983. Der Schneider von Unken

[633] Im Lofertal, das schon österreichisch, liegt Unken, mag wohl den Namen mit der Tat haben, gibt darin auch noch ein Mäustal und ein Rabental, ein Dörflein Höllenstein und eine Bergreihe, die Hohlwege; ein Bach heißt der Unkenbach, einer der Finsterbach und einer der Schwarzbach, fließen alle in die Saal, die ihr Eiswasser unterhalb Salzburg in die Salzach rinnen läßt. Geister gibt es auch genug dortherum und manchen Schatz im Schoß der gewaltigen Berge, die das Tal einengen.

Nun war zu Unken ein tapferer Schneider, eines Schneiders Sohn, das war ein gewaltiger Nimrod, hatte den Stutzen lieber wie das Bügeleisen und den Hirschfänger lieber als die Schere, tat wenigstens so, und hielt sich einen großen Fanghund, aber mit dem Jagdgewehr durft' er am Tage nicht gehen. Nun ging er einstmals bei Nacht über die Wegscheid, wo es gar nicht geheuer ist, war auf dem Kaitl gewesen und hatte da ohne Zweifel einmal getrunken, denn man kann am Kaitl nicht wohl ohne Einkehr vorübergehen. Wie nun der Schneider so hinaufsteigt zur Wegscheid, geht neben ihm ein schwarzer Mann, hält Tritt und Schritt mit ihm und spricht kein Grüß Gott und kein Zeitlassen und kein Gelobt sei Jesus Christ, auch nicht Guten Abend, sondern gar nichts. Wird's dem tapfern Schneider seltsam, ruft seinen großen Fanghund. Aber der große Fanghund, wie er den schwarzen Mann sieht, klemmt er den Schwanz zwischen die Beine und reißt aus wie Schafleder, über die Wegscheid hinein ins Lofertal, daß er in zwei Augenblicken seinem Herrn aus dem Gesicht ist. Jetzt wird's dem Schneider brühheiß und eiskalt in einem Atem, doch faßt er sich ein Herz und zieht vom Leder, nämlich aus seinem Gürtel sein Messer, daran auch, wie dort landüblich, eine Gabel, nestelt die Gabel in die linke Hand und denkt, nun komm nur an, du Schwarzer! Dabei schlugen ihm aber alle Glieder, und die Kniee schlotterten ihm. Der Schwarze blieb stumm. Ein sehr starkes Stück Wegs unterm ganzen Wendberg zur Rechten hin ging der dunkle Begleiter mit, bis sie herunterkamen, wo eine Brücke über einen Bach führt, der vom Mitterberg herabrollt, und welche die Säumerbrücke heißt, darauf blieb der Schwarze stehen und bog sich hinab zum Wasser. Der tapfere Schneider, fest die Wehr, Messer und Gabel in den Händen, trabte weiter, erreichte das Wirtshaus zur Schnagelreit mit Mühe und Not und mehr tot als lebendig und käseweiß, und da dachten die Leute, er wolle jemand totstechen, denn er legte die Wehr gar nicht aus der Hand, und endlich fand sich, daß er vom ängstlichen Festhalten den Krampf in die Finger bekommen hatte und die Fäuste nicht öffnen konnte. Nicht um die Welt wäre er noch einmal vor die Haustüre gegangen, und niemals ging er wieder im Zwielicht über die Wegscheid. Andern Morgens, da der tapfere Schneider heimkam nach Unken, prügelte er den großen Fanghund weidlich durch, schlug ihm mit der eisernen Elle fast das Rückgrat entzwei und jagte ihn aus dem Hause.

Quelle:
Ludwig Bechstein: Deutsches Sagenbuch. Meersburg und Leipzig 1930, S. 633.
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