Elfte Szene.

[312] Cäcilie. Sittig.


SITTIG. Was hat die Mama?

CÄCILIE. Ich weiß nicht –

SITTIG. Auch Sie scheinen übler Laune, Cäcilie?

CÄCILIE. O nicht doch –

SITTIG setzt sich zu ihr. Blicken Sie auf – sehen Sie mich doch an! Will ihren Arm ergreifen.

CÄCILIE. Lassen Sie mich!

SITTIG. Sie legen die Arbeit weg – Sie senken den Kopf – Cäcilie – Sie weinen! – Was soll nun das heißen?

CÄCILIE. Freilich, meine Tränen bedeuten nichts!

SITTIG. Wie können Sie so reden? Sie wissen, das ärgert mich.[312]

CÄCILIE etwas frappiert. Ärgert Sie? Ich denke, es sollte Sie schmerzen.

SITTIG etwas heftig. Grundlose Tränen sind nur ärgerlich. Steht auf, Pause. Ich konnte Vormittag nicht kommen. Den Abend bring' ich mit Ringelstern zu. Er erweist mir alle Freundschaft, ich hab' ihn seit Jahr und Tag nicht gesehen, ich denke, er kann mit Recht verlangen, daß ich ihm ein par Stunden widme, und wenn das der Grund Ihrer Tränen ist –

CÄCILIE. Und wenn er es wäre? Der Baron ist kein Umgang für Sie.

SITTIG. Warum nicht?

CÄCILIE. Er ist ein Weltmann. Er hat keinen Sinn für Häuslichkeit, für Familienleben.

SITTIG. Er hat Sinn für alles Gute.

CÄCILIE. Ich weiß, er reizt Sie gegen mich auf.

SITTIG. Im Gegenteil, er will für unser Glück wirken.

CÄCILIE. Ich wünsche, daß wir unser Ziel erreichen, ohne fremde Einmischung.

SITTIG. Sie sind ungerecht. Karl ist –

CÄCILIE. Mag er sein, was er will. Er ist ein Spötter, ein Witzkopf. Er macht sich über unser Verhältnis lustig. Sie verteidigen ihn, hab' ich nun nicht Grund zu klagen?

SITTIG. Hat jemand Grund dazu, so bin ich's. Mir das Mädchen nachzuschicken! – Ich schämte mich vor den Leuten, vor dem Mädchen selbst – das heimlich kicherte – ich bemerkte es wohl –

CÄCILIE. Was Sie alles bemerken! – Wenn man um ihn besorgt ist – Steht auf.

SITTIG. Besorgt? Ich bin kein Kind!

CÄCILIE. Ich bitte, sprechen Sie etwas leiser, der Vater schläft.

SITTIG sanft, dann heftiger, aber immer wieder leiser. Wahrhaftig, ich tue alles, was ich Ihnen an den Augen absehe, ich denke und sinne, strebe und lebe nur für Sie; jede Viertelstunde, die ich meinen Geschäften abmüßige, bring' ich mit Ihnen und ihren Eltern zu. Mein Malen, mein Zeichnen, ja, meine Lektüre hab' ich vernachlässigt. Sie wissen selbst, wie sehr die Langeweile im Hause Ihrer Eltern herrscht; ich habe die Tanten und Muhmen und Kaffeeschwestern in der Residenz mit Geduld ertragen, ich wußte Ihr eigenes Unbehagen, Ihre Ungeduld mit diesen Verhältnissen zu beschwichtigen, wir litten und trugen miteinander, füreinander, bauten in den wenigen glücklichen Stunden, wo uns der Schwarm verließ, schöne Plane für die Zukunft eines froheren, freieren Lebens – aber ich fürchte, es wird bei den Planen bleiben. Dieser Landaufenthalt, von dem ich mir so viel Vergnügen versprach, bringt nichts als Verdrießlichkeiten. Die[313] Eltern fühlen sich hier unbequem, ich, der ich mich ohnedem aufopfere, soll alles entgelten, und die Geliebte, die mich erheben und aufrecht erhalten sollte, quält und martert mich täglich, stündlich mit tausend Rücksichten und Ausstellungen, die der Sinn eines Mannes nur kleinlich finden kann.

CÄCILIE. Diese Vorwürfe hab' ich längst erwartet. So manches spitze Wort, daß Ihnen entschlüpfte, hat mich darauf vorbereitet. Die Bekanntschaft mit unserm Hause riß Sie aus einem etwas lustigen Freundschaftskreise, den Sie noch immer ungern entbehren. Ich dachte, meine Liebe sollte Sie für den Verlust jener munteren Gesellen entschädigen, aber es scheint nicht so. Kaum taucht einer wieder auf, und schwatz Ihnen den Kopf voll von Freiheit, Unabhängigkeit, was weiß ich, so stimmen Sie in das Lied ein.

SITTIG. Ich weiß, worauf Sie zielen. Mein Zusammenhang mit Ringelstern ist Ihnen unangenehm. Aber Karl ist ein wackerer, ein ganzer Mensch, mir in vielen Stücken überlegen; er ist mein Freund, ich werd' ihn niemals aufgeben.

CÄCILIE. Nach Belieben.

SITTIG. Bleiben Sie, Cäcilie. Sie haben noch etwas gegen mich. Sprechen Sie.

CÄCILIE. Was hilft es? Sie erklären sich so bestimmt –

SITTIG. Nicht diese erkünstelte Kälte, diese ärgerliche Zurückhaltung! Sagen Sie offen, was Sie auf dem Herzen haben.

CÄCILIE. Nun denn – Sie sprachen heute wieder mit Frau von Rosen.

SITTIG. Cäcilie –!

CÄCILIE. Sie ist eine Frau von zweideutigem Rufe.

SITTIG. Törichte Eifersüchtelei!

CÄCILIE. Leben Sie wohl. Ihre Unarten mag ich nicht anhören.

SITTIG. Bleiben Sie! So geht es nicht länger. Ich traue Ihnen, Sie sollen mir trauen. Ich bin kein Kind. Ich bin ein Mann. Ich weiß, was ich mir, was ich Ihnen schuldig bin. Hatte ich Sie jemals mit einem Manne in Verdacht? Warum soll ich mit keinem Frauenzimmer sprechen? Ich will sprechen, ich muß sprechen, mein Geschäft erfordert es sogar. Übrigens steht es einem Mädchen übel an, Personen ihres Geschlechtes zu verdammen.

CÄCILIE. Vortrefflich! Sie sprechen jener Abenteuerin das Wort.

SITTIG. Sie ist keine Abenteuerin.

CÄCILIE. Was ist sie denn?

SITTIG. Gleichviel! Ich weiß, was ich zu tun habe.

CÄCILIE. Immer besser!

SITTIG. Sie sollen mir nicht vorschreiben. Am wenigsten die Mama.[314]

CÄCILIE. Ich Unglückliche!

SITTIG. Nun kommen wieder die Tränen!

CÄCILIE. Ihre Grausamkeit erpreßt sie mir –

SITTIG. Ich bin nicht grausam; ich bin sanft, geduldig, man kann mich um den Finger wickeln, aber ich lasse mich nicht gängeln, nicht hofmeistern, nicht wie einen Knaben behandeln –

CÄCILIE. Stille doch! Die Mama!


Quelle:
Eduard von Bauernfeld: Ausgewählte Werke in vier Bänden. Band 1, Leipzig [o.J.], S. 312-315.
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