Epitaph

[108] Der gute Mann, den wir zu Grabe tragen,

Sieht wächsern aus und scheint erstarrt zu sein.

Doch war er so verliebt in allen Schein,

Daß man sich hüten muß, ihn tot zu sagen.


Er liebte es in allen Lebenslagen

Dem Unerhörten nur Gehör zu leihn.

Umgeben so von hundert Fabulein

Kann man nur zögernd ihm zu glauben wagen.


Drum, wenn auch jetzt sein schmaler Maskenmund

Geschlossen liegt und nicht mehr sprechen mag:

Er lauscht vielleicht nur in den Schöpfergrund ...


Und steht dann wieder auf wie jeden Tag.

Laßt ihn getrost bei seinem Leichenspiele.

Er lächelt schon und wir sind kaum am Ziele.

Quelle:
Hugo Ball: Gesammelte Gedichte. Zürich 1963, S. 108.
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