Nein, er konnte sich nicht erinnern.
Das war schon ein Zeichen.
Seine Sehnsucht irrte nach einem mystischen Glück der Enthaltsamkeit, ohne ein wirkliches Weib, mit dem bloßen Traum, ganz allein, mit der bloßen Vorstellung, eine entfleischte Liebe, welche ohne den Schatten des Leides und ohne Ende sein könnte, niemals unterbrochen, keinen Augenblick, ein ewiger Rausch ohne Ernüchterung, ohne Erwachen.
So etwas.
Schön waren doch nur die Begierden. Man mußte sie verhindern, erfüllt zu werden.
Der wahre Genuß war doch immer allein in der Vorstellung vor dem Genuß. Der wirkliche brachte bloß Schmerz und Schmutz und Ekel. Er enttäuschte und verdroß und verdarb den Mut der schönen Einbildung.[147]
Nur eine einsame Liebe konnte unendlich sein.
Er unternahm Versuche.
Einmal, als sie fort war, bereitete er feierlich alles zur Hochzeit und öffnete über sich den Flaçon ihres Parfüms, Corylopsis. Dann mit geschlossenen Lidern erweckte er ihr Bild und vollzog in sanften Tänzen mit ihm liebliche Gebärden, deren Leidenschaft wechselte und wuchs, unter holden und verschämten Spielen. Da, mit seligen Wallungen, fühlte er ihre Güte, ihre Schönheit ganz entkleidet vom Gemeinen, in lauteren Verkündigungen, ohne den Makel der rauhen Wirklichkeit, und konnte sie ganz in sich verwandeln, aufsaugen, ausschlürfen, ohne daß ein fremder Rest wie eine trübe Hefe blieb.
Das war die keusche Wollust. Da hatte er es perlgrau im Gehirn, in schmächtiges Violett hinüber.
Ja, auf diesem Wege mußte sie kommen, auf keinem anderen.
Er wiederholte sie oft, diese seraphischen Umarmungen.
Er liebte sie gar nicht mehr anders, als wenn sie fort war. Da wurde ihm köstlich. Das andere marterte ihn nur, wie wüster Traum mit schweren Alpen.
Ja, auf diesem Wege mußte sie kommen.
Und er harrte, demütig und treu. Nimmermehr wollte er verzagen. Er erneuerte sich das Gelöbnis, während er träumte, unter der schwülen Linde.
Da wurde ihm plötzlich sehr gut und es kam eine freudige Zuversicht über ihn, wie noch nie, daß er schon ganz nahe war. Und dann verdankte er es[148] am Ende doch nur ihr allein, und sie war halt doch das Glück, trotz alledem. Und es wurde ihm zum Weinen und er schämte sich, wie er oft gegen sie war.
Da schlug er die Augen auf und gewahrte es, woher ihn solche Zärtlichkeit anwandelte.
Es war neben ihm eine Blumenhändlerin aufgefahren, Rosen und Nelken und Reseda, ein mächtiger Karren.
Ja, dachte er sich, während er heimwärts schritt; wenn man immer Rosen neben sich hätte, welche riechen, da könnte man freilich leicht gut sein.
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