II

[15] Als Frank Wedekind auf die Bretter trat: Donnerwetter! Die anderen sahen neben ihm aus wie ein Kegelspiel, das im Umfallen ist. Sie waren einfach nicht mehr da. Es gab uns einen Riß. Wir fühlten: Voilà! Das ist er! Seine Stücke waren bewiesen. Hatten auf einmal Existenz. Zwielebigkeit zwischen Dichter und Werk ward Einheit. Sein Atem glühte. Sein Tempo[15] hackte. Fanatismus brachte ein Vibrieren auf die Bühne, wie nur noch der Tänzer Nijinski es bringt. Da standen drei Kerle in einer Person: ein Zelot, ein Dichter und ein Tribun. Seine Angelegenheit, die vorher eine solche der Theaterkanzleien und Verlagsbüros gewesen war, sprang in die Öffentlichkeit. Was vorher Schreibsal war, ward Lebsal. Fluchte, blutete, tobte, schrie: uns und der staatlichen, gesellschaftlichen, religiösen, moralischen Autorität ins Gesicht hinein. Schauspieler werden hieß für ihn: sich ein öffentliches Leben schaffen; Agitation für sich und die Sache, Auseinandersetzung deutlichste, Brust an Brust mit denen, denen es galt. Das gab ihm eine Unmittelbarkeit, die ein »Berufsschauspieler« nicht erreichen kann, weil er immer nur Mittler bleibt. Wedekinds Manco: Die Kunst (d.h. Beherrschung) der Invektiven. Bombenwerfen wird demnächst moderner sein und ihn verdrängen.

Quelle:
Hugo Ball: Der Künstler und die Zeitkrankheit. Frankfurt a.M. 1984, S. 15-16.
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Der Künstler und die Zeitkrankheit. Ausgewählte Schriften
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