Capitul XIV
Etliche Schulfüchse diskurrieren von der Gemütsvergnügung

[41] Über dieses entstand unter etlichen Gelbschnäbeln auf der Hochzeit eine Frage, ob denn Lorenz hinter der Wiesen seinem Vorgeben nach eine wahre Gemütsruhe besäße, oder ob es vielmehr eine angeborene Faulheit zu heißen wäre, welche mit keiner Tugend könnte in Consideration gezogen werden. Da hörte ich so viel Judicia, als viele ihrer über diese Frage zu scrupulieren angefangen. Signor Fuchsschwanz war der erste, der sprach also: »Monsieurs, diese Frage aufzulösen, muß man wohl wissen, was eigentlich durch die Gemütsruhe verstanden werde, item was die Gemütsruhe an sich selbst ist. Als erstlich, wenn ich dafür halte, daß ich exempli gratia im Wildbretschießen oder Hasenjagen meine Gemütsruhe suche, so ist sie eine Gemütsruhe und ist auch keine. Denn indem ich arbeite, so ruhe ich nicht und ruhe doch, denn ich stelle in solcher mühsamen Arbeit mein Gemüt zufrieden, ob ich schon dadurch und in Suchung dieser meine Glieder höchst beschwerlich mit Mattigkeit belade. Ist also dieses eigentlich die wahre Gemütsruhe, worin ich meine höchste Vergnügung suche.« »Nein«, sagte sein Nachbar, »Monsieur Naseweis, Bruder, du fehlest weit, denn du nimmst das Honestum und Salutare nicht in acht. Saprament, es ist gut, daß kein Gelehrter hier zugegen gesessen, sonst hätt er dich mit dem Priscianus über die Fresse geschlagen, daß dir die verschluckten Hochzeitskuchen zum Hals herausfallen müssen. Gelt, Herr Vetter Großsprecher, ich sage die Wahrheit. Ihr seid um fünf Jahr länger als ich auf der Schul gewesen. Drum sagt uns, was ist eigentlich die wahre Gemütsruhe und was heißt das Honestum wohl in Obacht nehmen? Mein Praeceptor schwätzte vor diesem seinen Haufen davon, aber wenn ich abends mein Ordinari-Pfeifentoback aussoff, so fielen mir die Narrenpossen so geschwind aus dem Kopf, so geschwinde sie mir zuvor eingefallen waren.«

»Ihr Herren«, sagte Herr Großsprecher, »meine Auslegung hierüber grundmäßig und wohl zu verstehen, müsset ihr erstlich auf die Seite setzen das Jucundum, denn non omne jucundum est honestum und non omne honestum est jucundum. Bei dieser Distinction müsset ihr in acht nehmen das ens finitum in gradu excellentiori, quatenus intellegitur ut sic; denn es ist gewiß, daß die realitas animi sei non[41] ens intellectus. Ist nun der Verstand respectu adaequatioris positivae formaliter zur Lust geneigt, ich sage formaliter, so folget necessario, daß die gradus infinitae positionis die gradualitatem sensus weit mehr als proportionaliter übersteigen. Nun, nachdem man solches wohl verstehet, ist weiter zu wissen, daß die Gemütsruhe auf tausenderlei Art und Manier kann verstanden werden. Erstlich zwar als ein ens physicum, fürs andere als ein principium theoreticum, fürs dritte als eine realitas intrinseca philosophice sumpta, fürs vierte als eine contrarietas positiva theologica. Fürs fünfte ist es gar schön zu heißen ein respectus formalis adaequationis harmonicus und so weiter. Jetzt fragt es sich, ob [wo?] dieses ens, nämlich die Vergnügung, seine radicalitatis formam hernehme, ob es komme aus einer negativa sensualitate oder positiva suppositione, scilicet quatenus esse videtur substantionalitas in rei esse formaliter sic dicta. Oder ob es vielmehr herkomme ex abstractione concreti entis. Ich sage, und ist auch aller Gelehrten Meinung, daß hierin die formalitas dispositionis mentalis sein ens verwandele in ein quasi non ens respectivum, und solchergestalten ist der Handel richtig. Ob aber Herr Lorenz dieses verstehe oder nicht, und warum er eigentlich seine Gemütsruhe in solchen Sachen suchet, das weiß ich nicht.«

Aus dieser Antwort wußten die Herrn Interroganten so viel als zuvor, und als ich mich unter dem Volk etwas genauer erkundigte, so war dieser Herr Respondent ein abscheulicher philosophischer Narr, welcher Tag und Nacht mit nichts als solchen Alfanzereien umging und dadurch den Rhein auszutrocknen vermeinte. Solche Narren werden nicht allein von niemandem verstanden, sondern noch dazu von allen ausgelachet.

»Ja«, sagte ein Jung, welcher neben mir seiner Frau mit einem Teller hinter dem Arm aufwartete, »es liegt ein Haus in der Au, das heißet man das Narrenspital. Neulich war ich mit meiner Frau darin, ich kann nicht sagen, was für ein Haufen lateinische Narren drinsitzen. Sie schwatzen so wunderlich Zeug untereinander, daß ich mich fast krank gelachet. Einer unter diesen Narren heißt der Doctor ohne Bart, der schreit in seinem Gefängnis wie ein natürlicher Gassenarzt, und wie der Kerkermeister seine Kammer aufmachte, ließ er einen Furz wohl drei Klafter lang.«

Über diese Erzählung des schnackischen Jungen fingen wir Umstehenden laut zu lachen an, und als mich Herr Lorenz fragte, warum wir ein solches Fest trieben, sagte ich ihm von dem Narrenspital und was sich in demselben mit dem Doctor ohne Bart zugetragen. Durch dieses bekam mein Herr Gelegenheit, sich wegen der Wahrheit des Narrenspitals bei gegenwärtiger Gesellschaft zu erkundigen, und sagte: »Monsieurs, Sie verzeihen meiner Freiheit, daß ich Sie fragen darf, ob dem gemeinen Ruf gemäß in der Au ein Narrenspital aufgerichtet worden, und wer hat solches bauen lassen?« »Mein Herr Lorenz«, sagte ein Altbetagter von Adel, »Er ist hiervon[42] nicht unrecht berichtet worden. Das Narrenspital ist vor gar kurzer Zeit verfertiget und auf Befehl eines vornehmen Herrn aufgebaut worden, darin allerlei schnackische und von der menschlichen Vernunft entfernte Gemüter anzutreffen.« »Ha, Saprament«, sprach Herr Lorenz, »kann man den Ort denn nicht zu sehen bekommen?« »Warum das nicht?« antwortete der vorige. »Es ist um ein paar oder drei Groschen zu tun, [so] kann Er alles aussuchen, was darin enthalten und anzutreffen ist. Gewiß, das Geld wird den Herrn nicht reuen, und mir zweifelt nicht, daß der Herr alle Lust darin genießen soll, zumal Er ohnedem eines lustigen Humors ist und die Grillen viel leichter als ich oder einer meinesgleichen behalten kann.«

Quelle:
Johann Beer: Das Narrenspital sowie Jucundi Jusundissimi Wunderliche Lebens-Beschreibung. Hamburg 1957, S. 41-43.
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